Carl Friedrich Goerdeler wurde am 2. Februar 1945 wegen seines Widerstands gegen die Nationalsozialisten gehängt. Als Oberbürgermeister von Leipzig und Reichskommissar für die Preisbildung beriet, kritisierte und beeinflusste er die Regierungspolitik. 1941 formulierte er in einer Denkschrift Vorstellungen über eine Neuordnung der Stellung der Juden in der Welt. Einige Historiker nennen Goerdeler deshalb einen "dissimilatorischen Antisemiten", der die deutschen Juden habe ausbürgern wollen. Doch die Wahrheit ist anders. Auf der Grundlage neu ermittelter und analysierter Quellen zeigt Peter Hoffmann Goerdelers unablässiges Bemühen um den Schutz der Juden vor Verfolgung, Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und Ermordung. Goerdeler drängte als einziger der Widerstandskämpfer jahrelang das Regime, die Verfolgung der Juden zu beenden. Eine zentrale Persönlichkeit der bürgerlichen Opposition und der Umsturzbewegung gegen den Nationalsozialismus erfährt eine neue Bewertung und Würdigung. Der deutsche Widerstand erscheint in neuem Licht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2013Der Widerstand und die Juden
Irritierend: Peter Hoffmann nimmt Goerdeler in Schutz
Peter Hoffmann hat ein Anliegen. Er möchte Carl Goerdeler gegen wissenschaftliche Interpretationen in Schutz nehmen, die dessen Äußerungen zur "Judenfrage" im Kontext des modernen Antisemitismus analysieren. Denn damit, so meint Hoffmann, stelle man Goerdeler auf eine Stufe mit den Nationalsozialisten, die seit 1933 eine antijüdische Rassenpolitik betrieben, die im Massenmord mündete. Nun steht außer Zweifel, dass Goerdeler wiederholt gegen die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik seine Stimme erhoben hat. Insofern ist ihm nichts vorzuwerfen. Hoffmann aber möchte mehr. Er will nicht akzeptieren, dass auch in Goerdelers Weltbild, wie es sich in seinen Texten manifestiert, antisemitische Topoi und Stereotype erkennbar sind. Und er möchte nicht sehen, dass diejenigen, die Goerdelers einschlägige Formulierungen zum "Judenproblem" analysieren, in erster Linie ein Anliegen wissenschaftlicher Differenzierung verfolgen, das Goerdelers moralische Position gegen Hitler und die NS-Politik durchaus nicht leugnet.
Hoffmanns Abwehrmotiv, im Prolog formuliert, kann als Philippika gegen die moderne Geschichtswissenschaft gelesen werden. Dabei liegen seiner Sicht eine Reihe von Annahmen (manche würden sagen: Vorurteile) zugrunde, die ihn zu offensichtlichen Missverständnissen der jüngeren Forschung führen. Sie lassen sich etwa so zusammenfassen: Wenn Historiker die Weltbilder und die Programme der Verschwörer des 20. Juli analysieren und dabei auch antidemokratische und antisemitische Geisteshaltungen identifizieren, dann - so insinuiert Hoffmann - attestieren sie den Verschwörern dieselben Ziele wie Hitler und den Nationalsozialisten. In dieser Perspektive erscheinen die Äußerungen der Widerständler aufgrund ihrer moralischen Tat nahezu sakrosankt.
