Carl Duisberg galt als der bedeutendste Industrielle seiner Zeit. Werner Plumpe spürt seinem Erfolgsgeheimnis nach und zeichnet ein beeindruckendes Porträt dieses Begründers der modernen chemischen Industrie und seiner Epoche.
Auf der Grundlage einer einzigartigen Quellenbasis von über 25.000 erhaltenen Briefen rekonstruiert Werner Plumpe die Karriere eines Bildungsaufsteigers aus Heimarbeitsmilieu, dessen Weg ihn von den Farbenfabriken Bayer an die Spitze der deutschen Industrie und in die höchsten Kreise der deutschen Gesellschaft führte. Dabei beschreibt er auch die politischen Wandlungen Carl Duisbergs, der als Gründer der I.G. Farbenindustrie AG eines der umstrittensten Gebilde der deutschen Unternehmensgeschichte schuf und dessen Leben so stark mit der deutschen Geschichte seiner Zeit verwoben ist, dass sich an seiner Person das Panorama einer ganzen Epoche entfalten lässt.
Auf der Grundlage einer einzigartigen Quellenbasis von über 25.000 erhaltenen Briefen rekonstruiert Werner Plumpe die Karriere eines Bildungsaufsteigers aus Heimarbeitsmilieu, dessen Weg ihn von den Farbenfabriken Bayer an die Spitze der deutschen Industrie und in die höchsten Kreise der deutschen Gesellschaft führte. Dabei beschreibt er auch die politischen Wandlungen Carl Duisbergs, der als Gründer der I.G. Farbenindustrie AG eines der umstrittensten Gebilde der deutschen Unternehmensgeschichte schuf und dessen Leben so stark mit der deutschen Geschichte seiner Zeit verwoben ist, dass sich an seiner Person das Panorama einer ganzen Epoche entfalten lässt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Werner Plumpes Studie über den Industriellen Carl Duisberg ist nicht nur eine brillante Biografie, sondern auch eine sehr lesenswerte Kombination aus Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, versichert Rezensent Jens Hacke. Und fährt hymnisch fort: In einer Mischung aus ehrgeiziger Recherche, psychologischem Feinsinn und "interpretatorischer Leidenschaft" stelle der Autor einen der ersten "kapitalistischen Manager" vor, der als Reformer der Bayer AG und Gründer der I.G. Farben zu einer der wichtigsten Gründerfiguren des 20. Jahrhunderts wurde, lobt der Rezensent. Vor allem aber kann ihm Plumpe anhand von Duisbergs politischem Opportunismus während des Ersten Weltkriegs die bis heute geltenden Abgründe im Verhältnis von Wirtschaft und Politik eindringlich vermitteln.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2016Ordnung war sein ganzes Leben
Werner Plumpes Biographie von Carl Duisberg, der Bayer zur Weltgeltung führte und die IG Farben mitbegründete
Sozialer Aufstieg ist schwer. Das gilt besonders für die deutsche Unternehmerschaft des Kaiserreichs, von der man weiß, dass sie sich überwiegend aus dem gehobenen Bürgertum rekrutierte. In vielen Fällen hatten schon die Väter Unternehmen geleitet. Das von dem Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe nachgezeichnete Leben Carl Duisbergs (1861 bis 1935) ist ein faszinierendes Beispiel für den eher seltenen Fall eines Aufstiegs aus dem unter- bis kleinbürgerlichen Milieu. Duisbergs Vater war Weberkötter, ein textiler Heimarbeiter, mit einer kleinen Landwirtschaft, dessen Sohn Bayer zu einem Weltkonzern machte und den gigantischen IG-Farben-Konzern mitbegründete.
Ein Element dieser bemerkenswerten Karriere war Bildung, ein anderes Leistung, gepaart mit Fleiß und Ehrgeiz. Duisberg, der auf Wunsch der Mutter mit großer Mühe das Abitur ablegte, promovierte im Alter von zweiundzwanzig Jahren zum Doktor der Chemie und wurde nach der Erfindung eines hochprofitablen synthetischen Farbstoffes mit siebenundzwanzig Jahren zum Prokuristen der aufstrebenden Farbenfabrik Bayer & Co. ernannt. 1900, noch keine vierzig Jahre alt, wurde Duisberg in den Vorstand berufen, nachdem er bereits mehr als zehn Jahre die Geschicke des Unternehmens de facto mitbestimmt hatte.
Duisberg blieb stets angestellter Manager, fühlte und agierte aber wie ein Eigentümerunternehmer. Er begründete bei Bayer eine moderne wissenschaftsbasierte Entwicklungsarbeit. Das ständig expandierende Labor wurde zum Herzen des Unternehmens und ermöglichte einen nie abreißenden Strom von Patenten, die Bayer zum Weltunternehmen machten. Der von 1890 an laufende Bau des neuen Bayer-Werkes in Leverkusen zu einer hochmodernen Chemiefabrik aus einem Guss war eine zentrale Lebensleistung Duisbergs. Ordnung gehörte zu seinen zentralen Werten, weshalb er das Durcheinander im älteren Bayer-Werk in Elberfeld nur schwer ertragen konnte.
