Der Erzähler und Essayist Carl Einstein nimmt einen hohen Rang innerhalb der europäischen Literaturgeschichte ein. Und doch gilt es, mit ihm einen wichtigen methodischen Anreger insbesondere für die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne zu entdecken. Vor allem seine »Kunst des 20. Jahrhunderts«, die bereits 1926 in erster Auflage innerhalb der renommierten »Propyläen-Kunstgeschichte« erschien und 1931 in vollständig überarbeiteter Fassung vorgelegt wurde, machte den Schriftsteller zu einem der ersten und zum vielleicht hellsichtigsten Historiker der europäischen Avantgarde, insbesondere des Kubismus und Surrealismus.
Durch eine oft enge freundschaftliche Bekanntschaft mit Künstlern, Kunsthändlern, Sammlern, Kritikern und Literaten wirkten seine Ideen unmittelbar auf das künstlerische und intellektuelle Geschehen seiner Epoche. Die thematische Grenzerweiterung, die mit Werk und Wirken Einsteins verbunden ist, sein methodisches Vorgehen, seine Sprachskepsis und ein komplexes geschichts- und erkenntnistheoretisches Modell, das der Kunst ihren Rang als Leitmedium einer ästhetischen Weltaneignung zuweist, haben zu einem wachsenden Interesse an seinen Schriften innerhalb der Kunstgeschichte, der Kultur- und Bildwissenschaften geführt.
Von der Kunst seines Jahrhunderts erwartet Einstein ein Aufbegehren gegen die biologische Fatalität des Todes, er erwartet von der Malerei seiner Freunde und Zeitgenossen, ja, von der eigenen schriftstellerischen Arbeit jene Revolte gegen den Tod, die als proto-existentialistischer Akt seine Hoffnung auf menschliche Freiheit begründet. Neben Walter Benjamin und Aby Warburg wird fortan auch Carl Einstein als einer der großen intellektuellen Anreger der Moderne zu würdigen sein.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Durch eine oft enge freundschaftliche Bekanntschaft mit Künstlern, Kunsthändlern, Sammlern, Kritikern und Literaten wirkten seine Ideen unmittelbar auf das künstlerische und intellektuelle Geschehen seiner Epoche. Die thematische Grenzerweiterung, die mit Werk und Wirken Einsteins verbunden ist, sein methodisches Vorgehen, seine Sprachskepsis und ein komplexes geschichts- und erkenntnistheoretisches Modell, das der Kunst ihren Rang als Leitmedium einer ästhetischen Weltaneignung zuweist, haben zu einem wachsenden Interesse an seinen Schriften innerhalb der Kunstgeschichte, der Kultur- und Bildwissenschaften geführt.
Von der Kunst seines Jahrhunderts erwartet Einstein ein Aufbegehren gegen die biologische Fatalität des Todes, er erwartet von der Malerei seiner Freunde und Zeitgenossen, ja, von der eigenen schriftstellerischen Arbeit jene Revolte gegen den Tod, die als proto-existentialistischer Akt seine Hoffnung auf menschliche Freiheit begründet. Neben Walter Benjamin und Aby Warburg wird fortan auch Carl Einstein als einer der großen intellektuellen Anreger der Moderne zu würdigen sein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.04.2007Mensch und Welt verändern
Die Biographie des Kunsthistorikers und Literaten Carl Einstein
"Das haltlose Licht tropfte auf die zartmarkierte Glatze eines jungen Mannes, der ängstlich abbog, um allen Überlegungen über die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen." Nicht nur die Romanfigur Bebuquin, auch sein Schöpfer, der Schriftsteller und Kunsthistoriker Carl Einstein, entzieht sich als Person, um als Autor schillernd die Literatur der ersten Jahrhunderthälfte zu bereichern. Einstein, der Literat des Expressionismus, Kunstkritiker und -historiker, wird seit seiner allmählichen Wiederentdeckung nach dem Zweiten Weltkrieg neben Walter Benjamin gestellt.