Über dieses wissenschaftsfremdelnde Grundverständnis hinaus verspricht Hoffmanns Buch im Titel anderes, als sein Text dann liefert. Dessen erste Hälfte bietet kaum Substantielles über "Goerdeler und die Judenfrage". Er hangelt sich, oft im Lexikonstil, an bekannten Ereignissen entlang, bei denen die Verbindung zum Thema vor allem assoziativ bleibt. Der Text bildet keine verbundene Argumentation, aus der kaum mehr deutlich wird, als dass auch Goerdeler ein "Judenproblem" diagnostizierte, welches er allerdings anders zu lösen gedachte als die Nationalsozialisten. Wenn Hoffmann in den Jahren 1937/38 die "menschenwürdige Auswanderung" als Ziel von Goerdelers Politik konstatiert, so ist zunächst festzustellen: Auch für Heydrich & Co war 1938 Auswanderung (praktisch: Vertreibung) noch die "Endlösung". Hier fehlt jene präzise Forschungseinbettung, die Unterschiede herausarbeitet. Stattdessen konstruiert Hoffmann eine Bedeutung der "Judenfrage" in Goerdelers Schriften, die sich bei umfassender Lektüre schwerlich in der behaupteten Konzentration erkennen lässt. Er zitiert immer wieder den Dreiklang "Judenfrage, Logenfrage, Kirchenfrage", als ob vor allem das Schicksal der Juden im Zentrum von Goerdelers Denken gestanden hätte. Die bisweilen ermüdende Wiederholung der Begriffe macht das Argument nicht überzeugender.
Zudem irritieren manche Wertungen. Wenn Hoffmann behauptet, dass Goerdeler "durch die britische Außenpolitik die deutsche Judenpolitik zu verändern" suchte, dann ist das eine sehr enge Interpretation seiner Initiativen. Dabei zeigt Hoffmann, wie marginal Goerdeler in den Augen der britischen Entscheider blieb. Deren Sarkasmus beim Blick auf seine Vorschläge ist bezeichnend, gerade weil auch Goerdelers Pläne expansionistische Forderungen enthielten, die inakzeptabel waren. Aus Londoner Sicht machte es keinen Unterschied, ob man Teile Polens auf Verlangen Hitlers oder auf Wunsch Goerdelers preisgeben sollte.
Immer wieder auffallend sind auch Hoffmanns Vermutungsinterpretationen. Zum Gespräch mit einem britischen Diplomaten behauptet er, Goerdeler habe die "Jüdische Frage" deshalb nicht angesprochen, weil er noch nicht von einer bestimmten Anweisung des Reichsaußenministers von Ribbentrop gehört habe. Hoffmann insinuiert, dass Goerdeler andernfalls etwas zur "Jüdischen Frage" gesagt haben würde. Dergleichen Spekulationen haben kaum mehr Aussagewert als anzudeuten, welches Goerdeler-Bild Hoffmann sich wünscht.
Irritierend sind Behauptungen, wonach die britische Appeasement-Politik in München 1938 Goerdelers Fähigkeit zur "Revolution", die schwerlich real war, "sabotiert" hätte. Wenn Hoffmann schreibt, dass Goerdeler bis 1941 "Pressionsversuche entwickelt" habe, "um die Verfolgung der Juden durch das Hitler-Regime zu mildern", bleibt offen, was konkret gemeint sein soll, denn es ist kaum erkennbar, dass die Akteure des Regimes Goerdelers Aktivitäten als "Pression" wahrnahmen.
Vor allem mag Hoffmann nicht akzeptieren, dass Goerdelers Gedanken zum "Judenproblem" wissenschaftlich als "dissimilatorischer Antisemitismus" gelten. Er versucht wieder und wieder, seinen "Helden" gegen dessen Formulierungen in Schutz zu nehmen und deren einschlägige Komponenten wegzuinterpretieren. Das Bemühen ist gleichermaßen durchsichtig wie forschungsfern. Überhaupt fehlt eine Reflexion auf den differenzierten Kontext der jüngeren Widerstandsforschung, beispielsweise zu Henning von Tresckow oder Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff.