Duisbergs ablehnende Haltung gegenüber Gewerkschaften und SPD verband er mit sozialpolitischen Konzessionen und der Arbeitszeitverkürzung im eigenen Werk. Er bestand darauf, Herr im Hause zu sein, und tolerierte keinen Widerspruch. So autoritär er sich nach unten hin verhielt, so kollegial war sein Führungsstil auf der oberen Ebene. Technokratische Ordnungsvorstellungen bildeten den Kern seiner Weltsicht. Wie viele Unternehmer des Kaiserreichs neigte Duisberg den Nationalliberalen zu und verehrte Bismarck. Gegenüber der parlamentarischen Demokratie war er aber skeptisch eingestellt. Staatliche Eingriffe in die Autonomie der Unternehmen lehnte er rigoros ab.
Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges betätigte sich Duisberg nicht als Kriegstreiber. Die desaströsen Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft sah er glasklar. Während des Krieges radikalisierte er sich aber und ließ sich vom Hurrapatriotismus seiner Umgebung mitziehen, geriet sogar von 1915 an ins Fahrwasser alldeutscher Kreise. Duisberg besaß keine Skrupel, groß ins todbringende Geschäft mit Gaskampfstoffen einzusteigen. Dazu pflegte er enge Beziehungen zur militärischen Spitze. Moralische Indifferenz, Patriotismus und Geschäftssinn gingen eine unheilige Allianz ein.
Atemberaubende Kehrtwende
Im Herbst 1918 plädierte Duisberg völlig verblendet für eine Fortsetzung des längst verlorenen Krieges. Als er die Ausweglosigkeit der Lage schließlich begriff, machte er eine atemberaubende Kehrtwende und biederte sich an jene an, die er bisher verachtet und bekämpft hatte, an die Gewerkschaften und die SPD. Privat bezeichnete er die Revolution als Herrschaft des "Pöbels", hielt aber in einem Brief sein zutiefst opportunistisches Credo fest: "Es würde Wahnsinn sein, sich gegen die neuen Verhältnisse sperren zu wollen; wir müssen (. . .) uns mit dem Gegebenen abfinden."
Sein zentrales Anliegen war es, die privatwirtschaftliche Ordnung davor zu bewahren, gemeinsam mit dem Kaiserreich unterzugehen. Das Stinnes-Legien-Abkommen, mit dem Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Bündnis besiegelten, trug er ohne Begeisterung mit, da er ohne die Unterstützung der Arbeiterbewegung Schlimmeres fürchtete. Auch symbolisch vollzog er einen Schwenk und ersetzte die von ihm stets getragene weiße Knopflochblume durch eine rote Rose.
So gelang es ihm tatsächlich, dass die Arbeit im Leverkusener Werk während der Revolution nicht einen Tag ruhte. Er blieb ein Mann der Ordnung, anpassungsfähig bis zur Selbstverleugnung. Den Kapp-Putsch lehnte Duisberg ab, zu sehr ängstigte ihn die drohende Auflösung der Ordnung. Tatsächlich gab es ja in Teilen Deutschlands bürgerkriegsähnliche Zustände.
In Leverkusen setzte er eine recht erfolgreiche Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften und moderaten Betriebsräten durch, während er linksradikale Kräfte gnadenlos entfernte. Zugleich distanzierte er sich von der reaktionären Linie der Schwerindustrie. Erneut sah Duisberg die Ordnung bedroht, denn er erkannte luzide das Konflikt- und Schadenpotential eines sozialpolitischen Rollbacks. "Man soll der historischen Entwicklung nicht in die Speichen fallen." Stattdessen setzte er auf den "kaufmännisch-technischen Geist", auf Ordnung statt Ideologie. Duisberg war ein opportunistischer Pragmatiker, ein Technokrat ohne tiefere politische Überzeugungen.
Ignorant gegenüber Hitler
Die Krönung seines unternehmerischen Wirkens war 1925 die Gründung der IG Farben, des größten Chemiekonzerns der Welt. Gleichzeitig markierte die Fusion den Schlusspunkt seiner operativen Führungsaufgaben, denn die Position des Vorstandsvorsitzenden fiel zu seiner Enttäuschung dem deutlich jüngeren Carl Bosch von der BASF zu, während er sich mit dem Vorsitz des Aufsichtsrates begnügen musste. Als Mitglied des Präsidiums und von 1925 an als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie modernisierte Duisberg den industriellen Spitzenverband und richtete ihn auf parlamentarische Verhältnisse aus. Innerhalb der Industrie nahm er damit fast schon eine "linke" Position ein.
In der politischen und wirtschaftlichen Doppelkrise der späten Republik vollzog er keineswegs eine antirepublikanische Wende, wie oft zu lesen ist, sondern setzte zunächst auf eine vom Parlament tolerierte Präsidialregierung, die nicht das politische System aushebeln, sondern nur die bisherigen Blockaden auflösen sollte, was sich als schwerwiegende Fehleinschätzung erwies. Gegenüber Hitler und der NSDAP wahrte er bis 1933 Distanz. Nach Hitlers Amtsantritt begegnete er dem Nationalsozialismus mit einer Mischung von Skepsis und vorsichtiger Anpassung, mit Illusionen und Ignoranz. Jedoch unterstützte er heimlich ihm bekannte Opfer des Antisemitismus, vor allem jüdische Chemiker.
