Schiller nannte sie "ein unvergleichliches Geschöpf", für Goethe war sie die bedeutendste Frau ihrer Zeit: Caroline von Humboldt (1766-1829). Sie war nicht nur klug, gebildet und abenteuerlustig, sondern vor allem leidenschaftlich interessiert an der Kunst und neugierig auf Menschen. Caroline von Humboldt bereiste ganz Europa, ihr Haus in Rom wurde zum gesellschaftlichen Mittelpunkt. Sie förderte die dort lebenden deutschen Künstler und sammelte mit großem Kunstverstand. Trotzdem sah die Nachwelt in ihr lange vor allem nur die mustergültige Gattin Wilhelm von Humboldts. Dagmar von Gersdorff entwirft in dieser Biographie ein neues Bild ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2011Die Ehe stellt das Sehvermögen wieder her
Dagmar von Gersdorff hat eine Biographie Caroline von Humboldts geschrieben, die begreiflich macht, warum Schiller Caroline "ein unvergleichliches Geschöpf" nannte und Goethe in ihr eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit sah.
Über den deutschen Idealismus hat Friedrich Nietzsche rückblickend bemerkt: "Man sehe sich heute einmal nach Schiller, Wilhelm von Humboldt, ... um, man lese ihre Briefwechsel und führe sich in den großen Kreis ihrer Anhänger ein ... Es ist ein weicher, gutartiger, silbern glitzernder Idealismus, welcher vor allem edel verstellte Gebärden und edel verstellte Stimmen haben will, ein Ding, ebenso anmaßlich als harmlos, beseelt vom herzlichsten Widerwillen gegen die ,kalte' oder ,trockene' Wirklichkeit."
Gilt dieses Urteil Nietzsches auch nach der Lektüre des umfangreichen, siebenbändigen Briefwechsels Wilhelm von Humboldts (1767 bis 1835) mit seiner Frau Caroline, geborene von Dacheröden (1766 bis 1829)? Und lässt sich aus dieser für die Beurteilung der Persönlichkeit Carolines nach wie vor wichtigsten Quelle wirklich eine Biographie mit einem "neuen Bild" Carolines gewinnen, wie es jetzt versucht wird? Der Berliner Germanist Ernst Osterkamp hat jedenfalls schon 2009 diese im literarischen Bewusstsein nahezu verschollene, gleichwohl kulturgeschichtlich reiche Ehekorrespondenz neu gelesen. Mit einem Nietzsches Urteil mittelbar bestätigenden Fazit: "Es muss für Caroline gelegentlich höchst beklemmend gewesen sein, ihren Mann bei seiner brieflichen Idealisierungstätigkeit zu beobachten, die sie unter unendlichen Liebesbeteuerungen in der Eiseskälte seines anthropologischen Ideals einzufrieren suchte."
Zum Zwiegespräch mit diesem Ideal einer im Medium der Kunst stillgestellten Ehefrau gehört auch die schwer nachvollziehbare Abwesenheit jedes Gefühls von Eifersucht bei Wilhelm von Humboldt im Hinblick auf Carolines intensive Liebesbeziehungen zu anderen Männern. Immerhin hatte er selbst Caroline angeboten: "Sollte einer von uns nicht mehr in dem anderen, sondern in einem Dritten das finden, worin er seine ganze Seele versenken möchte, nun so werden wir beide genug wünschen einander glücklich zu sehen und genug Ehrfurcht für ein so schönes, großes, wohltätiges Gefühl, als das der Liebe ist, besitzen." Ein etwas geschraubtes Zugeständnis, das aber ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte, denn auch Caroline begegnet Wilhelm von Humboldts "komplizierter Erotik" (Osterkamp) und seinen eigenen Affären samt regelmäßigen Bordellbesuchen mit großzügiger Nachsicht.
Das alles ist für den historisch nicht informierten Leser schwer zu verstehen, zumal der hochgestimmte Ton zur erwähnten Annahme Nietzsches verleitet, dass es sich hier um eine Ehe "vor allem edel verstellter Gebärden und edel verstellter Stimmen" handeln könnte. Hilfreich wäre hier sicherlich ein kurzer Exkurs zum Novum der im deutschen "Sturm und Drang" geborenen Idee einer allein auf Liebe gegründeten Ehe - bis hin zu Goethes kühnem "Stella"-Projekt einer Liebes-Ehe gar zu dritt.
