Produktdetails
  • Verlag: Primus
  • ISBN-13: 9783896784353
  • ISBN-10: 3896784358
  • Artikelnr.: 10206488
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2002

Sag einfach, was dir durch den Kopf geht
Nichts gegen Empathie: Die spinnen, die Psychologen, die nicht anerkennen wollen, was Carl Rogers für ihre Profession leistete

Er war ein idealer Zuhörer. Er konnte sich ganz und gar auf sein Gegenüber konzentrieren "und sich zugleich in sich selbst versenken, um aus der Tiefe den anderen zu verstehen". So hat Ruth Cohn, eine der Mitstreiterinnen der Humanistischen Psychologie, Carl Rogers beschrieben. Einfühlung und Verständnis, darauf beruhte seine Therapie, die manchem seiner akademischen Kollegen zu wenig wissenschaftlich war. Er war Anfang Sechzig, als er sich von universitären Zwängen befreite. Nun hatte er Zeit genug für seine Bücher, in denen sich seine Erfahrung mit einzelnen und Gruppen niederschlug. Aus seiner "klientzentrierten Gesprächstherapie" war inzwischen eine Bewegung geworden, die großen Einfluß nicht nur auf verwandte Therapieansätze von Kollegen hatte, sie wirkte auch bis in die neuen Freiheits- und Friedensbestrebungen hinein. Rogers verkündete mitunter wie ein Guru vor Tausenden seine Botschaft vom selbstbestimmten Leben.

1902 im Mittleren Westen Amerikas geboren, stammte er aus einer wohlhabenden, streng religiösen calvinistischen Familie; leistungsorientiert und sittenstreng setzten die Eltern ihren Kindern hohe ethische Maßstäbe, waren aber unfähig, ihnen ihre Liebe zu zeigen. Rogers hat diese unerfüllten Bedürfnisse als Triebkraft für seinen späteren Beruf als Berater und Psychotherapeut bezeichnet. Naturwissenschaftliche Interessen, insbesondere für ökologische Landwirtschaft, befriedigten den scheuen und einsamen jungen Mann auf Dauer nicht, er entschied sich gegen den Willen seiner Eltern für ein Theologiestudium in New York, das er sich allerdings selbst verdienen mußte: Der Zweiundzwanzigjährige hatte seine Jugendliebe Helen geheiratet, und bald war eine vierköpfige Familie zu ernähren.

Vom liberalen Union Theological Seminary wechselte Rogers zum Teachers College und arbeitete bald als Kinderpsychologe und mit Familien, die in Schwierigkeiten geraten waren. "Die klinische Behandlung des Problemkindes" war das Thema seines ersten Buches. Maria Montessori und andere Reformer hatten neue Konzepte der Erziehung entwickelt. Erwachsene sollten für ihre Kinder da sein. So einfach das heute klingt, damals war es neu. 1940 wurde Rogers als ordentlicher Professor für klinische Psychologie an die Universität von Ohio berufen. Von dieser Zeit an verwendete er den Begriff "klientzentrierte Psychotherapie". Danach muß der Therapeut (anders als in der psychoanalytischen Praxis), der seinem Klienten gegenübersitzt, ein Klima der Wertschätzung (Empathie) und emotionaler Wärme schaffen. Nur so kann er die Selbstheilungskräfte seines Gegenübers aktivieren. Seine Kritiker bezweifelten, daß jedes Individuum die Fähigkeit besitze, seine eigenen Probleme selbst zu lösen, wenn es nur bestärkt und ermutigt würde. Rogers hielt Freuds Lehre zwar für wichtig, aber in der Praxis für "störend oder Zeitverschwendung"; außerdem paßte der eher pessimistische Grundton der Psychoanalyse nicht zu seinem positiven Bild vom Menschen. Obwohl er fünf Jahre später vielseitigere Arbeitsmöglichkeiten an der Universität Chicago erhielt und dort auch das Counceling Centrum eröffnen konnte, was eine erweiterte Beratungspraxis einschloß, litt Rogers unter dem Trauma, von der akademischen Psychologie Amerikas so wenig anerkannt zu werden wie von seiner eigenen Familie.

