Wer an Carl von Ossietzky denkt oder erinnert wird, dem schwebt für gewöhnlich ein fest umrissenes und häufig in stereotyper Weise überliefertes Bild vor Augen: vom pazifistischen Idealisten und scharfsichtigen Kritiker der Weimarer Republik; vom Weltbühne-Herausgeber, der seine politischen und weltanschaulichen Gegner nicht schonte und der auch von ihnen, insbesondere den Rechten und Rechtsradikalen, nicht geschont wurde; vom Friedensnobelpreisträger und KZ-Häftling, der dem Haß, der Rache und dem Terror des NS-Regimes erst und nur mit Hilfe einer mobilisierten Weltöffentlichkeit entrissen werden konnte. Der Historiker Manfred Weber hat es unternommen, dieses Bild auf seinen nachprüfbaren Gehalt hin zu untersuchen. Die Quellen zeigen, daß weiterhin Fragen offenstehen und daß in vielerlei Hinsicht ein großer Relativierungsbedarf besteht. So täuschte sich Carl von Ossietzky bis zur Machtübernahme Hitlers über die Rolle und das Durchsetzungsvermögen der Nationalsozialisten. Diese zollten ihrerseits der politischen und publizistischen Tätigkeit v. Ossietzkys eine “verhältnismäßig geringe” Beachtung. Zwar geriet der “Fall Ossietzky” für das “Dritte Reich” aufgrund der Resonanz im Ausland zu einer Prestigeangelegenheit, doch war hierbei die Frage des Nobelpreises kaum von Belang. Webers Buch ist kein Buch für oder gegen Carl von Ossietzky. Es rückt ab von nicht belegbaren Positionen und lenkt den Blick auf die eigentlichen Qualitäten des Demokraten, der viel mehr Mensch war, als es der Mythos zugesteht. 'Es ist die lang erwartete skeptische Sicht auf die Legendenschreibung um Ossietzky. Nach dem Fall der eindeutigen Frontstellungen in der Welt eine längst fällige Aufgabe.' (DER TAGESSPIEGEL)