Raphael Gross untersucht den historischen Kontext, in dem Carl Schmitts ständige Auseinandersetzung mit Juden und »dem Jüdischen« stand. Dabei wird deutlich, wie sich seine politische Theologie im Nationalsozialismus wandelte, als Schmitt eine Biologisierung des Politischen unternahm und eine »artgerechte«, »deutsche« Rechtslehre entwarf. In Schmitts Werken, die hier einer kritischen Lektüre unterzogen werden, überlagern sich traditionelle antijudaistische Vorstellungen mit modernen politischen Antisemitismen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2000Ein Fall von reiner Rechtsleere
Einfach unklug: Raphael Gross über "Carl Schmitt und die Juden"
In einem Brief aus dem Jahr 1952 berichtet Jacob Taubes vom Wiedereintritt eines Verbannten in die internationale Verfassungsgeschichte - an unerwarteter Stelle. Unter dem Schutz von UN-Soldaten, so teilt er Armin Mohler mit, wurde die "Verfassungslehre" Carl Schmitts aus der Jerusalemer Universitätsbibliothek geholt, die auf dem Scopusberg in einer Enklave lag. Der israelische Justizminister hatte sich beim Entwurf einer Staatsverfassung in Schwierigkeiten verwickelt, aus denen er sich am Leitfaden dieses einen Buches befreien wollte. Deshalb hatte er die militärisch eskortierte Ausleihe angeordnet. Kann man deshalb von Schmitt als dem heimlichen Kronjuristen Israels sprechen, der zugleich in sein Plettenberger "Glossarium" schreibt: "Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind"? Wie unbedenklich muss ein Autorencharakter sein, damit man seine Bücher noch lesen darf?
Jacob Taubes kommt in den nächsten Jahrzehnten auf diese Anekdote immer wieder zurück, weil sie von einer intellektuellen Leistung erzählt: Schwerer als das gesicherte Wissen um den Autor wiegt das Wissen-Wollen seines Werks, die theoretische Neugierde. Kaum würde der Justizminister das Militär in Bewegung gesetzt haben, um anschließend eigene Vorurteile nachzulesen oder sich vom Bösen interesselos unterhalten zu lassen. In der "Verfassungslehre" sucht er die unerwartete Antwort.
Diesen offenen Horizont hat sich Raphael Gross mit seiner Arbeit über "Carl Schmitt und die Juden" verstellt. In ihrer habituellen Altklugheit sind Dissertationen die vielleicht pubertärste Gattung der Akademie, sie verführen zur Distanznahme durch apodiktische Kraftmeierei. Auch Gross ist dieser Versuchung der Form nicht entkommen: Weil er kein eigentliches Interesse an seinem Gegenstand besitzt, ist die Arbeit selbst uninteressant.
Zum Verdienst rechnet sich die Arbeit an, endlich den Schmitt'schen Feind beim Namen genannt zu haben. Der Jude als Artfremder - so behauptet es das zentrale Kapitel über "Die Juden und der christliche Staat" - sei der einzylindrige Motor, der Schmitts Werk über mehr als sechs Jahrzehnte am Laufen gehalten habe; ihn zu vernichten sei der Antrieb seiner langen und weit gestreuten Produktion gewesen. Der gesamte Apparat polemischer Begriffe - Legalität und Legitimität, Norm und Befehl, Macht und Recht, Entscheidung und Diskussion - gründe auf dieser Benennung des einen Feinds. Habe man ihn einmal bei seinem Namen angerufen, ist, so die These von Raphael Gross, die ganze Schmitt'sche Begrifflichkeit mit einem Schlag entzaubert. Und schlimmer noch: Mit dieser Eigentlichkeit fällt die schwere Decke des Leseverbots über das Werk. Ist "der Jude" nämlich als Grund der Theorie ausgemacht und seine Vernichtung in den Begriffen lediglich entfaltet, wird Lektüre zur Wiederholungstat. Schmitts Werk ist für Gross ein leichthändig aufzulösender Rebus, der mit seinem Aussprechen gebannt ist. Wer hinter Schmitts "nachgerade infantilem Ressentiment" Bedeutung suche, mache sich der Komplizenschaft schuldig.