Über Duisbergs Privatleben erfährt der Leser leider wenig. Duisberg war nicht gesund, denn das "geschäftliche Hetzen und Jagen" zehrte an ihm. Längere, zuweilen mehrmonatige Kuraufenthalte und Urlaube wurden unvermeidlich, ließen sich aber damals noch mit den Anforderungen der Unternehmensleitung in Einklang bringen. Duisberg betätigte sich auch als Förderer der Wissenschaften und half, bis heute wichtige Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-Gesellschaft, den Stifterverband und das Studentenwerk zu gründen, um die geistigen Kräfte Deutschlands nach der Kriegsniederlage zu stärken. Der Gedanke, armen Studenten mit dem Studentenwerk den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, sprach ihn vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung besonders an. Das Familienleben kommt, abgesehen von der Erwähnung des sehr wichtigen Rückhalts durch seine Frau und der Harmonie der Ehe, in Plumpes Biographie praktisch nicht vor. Seine beiden Söhne und seine Tochter werden nur en passant erwähnt. Warum der älteste Sohn sich nicht für die Chemie begeisterte und Filmregisseur wurde, bleibt im Dunklen. Als Vater und Familienoberhaupt tritt Duisberg in diesem Buch nicht in Erscheinung, das sich ganz auf die politischen und geschäftlichen Aspekte der Biographie konzentriert. Diese werden mit profunder Sachkenntnis und ausgewogenen Urteilen beschrieben. Die Biographie ist flüssig und ohne sperrigen Fachjargon geschrieben, auch wenn sie sich mit ihren knapp tausend Seiten nicht für den eiligen Leser eignet. Dieses ansprechend bebilderte, quellennahe Werk profitiert von der reichhaltigen Überlieferung der Korrespondenz, die Duisberg systematisch abgelegt hatte, da er keinen Zweifel an seiner großen Bedeutung für Gegenwart und Nachwelt hatte.
HARTMUT BERGHOFF
Werner Plumpe: "Carl Duisberg". 1861- 1935. Anatomie eines Industriellen.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 992 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Werner Plumpes Biographie von Carl Duisberg, der Bayer zur Weltgeltung führte und die IG Farben mitbegründete
Sozialer Aufstieg ist schwer. Das gilt besonders für die deutsche Unternehmerschaft des Kaiserreichs, von der man weiß, dass sie sich überwiegend aus dem gehobenen Bürgertum rekrutierte. In vielen Fällen hatten schon die Väter Unternehmen geleitet. Das von dem Frankfurter Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe nachgezeichnete Leben Carl Duisbergs (1861 bis 1935) ist ein faszinierendes Beispiel für den eher seltenen Fall eines Aufstiegs aus dem unter- bis kleinbürgerlichen Milieu. Duisbergs Vater war Weberkötter, ein textiler Heimarbeiter, mit einer kleinen Landwirtschaft, dessen Sohn Bayer zu einem Weltkonzern machte und den gigantischen IG-Farben-Konzern mitbegründete.
Ein Element dieser bemerkenswerten Karriere war Bildung, ein anderes Leistung, gepaart mit Fleiß und Ehrgeiz. Duisberg, der auf Wunsch der Mutter mit großer Mühe das Abitur ablegte, promovierte im Alter von zweiundzwanzig Jahren zum Doktor der Chemie und wurde nach der Erfindung eines hochprofitablen synthetischen Farbstoffes mit siebenundzwanzig Jahren zum Prokuristen der aufstrebenden Farbenfabrik Bayer & Co. ernannt. 1900, noch keine vierzig Jahre alt, wurde Duisberg in den Vorstand berufen, nachdem er bereits mehr als zehn Jahre die Geschicke des Unternehmens de facto mitbestimmt hatte.
Duisberg blieb stets angestellter Manager, fühlte und agierte aber wie ein Eigentümerunternehmer. Er begründete bei Bayer eine moderne wissenschaftsbasierte Entwicklungsarbeit. Das ständig expandierende Labor wurde zum Herzen des Unternehmens und ermöglichte einen nie abreißenden Strom von Patenten, die Bayer zum Weltunternehmen machten. Der von 1890 an laufende Bau des neuen Bayer-Werkes in Leverkusen zu einer hochmodernen Chemiefabrik aus einem Guss war eine zentrale Lebensleistung Duisbergs. Ordnung gehörte zu seinen zentralen Werten, weshalb er das Durcheinander im älteren Bayer-Werk in Elberfeld nur schwer ertragen konnte.
Duisbergs ablehnende Haltung gegenüber Gewerkschaften und SPD verband er mit sozialpolitischen Konzessionen und der Arbeitszeitverkürzung im eigenen Werk. Er bestand darauf, Herr im Hause zu sein, und tolerierte keinen Widerspruch. So autoritär er sich nach unten hin verhielt, so kollegial war sein Führungsstil auf der oberen Ebene. Technokratische Ordnungsvorstellungen bildeten den Kern seiner Weltsicht. Wie viele Unternehmer des Kaiserreichs neigte Duisberg den Nationalliberalen zu und verehrte Bismarck. Gegenüber der parlamentarischen Demokratie war er aber skeptisch eingestellt. Staatliche Eingriffe in die Autonomie der Unternehmen lehnte er rigoros ab.
Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges betätigte sich Duisberg nicht als Kriegstreiber. Die desaströsen Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft sah er glasklar. Während des Krieges radikalisierte er sich aber und ließ sich vom Hurrapatriotismus seiner Umgebung mitziehen, geriet sogar von 1915 an ins Fahrwasser alldeutscher Kreise. Duisberg besaß keine Skrupel, groß ins todbringende Geschäft mit Gaskampfstoffen einzusteigen. Dazu pflegte er enge Beziehungen zur militärischen Spitze. Moralische Indifferenz, Patriotismus und Geschäftssinn gingen eine unheilige Allianz ein.