Mit seinem "Bebuquin" reihte sich Einstein 1912 unter die Schriftsteller ein, die den Roman neu dachten. Mit seinen Gedichten leistete er einen genuinen Beitrag zum Expressionismus. Im Gefolge der bildenden Künstler gehörte er auch zu den Entdeckern der künstlerischen Qualitäten afrikanischer Skulpturen. Er versuchte sich an einer Theorie des Kubismus, und seine Affinität zur französischen Kunst gipfelte in der direkten Wegbegleitung der Surrealisten, die in Deutschland vor 1933 kaum mehr wahrgenommen wurden. Mit seinem Beitrag zur ersten Ausgabe der Propyläen Kunstgeschichte, dem Band zur Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde der Kunstkritiker ab 1926 zum Kunsthistoriker im eigentlichen Sinne des Wortes. Er schrieb nun die Kunstgeschichte seiner eigenen Zeit. Bemerkenswert viele seiner Gewichtungen entsprechen noch der heutigen Sicht auf die Kunst der klassischen Moderne, und nur wenige Künstler, auf die er in den drei stark überarbeiteten Auflagen einging, sind heute in Vergessenheit geraten.
Die Dichtung trat für Einstein dabei immer mehr in den Hintergrund, während er im Laufe der jahrelangen Arbeit an diesem Opus magnum seine Ansprüche immer höher schraubt und letztlich nicht weniger wollte, als "schauend Menschen und Welt" zu verändern. Ins Exil trieben ihn nicht die Nationalsozialisten, er hatte Deutschland schon 1928 den Rücken gekehrt. In den dreißiger Jahren engagierte er sich im spanischen Bürgerkrieg und nahm sich, auch hierin Walter Benjamin vergleichbar, vor den anrückenden Deutschen in Frankreich schließlich das Leben.
Seit längerem gibt es eine Gesamtausgabe seiner Schriften, und mancher weitere Fund früher Schriften wurde publiziert. Einstein gehört daher heute zu den bekanntesten und am besten dokumentierten Schriftstellern, auch wenn die immense Bandbreite seiner Interessen und seine eigenartige Sprachkunst ihn weiterhin schwer fassbar machen. Die Germanistik entdeckte ihn zuerst wieder, während sich die traditionell wenig selbstreflexive Kunstwissenschaft schwerer tat, sein Potential auszuloten. Dies versucht nun Uwe Fleckners breitangelegte Studie, die im Sinne von Ernst Gombrichs Buch über Aby Warburg eine "intellektuelle Biographie" ist. Das hat den Nachteil, dass der allgemein interessierte Leser Angaben zur Person nur zwischen den Zeilen erfährt. Kann man aber über Einstein schreiben und den Dichter ganz außer acht lassen? Einsteins eigentümlicher und äußerst kreativer Umgang mit der Sprache wird von Fleckner nur in einem Kapitel und nur unter dem Aspekt einer kubistischen Sprache behandelt, die Einstein zur Analyse kubistischer Bilder entwickelt haben soll.
Mit der ausführlichen Besprechung der frühen Texte über Skulptur zeigt Fleckner, dass Einstein anhand der Theorien Konrad Fiedlers und Adolf von Hildebrandts ein Instrumentarium zur Analyse der Raumdarstellung erwarb, das sich bis zu seiner Theorie des Kubismus als hilfreich erwies. Nachdem Einsteins Texte nicht mehr entdeckt werden müssen, wäre es dann sinnvoll gewesen, das Umfeld, in dem er gearbeitet und auf das er oft äußerst polemisch reagiert hat, einzubinden. Zeitgenossen, die nicht allein tagesaktuelle Kritiken schrieben, wie Siegfried Kracauer, Paul Westheim oder der weniger bekannte Adolf Behne stehen für eine Auseinandersetzung mit der Kunst auf höchstem Niveau. Indem sich Fleckner aber ganz auf die Analyse der Einsteinschen Texte konzentriert, blendet er eine breiter angelegte Perspektive auf die Kunstkritik und -wissenschaft dieser Zeit aus.
Lediglich Einsteins Reaktion auf den eine Generation älteren Julius Meyer-Graefe, in den zwanziger Jahren auch Kunstkritiker der Frankfurter Zeitung, und seine "Entwicklungsgeschichte der Kunst" wird ausführlicher analysiert. Fleckner liest die "Geschichte der Modernen Kunst" zu Recht als eine komplementäre Antwort auf diesen ersten Versuch, eine Geschichte der Kunst vor und um 1900 zu schreiben. In der Auseinandersetzung mit Einsteins Texten zur afrikanischen Skulptur treten hingegen Berührungsängste des Kunstwissenschaftlers gegenüber der Nachbarwissenschaft Ethnologie zutage. Einsteins Werkauswahl wird nicht weiter auf dem heutigen Stand der Kenntnis afrikanischer Kunst diskutiert.
