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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: Herder, Freiburg
  • Seitenzahl: 159
  • Abmessung: 197mm x 116mm x 14mm
  • Gewicht: 177g
  • ISBN-13: 9783451261732
  • ISBN-10: 3451261731
  • Artikelnr.: 23956597
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.1996

Der "kleine Stein im indonesischen Schuh"
Zwei Kämpfer für die Menschenrechte auf Ost-Timor

Georg Evers: Carlos Belo - Stimme eines vergessenen Volkes. Herder Verlag Freiburg 1996, 159 Seiten, 19,80 Mark.

Mit der Entscheidung, den Bischof Carlos Belo und den Rechtsanwalt José Ramos Horta in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen, hat das Nobelkomitee den Blick und die Aufmerksamkeit der Welt auf eine Insel gelenkt, die unter den Tausenden Eilanden des indonesischen Archipels schwer zu finden ist: Timor, zweitausend Kilometer von Jakarta und 600 von Australien entfernt. Gemeint ist die östliche Hälfte, Ost-Timor, die kaum größer ist als Schleswig-Holstein und Heimat von etwa 850000 Einwohnern. Seit 21 Jahren, seitdem Portugal eine seiner letzten Kolonien in die erkämpfte Freiheit entließ und der indonesische Staat das Gebiet unter seine Kontrolle brachte, hat die Unterdrückung nicht aufgehört. Anfangs war sie so roh, brutal und blutig, daß in den ersten drei Jahren 200000 Menschen zu Tode kamen. Jetzt verläuft die Unterdrückung zwar seltener tödlich, ist aber kaum weniger bedrängend. Dabei handelt die indonesische Staatsmacht aus scheinbar überzeugenden Motiven. Lange Zeit sah es sogar so aus, als handele sie im schweigenden Einverständnis der großen weiten Welt. Die weite Welt hat kaum wahrgenommen, was in Ost-Timor vor sich geht. Darüber hinaus ist es auch nur schwer zu verstehen.

Georg Evers hat in seinem Buch "Carlos Belo - Stimme eines vergessenen Volkes" nicht nur einen der Preisträger porträtiert; er zeigt auch die historischen Ursachen des Konflikts, die in der mehr als 400 Jahre währenden Kolonialherrschaft liegen. Er versucht auch, die verworrenen Konfliktlinien zu entwirren. Dazu bietet er viele kenntnisreiche Einblicke in Geschichte und Gegenwart des verlorenen Fleckens. Das Buch ist in kurzer Zeit entstanden - zwischen der überraschenden Bekanntgabe der Preisträger, die weithin unbekannt waren, und der Preisverleihung am Dienstag. An dem hohen Produktionstempo lag es wohl auch, daß manche Wiederholung nicht mehr getilgt wurde. Es wäre leicht gewesen. Der Autor ist wissenschaftlicher Asien-Referent des Missionswissenschaftlichen Instituts in Aachen. So fällt sein Blick ausführlich auf die katholische Kirche, zu der sich jetzt 85 Prozent der Bevölkerung bekennen. 1975 waren es nur 30 Prozent. Der Kirche ist während der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen eine immer wichtigere Rolle zugefallen. Gegenüber Bischof Belo kommt Rechtsanwalt Ramos Horta etwas zu kurz, wenngleich Evers auch die politischen Hintergründe gründlich beleuchtet.

Die Jury des Nobelkomitees hat zwei Männer zusammengeführt, die sich zwar schon einmal begegnet sind, aber bisher nicht viel miteinander zu tun hatten. Der Bischof versteht sich zuerst als Seelsorger und Mann der Kirche. Er sieht sich aber auch "verantwortlich dafür, daß die Menschen hier als Menschen leben können, daß sie als Menschen behandelt werden". Bei seiner Berufung zum Apostolischen Administrator 1983 galt er mit seinen 35 Jahren als unerfahren und war nicht der Kandidat der Ortskirche. Mit viel Mißtrauen in den eigenen Reihen hatte er zu kämpfen. Erst nach und nach gelangte er durch seine entschiedene Haltung in die Position, für die ihm jetzt der Friedensnobelpreis verliehen wird. Fünf Jahre später, 1988, wurde er zum Bischof geweiht. Der Vatikan stärkte ihn, indem er das Bistum Díli - ähnlich wie in der früheren DDR - weiterhin als Apostolische Administratur direkt dem Papst unterstellte und nicht der indonesischen Bischofskonferenz eingliederte. Dort hat Belo einen Gast-Status.

Eine eindeutig politische Aufgabe hat hingegen José Ramos Horta wahrgenommen. Er lebt seit 1975 im australischen Exil und ist Dozent an der Universität von New South Wales in Sydney. Er stammt aus der Befreiungsbewegung Fretilin, die zuerst gegen die Kolonialherrschaft kämpfte und dann gegen die indonesischen Besatzer. In der linken Befreiungsbewegung stand er lange im Verdacht, ein Rechtsabweichler zu sein. Sein hartnäckiges Engagement und seine Reisediplomatie zu internationalen Organisationen haben ihn gegen den Willen Indonesiens zu einem anerkannten Vertreter der Interessen Ost-Timors gemacht.

Beide geehrten Vertreter Ost-Timors kämpfen nicht (mehr) für die politische und staatliche Unabhängigkeit der Teilinsel. Zuerst wollen sie erreichen, daß die Menschenrechte in ihrer Heimat beachtet werden. Dann wollen sie eine gewisse Autonomie, die es erlaubt, die eigene Kultur, eine Mischung aus vierhundertjähriger Kolonialzeit und traditionellen Religionen, zu bewahren und gegen den starken islamischen Einfluß zu verteidigen. Durch ihre Ausdauer, Entschlossenheit und klaren Worte ist es ihnen gelungen, daß Ost-Timor "der kleine Stein im Schuh" des riesigen Indonesien geworden und geblieben ist. Manch kleiner Stein hat schon einen Riesen zu Fall gebracht.

PETER SCHILDER

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