Atemberaubende Kehrtwende
Im Herbst 1918 plädierte Duisberg völlig verblendet für eine Fortsetzung des längst verlorenen Krieges. Als er die Ausweglosigkeit der Lage schließlich begriff, machte er eine atemberaubende Kehrtwende und biederte sich an jene an, die er bisher verachtet und bekämpft hatte, an die Gewerkschaften und die SPD. Privat bezeichnete er die Revolution als Herrschaft des "Pöbels", hielt aber in einem Brief sein zutiefst opportunistisches Credo fest: "Es würde Wahnsinn sein, sich gegen die neuen Verhältnisse sperren zu wollen; wir müssen (. . .) uns mit dem Gegebenen abfinden."
Sein zentrales Anliegen war es, die privatwirtschaftliche Ordnung davor zu bewahren, gemeinsam mit dem Kaiserreich unterzugehen. Das Stinnes-Legien-Abkommen, mit dem Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Bündnis besiegelten, trug er ohne Begeisterung mit, da er ohne die Unterstützung der Arbeiterbewegung Schlimmeres fürchtete. Auch symbolisch vollzog er einen Schwenk und ersetzte die von ihm stets getragene weiße Knopflochblume durch eine rote Rose.
So gelang es ihm tatsächlich, dass die Arbeit im Leverkusener Werk während der Revolution nicht einen Tag ruhte. Er blieb ein Mann der Ordnung, anpassungsfähig bis zur Selbstverleugnung. Den Kapp-Putsch lehnte Duisberg ab, zu sehr ängstigte ihn die drohende Auflösung der Ordnung. Tatsächlich gab es ja in Teilen Deutschlands bürgerkriegsähnliche Zustände.
In Leverkusen setzte er eine recht erfolgreiche Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften und moderaten Betriebsräten durch, während er linksradikale Kräfte gnadenlos entfernte. Zugleich distanzierte er sich von der reaktionären Linie der Schwerindustrie. Erneut sah Duisberg die Ordnung bedroht, denn er erkannte luzide das Konflikt- und Schadenpotential eines sozialpolitischen Rollbacks. "Man soll der historischen Entwicklung nicht in die Speichen fallen." Stattdessen setzte er auf den "kaufmännisch-technischen Geist", auf Ordnung statt Ideologie. Duisberg war ein opportunistischer Pragmatiker, ein Technokrat ohne tiefere politische Überzeugungen.
Ignorant gegenüber Hitler
Die Krönung seines unternehmerischen Wirkens war 1925 die Gründung der IG Farben, des größten Chemiekonzerns der Welt. Gleichzeitig markierte die Fusion den Schlusspunkt seiner operativen Führungsaufgaben, denn die Position des Vorstandsvorsitzenden fiel zu seiner Enttäuschung dem deutlich jüngeren Carl Bosch von der BASF zu, während er sich mit dem Vorsitz des Aufsichtsrates begnügen musste. Als Mitglied des Präsidiums und von 1925 an als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie modernisierte Duisberg den industriellen Spitzenverband und richtete ihn auf parlamentarische Verhältnisse aus. Innerhalb der Industrie nahm er damit fast schon eine "linke" Position ein.
In der politischen und wirtschaftlichen Doppelkrise der späten Republik vollzog er keineswegs eine antirepublikanische Wende, wie oft zu lesen ist, sondern setzte zunächst auf eine vom Parlament tolerierte Präsidialregierung, die nicht das politische System aushebeln, sondern nur die bisherigen Blockaden auflösen sollte, was sich als schwerwiegende Fehleinschätzung erwies. Gegenüber Hitler und der NSDAP wahrte er bis 1933 Distanz. Nach Hitlers Amtsantritt begegnete er dem Nationalsozialismus mit einer Mischung von Skepsis und vorsichtiger Anpassung, mit Illusionen und Ignoranz. Jedoch unterstützte er heimlich ihm bekannte Opfer des Antisemitismus, vor allem jüdische Chemiker.
Über Duisbergs Privatleben erfährt der Leser leider wenig. Duisberg war nicht gesund, denn das "geschäftliche Hetzen und Jagen" zehrte an ihm. Längere, zuweilen mehrmonatige Kuraufenthalte und Urlaube wurden unvermeidlich, ließen sich aber damals noch mit den Anforderungen der Unternehmensleitung in Einklang bringen. Duisberg betätigte sich auch als Förderer der Wissenschaften und half, bis heute wichtige Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Helmholtz-Gesellschaft, den Stifterverband und das Studentenwerk zu gründen, um die geistigen Kräfte Deutschlands nach der Kriegsniederlage zu stärken. Der Gedanke, armen Studenten mit dem Studentenwerk den sozialen Aufstieg zu ermöglichen, sprach ihn vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung besonders an. Das Familienleben kommt, abgesehen von der Erwähnung des sehr wichtigen Rückhalts durch seine Frau und der Harmonie der Ehe, in Plumpes Biographie praktisch nicht vor. Seine beiden Söhne und seine Tochter werden nur en passant erwähnt. Warum der älteste Sohn sich nicht für die Chemie begeisterte und Filmregisseur wurde, bleibt im Dunklen. Als Vater und Familienoberhaupt tritt Duisberg in diesem Buch nicht in Erscheinung, das sich ganz auf die politischen und geschäftlichen Aspekte der Biographie konzentriert. Diese werden mit profunder Sachkenntnis und ausgewogenen Urteilen beschrieben. Die Biographie ist flüssig und ohne sperrigen Fachjargon geschrieben, auch wenn sie sich mit ihren knapp tausend Seiten nicht für den eiligen Leser eignet. Dieses ansprechend bebilderte, quellennahe Werk profitiert von der reichhaltigen Überlieferung der Korrespondenz, die Duisberg systematisch abgelegt hatte, da er keinen Zweifel an seiner großen Bedeutung für Gegenwart und Nachwelt hatte.