Mögen die Germanisten dem Kunsthistoriker Einstein reserviert gegenübergestanden sein, so ist Fleckners Ausblenden des Dichters nicht weniger bedauerlich. Einstein überfordert anscheinend die Wissenschaft bislang, so dass die nunmehr jahrzehntelange interdisziplinäre Arbeit der Einstein-Gesellschaft zwar mühsam ist, aber sich dafür als fruchtbarer erweist als der Versuch, das Multitalent aus nur einem Fokus heraus zu fassen. Immerhin war es diesem brillanten Polemiker gelungen, Wissenschaft in eine Sprachkunst zu verwandeln.
ANDREAS STROBL
Uwe Fleckner: "Carl Einstein und sein Jahrhundert". Fragmente einer intellektuellen Biographie. Akademie-Verlag, Berlin 2006. 502 S., geb., 64,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Biographie des Kunsthistorikers und Literaten Carl Einstein
"Das haltlose Licht tropfte auf die zartmarkierte Glatze eines jungen Mannes, der ängstlich abbog, um allen Überlegungen über die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen." Nicht nur die Romanfigur Bebuquin, auch sein Schöpfer, der Schriftsteller und Kunsthistoriker Carl Einstein, entzieht sich als Person, um als Autor schillernd die Literatur der ersten Jahrhunderthälfte zu bereichern. Einstein, der Literat des Expressionismus, Kunstkritiker und -historiker, wird seit seiner allmählichen Wiederentdeckung nach dem Zweiten Weltkrieg neben Walter Benjamin gestellt.
Mit seinem "Bebuquin" reihte sich Einstein 1912 unter die Schriftsteller ein, die den Roman neu dachten. Mit seinen Gedichten leistete er einen genuinen Beitrag zum Expressionismus. Im Gefolge der bildenden Künstler gehörte er auch zu den Entdeckern der künstlerischen Qualitäten afrikanischer Skulpturen. Er versuchte sich an einer Theorie des Kubismus, und seine Affinität zur französischen Kunst gipfelte in der direkten Wegbegleitung der Surrealisten, die in Deutschland vor 1933 kaum mehr wahrgenommen wurden. Mit seinem Beitrag zur ersten Ausgabe der Propyläen Kunstgeschichte, dem Band zur Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde der Kunstkritiker ab 1926 zum Kunsthistoriker im eigentlichen Sinne des Wortes. Er schrieb nun die Kunstgeschichte seiner eigenen Zeit. Bemerkenswert viele seiner Gewichtungen entsprechen noch der heutigen Sicht auf die Kunst der klassischen Moderne, und nur wenige Künstler, auf die er in den drei stark überarbeiteten Auflagen einging, sind heute in Vergessenheit geraten.
Die Dichtung trat für Einstein dabei immer mehr in den Hintergrund, während er im Laufe der jahrelangen Arbeit an diesem Opus magnum seine Ansprüche immer höher schraubt und letztlich nicht weniger wollte, als "schauend Menschen und Welt" zu verändern. Ins Exil trieben ihn nicht die Nationalsozialisten, er hatte Deutschland schon 1928 den Rücken gekehrt. In den dreißiger Jahren engagierte er sich im spanischen Bürgerkrieg und nahm sich, auch hierin Walter Benjamin vergleichbar, vor den anrückenden Deutschen in Frankreich schließlich das Leben.
Seit längerem gibt es eine Gesamtausgabe seiner Schriften, und mancher weitere Fund früher Schriften wurde publiziert. Einstein gehört daher heute zu den bekanntesten und am besten dokumentierten Schriftstellern, auch wenn die immense Bandbreite seiner Interessen und seine eigenartige Sprachkunst ihn weiterhin schwer fassbar machen. Die Germanistik entdeckte ihn zuerst wieder, während sich die traditionell wenig selbstreflexive Kunstwissenschaft schwerer tat, sein Potential auszuloten. Dies versucht nun Uwe Fleckners breitangelegte Studie, die im Sinne von Ernst Gombrichs Buch über Aby Warburg eine "intellektuelle Biographie" ist. Das hat den Nachteil, dass der allgemein interessierte Leser Angaben zur Person nur zwischen den Zeilen erfährt. Kann man aber über Einstein schreiben und den Dichter ganz außer acht lassen? Einsteins eigentümlicher und äußerst kreativer Umgang mit der Sprache wird von Fleckner nur in einem Kapitel und nur unter dem Aspekt einer kubistischen Sprache behandelt, die Einstein zur Analyse kubistischer Bilder entwickelt haben soll.