Dagmar von Gersdorff, unter anderem Autorin des erfolgreichen Buches "Goethes Mutter", geht in ihrer Caroline-von-Humboldt-Biographie der Genese und Entwicklung dieser freizügig-modern erscheinenden Ehe zwar mit einer Fülle von Brief-Exzerpten nach, lässt aber gelegentlich den Leser etwas ratlos zurück, da sie sich über weite Strecken darauf beschränkt, die Briefe nur für sich sprechen zu lassen. Sie entschädigt dafür jedoch mit einer Fülle biographischer Details, die ahnen lassen, warum Schiller Caroline von Humboldt "ein unvergleichliches Geschöpf" nannte und Goethe sie offensichtlich als eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit betrachtete. Ließ er doch ihre Beschreibung der in Madrid aufbewahrten Kunstwerke in der "Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung" drucken, nachdem er bereits 1799 Carolines Bericht über den Maler David in den "Propyläen" veröffentlicht hatte.
Aufgewachsen in einer Atmosphäre der Aufklärung in Erfurt und früh in Kontakt mit bedeutenden Persönlichkeiten gekommen, ist es auch Caroline, welche die erste Begegnung zwischen ihrem Ehemann und Schiller ermöglicht und selbst ihre Beschäftigung mit Schillers Werken als Schlüsselerlebnis empfindet. Überhaupt führt die Autorin den Jenaer Aufenthalt (1794 bis 1795) der jungen Humboldt-Familie mit dem ersten Kind, der Tochter Maria, eindrucksvoll vor Augen und lässt den Leser an dem faszinierenden geistigen Leben dieser damaligen "Stapelstadt des Wissens und der Wissenschaften" (Goethe) teilhaben. Dass Wilhelm hier zum "Juniorpartner" (Peter Berglar) im Dreieck der deutschen Klassik, bestehend aus Goethe, Schiller und Humboldt, wird, ist nicht zuletzt Caroline geschuldet, die, klug, tatkräftig und leidenschaftlich interessiert an der Kunst, sich in Jena bereits im Sinne ihrer künftigen Existenz als aufgeklärte Kosmopolitin und ebenbürtige Partnerin Wilhelms profiliert. Sie wird mit ihm ganz Europa bereisen. Vor allem in Rom avanciert ihr Haus zum gesellschaftlichen Mittelpunkt.
Nicht zuletzt wird in dieser Biographie Caroline auch als begeisterte Mutter - sie bringt acht Kinder zur Welt - lebendig. Und dies mit überraschenden Details über die Hauslehrer der Kinder, die mehrmals ausgewechselt werden müssen, da sie der starken erotischen Anziehungskraft Carolines offenbar kaum widerstehen konnten. Ausführlich und mit Empathie geschildert wird auch Carolines leidenschaftliches Verhältnis mit anderen Männern, vor allem mit Gustav von Schlabrendorf (1750 bis 1824), einem genialischen Deutschen in Paris, und mit Wilhelm von Burgsdorff (1772 bis 1822), einem sensiblen, sechs Jahre jüngeren Mann, der von 1796 bis 1798 sogar die delikate Rolle eines ständig präsenten "Hausfreundes" spielt. Verständlich, dass dieses unbürgerliche Trio auf den gemeinsamen Reisen zum Beispiel nach Dresden, Wien und Paris von Scheidungs- und Wiederverheiratungsgerüchten begleitet wird.
Kein Wort, keine Zeile hierüber bei Wilhelm von Humboldt. Die Ehe bleibt offenbar weiterhin gegründet auf die unbeschränkte Freiheit des Einzelnen und gegenseitigen Respekt - im Geiste aufklärerischer Maximen der um 1800 einsetzenden Emanzipationsbewegung der Frau. Ob trotz der unzähligen Briefe der Innigkeit, der Liebe und des Dankes bis ins Alter hinein (Caroline stirbt 1829, Wilhelm 1835) das Verhältnis des Paares auch in schwierigen Zeiten so harmonisch war, wie es sich in der veröffentlichten Korrespondenz darstellt, ist eine Frage, auf die von Gersdorff denn auch am Schluss ihrer Biographie eingeht. Die Frage stellt sich vor allem angesichts der getilgten Textstellen durch die Urenkelin Anna von Sydow, die als Herausgeberin der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erschienenen Ehekorrespondenz fungierte (die Originalbriefe sind 1945 verbrannt).
