Venedig - trotz bitterer Verfolgung und Einkerkerung - bleibt für Casanova ein Leben lang Heimat und Sehnsuchtsort.Lothar Müller führt durch die Stadt des selbsternannten »Chevalier de Seingalt« und lässt in raffiniert geschnittenen Collagen den Schriftsteller selbst und seine Zeitgenossen zu Wort kommen. Er nimmt uns mit zu Maskenbällen und ins Theater, in die Spielsäle, in denen der Abenteurer sein Glück sucht, und in die Kirche, in der er seine Predigt hält. Er führt uns zu den Gärten, in denen der große Liebhaber amouröse Szenen inszeniert, zu den Schauplätzen seiner Eskapaden und Affären. In Nahsicht können wir ihn bei seiner kühnen Flucht aus den Bleikammern begleiten.Kupferstiche von Stadtansichten, Häusern und Plätzen zeigen Casanovas Orte, Stadtpläne helfen, seine Wege nachzugehen, und markieren, was vom damaligen Venedig geblieben ist. So wird sichtbar, dass selbst die unglaubwürdigsten Anekdoten des virtuosen Erzählers nicht nur erfunden sind, sondern nahezu immer einen realen Ausgangspunkt haben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.1998LOTHAR MÜLLER, Redakteur im Literaturblatt dieser Zeitung, hat ein Reiselesebuch über das Venedig Casanovas verfaßt. Die Flucht aus den Bleikammern im Herbst 1756 ist darin nur eine von vielen Episoden. Erzählt wird die Liebesgeschichte zwischen dem Abenteurer und seiner Heimatstadt bis an ihr bitteres Ende im Sommer 1783, als Casanova zum zweiten Mal und diesmal endgültig aus Venedig fliehen mußte. In Illustrationen des achtzehnten Jahrhunderts werden die Palazzi und Theater, die Kaffeehäuser und Kirchen vor Augen gestellt, von denen Casanova in seinen Memoiren berichtet. Die Spitzelberichte, die er als "Confidente" der Staatsinquisition verfaßte, werden nicht ausgespart. Großzügiger, als es einem Historiker erlaubt wäre, zeichnet der Autor die Schauplätze der Abenteuer auch dort in den Stadtplan Venedigs ein, wo er sich für die Ereignisse, die Casanova darauf ansiedelt, nicht verbürgen mag. Casanovas Venedig war seit je realer Stadtraum und literarische Phantasmagorie zugleich: ein Ort nicht zuletzt für Reisen im Kopf. ("Casanovas Venedig". Ein Reiselesebuch von Lothar Müller. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998. 126 S., geb., 24,80 DM.)
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