Rogers erhielt aber von der Regierung Aufträge, etwa zur Beratung von Kriegsteilnehmern, die unter den Folgen der Kampfhandlungen, oder Piloten, die unter Flugangst litten. Große Firmen suchten seinen Rat in Personalfragen, und bei der Schulung von Gruppenleitern entwickelte er neue Methoden. Es gab freilich auch Niederlagen. Rogers hoffte vergeblich, mit seiner klientzentrierten Psychotherapie auch schizophrenen und anderen Geisteskranken helfen zu können. Sein Scheitern brachte ihn selbst in eine schwere Krise, aus der er sich nach Monaten, nicht zuletzt mit Hilfe seiner Frau Helen, rettete. 1964 ging Rogers nach Wisconsin, wo er jedoch ein für ihn ungünstiges Arbeitsklima unter seinen Kollegen an der dortigen Hochschule fand.

Den Umzug nach La Jolla in Kalifornien und den Abbruch seiner universitären Verpflichtungen empfand er als Befreiung. Flower-power und Hippiebewegung wandte er sich mit großem Interesse zu. Mehr und mehr rückten personenzentrierte Gruppenmodelle ins Zentrum seiner Aktionen. Die Gruppe sah er als wirksame Alternative zur Einzeltherapie an. In der Bundesrepublik fand Rogers zuerst in den Psychologen Reinhard und Anne-Marie Tausch Anhänger. Das Konzept der Gesprächspsychotherapie wurde bald anerkannt als Grundlage beratender Berufe.

In Amerika sind schon mehrere Biographien über Carl Rogers erschienen. In Deutschland fehlte bisher Vergleichbares. Nun hat Norbert Groddeck, Jahrgang 1946, Professor für Erziehungswissenschaften an der Universität Siegen, ein gut lesbares Lebensbild geschrieben. Als Ausbildungstherapeut in der Arbeitsgemeinschaft für klientzentrierte Therapie und humanistische Pädagogik ist er vertraut mit dem Thema seines Buches. Eigene Studien in der Nationalbibliothek Washington, wo sich der Nachlaß von Rogers befindet, sowie im Carl Rogers Archiv in Santa Barbara, aber auch Kontakte mit Familienangehörigen und engen Mitarbeitern bereichern seine Biographie. Ohne Scheu zitiert er die amerikanischen Kollegen Howard Kirschenbaum, der bereits 1979 eine autorisierte Biographie veröffentlicht hatte, und Bryan Thorn. Die "kritische Biographie" von David Cohen erwähnt er leider nur kurz. Anläßlich des hundertsten Geburtstags des Meisters schien ihm Kritik wohl nicht angebracht.

MARIA FRISÉ

Norbert Groddeck: "Carl Rogers". Wegbereiter der modernen Psychotherapie. Primus Verlag, Darmstadt 2002. 213 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sehr detailliert beschreibt Maria Frise in der Kritik der Biografie von Carl Rogers dessen Leben und Werk. Während in Amerika schon mehrere Lebensbeschreibungen des für seine "klientenzentrierte Therapie" bekannten Psychologen erschienen seien, liege nun mit diesem Buch die erste deutschsprachige Biografie vor, freut sich die Rezensentin. Sie lobt den Autor, der selbst vom Fach ist, für sein "gut lesbares" Buch und seine Sachkenntnis, wobei sie betont, dass es ihm möglich war, sowohl den Nachlass Rogers als auch das Carl Rogers Archiv für seine Darstellung zu nutzen. Ebenfalls positiv beurteilt sie das Heranziehen der amerikanischen Biografien für sein Buch, wobei sie einzig zu bemängeln hat, dass Groddeck die Biografie von David Cohen, die sich kritisch mit Rogers auseinandersetzt, zwar erwähnt, aber leider kaum nutzt.

© Perlentaucher Medien GmbH