Mit der ausführlichen Besprechung der frühen Texte über Skulptur zeigt Fleckner, dass Einstein anhand der Theorien Konrad Fiedlers und Adolf von Hildebrandts ein Instrumentarium zur Analyse der Raumdarstellung erwarb, das sich bis zu seiner Theorie des Kubismus als hilfreich erwies. Nachdem Einsteins Texte nicht mehr entdeckt werden müssen, wäre es dann sinnvoll gewesen, das Umfeld, in dem er gearbeitet und auf das er oft äußerst polemisch reagiert hat, einzubinden. Zeitgenossen, die nicht allein tagesaktuelle Kritiken schrieben, wie Siegfried Kracauer, Paul Westheim oder der weniger bekannte Adolf Behne stehen für eine Auseinandersetzung mit der Kunst auf höchstem Niveau. Indem sich Fleckner aber ganz auf die Analyse der Einsteinschen Texte konzentriert, blendet er eine breiter angelegte Perspektive auf die Kunstkritik und -wissenschaft dieser Zeit aus.
Lediglich Einsteins Reaktion auf den eine Generation älteren Julius Meyer-Graefe, in den zwanziger Jahren auch Kunstkritiker der Frankfurter Zeitung, und seine "Entwicklungsgeschichte der Kunst" wird ausführlicher analysiert. Fleckner liest die "Geschichte der Modernen Kunst" zu Recht als eine komplementäre Antwort auf diesen ersten Versuch, eine Geschichte der Kunst vor und um 1900 zu schreiben. In der Auseinandersetzung mit Einsteins Texten zur afrikanischen Skulptur treten hingegen Berührungsängste des Kunstwissenschaftlers gegenüber der Nachbarwissenschaft Ethnologie zutage. Einsteins Werkauswahl wird nicht weiter auf dem heutigen Stand der Kenntnis afrikanischer Kunst diskutiert.
Mögen die Germanisten dem Kunsthistoriker Einstein reserviert gegenübergestanden sein, so ist Fleckners Ausblenden des Dichters nicht weniger bedauerlich. Einstein überfordert anscheinend die Wissenschaft bislang, so dass die nunmehr jahrzehntelange interdisziplinäre Arbeit der Einstein-Gesellschaft zwar mühsam ist, aber sich dafür als fruchtbarer erweist als der Versuch, das Multitalent aus nur einem Fokus heraus zu fassen. Immerhin war es diesem brillanten Polemiker gelungen, Wissenschaft in eine Sprachkunst zu verwandeln.
ANDREAS STROBL
Uwe Fleckner: "Carl Einstein und sein Jahrhundert". Fragmente einer intellektuellen Biographie. Akademie-Verlag, Berlin 2006. 502 S., geb., 64,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine des Multitalents Carl Einstein würdige Biografie sucht Andreas Strobl bislang vergebens. Auch Uwe Fleckner gelingt es laut Strobl nicht, Einstein allumfassend, so wie es die Arbeit der Einstein-Gesellschaft vormacht, zu betrachten. Zwar erkennt Strobl die Leistung einer "wenig selbstreflexiven" Kunstwissenschaft, sich hier zu einer "intellektuellen Biografie" aufzuschwingen und Einsteins Texte, etwa zur Skulptur, "ausführlich" zu besprechen. Einsteins Texte selbst jedoch hält der Rezensent bereits für ausreichend gut erschlossen. Die gewünschte breitere Perspektive auf Kunstkritik und Kunstwissenschaft zur Zeit Einsteins wie auf sein dichterisches Talent und seine Auseinandersetzung mit der Ethnologie enthält der Band dem Rezensenten jedoch leider vor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Fleckner's book, copiously illustrated with 276images [...]is a welcome and long-overdue corrective to this unfortunate practice." Charles W.Haxthausen in: sehepunkte, 7 (2007), Nr.9