HARTMUT BERGHOFF
Werner Plumpe: "Carl Duisberg". 1861- 1935. Anatomie eines Industriellen.
Verlag C. H. Beck, München 2016. 992 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.01.2017Ein mustergültiger Manager
Der Unternehmer und Chemiker Carl Duisberg modernisierte Bayer und gründete die I.G. Farben.
Werner Plumpe beleuchtet in seiner Biografie die Abgründe zwischen Wirtschaft und Politik
VON JENS HACKE
Der Kapitalismus braucht seine Heroen – die wagemutigen Unternehmer- und Gründerfiguren. Aber bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts setzte Ernüchterung ein. In der Phase nie zuvor gekannter Entwicklungsdynamik, als Automobilisierung, Elektrifizierung und Telekommunikation die Gesellschaft ergriffen, wirkte es so, als sei die Zeit der übermächtigen Beweger zu Ende. Max Weber sah überall das Gespenst einer lähmenden Bürokratisierung, für seinen Kollegen Werner Sombart war der Übergang in den Spätkapitalismus bereits erfolgt, und der Sozialdemokrat Rudolf Hilferding sollte bald vom „organisierten Kapitalismus“ sprechen. Nicht wenige Nationalökonomen teilten die Einschätzung, dass der technische Fortschritt Megakonzerne hervorbrachte, die zwangsläufig zu Formen einer im Grunde sozialisierten Gemeinwirtschaft führen mussten.
Paradigmatisch für einen solchen Wandel war die Ablösung des kapitalistischen Unternehmers durch den Typus des Managers. Wir wissen heute, dass der Manager kein Vorbote des Sozialismus war. Im Gegenteil, seine individuellen Fähigkeiten und seine Flexibilität machten ihn wiederum zu einem dynamischen Faktor kapitalistischer Entwicklung. Es spricht einiges dafür, in Carl Duisberg (1861-1935), dem Reformer der Bayer AG und Architekten der IG Farben, einen herausragenden Vertreter dieses neuen Prototyps zu sehen.
Der Name Carl Duisberg ist eigentlich kaum mehr bekannt. Allenfalls in Leverkusen, wo das von ihm konzipierte Bayer-Werksgelände, zeitweilig das weltweit Modernste seiner Art, in seinen Grundzügen erhalten blieb, erinnert man sich an ihn. Ansonsten weiß man in wirtschaftshistorisch kundigen Kreisen um seine Rolle als Neuerer in der Chemieindustrie und als Verbandsfunktionär. Er hatte bereits im Kaiserreich fast unangefochten die Geschicke Bayers gelenkt. Seine Stellung verdankte sich allein seiner Kompetenz und seinen strategischen Fähigkeiten. Er hatte sich als promovierter Chemiker und Angestellter aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet und schließlich unentbehrlich gemacht.
Werner Plumpes virtuose Studie über diesen Industriellen ist weit mehr als eine Biografie. Es ist eine profunde Kombination aus Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus.
Duisberg war ein Modernisierer, der ein „erstaunliches Gespür für die wirtschaftliche Dimension technischer Problemlösungen“ besaß. Er interessierte sich für neue Marktmöglichkeiten und neue Produktionsformen gleichermaßen. Es war die Zeit, in der man aus den Abfallprodukten der Farbindustrie eine pharmazeutische Revolution in Gang setzte – Aspirin, Antifieber und Schlafmittel wurden entdeckt.
Duisberg hatte auch erkannt, dass der Kapitalismus in der modernen Massengesellschaft andere Strukturen brauchte. Unternehmen mussten politisch und gesellschaftlich sensibler operieren, denn es konnte nicht mehr allein um Gewinn gehen, sondern die Industriekapitäne, um in der Diktion der Zeit zu bleiben, mussten die Gemeinwohlverträglichkeit der Wirtschaft ausweisen.
In Carl Duisberg, so eine der wichtigen Thesen des an Einsichten reichen Buches von Werner Plumpe, haben wir eine Schlüsselfigur des „rheinischen Kapitalismus“ vor uns. Einen „mustergültigen kapitalistischen Manager“, der durch und durch modern dachte und dabei die soziale Wirklichkeit im Blick behielt. Korporatismus, Sozialpolitik von oben und eine gute Portion technokratisches Ordnungsdenken gehörten zu den Ingredienzien einer solchen Haltung, die in Deutschland unabhängig vom politischen System reüssieren konnte.
Duisberg war von seiner eigenen Bedeutung überzeugt und archivierte mit Blick auf die Nachwelt seine Ansprachen, Zehntausende von Briefen, Zeitungsausschnitte und persönliche Dokumente. Werner Plumpe hat sich mit Spürsinn, psychologischem Feingefühl und interpretatorischer Leidenschaft durch diese Quellenberge gearbeitet und präsentiert die geistige Physiognomie eines Machers in einer Mischung aus Faszination und Lakonie.