Gross' Essener Dissertation genügt für diese starken Sätze eine überraschend schmale Textbasis. Untersucht werden in den ersten Kapiteln vor allem Schmitts Arbeiten nach 1933, die dem nationalsozialistischen Regime eine "deutsche" Rechtsordnung beistellen wollten. "Es ist schauerlich, sicherlich. Es gibt kein Wort darüber zu reden", war Schmitts Kommentar, als er 1947 in alliierten Kreuzverhören mit Äußerungen aus dieser Zeit konfrontiert wurde. Mit seinem Aufsatz "Der Führer schützt das Recht" hatte er sich nach dem angeblichen Röhm-Putsch exponiert, 1936 zu einer Tagung über "Das Judentum in der Rechtswissenschaft" geladen, um kurz darauf vom SD im "Schwarzen Corps" wegen ideologischer Unzuverlässigkeit - nämlich: Katholizismus-Verdacht - attackiert zu werden. Obwohl Hermann Göring seine Hand über Schmitt hielt und ihn auch als Preußischen Staatsrat nicht fallen ließ, hatte das Amt Rosenberg zusammen mit dem SD Carl Schmitt am Jahresende "zur Strecke gebracht" (Paul Noack). Im NS-Rechtswahrerbund legte er alle Ämter nieder, die nun eingeschränkte Reisetätigkeit konnte er erst 1941 wieder aufnehmen. Durch einen handschriftlichen Zusatz hatte Reichsrechtsführer Hans Frank, ein ehemaliger Gönner Schmitts, in einem Brief an Himmler vom 6. Dezember 1936 versichert: "Der Professor Carl Schmitt wird in keinerlei amtlicher Stellung, weder im Rechtswahrerbund noch in der Akademie verwendet werden."
Unter Apokalypseverdacht
Gross verzichtet auf Differenzierung durch einen Blick auf die historische Lage; das Ergebnis seiner Lektüre ist über jeden Zweifel erhaben: Mit der Biologisierung seiner Judenfeindschaft zum Rassismus habe Carl Schmitt nach 1933 nur öffentlich gemacht, was ihn von Beginn an getrieben habe. "Die Radikalität von Schmitts Antisemitismus scheint jedenfalls auf tiefe emotionale und kognitive Wurzeln zu deuten." Die Begründung für diesen Anschein darf man zumindest gewagt nennen: Aus dem Fehlen expliziter Äußerungen folgert Gross nämlich ihre stillschweigende Allgegenwart.
So muss er wohl zugestehen: "Eine direkte Äußerung Schmitts über den Antisemitismus in der Weimarer Republik konnte bisher nicht gefunden werden." Doch folgert in einem Umkehrschluss daraus schwerste Belastung, denn das "bisher" Ungefundene könnte jederzeit auftauchen - das Werk steht unter Apokalypse-Drohung. Vor 1933 mit der finsteren Charakterwahrheit an die Öffentlichkeit gegangen zu sein wäre nach Gross' Meinung "einfach unklug" gewesen, so dass er aus dem Schweigen die lautesten Sätze heraushört. Eine solche Methode ist nicht dekonstruktiv, sondern unterstellend.
Jacob Taubes, der sich selbst einen "Erzjuden" nannte und dennoch nach Plettenberg fuhr, zweifelte nicht: Schmitt war für ihn ein Vertreter des "konstitutiven Judaismus der katholischen Kirche", ein Katholik, dem die Feindschaft bekenntnishaft zugehört. Raphael Gross wendet hier die Befunde auf subtile Weise: Nach dem kurzen Blick auf Schmitts Schriften vor 1936 widmen sich weitere Kapitel dem christlichen Ressentiment gegen die Mörder Christi, sei es das dumpfe Ressentiment der Katholiken, sei es der verspieltere Vorbehalt der Protestanten. Bei beiden Konfessionen sei Schmitt gleichermaßen in die Schule der Vorurteile gegangen.
Jedoch: Ein Katholik im eigentlichen Sinne sei Carl Schmitt nicht gewesen. Vielmehr habe er, so Gross in seiner zentralen These, auch der Theologie alleine die Judenfeindschaft entnommen, um daraus agnostische Politik und diesseitigen Dasseinskampf zu formen. Sein Katholizismus sei ein Deckmantel gewesen, der im Wind der Geschichte schnell hochgeweht wurde. Darunter kam das bis in die Wolle braun gefärbte Beinkleid hervor, wie es auch die Action Française getragen habe. Schmitts Rede vom Katechon, vom Ausnahmezustand als säkularisiertem Wunder oder dem Gott nachgebildeten Souverän wird damit zu einer Serie unrechtmäßiger Begriffsanleihen. Die "Flucht ins Religiöse" nach 1945 erklärt Gross zu einer "einfach" durchschaubaren Strategie, den eigenen Hals aus der Verstrickung zu retten.