Hoffmanns Perspektive auf Goerdeler kommt in bezeichnenden Sätzen zum Ausdruck wie diesem: "Von einem Nach-Auschwitz-Standpunkt aus möchte man wohl wünschen, Goerdeler hätte ...". Wir sollten uns besser an das halten, was er geschrieben und getan hat. So wirkt Hoffmanns Text, der in langen Passagen nichts mit Goerdeler zu tun hat, wie getrieben von einem fehlgeleiteten Beschützerinstinkt. Wenn sich Goerdelers einschlägige Formulierungen, wie der Zeithistoriker Hans Mommsen schrieb, "mit dem kulturell ausgerichteten, dissimilatorischen Antisemitismus" decken, "wie er auf der politischen Rechten seit dem deutschen Kaiserreich" zu identifizieren ist, dann negiert das nicht - wie Hoffmann meint - Goerdelers moralische Integrität als Widerständler oder seine Ablehnung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
MAGNUS BRECHTKEN
Peter Hoffmann: Carl Goerdeler gegen die Verfolgung der Juden. Böhlau Verlag, Köln 2013. 368 S., 39,90 [Euro].
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Irritierend: Peter Hoffmann nimmt Goerdeler in Schutz
Peter Hoffmann hat ein Anliegen. Er möchte Carl Goerdeler gegen wissenschaftliche Interpretationen in Schutz nehmen, die dessen Äußerungen zur "Judenfrage" im Kontext des modernen Antisemitismus analysieren. Denn damit, so meint Hoffmann, stelle man Goerdeler auf eine Stufe mit den Nationalsozialisten, die seit 1933 eine antijüdische Rassenpolitik betrieben, die im Massenmord mündete. Nun steht außer Zweifel, dass Goerdeler wiederholt gegen die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik seine Stimme erhoben hat. Insofern ist ihm nichts vorzuwerfen. Hoffmann aber möchte mehr. Er will nicht akzeptieren, dass auch in Goerdelers Weltbild, wie es sich in seinen Texten manifestiert, antisemitische Topoi und Stereotype erkennbar sind. Und er möchte nicht sehen, dass diejenigen, die Goerdelers einschlägige Formulierungen zum "Judenproblem" analysieren, in erster Linie ein Anliegen wissenschaftlicher Differenzierung verfolgen, das Goerdelers moralische Position gegen Hitler und die NS-Politik durchaus nicht leugnet.
Hoffmanns Abwehrmotiv, im Prolog formuliert, kann als Philippika gegen die moderne Geschichtswissenschaft gelesen werden. Dabei liegen seiner Sicht eine Reihe von Annahmen (manche würden sagen: Vorurteile) zugrunde, die ihn zu offensichtlichen Missverständnissen der jüngeren Forschung führen. Sie lassen sich etwa so zusammenfassen: Wenn Historiker die Weltbilder und die Programme der Verschwörer des 20. Juli analysieren und dabei auch antidemokratische und antisemitische Geisteshaltungen identifizieren, dann - so insinuiert Hoffmann - attestieren sie den Verschwörern dieselben Ziele wie Hitler und den Nationalsozialisten. In dieser Perspektive erscheinen die Äußerungen der Widerständler aufgrund ihrer moralischen Tat nahezu sakrosankt.
Über dieses wissenschaftsfremdelnde Grundverständnis hinaus verspricht Hoffmanns Buch im Titel anderes, als sein Text dann liefert. Dessen erste Hälfte bietet kaum Substantielles über "Goerdeler und die Judenfrage". Er hangelt sich, oft im Lexikonstil, an bekannten Ereignissen entlang, bei denen die Verbindung zum Thema vor allem assoziativ bleibt. Der Text bildet keine verbundene Argumentation, aus der kaum mehr deutlich wird, als dass auch Goerdeler ein "Judenproblem" diagnostizierte, welches er allerdings anders zu lösen gedachte als die Nationalsozialisten. Wenn Hoffmann in den Jahren 1937/38 die "menschenwürdige Auswanderung" als Ziel von Goerdelers Politik konstatiert, so ist zunächst festzustellen: Auch für Heydrich & Co war 1938 Auswanderung (praktisch: Vertreibung) noch die "Endlösung". Hier fehlt jene präzise Forschungseinbettung, die Unterschiede herausarbeitet. Stattdessen konstruiert Hoffmann eine Bedeutung der "Judenfrage" in Goerdelers Schriften, die sich bei umfassender Lektüre schwerlich in der behaupteten Konzentration erkennen lässt. Er zitiert immer wieder den Dreiklang "Judenfrage, Logenfrage, Kirchenfrage", als ob vor allem das Schicksal der Juden im Zentrum von Goerdelers Denken gestanden hätte. Die bisweilen ermüdende Wiederholung der Begriffe macht das Argument nicht überzeugender.
