Eine völlig neue Betrachtung von Leben und Werk Caspar David Friedrichs
Das Werk Caspar David Friedrichs gilt als der Inbegriff der deutschen Romantik. Gemälde wie "Der Wanderer über dem Nebelmeer" oder die "Kreidefelsen auf Rügen" sind fest verankert im allgemeinen Bildgedächtnis. Johannes Grave unternimmt eine Neubewertung des Lebens und künstlerischen Schaffens Friedrichs und verbindet dabei die anschauliche Betrachtung von dessen Werken mit einer genauen Rekonstruktion der Biografie des Künstlers. In hochqualitativen Abbildungen und Detailansichten bietet der opulent ausgestattete Band einen neuen Blick auf diesen bekanntesten Maler der deutschen Vor-Moderne und stellt ihn mit seinen Gemälden, Schriften und Briefen in den historischen Kontext.
Das Werk Caspar David Friedrichs gilt als der Inbegriff der deutschen Romantik. Gemälde wie "Der Wanderer über dem Nebelmeer" oder die "Kreidefelsen auf Rügen" sind fest verankert im allgemeinen Bildgedächtnis. Johannes Grave unternimmt eine Neubewertung des Lebens und künstlerischen Schaffens Friedrichs und verbindet dabei die anschauliche Betrachtung von dessen Werken mit einer genauen Rekonstruktion der Biografie des Künstlers. In hochqualitativen Abbildungen und Detailansichten bietet der opulent ausgestattete Band einen neuen Blick auf diesen bekanntesten Maler der deutschen Vor-Moderne und stellt ihn mit seinen Gemälden, Schriften und Briefen in den historischen Kontext.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2012Hinterm Kreuze steht der Maler
Das Wesentliche sieht man nicht: Johannes Grave deutet Caspar David Friedrichs Gemälde und Zeichnungen in überzeugender Weise als Bildkritik mit bildnerischen Mitteln.
Dieses Buch hat Gewicht. Von der Sorte auch, die einen bei Büchern derart misstrauisch stimmt, dass man sie gleich der Kategorie der Coffee Table Books zuordnet. Kaum ein Buch hat jedoch diese Zuschreibung so wenig verdient wie die Studie von Johannes Grave über Caspar David Friedrich. So üppig die Aufmachung, so sympathisch bescheiden der Gestus, mit dem Grave diese mit einer Fülle an erhellenden Einsichten gespickte Monographie verfasst hat. Viel ist geforscht worden zu Friedrichs enigmatischem Werk, das in seiner Obsession für das Karge durchaus beklemmende Seiten hat: von den frühen motivgeschichtlichen Untersuchungen von Helmut Börsch-Supan bis zu den filigranen, Theologie und Ästhetik verschränkenden Bildanalysen von Werner Busch. Grave fügt diesen Erträgen einen neuen Aspekt hinzu, der das gesamte Werk in einem anderen Licht erscheinen lässt: als einen gemalten Kommentar zur Kritik am Bild, wie sie protestantischen Kulturen eigen ist, und zwar mit den spezifischen Mitteln des Bildes.
Das hört sich komplizierter an, als es ist, und es gelingt Grave, diese theologisch wie kunsttheoretisch anspruchsvolle Denkfigur in wunderbar klarer Sprache zu vermitteln. Das Misstrauen gegen die Bilder ist älter als der Protestantismus; es hat ikonoklastische Bewegungen seit der Antike gespeist. Dabei geht es immer um die Gefahr, falsch zu verehren, nämlich ein Bild, das eben nicht ist, was es zeigt, etwas Göttliches. Und so laufen wir Gefahr, ein bemaltes Stück Holz oder Tuch anzubeten und damit, so die Sorge der Bilderfeinde, wie "Heiden" und "Primitive" Aberglauben oder Fetischismus zu frönen.