Gross' Dissertation ist keine Kritik der lebhaft sich erneuernden Carl-Schmitt-Forschung, sondern ihre Erledigung im Handstreich. Die Art und Weise, wie die Forschung der letzten Jahre mit Hinweis auf die all-erklärende Judenfeindschaft ignoriert wird, ist selbst dezisionistisch: Andreas Koenens positivistisches Monumentalwerk über Schmitts reichstheologischen Hintergrund: "perspektivische Verzerrungen" - Heinrich Meiers genau argumentierender Hinweis auf einen Dialog mit dem abwesenden Leo Strauss: "wenig wahrscheinlich" - Ruth Grohs Rekonstruktion der mythischen Selbstbilder: "überschätzt Schmitts Originalität" - Blumenbergs Bedenken gegen den Säkularisierungsbegriff und Friedrich Balkes dekonstruktives Wiederlesen des Schmittschen Gesamtwerks: wie alle anderen erledigt in einer satzlangen Fußnote. Trocken fallen die Ohrfeigen auf diese Pappkameradschaft der Forschung ein, für Gross eine wohl verdiente Strafe des Aufwands an Aufmerksamkeit, den der Judenfeind von ihnen erfahren hat: Wer sich um Verstehen bemüht, gerät so schnell unter Bewunderungsverdacht.
Kein Reich, kein Glaube
Obwohl diese Arbeit im Suhrkamp Verlag als dem Stammhaus der Kritischen Theorie erschienen ist, übersieht sie die Dialektik der Aufklärung mit gestrenger Naivität: Die Entsubstantialisierung der Moderne erzählt Gross als eine platte Erfolgsgeschichte, die in Hans Kelsens "Reiner Rechtslehre" ihr glückliches und dauerhaftes Ende findet. Schmitts Auseinandersetzung mit Kelsen ist bekannt, im Streit um den Hüter der Verfassung geriet sie zur offenen Polemik. Kelsens Konzept von Legalität - eine Ausdifferenzierung des Rechtssystems, das in der Verschränkung seiner Gesetze und im Instanzenzug den Weg durch den gesellschaftlichen Alltag nimmt - setzt Schmitt sein Denken vom Ausnahmezustand entgegen. Schmitts Vorwurf lautet, "daß Normen nur für normale Situationen gelten". Im drohenden Bürgerkrieg der Weimarer Republik aber wird der Alltag des Gesetzes suspendiert: Legalität, die ihre Selbstaufhebung hinzunehmen bereit sei, rette sich durch Selbstmord. Schmitts Verfahrenshüter repräsentiert dagegen den entscheidungsfähigen Souverän. Diese Streitbarkeit der Demokratie erklärt er zur Bedingung ihrer Selbsterhaltung.
Schmitts Abneigung gegen das "Gesetz" - ein Begriff, der ihm "auch phonetisch Schauder und Entsetzen einjagt" - verengt Gross zur Aversion gegen das "Jüdische": Schmitt sei der Abstraktionsgewinn der Aufklärung derart unerträglich, dass er mit einem biologistisch gesteigerten Personalismus darauf geantwortet habe. Das Fortschreiten der Geschichte versuche er als schlecht gelaunter Verlierer aus dem Tritt zu bringen. Mit dieser Gleichsetzung von jüdischer Emanzipation und Moderne nimmt sich Gross jede Möglichkeit, das diagnostische Potential in Schmitts Werk zu entdecken. Dessen Furcht vor der "tumultuarischen Buntheit" und ihre Bändigung in der juristischen Unterscheidung bedeutet deshalb in Wahrheit keine Blindheit gegenüber der Moderne, sondern ist ihre Einlösung. Nur wo das Funktionieren des Alltags als Ausnahme begriffen wird, kann er bestanden werden. Er kommt einem nicht selbstverständlich zu, sondern ist polemisch zu erarbeiten.
Modern ist Carl Schmitt, weil er noch dort eine Entscheidung braucht, wo für Gross die Dinge ihren selbstverständlichen Lauf nehmen. Gross' Vertrauen mag gut gemeint sein - gut begründet ist es nicht.
