Viele Kubaner sind Angehörige der afro-kubanischen Religion, einer Mischung aus afrikanischen Riten und christlichen Elementen. Die Ursprünge dieser Religion liegen in der Zeit der Sklaverei, als es Afrikanern verboten war, ihre Religion auszuüben. Damals widmeten sich die Sklaven ihrer afrikanischen Religion unter dem Deckmantel christlicher Rituale und Symbolik. Für ihre Sklaventreiber schienen sie zum Christentum konvertiert zu sein. Über die Jahrzehnte hinweg ging schliesslich der heimliche Aspekt der Religionsausübung verloren. Die Anhänger der afro-kubanischen Religion erkennen christliche Traditionen und Zeichen nunmehr als ein Teil ihrer eigenen Religion an. In seinem neuesten Buch zeigt der Fotograf Anthony Caronia diese mysteriöse und magische Welt der afro-kubanischen Religion. Seine Schwarz-Weiss-Fotografien sind von höchstem ethnologischen Interesse. Sie lassen die Rituale unmittelbar miterleben, lassen die Musik hören, die Begeisterung spüren und den Funken überspringen. Man wird Teil eines unergründlichen Fremden: ein exotisches, unheimliches und faszinierendes Erlebnis zugleich.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2011Unter wilden Göttern
Anthony Caronias Fotoband über afro-kubanische Religion
Alle paar Monate erscheint ein neuer Fotoband mit dem Anspruch, den so malerisch ruinösen wie magisch aufgeladenen Alltag der Kubaner einzufangen. Und fast immer spielt dabei die afro-kubanische Religion eine Rolle – prägen doch die Orishas, jene Repräsentanten afrikanischer Götter, die vor vielen Jahrhunderten mit den Arbeitssklaven für die Zuckerplantagen hier landeten, bis heute den Alltag der Inselbewohner.
Der in Italien geborene Fotograf Anthony Caronia fokussiert nun die mit diesem Kult verbundenen Rituale in einem großformatigen Schwarzweiß-Band. „Dies ist eine fotografische Darstellung von Glauben und Mut“, erklärt er im Vorwort zu „Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion“. Da die religiösen Rituale auf Kuba kaum getrennt vom restlichen Leben in Wohnungen, auf Hinterhöfen und manchmal gar auf der Straße stattfinden, begegnen selbst flüchtigen Besuchern hier überall Zeichen dieser Kulte: Hausaltäre, ganz in Weiß gekleidete Initiationskandidaten, nächtliche Trommeln und Gesänge. Die meisten Bücher über Kuba behandeln diese Phänomene mit einem touristischen Unterton und stellen die Rituale als Exotismen zur Schau.
Ganz anders Anthony Caronia: Er hat die Fotos aus dem tiefsten Inneren eines Palero, eines Anhängers dieser afro-kubanischen Religion, gemacht – und gibt dem Betrachter das Gefühl eines Eindringlings in eine Welt, zu der er ansonsten keinen Zugang hätte. Die Bilder verraten den Blick des Eingeweihten: Altäre, Opfergaben, Besessenheit, Tänze, Initiations- und Reinigungsrituale, eingefangen in Schwarzweiß-Fotos, die bei aller Bewegung und offensichtlichen Emotionalität etwas Intimes ausstrahlen: „Keine einzige Fotografie“, behauptet Caronia, „wurde ohne die Zustimmung der Orishas gemacht“.
Der Fotograf lässt uns dabei auch an seiner eigenen spirituellen Reise teilhaben. Dass auf der Karibikinsel die Religion keine Diskriminierung nach Hautfarben kennt, eröffnete ihm ungeahnte Möglichkeiten. So schloss er sich, einer persönlichen Offenbarung folgend, vier Jahre lang einem Padrino oder Paten an, ließ sich nach und nach in die Rituale des Kultes Palo Mayombe einführen und wurde zum geweihten Palero. Seine Fotos entstanden zu einem Zeitpunkt, als er das volle Vertrauen seines Padrino gewonnen hatte – sein Blick aber auch schon ernüchtert war: „Im Grunde wollte ich sehen, wie Wunder geschehen. Und ich brauchte etliche Frustrationserlebnisse, bis ich lernte, dass ich Orishas nicht sehen musste, sondern nur fühlen.“
Auch wenn die Bilder das rituelle Schlachten von Tieren oder die Gesichter von Besessenen zeigen, wirken sie kaum je theatralisch oder dekorativ. Vielmehr veranschaulichen sie den instrumentellen Charakter dieser Volksreligion, die sich nicht an ein unerreichbares Jenseits wendet, sondern die Orishas für die Bewältigung der Lebenswirklichkeit um Hilfe anruft – und dabei Regeln und Rituale dem Alltag pragmatisch anpasst. Dass Caronia kritische Worte für den Machtmissbrauch mancher Padrinos findet, tut der Intensität seiner Bilderzählung keinen Abbruch: Am Ende wirft die Entschlossenheit, als Europäer gleichzeitig Beobachter und Beteiligter der afro-kubanischen Religion zu sein, grundsätzliche Fragen auf: nach der Adaption fremder Wurzeln, der eigenen Identität und der Anziehungskraft einer Religion, die keine Trennung zwischen sakral und weltlich kennt.
