Als Carl August 1757 in Weimar als Sohn Anna Amalias zur Welt kommt, ist noch nicht abzusehen, daß die kleine Residenzstadt Jahre später Zentrum des deutschen Geisteslebens sein würde. Carl August hat Goethe an seinen Hof geholt und ihn zum Freund gewonnen. Wer war dieser Großherzog Carl August wirklich? Die vorliegende spannende, wissenschaftlich fundierte Biographie wird allen Facetten und Brüchen seiner Person gerecht, zeigt einen Menschen im "widersprüchlichen Kräftespiel seiner Zeit".
Eine Biographie über Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach
Klein nur sei "unter den Fürsten Germaniens" der seine, bekennt der Weimarer Bürger Johann Wolfgang von Goethe im siebzehnten seiner "Venetianischen Epigramme"; "kurz und schmal" sei sein Land und "mäßig nur, was er vermag". Aber dennoch hat er nahezu sechs Jahrzehnte in dessen Ländchen ausgehalten und ihn im Alter "einen der größten Fürsten, die Deutschland je bemessen", genannt. Die Geste der Dankbarkeit dem herzoglichen, später großherzoglichen Landesherrn und Freund Carl August gegenüber, der ihn einst nach Weimar eingeladen hatte, ist ebenso schön wie berechtigt. Denn in der Tat war er es, der Amt und dynastische Macht dazu benutzte, jene außerordentliche, produktive Vereinigung bedeutender Dichter und Philosophen in einer Stadt von ein paar tausend Einwohnern zu bewerkstelligen, die bei den Deutschen Weimar zu einem Inbegriff ihrer Kultur schlechthin hat werden lassen.
Nicht daß Carl Augusts Leistungen unbeachtet geblieben wären. Sein politischer Briefwechsel ist editiert worden; umfangreiche Monographien, darunter zuletzt Friedrich Sengles große Studie "Das Genie und ein Fürst" (1993), haben sein Leben nachgezeichnet, seine Persönlichkeit analysiert und seine Tätigkeiten gegen den Hintergrund des Zeitalters interpretiert. Daß Goethe allerdings dabei seinem Herzog zumeist die Schau stiehlt, ist unvermeidlich, denn schließlich bleiben die Dichter der Nachwelt gegenwärtiger als die Politiker.
"Goethes Herzog und Freund" lautet der Untertitel auch der neuesten Biographie über Carl August, aber das Gewicht liegt hier eindeutig auf dem Herzog selbst. Das Buch ist das dritte in einer Reihe von Monographien des Böhlau-Verlags über die Weimarer Fürsten; die ersten Bände (von Ursula Salentin und Angelika Pöthe) hatten seiner Mutter Anna Amalia und seinem Enkel Carl Alexander gegolten. Verfasser dieser Lebensgeschichte ist der Leipziger Schriftsteller Volker Ebersbach, der sich bereits mit biographischen Romanen und historischen Erzählungen einen Namen gemacht hat. Er selbst spricht von seinem Buch als "erzählender Darstellung", aber es ist mit Freude festzustellen, daß nicht fragwürdige Fiktionalisierung damit gemeint ist, sondern ganz einfach guter, lebendiger, interessanter Stil.
Ebersbach stellt Carl Augusts Leben immer wieder in größere Zusammenhänge. Klein war Sachsen-Weimar gewiß, aber das bedeutete nicht Enge. Man machte sich falsche Vorstellungen vom deutschen Partikularismus im achtzehnten Jahrhundert, wenn man das Netz von Verwandtschaften übersähe, das die deutsche und europäische Adelsgesellschaft damals verband. Friedrich der Große war ein Onkel von Carl Augusts Mutter Anna Amalia. Seine Frau, die Prinzessin Louise Auguste, kam aus Hessen-Darmstadt, von einem Ort also, der sich selbst bereits zu einem "kleinen Musenhof" entwickelt hatte, und Maria Pawlowna, Frau von Carl Augusts Sohn Carl Friedrich, war eine Tochter des russischen Zaren. Carl Augusts Enkelin Augusta schließlich wurde als Gemahlin Wilhelms des Ersten von Preußen 1871 deutsche Kaiserin.
Daß aus solchen Verbindungen ebenso Vorteile wie Nachteile hinsichtlich der Selbständigkeit von Fürst und Land entstehen konnten, läßt sich leicht erschließen. Der Bericht über Carl Augusts schwierige Rolle auf dem Wiener Kongreß, wohin ihn zu begleiten Goethe ablehnte, gibt ein beredtes Bild davon. Ob Carl August am Ende im Weimar der zwanziger Jahre wirklich "beinahe die Züge eines Demokraten" annahm, mag allerdings von der genaueren Bestimmung des Wörtchens "beinahe" abhängen.
Wie man im politischen Leben den "ersten europäischen Monarchenfamilien" verbunden war, so bedeutete auch im geistigen Leben die Kleinheit des Landes nicht Beschränktheit. Wieviel Musik, Theater und bildende Kunst gerade den kleinen Residenzen verdanken, hat Goethe selbst, Partikularist, der er war, stets gern betont. Darüber hinaus aber waren "die Intellektuellen Deutschlands, ja Europas zu der Zeit durch eine lebhafte multilaterale Korrespondenz gleichsam vernetzt". Solche weiten Perspektiven werden in diesem Buch ergänzt durch viel Sinn für historisches Detail.
Ebersbach läßt die Balance zwischen Privatheit und Öffentlichkeit im Leben eines Herrschers nicht aus den Augen. "Carl August ist Herr seiner hunderttausend Untertanen. Herr seiner selbst ist er nicht mehr als irgendein Mensch." Die einfühlsame Schilderung der ersten "Ehefron" der jungen Herzogin in Weimar, die innere Unmöglichkeit der beiden Lebenspartner, unter den Bedingungen ihrer Zeit und ihrer Erziehung einander in ihrer Eigenart zu sehen und zu verstehen, sind dafür ein eindrucksvolles Beispiel.
Ein leichtes Bedauern gilt der Tatsache, daß Ebersbach - im Unterschied zu den anderen Bänden der Reihe - keine Belege für die vielen Dokumente und Zitate gibt, die er benutzt hat. Zwar gibt es am Ende des Buches eine Bibliographie, aber sie ist etwas flüchtig und ungenau; aus welchen Archiven oder Büchern der Verfasser sich sein Material geholt hat, bleibt im einzelnen ungesagt. Das ist gerade deshalb ein wenig enttäuschend, weil er durch seine lebendige Darstellung Interesse zu wecken versteht, dem er selbst dann nicht weiter auf die Sprünge hilft.
GERHARD SCHULZ
Volker Ebersbach: "Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Goethes Herzog und Freund". Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien 1998. 276 S., geb., 39,80 DM.
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