THOMAS WIRTZ
Raphael Gross: "Carl Schmitt und die Juden". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 442 S., geb., 54,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einfach unklug: Raphael Gross über "Carl Schmitt und die Juden"
In einem Brief aus dem Jahr 1952 berichtet Jacob Taubes vom Wiedereintritt eines Verbannten in die internationale Verfassungsgeschichte - an unerwarteter Stelle. Unter dem Schutz von UN-Soldaten, so teilt er Armin Mohler mit, wurde die "Verfassungslehre" Carl Schmitts aus der Jerusalemer Universitätsbibliothek geholt, die auf dem Scopusberg in einer Enklave lag. Der israelische Justizminister hatte sich beim Entwurf einer Staatsverfassung in Schwierigkeiten verwickelt, aus denen er sich am Leitfaden dieses einen Buches befreien wollte. Deshalb hatte er die militärisch eskortierte Ausleihe angeordnet. Kann man deshalb von Schmitt als dem heimlichen Kronjuristen Israels sprechen, der zugleich in sein Plettenberger "Glossarium" schreibt: "Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind"? Wie unbedenklich muss ein Autorencharakter sein, damit man seine Bücher noch lesen darf?
Jacob Taubes kommt in den nächsten Jahrzehnten auf diese Anekdote immer wieder zurück, weil sie von einer intellektuellen Leistung erzählt: Schwerer als das gesicherte Wissen um den Autor wiegt das Wissen-Wollen seines Werks, die theoretische Neugierde. Kaum würde der Justizminister das Militär in Bewegung gesetzt haben, um anschließend eigene Vorurteile nachzulesen oder sich vom Bösen interesselos unterhalten zu lassen. In der "Verfassungslehre" sucht er die unerwartete Antwort.
Diesen offenen Horizont hat sich Raphael Gross mit seiner Arbeit über "Carl Schmitt und die Juden" verstellt. In ihrer habituellen Altklugheit sind Dissertationen die vielleicht pubertärste Gattung der Akademie, sie verführen zur Distanznahme durch apodiktische Kraftmeierei. Auch Gross ist dieser Versuchung der Form nicht entkommen: Weil er kein eigentliches Interesse an seinem Gegenstand besitzt, ist die Arbeit selbst uninteressant.
Zum Verdienst rechnet sich die Arbeit an, endlich den Schmitt'schen Feind beim Namen genannt zu haben. Der Jude als Artfremder - so behauptet es das zentrale Kapitel über "Die Juden und der christliche Staat" - sei der einzylindrige Motor, der Schmitts Werk über mehr als sechs Jahrzehnte am Laufen gehalten habe; ihn zu vernichten sei der Antrieb seiner langen und weit gestreuten Produktion gewesen. Der gesamte Apparat polemischer Begriffe - Legalität und Legitimität, Norm und Befehl, Macht und Recht, Entscheidung und Diskussion - gründe auf dieser Benennung des einen Feinds. Habe man ihn einmal bei seinem Namen angerufen, ist, so die These von Raphael Gross, die ganze Schmitt'sche Begrifflichkeit mit einem Schlag entzaubert. Und schlimmer noch: Mit dieser Eigentlichkeit fällt die schwere Decke des Leseverbots über das Werk. Ist "der Jude" nämlich als Grund der Theorie ausgemacht und seine Vernichtung in den Begriffen lediglich entfaltet, wird Lektüre zur Wiederholungstat. Schmitts Werk ist für Gross ein leichthändig aufzulösender Rebus, der mit seinem Aussprechen gebannt ist. Wer hinter Schmitts "nachgerade infantilem Ressentiment" Bedeutung suche, mache sich der Komplizenschaft schuldig.
Gross' Essener Dissertation genügt für diese starken Sätze eine überraschend schmale Textbasis. Untersucht werden in den ersten Kapiteln vor allem Schmitts Arbeiten nach 1933, die dem nationalsozialistischen Regime eine "deutsche" Rechtsordnung beistellen wollten. "Es ist schauerlich, sicherlich. Es gibt kein Wort darüber zu reden", war Schmitts Kommentar, als er 1947 in alliierten Kreuzverhören mit Äußerungen aus dieser Zeit konfrontiert wurde. Mit seinem Aufsatz "Der Führer schützt das Recht" hatte er sich nach dem angeblichen Röhm-Putsch exponiert, 1936 zu einer Tagung über "Das Judentum in der Rechtswissenschaft" geladen, um kurz darauf vom SD im "Schwarzen Corps" wegen ideologischer Unzuverlässigkeit - nämlich: Katholizismus-Verdacht - attackiert zu werden. Obwohl Hermann Göring seine Hand über Schmitt hielt und ihn auch als Preußischen Staatsrat nicht fallen ließ, hatte das Amt Rosenberg zusammen mit dem SD Carl Schmitt am Jahresende "zur Strecke gebracht" (Paul Noack). Im NS-Rechtswahrerbund legte er alle Ämter nieder, die nun eingeschränkte Reisetätigkeit konnte er erst 1941 wieder aufnehmen. Durch einen handschriftlichen Zusatz hatte Reichsrechtsführer Hans Frank, ein ehemaliger Gönner Schmitts, in einem Brief an Himmler vom 6. Dezember 1936 versichert: "Der Professor Carl Schmitt wird in keinerlei amtlicher Stellung, weder im Rechtswahrerbund noch in der Akademie verwendet werden."