Sozialisiert in einer lutherisch geprägten Umgebung und selbst innig glaubend, hat sich Friedrich diesem Problem offensiv gestellt. Statt uns seine stets von Transzendenzbegehren genährten Gegenstände zur einfühlenden Betrachtung vor Augen zu stellen, lässt der Maler Entzug regieren. Wir sehen gerade nicht, was wir zu sehen oder zumindest zu spüren wünschen, nämlich die Gegenwart Gottes im Irdischen. Die verheißungsvollen Rätsel werden auch bei genauer Betrachtung nicht aufgelöst und in Offenbarung verwandelt. Im Gegenteil: Lässt man sich intensiv und nahsichtig auf die Bilder ein, zerfällt das Ganze, und was wir sehen, sind die Machart und die Materialität der Darstellung. Keine Täuschungsmanöver also im Dienste einer falschen und fehlleitenden Offenbarung, sondern Offenlegung der Bedingungen der Möglichkeit, das Undarstellbare darzustellen.
Es ist nun wiederum der Darstellungskunst des Verfassers zu verdanken, dass diese Überlegungen sich nicht im Abstrakten verlieren, sondern anschaulich und überzeugend aus den Bildanalysen entwickelt werden. Die Studie folgt den biographischen Stationen und macht die enge Verwobenheit von künstlerischer und persönlicher Entwicklung deutlich, ohne je ins Psychologisieren zu geraten. Gleich zu Beginn wird aufgeräumt mit falschen Bildern, nicht mit Fälschungen, wie Grave mit Blick auf die jüngeren Kunstskandale augenzwinkernd anmerkt, sondern mit viel gravierenderen Formen des Falschen. Klargestellt wird, dass Friedrich keineswegs naiv und in sich gekehrt vor sich hingearbeitet, sondern vielmehr äußerst aktiv versucht hat, seine Karriere zu befördern. So hat er immer wieder Probestücke nach Weimar geschickt, nicht nur an Goethe, dessen Urteil ihm wichtig war, sondern auch an den Hof, um damit die Chancen auf prestigeträchtige Ankäufe zu erhöhen. Auch stand der so deutsche Maler keineswegs von Anfang an auf Kriegsfuß mit den Franzosen. Porträts belegen einen regen Austausch, der erst mit der napoleonischen Besetzung und Friedrichs vehementem Patriotismus ein Ende fand.
Wie wichtig und prägend die frühen Jahre waren, macht Grave an Schriftblättern deutlich. Text und bildliche Elemente werden in ihnen nicht aufeinander abgestimmt, sondern treten in ein Konkurrenzverhältnis. So ist ein zu Mäßigung aufrufender Text von reicher Ornamentik umwuchert. Grave deutet diesen Konflikt als produktiven Umgang mit der Konkurrenz von Lesen und Sehen, die für Friedrichs Kritik der Kritik am Bild entscheidend ist. Eindringlich wird das vorgestellt in der genauen Betrachtung einer programmatischen Kreidezeichnung, die eine alte Frau mit Sanduhr und Buch zeigt. Aufgeschlagen ist ein Vers aus dem Johannesevangelium, die Geschichte vom ungläubigen Thomas, die ein kritischer Kommentar zum Wunsch nach Sehen als Akt der Wahrheitsfindung ist. Doch durch die Art, wie der Künstler die Schrift, deren Lektüre den richtigen Weg zum Heil weisen soll, in das Bild integriert, wird die Kritik am Sehen in eine Aufforderung nach differenzierterem Umgang mit Sichtbarkeit verwandelt. Die Schrift ist so klein, dass man sie nur aus der Nähe entziffern kann. Hält man sich die Zeichnung aber dicht vor Augen, dann treten die Linien zugleich in ihrem graphischen Eigenwert hervor. Gerade die Fokussierung auf die Schrift führt zu einer Verunsicherung dessen, was da eigentlich zu sehen ist. Die Präsenz des Bildes, die Materialität der Zeichnung, macht die Form der Darstellung bewusst und überlagert den Gegenstand. Dass diese Argumentation so gut nachvollziehbar ist, verdankt sich auch der hervorragenden Qualität der Abbildungen. Umso bedauerlicher ist es, dass manche Bilder über zwei Seiten gestreckt oder aber größer abgebildet werden, als sie im Original sind.