Für intellektuelle Subtilitäten blieb in diesem rastlosen Leben wenig Raum. Die Begeisterung für das Automobil, das Duisberg als einer der ersten umfassend als Dienstwagen mit Fahrer nutzte, war ebenso symptomatisch wie der bis zur Erschöpfung getriebene Arbeitseinsatz, der im „Zeitalter der Nervosität“ stets mit Kuraufenthalten kompensiert werden musste. Ansonsten war die Schnapsflaschensammlung wichtiger als Klassikerlektüre. Ein bisschen Goethe und die Pflege der Gemäldesammlung mussten reichen.
Duisberg hatte den Gipfel seiner Karriere bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreicht. Den Krieg selbst lehnte er ab. Exportorientierung, friedlicher Welthandel und internationale Wirtschaftsbeziehungen waren für den begeisterten Amerika-Reisenden die Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens. In Duisbergs Überlegungen hatte der Krieg nie eine Rolle gespielt, Kriegsziele hatte er keine, auch für Kolonien hatte er sich nie interessiert, da sie ökonomisch keine Bedeutung besaßen.
Die Rückseite von Duisbergs außergewöhnlicher Auffassungsgabe und Flexibilität war freilich ein politischer Opportunismus, der einen eklatanten Mangel an genuinen eigenen Überzeugungen offenbarte. Vor diesem Hintergrund gehört Duisbergs Wirken im Krieg zum dunklen Kapitel seiner Biografie. Nicht nur stellte er unter dem Regiment der Obersten Heeresleitung auf Sprengstoff- und Giftgasproduktion um, sondern er wurde auch selbst zum politischen Akteur, der nach einem atemberaubenden Prozess der Selbstmobilisierung den „Sieg-Frieden“ propagierte und sich der Organisation der Kriegswirtschaft bedingungslos zur Verfügung stellte.
Duisberg versucht nach dem Krieg seine kritiklose Verehrung für Ludendorff und Hindenburg herunterzuspielen, als er sich abermals auf neue politische Verhältnisse einstellte. Er tat dies ohne Gewissensqualen und konnte das Selbstbild eines erfüllten und erfolgreichen tätigen Lebens pflegen, ohne politische Verantwortlichkeit zu reflektieren.
„Ich trage den Zeitverhältnissen Rechnung, suche ihnen sogar, wenn möglich zuvorzukommen“, äußerte er im Februar 1919. Mit dieser Haltung hatte er kein Problem, Abschied von der Monarchie zu nehmen und in der Republik erneut an entscheidender Stelle zu wirken. Mit der Gründung der IG Farben im Jahr 1925 verlor er zwar seinen Einfluss auf das Tagesgeschäft, weil der jüngere Carl Bosch sich als Vorstandsvorsitzender durchsetzte. Duisberg versuchte jedoch fortan – letztlich vergeblich – als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, die Widerstände der Schwerindustrie gegenüber der Republik abzubauen. Zudem setzte er sich für Wissenschafts- und Studentenförderung ein. Die Idee der Studienstiftung geht auch auf seine Initiative zurück.
Duisbergs pragmatisches Eintreten für eine Politik der Mitte, die er in der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten verkörpert sah, war nicht untypisch für sein Milieu. Wie viele andere hatte er kein Sensorium für die neue politische Radikalisierung. Noch 1930 hing er der Illusion eines bürgerlichen Blocks an und hoffte vage auf eine „Fahrtrichtung im kapitalistischen Sinne“.
Dem Nationalsozialismus stand Duisberg vor 1933 fern. Insofern kann keine Rede davon sein, dass er das Ende Weimars willentlich begünstigt hätte. Wirkliche geistige und politische Abwehrkräfte gegen das NS-Regime besaß er allerdings nicht. Aufs Neue passte er sich vermeintlichen äußeren Zwängen an, wenn auch erst skeptisch und zögerlich. Jüdischen Bekannten half er diskret, den Mut zum öffentlichen Protest gegen nationalsozialistisches Unrecht fand er nie.
Das Verstörende an Plumpes Befunden liegt darin, dass er uns Abgründe im Verhältnis von Wirtschaft und Politik vorführt. Wenig unterscheidet Duisberg von einem erfolgreichen Industriellen der heutigen Bundesrepublik, denen politische Herausforderungen bislang erspart bleiben.
Energie, Anerkennungsbedürfnis, Machtbewusstsein, Kreativität, Möglichkeitssinn – all diese Eigenschaften können, wie Plumpe nüchtern konstatiert, zu Untugenden werden, wenn sie unter geänderten politischen Rahmenbedingungen für falsche Ziele missbraucht werden. Auch im demokratischen Staat ist die Wirtschaft geneigt, politische Verhältnisse im Hinblick auf ein störungsfreies Geschäft zu beurteilen. Ob der Opportunismus der ökonomischen Eliten heute nur im Verborgenen bleibt oder ob eine neoliberale Sachzwangideologie mittlerweile selbst die Politik durchdrungen hat, das sind nach der Lektüre dieses beeindruckenden Werks eine beunruhigend offene Fragen.
Werner Plumpe: Carl Duisberg 1861–1935. Anatomie eines Industriellen. Verlag C.H. Beck, München 2016. 992 Seiten, 39,95 Euro.