Unter Apokalypseverdacht
Gross verzichtet auf Differenzierung durch einen Blick auf die historische Lage; das Ergebnis seiner Lektüre ist über jeden Zweifel erhaben: Mit der Biologisierung seiner Judenfeindschaft zum Rassismus habe Carl Schmitt nach 1933 nur öffentlich gemacht, was ihn von Beginn an getrieben habe. "Die Radikalität von Schmitts Antisemitismus scheint jedenfalls auf tiefe emotionale und kognitive Wurzeln zu deuten." Die Begründung für diesen Anschein darf man zumindest gewagt nennen: Aus dem Fehlen expliziter Äußerungen folgert Gross nämlich ihre stillschweigende Allgegenwart.
So muss er wohl zugestehen: "Eine direkte Äußerung Schmitts über den Antisemitismus in der Weimarer Republik konnte bisher nicht gefunden werden." Doch folgert in einem Umkehrschluss daraus schwerste Belastung, denn das "bisher" Ungefundene könnte jederzeit auftauchen - das Werk steht unter Apokalypse-Drohung. Vor 1933 mit der finsteren Charakterwahrheit an die Öffentlichkeit gegangen zu sein wäre nach Gross' Meinung "einfach unklug" gewesen, so dass er aus dem Schweigen die lautesten Sätze heraushört. Eine solche Methode ist nicht dekonstruktiv, sondern unterstellend.
Jacob Taubes, der sich selbst einen "Erzjuden" nannte und dennoch nach Plettenberg fuhr, zweifelte nicht: Schmitt war für ihn ein Vertreter des "konstitutiven Judaismus der katholischen Kirche", ein Katholik, dem die Feindschaft bekenntnishaft zugehört. Raphael Gross wendet hier die Befunde auf subtile Weise: Nach dem kurzen Blick auf Schmitts Schriften vor 1936 widmen sich weitere Kapitel dem christlichen Ressentiment gegen die Mörder Christi, sei es das dumpfe Ressentiment der Katholiken, sei es der verspieltere Vorbehalt der Protestanten. Bei beiden Konfessionen sei Schmitt gleichermaßen in die Schule der Vorurteile gegangen.
Jedoch: Ein Katholik im eigentlichen Sinne sei Carl Schmitt nicht gewesen. Vielmehr habe er, so Gross in seiner zentralen These, auch der Theologie alleine die Judenfeindschaft entnommen, um daraus agnostische Politik und diesseitigen Dasseinskampf zu formen. Sein Katholizismus sei ein Deckmantel gewesen, der im Wind der Geschichte schnell hochgeweht wurde. Darunter kam das bis in die Wolle braun gefärbte Beinkleid hervor, wie es auch die Action Française getragen habe. Schmitts Rede vom Katechon, vom Ausnahmezustand als säkularisiertem Wunder oder dem Gott nachgebildeten Souverän wird damit zu einer Serie unrechtmäßiger Begriffsanleihen. Die "Flucht ins Religiöse" nach 1945 erklärt Gross zu einer "einfach" durchschaubaren Strategie, den eigenen Hals aus der Verstrickung zu retten.
Gross' Dissertation ist keine Kritik der lebhaft sich erneuernden Carl-Schmitt-Forschung, sondern ihre Erledigung im Handstreich. Die Art und Weise, wie die Forschung der letzten Jahre mit Hinweis auf die all-erklärende Judenfeindschaft ignoriert wird, ist selbst dezisionistisch: Andreas Koenens positivistisches Monumentalwerk über Schmitts reichstheologischen Hintergrund: "perspektivische Verzerrungen" - Heinrich Meiers genau argumentierender Hinweis auf einen Dialog mit dem abwesenden Leo Strauss: "wenig wahrscheinlich" - Ruth Grohs Rekonstruktion der mythischen Selbstbilder: "überschätzt Schmitts Originalität" - Blumenbergs Bedenken gegen den Säkularisierungsbegriff und Friedrich Balkes dekonstruktives Wiederlesen des Schmittschen Gesamtwerks: wie alle anderen erledigt in einer satzlangen Fußnote. Trocken fallen die Ohrfeigen auf diese Pappkameradschaft der Forschung ein, für Gross eine wohl verdiente Strafe des Aufwands an Aufmerksamkeit, den der Judenfeind von ihnen erfahren hat: Wer sich um Verstehen bemüht, gerät so schnell unter Bewunderungsverdacht.