Nicht getilgt, aber in dieser Biographie leider unerwähnt bleibt jene irritierende Passage, die Wilhelm von Humboldt am 4. Juni 1815 über die Forderung der Juden nach mehr bürgerlichen Rechten in Deutschland schrieb: "Ich bin dieser Sache immer geneigt gewesen. Ich weiß zwar, daß Du anders denkst ..., aber ich habe viel in verschiedenen Zeiten darüber nachgedacht und bleibe meiner alten Meinung getreu. Es ist dies überdies eine Jugendliebe bei mir, denn Alexander und ich wurden noch, wie wir Kinder waren, für Schutzwehre des Judentums gehalten."
Georg Christoph Lichtenberg, dessen Vorlesungen Wilhelm von Humboldt in Göttingen besucht hat, behauptete, die Liebe mache blind, die Ehe stelle das Sehvermögen wieder her. Die Liebe zwischen Caroline und Wilhelm von Humboldt hat allem idealistischen Anschein zum Trotz das Sehvermögen für die Differenz in dieser bekanntlich heiklen Frage nicht außer Kraft gesetzt. Immerhin kann man auch vor diesem Hintergrund das summarische Geständnis Carolines gegenüber Wilhelm besser verstehen: "Glaube mir, ... daß ich nur tief durchdrungen bin von der Güte, Schonung und Liebe, mit der Du immer mich getragen, gepflegt, geliebt, mir nachgesehen hast."
MANFRED OSTEN.
Dagmar von Gersdorff: "Caroline von Humboldt". Eine Biographie.
Insel Verlag, Berlin 2011. 289 S., geb., 22,90 [Euro].
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Dagmar von Gersdorff hat eine Biographie Caroline von Humboldts geschrieben, die begreiflich macht, warum Schiller Caroline "ein unvergleichliches Geschöpf" nannte und Goethe in ihr eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit sah.
Über den deutschen Idealismus hat Friedrich Nietzsche rückblickend bemerkt: "Man sehe sich heute einmal nach Schiller, Wilhelm von Humboldt, ... um, man lese ihre Briefwechsel und führe sich in den großen Kreis ihrer Anhänger ein ... Es ist ein weicher, gutartiger, silbern glitzernder Idealismus, welcher vor allem edel verstellte Gebärden und edel verstellte Stimmen haben will, ein Ding, ebenso anmaßlich als harmlos, beseelt vom herzlichsten Widerwillen gegen die ,kalte' oder ,trockene' Wirklichkeit."
Gilt dieses Urteil Nietzsches auch nach der Lektüre des umfangreichen, siebenbändigen Briefwechsels Wilhelm von Humboldts (1767 bis 1835) mit seiner Frau Caroline, geborene von Dacheröden (1766 bis 1829)? Und lässt sich aus dieser für die Beurteilung der Persönlichkeit Carolines nach wie vor wichtigsten Quelle wirklich eine Biographie mit einem "neuen Bild" Carolines gewinnen, wie es jetzt versucht wird? Der Berliner Germanist Ernst Osterkamp hat jedenfalls schon 2009 diese im literarischen Bewusstsein nahezu verschollene, gleichwohl kulturgeschichtlich reiche Ehekorrespondenz neu gelesen. Mit einem Nietzsches Urteil mittelbar bestätigenden Fazit: "Es muss für Caroline gelegentlich höchst beklemmend gewesen sein, ihren Mann bei seiner brieflichen Idealisierungstätigkeit zu beobachten, die sie unter unendlichen Liebesbeteuerungen in der Eiseskälte seines anthropologischen Ideals einzufrieren suchte."