Anhand der berühmten Landschaftsbilder macht Grave deutlich, in welchem Maß diese elaborierte Form der Bildkritik im gesamten OEuvre gegenwärtig ist. Nirgendwo gibt es einen klaren Standort für den Betrachter in der festgefügten Ordnung der Landschaftsräume, und es führt auch kein Weg in imaginäre Bildtiefen. Vielmehr beharren diese Landschaften, denen oftmals auch die klassische Rahmung durch Bäume oder Felsen an den Rändern fehlt, auf ihrer unzugänglichen Flächigkeit. Grave verfällt jedoch nicht der Verführung, angesichts dieses Insistierens auf der Fläche einen Hurra-Diskurs über Autonomie und Modernität in den Bildern Friedrichs anzustimmen. Die Ortlosigkeit des Betrachters und die Unzugänglichkeit des Bildes werden als Reflexion theologischer Fragen mit bildnerischen Mitteln betrachtet.
Immer wieder sind Friedrichs Bilder der Ästhetik des Erhabenen zugeordnet worden, die sich in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entfaltete. Das Erhabene ist, zumindest in Kants wirkmächtiger Definition, keine Eigenschaft des Gegenstandes, sondern eine Erfahrung des Betrachters. Sie wird hervorgerufen durch Gegenstände, die uns durch schiere Größe oder andere Formen der Unfassbarkeit sinnlich überwältigen und Unlust bereiten. Erst die Erhebung der Geisteskräfte über die Sinne führt zu einem Lustgefühl, das letzten Endes Selbstgenuss ist. Diese Lust aber gewähren, so die überzeugende These Graves, die Bilder von Friedrich gerade nicht. Es gebe keine Auflösung der Unlust, sondern ein Beharren auf Verstörung des Betrachters und auf Unzugänglichkeit der Bilder. Ein Bild wie "Der Mönch am Meer" sei keine Veranschaulichung erhabener Erfahrung, sondern deren Kritik, als einer Hybris nämlich, die menschliche Grenzen nicht respektiere.
Auch der "Wanderer über dem Nebelmeer" erfährt eine neue Lesart. Schon Joseph Leo Koerner hatte sich gegen die These ausgesprochen, dass Rückenfiguren immer auch Stellvertreter des Betrachters seien, die diesem einen Ort im Bild und in der dargestellten Landschaft geben. Grave spitzt, mit Niklas Luhmann im Gepäck, diese Überlegung zu auf das Thema des Sichtbarmachens, das immer auch bedeutet, dass etwas anderes unsichtbar wird. So auch in Friedrichs Bild, denn was der Wanderer sieht, ist uns in großen Teilen versperrt durch die Figur des Wanderers selbst. Es geht also nicht um die Anschauung des Unendlichen im Endlichen, denn das bleibt uns entzogen. Es geht, wie an all diesen so unterschiedlichen Bildern deutlich wird, um das Sehen selbst, um seine Potenz, seine Bedingungen und seine Grenzen, und zwar im Zeichen des Kreuzes.
BEATE SÖNTGEN
Johannes Grave: "Caspar David Friedrich".
Prestel Verlag, München 2012. 225 S., Abb., geb., 99,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Wesentliche sieht man nicht: Johannes Grave deutet Caspar David Friedrichs Gemälde und Zeichnungen in überzeugender Weise als Bildkritik mit bildnerischen Mitteln.
Dieses Buch hat Gewicht. Von der Sorte auch, die einen bei Büchern derart misstrauisch stimmt, dass man sie gleich der Kategorie der Coffee Table Books zuordnet. Kaum ein Buch hat jedoch diese Zuschreibung so wenig verdient wie die Studie von Johannes Grave über Caspar David Friedrich. So üppig die Aufmachung, so sympathisch bescheiden der Gestus, mit dem Grave diese mit einer Fülle an erhellenden Einsichten gespickte Monographie verfasst hat. Viel ist geforscht worden zu Friedrichs enigmatischem Werk, das in seiner Obsession für das Karge durchaus beklemmende Seiten hat: von den frühen motivgeschichtlichen Untersuchungen von Helmut Börsch-Supan bis zu den filigranen, Theologie und Ästhetik verschränkenden Bildanalysen von Werner Busch. Grave fügt diesen Erträgen einen neuen Aspekt hinzu, der das gesamte Werk in einem anderen Licht erscheinen lässt: als einen gemalten Kommentar zur Kritik am Bild, wie sie protestantischen Kulturen eigen ist, und zwar mit den spezifischen Mitteln des Bildes.
