Produktdetails
  • Verlag: Belser
  • ISBN-13: 9783763023370
  • ISBN-10: 3763023372
  • Artikelnr.: 24202809
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.1997

Heimatlos in Italien - Der Maler Carl Wilhelm Götzloff

Die Bucht von Neapel mit ihrem fruchtbaren Hinterland, der durchweg von Menschenhand bewirtschafteten terra di lavoro, hat in besonderer Weise zur Ausbildung der Landschaftsmalerei, zumal in ihrer wohl entscheidendsten Phase, dem achtzehnten Jahrhundert, beigetragen. Die Campania weitete sich dabei zum Experimentierfeld eines Kanons, der den Maler in dem Maße zum Dichter machte, wie er der Landschaft symbolhaften Verweischarakter zukommen ließ, sie also nicht allein abbildete, sondern nach deren inneren Gesetzmäßigkeiten zu Anordnungsnotwendigkeiten im Bild fand und sie so als "gedachte" Natur restituierte. Im Werk Jakob Philipp Hackerts hat sich die solchermaßen naturtheoretisch artikulierende Malerei am prominentesten entfaltet; Goethe erkannte in ihm das freilich vergeblich angepriesene Antidot zur religiös-patriotisch aufgeladenen Landschaftsmalerei der Romantik.

Der kunstsinnige Hof der Bourbonen von Neapel hat noch im neunzehnten Jahrhundert Maler aus dem Norden an den Golf gezogen, darunter auch einen in Dresden geschulten Vertreter jener romantischen Strömung, den lange Zeit vergessenen Carl Wilhelm Götzloff (1799 bis 1866). Anders als seinen Lehrer Caspar David Friedrich, der sich hartnäckig gegen das Primat des Südens sträubte, zog es Götzloff schon früh nach Italien, zunächst nach Rom, wo er sich seit 1821 im Kreise des Lukasbundes um Johann Friedrich Overbeck aufhielt. Gemeinsam mit seinem ersten Mentor, Baron Karl Friedrich von Üxküll-Gyllenband, verließ er die Ewige Stadt und war seit Mitte der zwanziger Jahre bis zu seinem Tod in Neapel ansässig. Von 1835 bis 1838 war er Hofmaler von FerdinandII.; die durchaus vielversprechende Karriere verwandelte sich aber rasch in eine mühselige Künstlerexistenz mit allen persönlichen Tragödien. Wiederholt und vergeblich versuchte Götzloff, im Norden wieder eine Anstellung zu finden, und blieb, von einigen wenigen kapitalen Auftragsarbeiten abgesehen, auf den Verkauf von Veduten angewiesen.

Das Schicksal des hinlänglich begabten Götzloff unterscheidet sich kaum von dem zahlloser anderer mehr oder weniger gescheiterter Künstler. Es darf dennoch besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Götzloffs Leben und Werk - hier in vorzüglichen Reproduktionen dokumentiert - hielten reichhaltigen Stoff für ein aufschlußreiches Kapitel über die Kunst nach dem Ende der Kunstperiode bereit. Im Text des vorliegenden Buches, der sich erfolgreich am Lektorat vorbeigeschmuggelt zu haben scheint, findet sich dazu freilich kaum ein Wort.

Eindrucksvoll manifestiert sich in diesem Werk die Unvereinbarkeit zweier Entwürfe. Götzloff war ein Verirrter und Verspäteter zugleich. Seine stets in stimmungsvolles Licht getauchten mittäglichen Landschaften bleiben zwar immer ansehnlich, verharmlosen ihren Gegenstand aber sträflich dadurch, daß sie weitgehend ohne gedankliche Bemühung und schöpferische Energie auskommen. Wohl unbeabsichtigt macht eine im Appendix des Buches unternommene Gegenüberstellung seiner Veduten mit heutigen Fotografien dieses inventive Defizit eklatant deutlich. Daraus resultiert eine Orientierungslosigkeit, die seine Gemälde zur Gattung jener pittoresken Genremalerei verkommen ließ, die ohnehin bald durch die Andenkenindustrie obsolet werden sollte.

Zugleich mußte sich Götzloff, der sich doch mit seinen noch in der Heimat entstandenen "Waldstücken" respektabel auf der Höhe der neudeutschen Kunst gehalten hatte, im Mittelmeerraum jeder Allegorisierung und Sakralisierung der Natur weitgehend enthalten. In welche Schieflage eine mystische Überhöhung der südlichen Landschaft zwangsläufig hätte führen müssen, belegt der um 1865 entstandene "Blick über Gräber zum Vesuv" (Rom, Nationalgalerie). An seinem Lebensende beschwört Götzloff hier, wie nostalgisch, ein nordisch-düsteres Landschaftsgefühl vor dem Prospekt eines Landes, in dem er keine künstlerische Heimat hat finden können. Unsere Abbildung zeigt das um 1845 entstandene Gemälde "Blick auf die Bucht von Sorrent". (Ernst Alfred Lentes: "Carl Wilhelm Götzloff. Ein Dresdner Romantiker mit neapolitanischer Heimat". Belser Verlag, Stuttgart und Zürich 1996. 176 S., 124 Abb., geb., 128,- DM.) ANDREAS BEYER

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