Zum Zwiegespräch mit diesem Ideal einer im Medium der Kunst stillgestellten Ehefrau gehört auch die schwer nachvollziehbare Abwesenheit jedes Gefühls von Eifersucht bei Wilhelm von Humboldt im Hinblick auf Carolines intensive Liebesbeziehungen zu anderen Männern. Immerhin hatte er selbst Caroline angeboten: "Sollte einer von uns nicht mehr in dem anderen, sondern in einem Dritten das finden, worin er seine ganze Seele versenken möchte, nun so werden wir beide genug wünschen einander glücklich zu sehen und genug Ehrfurcht für ein so schönes, großes, wohltätiges Gefühl, als das der Liebe ist, besitzen." Ein etwas geschraubtes Zugeständnis, das aber ganz offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte, denn auch Caroline begegnet Wilhelm von Humboldts "komplizierter Erotik" (Osterkamp) und seinen eigenen Affären samt regelmäßigen Bordellbesuchen mit großzügiger Nachsicht.
Das alles ist für den historisch nicht informierten Leser schwer zu verstehen, zumal der hochgestimmte Ton zur erwähnten Annahme Nietzsches verleitet, dass es sich hier um eine Ehe "vor allem edel verstellter Gebärden und edel verstellter Stimmen" handeln könnte. Hilfreich wäre hier sicherlich ein kurzer Exkurs zum Novum der im deutschen "Sturm und Drang" geborenen Idee einer allein auf Liebe gegründeten Ehe - bis hin zu Goethes kühnem "Stella"-Projekt einer Liebes-Ehe gar zu dritt.
Dagmar von Gersdorff, unter anderem Autorin des erfolgreichen Buches "Goethes Mutter", geht in ihrer Caroline-von-Humboldt-Biographie der Genese und Entwicklung dieser freizügig-modern erscheinenden Ehe zwar mit einer Fülle von Brief-Exzerpten nach, lässt aber gelegentlich den Leser etwas ratlos zurück, da sie sich über weite Strecken darauf beschränkt, die Briefe nur für sich sprechen zu lassen. Sie entschädigt dafür jedoch mit einer Fülle biographischer Details, die ahnen lassen, warum Schiller Caroline von Humboldt "ein unvergleichliches Geschöpf" nannte und Goethe sie offensichtlich als eine der bedeutendsten Frauen ihrer Zeit betrachtete. Ließ er doch ihre Beschreibung der in Madrid aufbewahrten Kunstwerke in der "Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung" drucken, nachdem er bereits 1799 Carolines Bericht über den Maler David in den "Propyläen" veröffentlicht hatte.
Aufgewachsen in einer Atmosphäre der Aufklärung in Erfurt und früh in Kontakt mit bedeutenden Persönlichkeiten gekommen, ist es auch Caroline, welche die erste Begegnung zwischen ihrem Ehemann und Schiller ermöglicht und selbst ihre Beschäftigung mit Schillers Werken als Schlüsselerlebnis empfindet. Überhaupt führt die Autorin den Jenaer Aufenthalt (1794 bis 1795) der jungen Humboldt-Familie mit dem ersten Kind, der Tochter Maria, eindrucksvoll vor Augen und lässt den Leser an dem faszinierenden geistigen Leben dieser damaligen "Stapelstadt des Wissens und der Wissenschaften" (Goethe) teilhaben. Dass Wilhelm hier zum "Juniorpartner" (Peter Berglar) im Dreieck der deutschen Klassik, bestehend aus Goethe, Schiller und Humboldt, wird, ist nicht zuletzt Caroline geschuldet, die, klug, tatkräftig und leidenschaftlich interessiert an der Kunst, sich in Jena bereits im Sinne ihrer künftigen Existenz als aufgeklärte Kosmopolitin und ebenbürtige Partnerin Wilhelms profiliert. Sie wird mit ihm ganz Europa bereisen. Vor allem in Rom avanciert ihr Haus zum gesellschaftlichen Mittelpunkt.
Nicht zuletzt wird in dieser Biographie Caroline auch als begeisterte Mutter - sie bringt acht Kinder zur Welt - lebendig. Und dies mit überraschenden Details über die Hauslehrer der Kinder, die mehrmals ausgewechselt werden müssen, da sie der starken erotischen Anziehungskraft Carolines offenbar kaum widerstehen konnten. Ausführlich und mit Empathie geschildert wird auch Carolines leidenschaftliches Verhältnis mit anderen Männern, vor allem mit Gustav von Schlabrendorf (1750 bis 1824), einem genialischen Deutschen in Paris, und mit Wilhelm von Burgsdorff (1772 bis 1822), einem sensiblen, sechs Jahre jüngeren Mann, der von 1796 bis 1798 sogar die delikate Rolle eines ständig präsenten "Hausfreundes" spielt. Verständlich, dass dieses unbürgerliche Trio auf den gemeinsamen Reisen zum Beispiel nach Dresden, Wien und Paris von Scheidungs- und Wiederverheiratungsgerüchten begleitet wird.