Zudem irritieren manche Wertungen. Wenn Hoffmann behauptet, dass Goerdeler "durch die britische Außenpolitik die deutsche Judenpolitik zu verändern" suchte, dann ist das eine sehr enge Interpretation seiner Initiativen. Dabei zeigt Hoffmann, wie marginal Goerdeler in den Augen der britischen Entscheider blieb. Deren Sarkasmus beim Blick auf seine Vorschläge ist bezeichnend, gerade weil auch Goerdelers Pläne expansionistische Forderungen enthielten, die inakzeptabel waren. Aus Londoner Sicht machte es keinen Unterschied, ob man Teile Polens auf Verlangen Hitlers oder auf Wunsch Goerdelers preisgeben sollte.
Immer wieder auffallend sind auch Hoffmanns Vermutungsinterpretationen. Zum Gespräch mit einem britischen Diplomaten behauptet er, Goerdeler habe die "Jüdische Frage" deshalb nicht angesprochen, weil er noch nicht von einer bestimmten Anweisung des Reichsaußenministers von Ribbentrop gehört habe. Hoffmann insinuiert, dass Goerdeler andernfalls etwas zur "Jüdischen Frage" gesagt haben würde. Dergleichen Spekulationen haben kaum mehr Aussagewert als anzudeuten, welches Goerdeler-Bild Hoffmann sich wünscht.
Irritierend sind Behauptungen, wonach die britische Appeasement-Politik in München 1938 Goerdelers Fähigkeit zur "Revolution", die schwerlich real war, "sabotiert" hätte. Wenn Hoffmann schreibt, dass Goerdeler bis 1941 "Pressionsversuche entwickelt" habe, "um die Verfolgung der Juden durch das Hitler-Regime zu mildern", bleibt offen, was konkret gemeint sein soll, denn es ist kaum erkennbar, dass die Akteure des Regimes Goerdelers Aktivitäten als "Pression" wahrnahmen.
Vor allem mag Hoffmann nicht akzeptieren, dass Goerdelers Gedanken zum "Judenproblem" wissenschaftlich als "dissimilatorischer Antisemitismus" gelten. Er versucht wieder und wieder, seinen "Helden" gegen dessen Formulierungen in Schutz zu nehmen und deren einschlägige Komponenten wegzuinterpretieren. Das Bemühen ist gleichermaßen durchsichtig wie forschungsfern. Überhaupt fehlt eine Reflexion auf den differenzierten Kontext der jüngeren Widerstandsforschung, beispielsweise zu Henning von Tresckow oder Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff.
Hoffmanns Perspektive auf Goerdeler kommt in bezeichnenden Sätzen zum Ausdruck wie diesem: "Von einem Nach-Auschwitz-Standpunkt aus möchte man wohl wünschen, Goerdeler hätte ...". Wir sollten uns besser an das halten, was er geschrieben und getan hat. So wirkt Hoffmanns Text, der in langen Passagen nichts mit Goerdeler zu tun hat, wie getrieben von einem fehlgeleiteten Beschützerinstinkt. Wenn sich Goerdelers einschlägige Formulierungen, wie der Zeithistoriker Hans Mommsen schrieb, "mit dem kulturell ausgerichteten, dissimilatorischen Antisemitismus" decken, "wie er auf der politischen Rechten seit dem deutschen Kaiserreich" zu identifizieren ist, dann negiert das nicht - wie Hoffmann meint - Goerdelers moralische Integrität als Widerständler oder seine Ablehnung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
MAGNUS BRECHTKEN
Peter Hoffmann: Carl Goerdeler gegen die Verfolgung der Juden. Böhlau Verlag, Köln 2013. 368 S., 39,90 [Euro].
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