Bei so viel Einsatz war
die Schnapsflaschensammlung
wichtiger als Klassikerlektüre
Mit der Lehrwerkstatt im Werk Leverkusen (oben) wurde 1901 der Grundstein der betrieblichen Ausbildung bei Bayer gelegt. Der Unternehmer Carl Duisberg (unten) wurde
1861 in Barmen geboren. Foto: Bayer AG / Süddeutsche Zeitung / Scherl
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Der Unternehmer und Chemiker Carl Duisberg modernisierte Bayer und gründete die I.G. Farben.
Werner Plumpe beleuchtet in seiner Biografie die Abgründe zwischen Wirtschaft und Politik
VON JENS HACKE
Der Kapitalismus braucht seine Heroen – die wagemutigen Unternehmer- und Gründerfiguren. Aber bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts setzte Ernüchterung ein. In der Phase nie zuvor gekannter Entwicklungsdynamik, als Automobilisierung, Elektrifizierung und Telekommunikation die Gesellschaft ergriffen, wirkte es so, als sei die Zeit der übermächtigen Beweger zu Ende. Max Weber sah überall das Gespenst einer lähmenden Bürokratisierung, für seinen Kollegen Werner Sombart war der Übergang in den Spätkapitalismus bereits erfolgt, und der Sozialdemokrat Rudolf Hilferding sollte bald vom „organisierten Kapitalismus“ sprechen. Nicht wenige Nationalökonomen teilten die Einschätzung, dass der technische Fortschritt Megakonzerne hervorbrachte, die zwangsläufig zu Formen einer im Grunde sozialisierten Gemeinwirtschaft führen mussten.
Paradigmatisch für einen solchen Wandel war die Ablösung des kapitalistischen Unternehmers durch den Typus des Managers. Wir wissen heute, dass der Manager kein Vorbote des Sozialismus war. Im Gegenteil, seine individuellen Fähigkeiten und seine Flexibilität machten ihn wiederum zu einem dynamischen Faktor kapitalistischer Entwicklung. Es spricht einiges dafür, in Carl Duisberg (1861-1935), dem Reformer der Bayer AG und Architekten der IG Farben, einen herausragenden Vertreter dieses neuen Prototyps zu sehen.
Der Name Carl Duisberg ist eigentlich kaum mehr bekannt. Allenfalls in Leverkusen, wo das von ihm konzipierte Bayer-Werksgelände, zeitweilig das weltweit Modernste seiner Art, in seinen Grundzügen erhalten blieb, erinnert man sich an ihn. Ansonsten weiß man in wirtschaftshistorisch kundigen Kreisen um seine Rolle als Neuerer in der Chemieindustrie und als Verbandsfunktionär. Er hatte bereits im Kaiserreich fast unangefochten die Geschicke Bayers gelenkt. Seine Stellung verdankte sich allein seiner Kompetenz und seinen strategischen Fähigkeiten. Er hatte sich als promovierter Chemiker und Angestellter aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet und schließlich unentbehrlich gemacht.
Werner Plumpes virtuose Studie über diesen Industriellen ist weit mehr als eine Biografie. Es ist eine profunde Kombination aus Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus.
Duisberg war ein Modernisierer, der ein „erstaunliches Gespür für die wirtschaftliche Dimension technischer Problemlösungen“ besaß. Er interessierte sich für neue Marktmöglichkeiten und neue Produktionsformen gleichermaßen. Es war die Zeit, in der man aus den Abfallprodukten der Farbindustrie eine pharmazeutische Revolution in Gang setzte – Aspirin, Antifieber und Schlafmittel wurden entdeckt.
Duisberg hatte auch erkannt, dass der Kapitalismus in der modernen Massengesellschaft andere Strukturen brauchte. Unternehmen mussten politisch und gesellschaftlich sensibler operieren, denn es konnte nicht mehr allein um Gewinn gehen, sondern die Industriekapitäne, um in der Diktion der Zeit zu bleiben, mussten die Gemeinwohlverträglichkeit der Wirtschaft ausweisen.
In Carl Duisberg, so eine der wichtigen Thesen des an Einsichten reichen Buches von Werner Plumpe, haben wir eine Schlüsselfigur des „rheinischen Kapitalismus“ vor uns. Einen „mustergültigen kapitalistischen Manager“, der durch und durch modern dachte und dabei die soziale Wirklichkeit im Blick behielt. Korporatismus, Sozialpolitik von oben und eine gute Portion technokratisches Ordnungsdenken gehörten zu den Ingredienzien einer solchen Haltung, die in Deutschland unabhängig vom politischen System reüssieren konnte.
Duisberg war von seiner eigenen Bedeutung überzeugt und archivierte mit Blick auf die Nachwelt seine Ansprachen, Zehntausende von Briefen, Zeitungsausschnitte und persönliche Dokumente. Werner Plumpe hat sich mit Spürsinn, psychologischem Feingefühl und interpretatorischer Leidenschaft durch diese Quellenberge gearbeitet und präsentiert die geistige Physiognomie eines Machers in einer Mischung aus Faszination und Lakonie.
Für intellektuelle Subtilitäten blieb in diesem rastlosen Leben wenig Raum. Die Begeisterung für das Automobil, das Duisberg als einer der ersten umfassend als Dienstwagen mit Fahrer nutzte, war ebenso symptomatisch wie der bis zur Erschöpfung getriebene Arbeitseinsatz, der im „Zeitalter der Nervosität“ stets mit Kuraufenthalten kompensiert werden musste. Ansonsten war die Schnapsflaschensammlung wichtiger als Klassikerlektüre. Ein bisschen Goethe und die Pflege der Gemäldesammlung mussten reichen.