Kein Wort, keine Zeile hierüber bei Wilhelm von Humboldt. Die Ehe bleibt offenbar weiterhin gegründet auf die unbeschränkte Freiheit des Einzelnen und gegenseitigen Respekt - im Geiste aufklärerischer Maximen der um 1800 einsetzenden Emanzipationsbewegung der Frau. Ob trotz der unzähligen Briefe der Innigkeit, der Liebe und des Dankes bis ins Alter hinein (Caroline stirbt 1829, Wilhelm 1835) das Verhältnis des Paares auch in schwierigen Zeiten so harmonisch war, wie es sich in der veröffentlichten Korrespondenz darstellt, ist eine Frage, auf die von Gersdorff denn auch am Schluss ihrer Biographie eingeht. Die Frage stellt sich vor allem angesichts der getilgten Textstellen durch die Urenkelin Anna von Sydow, die als Herausgeberin der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erschienenen Ehekorrespondenz fungierte (die Originalbriefe sind 1945 verbrannt).
Nicht getilgt, aber in dieser Biographie leider unerwähnt bleibt jene irritierende Passage, die Wilhelm von Humboldt am 4. Juni 1815 über die Forderung der Juden nach mehr bürgerlichen Rechten in Deutschland schrieb: "Ich bin dieser Sache immer geneigt gewesen. Ich weiß zwar, daß Du anders denkst ..., aber ich habe viel in verschiedenen Zeiten darüber nachgedacht und bleibe meiner alten Meinung getreu. Es ist dies überdies eine Jugendliebe bei mir, denn Alexander und ich wurden noch, wie wir Kinder waren, für Schutzwehre des Judentums gehalten."
Georg Christoph Lichtenberg, dessen Vorlesungen Wilhelm von Humboldt in Göttingen besucht hat, behauptete, die Liebe mache blind, die Ehe stelle das Sehvermögen wieder her. Die Liebe zwischen Caroline und Wilhelm von Humboldt hat allem idealistischen Anschein zum Trotz das Sehvermögen für die Differenz in dieser bekanntlich heiklen Frage nicht außer Kraft gesetzt. Immerhin kann man auch vor diesem Hintergrund das summarische Geständnis Carolines gegenüber Wilhelm besser verstehen: "Glaube mir, ... daß ich nur tief durchdrungen bin von der Güte, Schonung und Liebe, mit der Du immer mich getragen, gepflegt, geliebt, mir nachgesehen hast."
MANFRED OSTEN.
Dagmar von Gersdorff: "Caroline von Humboldt". Eine Biographie.
Insel Verlag, Berlin 2011. 289 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Manfred Osten scheint sich nicht ganz schlüssig zu sein, ob er uns diese Biografie über Caroline von Humboldt mit ganzem Herzen empfehlen soll. Als Ergänzung zum berühmten Briefwechsel zwischen Wilhelm von Humboldt und seiner Frau Caroline scheint ihm der Band von Dagmar von Gersdorff allerdings dennoch zu taugen, auch wenn die Autorin die Briefe häufig für sich sprechen lässt, wie Osten kritisiert. Vor allem die biografischen Details und die Eindrücke aus der Jenaer Zeit jedoch erfreuen den Rezensenten und lassen ihn ahnen, wieso diese Frau derart begehrt und geschätzt wurde. Platz für die Schilderung ihrer Amouren birgt der Band übrigens zum Glück des Rezensenten auch und für die Frage, wie harmonisch die Ehe mit Wilhelm wirklich war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Dagmar von Gersdorff hat der faszinierenden Intellektuellen, Salonière und Kunstmäzenin eine spannende Biografie gewidmet, in die sie einen wahren Schatz an Zitaten einwebt: aus den Briefen beider Humboldts und ähnlich wortgewandter Zeitgenossen. Ein sprachlicher Genuss! «