JONATHAN FISCHER
ANTHONY CARONIA: Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion. Benteli Verlag, Zürich 2010, 159 Seiten, 39 Euro.
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Anthony Caronias Fotoband über afro-kubanische Religion
Alle paar Monate erscheint ein neuer Fotoband mit dem Anspruch, den so malerisch ruinösen wie magisch aufgeladenen Alltag der Kubaner einzufangen. Und fast immer spielt dabei die afro-kubanische Religion eine Rolle – prägen doch die Orishas, jene Repräsentanten afrikanischer Götter, die vor vielen Jahrhunderten mit den Arbeitssklaven für die Zuckerplantagen hier landeten, bis heute den Alltag der Inselbewohner.
Der in Italien geborene Fotograf Anthony Caronia fokussiert nun die mit diesem Kult verbundenen Rituale in einem großformatigen Schwarzweiß-Band. „Dies ist eine fotografische Darstellung von Glauben und Mut“, erklärt er im Vorwort zu „Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion“. Da die religiösen Rituale auf Kuba kaum getrennt vom restlichen Leben in Wohnungen, auf Hinterhöfen und manchmal gar auf der Straße stattfinden, begegnen selbst flüchtigen Besuchern hier überall Zeichen dieser Kulte: Hausaltäre, ganz in Weiß gekleidete Initiationskandidaten, nächtliche Trommeln und Gesänge. Die meisten Bücher über Kuba behandeln diese Phänomene mit einem touristischen Unterton und stellen die Rituale als Exotismen zur Schau.
Ganz anders Anthony Caronia: Er hat die Fotos aus dem tiefsten Inneren eines Palero, eines Anhängers dieser afro-kubanischen Religion, gemacht – und gibt dem Betrachter das Gefühl eines Eindringlings in eine Welt, zu der er ansonsten keinen Zugang hätte. Die Bilder verraten den Blick des Eingeweihten: Altäre, Opfergaben, Besessenheit, Tänze, Initiations- und Reinigungsrituale, eingefangen in Schwarzweiß-Fotos, die bei aller Bewegung und offensichtlichen Emotionalität etwas Intimes ausstrahlen: „Keine einzige Fotografie“, behauptet Caronia, „wurde ohne die Zustimmung der Orishas gemacht“.
Der Fotograf lässt uns dabei auch an seiner eigenen spirituellen Reise teilhaben. Dass auf der Karibikinsel die Religion keine Diskriminierung nach Hautfarben kennt, eröffnete ihm ungeahnte Möglichkeiten. So schloss er sich, einer persönlichen Offenbarung folgend, vier Jahre lang einem Padrino oder Paten an, ließ sich nach und nach in die Rituale des Kultes Palo Mayombe einführen und wurde zum geweihten Palero. Seine Fotos entstanden zu einem Zeitpunkt, als er das volle Vertrauen seines Padrino gewonnen hatte – sein Blick aber auch schon ernüchtert war: „Im Grunde wollte ich sehen, wie Wunder geschehen. Und ich brauchte etliche Frustrationserlebnisse, bis ich lernte, dass ich Orishas nicht sehen musste, sondern nur fühlen.“
Auch wenn die Bilder das rituelle Schlachten von Tieren oder die Gesichter von Besessenen zeigen, wirken sie kaum je theatralisch oder dekorativ. Vielmehr veranschaulichen sie den instrumentellen Charakter dieser Volksreligion, die sich nicht an ein unerreichbares Jenseits wendet, sondern die Orishas für die Bewältigung der Lebenswirklichkeit um Hilfe anruft – und dabei Regeln und Rituale dem Alltag pragmatisch anpasst. Dass Caronia kritische Worte für den Machtmissbrauch mancher Padrinos findet, tut der Intensität seiner Bilderzählung keinen Abbruch: Am Ende wirft die Entschlossenheit, als Europäer gleichzeitig Beobachter und Beteiligter der afro-kubanischen Religion zu sein, grundsätzliche Fragen auf: nach der Adaption fremder Wurzeln, der eigenen Identität und der Anziehungskraft einer Religion, die keine Trennung zwischen sakral und weltlich kennt.
JONATHAN FISCHER
ANTHONY CARONIA: Afro-Cuba. Mystik und Magie der afro-kubanischen Religion. Benteli Verlag, Zürich 2010, 159 Seiten, 39 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr beeindruckt scheint Jonathan Fischer von diesem Schwarzweiß-Fotoband zu sein. Dass Anthony Caronia seine Eindrücke afro-kubanischer Kulte und Rituale anders als andere Fotografen nicht als exotische Touristenattraktionen verkauft, rechnet der Rezensent ihm hoch an. Caronia vermag das, weil er sich über Jahre mit den Kulten befasst hat und sich selbst hat weihen lassen. Das Ergebnis dieser Erfahrung, die außergewöhnliche Intimität, sieht Fischer in jedem Bild von Hausaltären, rituellen Tierschlachtungen und Initiationen, und von Besessenen. Ist es einerseits die Emotionalität, der sich der Fotograf hier wie kein zweiter annähert, bietet sich dem Rezensenten so noch eine weitere Erkenntnis: Wie unzertrennlich auf Kuba der Kult mit dem Alltag verbunden ist - zur wahren Volksreligion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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