Das hört sich komplizierter an, als es ist, und es gelingt Grave, diese theologisch wie kunsttheoretisch anspruchsvolle Denkfigur in wunderbar klarer Sprache zu vermitteln. Das Misstrauen gegen die Bilder ist älter als der Protestantismus; es hat ikonoklastische Bewegungen seit der Antike gespeist. Dabei geht es immer um die Gefahr, falsch zu verehren, nämlich ein Bild, das eben nicht ist, was es zeigt, etwas Göttliches. Und so laufen wir Gefahr, ein bemaltes Stück Holz oder Tuch anzubeten und damit, so die Sorge der Bilderfeinde, wie "Heiden" und "Primitive" Aberglauben oder Fetischismus zu frönen.
Sozialisiert in einer lutherisch geprägten Umgebung und selbst innig glaubend, hat sich Friedrich diesem Problem offensiv gestellt. Statt uns seine stets von Transzendenzbegehren genährten Gegenstände zur einfühlenden Betrachtung vor Augen zu stellen, lässt der Maler Entzug regieren. Wir sehen gerade nicht, was wir zu sehen oder zumindest zu spüren wünschen, nämlich die Gegenwart Gottes im Irdischen. Die verheißungsvollen Rätsel werden auch bei genauer Betrachtung nicht aufgelöst und in Offenbarung verwandelt. Im Gegenteil: Lässt man sich intensiv und nahsichtig auf die Bilder ein, zerfällt das Ganze, und was wir sehen, sind die Machart und die Materialität der Darstellung. Keine Täuschungsmanöver also im Dienste einer falschen und fehlleitenden Offenbarung, sondern Offenlegung der Bedingungen der Möglichkeit, das Undarstellbare darzustellen.
Es ist nun wiederum der Darstellungskunst des Verfassers zu verdanken, dass diese Überlegungen sich nicht im Abstrakten verlieren, sondern anschaulich und überzeugend aus den Bildanalysen entwickelt werden. Die Studie folgt den biographischen Stationen und macht die enge Verwobenheit von künstlerischer und persönlicher Entwicklung deutlich, ohne je ins Psychologisieren zu geraten. Gleich zu Beginn wird aufgeräumt mit falschen Bildern, nicht mit Fälschungen, wie Grave mit Blick auf die jüngeren Kunstskandale augenzwinkernd anmerkt, sondern mit viel gravierenderen Formen des Falschen. Klargestellt wird, dass Friedrich keineswegs naiv und in sich gekehrt vor sich hingearbeitet, sondern vielmehr äußerst aktiv versucht hat, seine Karriere zu befördern. So hat er immer wieder Probestücke nach Weimar geschickt, nicht nur an Goethe, dessen Urteil ihm wichtig war, sondern auch an den Hof, um damit die Chancen auf prestigeträchtige Ankäufe zu erhöhen. Auch stand der so deutsche Maler keineswegs von Anfang an auf Kriegsfuß mit den Franzosen. Porträts belegen einen regen Austausch, der erst mit der napoleonischen Besetzung und Friedrichs vehementem Patriotismus ein Ende fand.