Kein Reich, kein Glaube
Obwohl diese Arbeit im Suhrkamp Verlag als dem Stammhaus der Kritischen Theorie erschienen ist, übersieht sie die Dialektik der Aufklärung mit gestrenger Naivität: Die Entsubstantialisierung der Moderne erzählt Gross als eine platte Erfolgsgeschichte, die in Hans Kelsens "Reiner Rechtslehre" ihr glückliches und dauerhaftes Ende findet. Schmitts Auseinandersetzung mit Kelsen ist bekannt, im Streit um den Hüter der Verfassung geriet sie zur offenen Polemik. Kelsens Konzept von Legalität - eine Ausdifferenzierung des Rechtssystems, das in der Verschränkung seiner Gesetze und im Instanzenzug den Weg durch den gesellschaftlichen Alltag nimmt - setzt Schmitt sein Denken vom Ausnahmezustand entgegen. Schmitts Vorwurf lautet, "daß Normen nur für normale Situationen gelten". Im drohenden Bürgerkrieg der Weimarer Republik aber wird der Alltag des Gesetzes suspendiert: Legalität, die ihre Selbstaufhebung hinzunehmen bereit sei, rette sich durch Selbstmord. Schmitts Verfahrenshüter repräsentiert dagegen den entscheidungsfähigen Souverän. Diese Streitbarkeit der Demokratie erklärt er zur Bedingung ihrer Selbsterhaltung.
Schmitts Abneigung gegen das "Gesetz" - ein Begriff, der ihm "auch phonetisch Schauder und Entsetzen einjagt" - verengt Gross zur Aversion gegen das "Jüdische": Schmitt sei der Abstraktionsgewinn der Aufklärung derart unerträglich, dass er mit einem biologistisch gesteigerten Personalismus darauf geantwortet habe. Das Fortschreiten der Geschichte versuche er als schlecht gelaunter Verlierer aus dem Tritt zu bringen. Mit dieser Gleichsetzung von jüdischer Emanzipation und Moderne nimmt sich Gross jede Möglichkeit, das diagnostische Potential in Schmitts Werk zu entdecken. Dessen Furcht vor der "tumultuarischen Buntheit" und ihre Bändigung in der juristischen Unterscheidung bedeutet deshalb in Wahrheit keine Blindheit gegenüber der Moderne, sondern ist ihre Einlösung. Nur wo das Funktionieren des Alltags als Ausnahme begriffen wird, kann er bestanden werden. Er kommt einem nicht selbstverständlich zu, sondern ist polemisch zu erarbeiten.
Modern ist Carl Schmitt, weil er noch dort eine Entscheidung braucht, wo für Gross die Dinge ihren selbstverständlichen Lauf nehmen. Gross' Vertrauen mag gut gemeint sein - gut begründet ist es nicht.
THOMAS WIRTZ
Raphael Gross: "Carl Schmitt und die Juden". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 442 S., geb., 54,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Raphael Gross habe es sich, befindet Rezensent Thomas Wirtz, mit seinem Gegenstand leicht gemacht, allzu leicht. Die Reduktion aller Thesen und Theoreme Carl Schmitts, zuletzt noch seines Katholizismus, auf seinen vermeintlichen Antisemitismus werde dessen Werk keinesfalls gerecht. Statt Herausarbeitung des "diagnostischen Potentials" von Schmitts Werk wolle Gross eher ein "Leseverbot" verhängen. Darüber hinaus fänden sich in der Untersuchung alle Untugenden einer Dissertation, insbesondere die "apodiktischer Kraftmeierei", die sich auf die Ebene genauerer Differenzierung, zum Beispiel durch Bezug auf Historisches, gar nicht erst herabbegebe. Zudem vermisst Wirtz ein wirkliches Interesse des Autors an Schmitt und kritisiert den herablassenden und ignoranten Umgang mit der umfangreichen und bedeutenden Schmitt-Literatur der letzten Jahre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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