Duisberg hatte den Gipfel seiner Karriere bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreicht. Den Krieg selbst lehnte er ab. Exportorientierung, friedlicher Welthandel und internationale Wirtschaftsbeziehungen waren für den begeisterten Amerika-Reisenden die Voraussetzung für den Erfolg des Unternehmens. In Duisbergs Überlegungen hatte der Krieg nie eine Rolle gespielt, Kriegsziele hatte er keine, auch für Kolonien hatte er sich nie interessiert, da sie ökonomisch keine Bedeutung besaßen.
Die Rückseite von Duisbergs außergewöhnlicher Auffassungsgabe und Flexibilität war freilich ein politischer Opportunismus, der einen eklatanten Mangel an genuinen eigenen Überzeugungen offenbarte. Vor diesem Hintergrund gehört Duisbergs Wirken im Krieg zum dunklen Kapitel seiner Biografie. Nicht nur stellte er unter dem Regiment der Obersten Heeresleitung auf Sprengstoff- und Giftgasproduktion um, sondern er wurde auch selbst zum politischen Akteur, der nach einem atemberaubenden Prozess der Selbstmobilisierung den „Sieg-Frieden“ propagierte und sich der Organisation der Kriegswirtschaft bedingungslos zur Verfügung stellte.
Duisberg versucht nach dem Krieg seine kritiklose Verehrung für Ludendorff und Hindenburg herunterzuspielen, als er sich abermals auf neue politische Verhältnisse einstellte. Er tat dies ohne Gewissensqualen und konnte das Selbstbild eines erfüllten und erfolgreichen tätigen Lebens pflegen, ohne politische Verantwortlichkeit zu reflektieren.
„Ich trage den Zeitverhältnissen Rechnung, suche ihnen sogar, wenn möglich zuvorzukommen“, äußerte er im Februar 1919. Mit dieser Haltung hatte er kein Problem, Abschied von der Monarchie zu nehmen und in der Republik erneut an entscheidender Stelle zu wirken. Mit der Gründung der IG Farben im Jahr 1925 verlor er zwar seinen Einfluss auf das Tagesgeschäft, weil der jüngere Carl Bosch sich als Vorstandsvorsitzender durchsetzte. Duisberg versuchte jedoch fortan – letztlich vergeblich – als Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, die Widerstände der Schwerindustrie gegenüber der Republik abzubauen. Zudem setzte er sich für Wissenschafts- und Studentenförderung ein. Die Idee der Studienstiftung geht auch auf seine Initiative zurück.
Duisbergs pragmatisches Eintreten für eine Politik der Mitte, die er in der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten verkörpert sah, war nicht untypisch für sein Milieu. Wie viele andere hatte er kein Sensorium für die neue politische Radikalisierung. Noch 1930 hing er der Illusion eines bürgerlichen Blocks an und hoffte vage auf eine „Fahrtrichtung im kapitalistischen Sinne“.
Dem Nationalsozialismus stand Duisberg vor 1933 fern. Insofern kann keine Rede davon sein, dass er das Ende Weimars willentlich begünstigt hätte. Wirkliche geistige und politische Abwehrkräfte gegen das NS-Regime besaß er allerdings nicht. Aufs Neue passte er sich vermeintlichen äußeren Zwängen an, wenn auch erst skeptisch und zögerlich. Jüdischen Bekannten half er diskret, den Mut zum öffentlichen Protest gegen nationalsozialistisches Unrecht fand er nie.
Das Verstörende an Plumpes Befunden liegt darin, dass er uns Abgründe im Verhältnis von Wirtschaft und Politik vorführt. Wenig unterscheidet Duisberg von einem erfolgreichen Industriellen der heutigen Bundesrepublik, denen politische Herausforderungen bislang erspart bleiben.
Energie, Anerkennungsbedürfnis, Machtbewusstsein, Kreativität, Möglichkeitssinn – all diese Eigenschaften können, wie Plumpe nüchtern konstatiert, zu Untugenden werden, wenn sie unter geänderten politischen Rahmenbedingungen für falsche Ziele missbraucht werden. Auch im demokratischen Staat ist die Wirtschaft geneigt, politische Verhältnisse im Hinblick auf ein störungsfreies Geschäft zu beurteilen. Ob der Opportunismus der ökonomischen Eliten heute nur im Verborgenen bleibt oder ob eine neoliberale Sachzwangideologie mittlerweile selbst die Politik durchdrungen hat, das sind nach der Lektüre dieses beeindruckenden Werks eine beunruhigend offene Fragen.
Werner Plumpe: Carl Duisberg 1861–1935. Anatomie eines Industriellen. Verlag C.H. Beck, München 2016. 992 Seiten, 39,95 Euro.
Bei so viel Einsatz war
die Schnapsflaschensammlung
wichtiger als Klassikerlektüre
Mit der Lehrwerkstatt im Werk Leverkusen (oben) wurde 1901 der Grundstein der betrieblichen Ausbildung bei Bayer gelegt. Der Unternehmer Carl Duisberg (unten) wurde
1861 in Barmen geboren. Foto: Bayer AG / Süddeutsche Zeitung / Scherl
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"Was lernt man aus der Lektüre? Politik und Opportunismus mischen sich oft sehr fragwürdig. Eine gute Lehre für Trump Zeiten."
Capital, Juni 2017
Capital, Juni 2017