Wie wichtig und prägend die frühen Jahre waren, macht Grave an Schriftblättern deutlich. Text und bildliche Elemente werden in ihnen nicht aufeinander abgestimmt, sondern treten in ein Konkurrenzverhältnis. So ist ein zu Mäßigung aufrufender Text von reicher Ornamentik umwuchert. Grave deutet diesen Konflikt als produktiven Umgang mit der Konkurrenz von Lesen und Sehen, die für Friedrichs Kritik der Kritik am Bild entscheidend ist. Eindringlich wird das vorgestellt in der genauen Betrachtung einer programmatischen Kreidezeichnung, die eine alte Frau mit Sanduhr und Buch zeigt. Aufgeschlagen ist ein Vers aus dem Johannesevangelium, die Geschichte vom ungläubigen Thomas, die ein kritischer Kommentar zum Wunsch nach Sehen als Akt der Wahrheitsfindung ist. Doch durch die Art, wie der Künstler die Schrift, deren Lektüre den richtigen Weg zum Heil weisen soll, in das Bild integriert, wird die Kritik am Sehen in eine Aufforderung nach differenzierterem Umgang mit Sichtbarkeit verwandelt. Die Schrift ist so klein, dass man sie nur aus der Nähe entziffern kann. Hält man sich die Zeichnung aber dicht vor Augen, dann treten die Linien zugleich in ihrem graphischen Eigenwert hervor. Gerade die Fokussierung auf die Schrift führt zu einer Verunsicherung dessen, was da eigentlich zu sehen ist. Die Präsenz des Bildes, die Materialität der Zeichnung, macht die Form der Darstellung bewusst und überlagert den Gegenstand. Dass diese Argumentation so gut nachvollziehbar ist, verdankt sich auch der hervorragenden Qualität der Abbildungen. Umso bedauerlicher ist es, dass manche Bilder über zwei Seiten gestreckt oder aber größer abgebildet werden, als sie im Original sind.
Anhand der berühmten Landschaftsbilder macht Grave deutlich, in welchem Maß diese elaborierte Form der Bildkritik im gesamten OEuvre gegenwärtig ist. Nirgendwo gibt es einen klaren Standort für den Betrachter in der festgefügten Ordnung der Landschaftsräume, und es führt auch kein Weg in imaginäre Bildtiefen. Vielmehr beharren diese Landschaften, denen oftmals auch die klassische Rahmung durch Bäume oder Felsen an den Rändern fehlt, auf ihrer unzugänglichen Flächigkeit. Grave verfällt jedoch nicht der Verführung, angesichts dieses Insistierens auf der Fläche einen Hurra-Diskurs über Autonomie und Modernität in den Bildern Friedrichs anzustimmen. Die Ortlosigkeit des Betrachters und die Unzugänglichkeit des Bildes werden als Reflexion theologischer Fragen mit bildnerischen Mitteln betrachtet.
Immer wieder sind Friedrichs Bilder der Ästhetik des Erhabenen zugeordnet worden, die sich in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entfaltete. Das Erhabene ist, zumindest in Kants wirkmächtiger Definition, keine Eigenschaft des Gegenstandes, sondern eine Erfahrung des Betrachters. Sie wird hervorgerufen durch Gegenstände, die uns durch schiere Größe oder andere Formen der Unfassbarkeit sinnlich überwältigen und Unlust bereiten. Erst die Erhebung der Geisteskräfte über die Sinne führt zu einem Lustgefühl, das letzten Endes Selbstgenuss ist. Diese Lust aber gewähren, so die überzeugende These Graves, die Bilder von Friedrich gerade nicht. Es gebe keine Auflösung der Unlust, sondern ein Beharren auf Verstörung des Betrachters und auf Unzugänglichkeit der Bilder. Ein Bild wie "Der Mönch am Meer" sei keine Veranschaulichung erhabener Erfahrung, sondern deren Kritik, als einer Hybris nämlich, die menschliche Grenzen nicht respektiere.
Auch der "Wanderer über dem Nebelmeer" erfährt eine neue Lesart. Schon Joseph Leo Koerner hatte sich gegen die These ausgesprochen, dass Rückenfiguren immer auch Stellvertreter des Betrachters seien, die diesem einen Ort im Bild und in der dargestellten Landschaft geben. Grave spitzt, mit Niklas Luhmann im Gepäck, diese Überlegung zu auf das Thema des Sichtbarmachens, das immer auch bedeutet, dass etwas anderes unsichtbar wird. So auch in Friedrichs Bild, denn was der Wanderer sieht, ist uns in großen Teilen versperrt durch die Figur des Wanderers selbst. Es geht also nicht um die Anschauung des Unendlichen im Endlichen, denn das bleibt uns entzogen. Es geht, wie an all diesen so unterschiedlichen Bildern deutlich wird, um das Sehen selbst, um seine Potenz, seine Bedingungen und seine Grenzen, und zwar im Zeichen des Kreuzes.
BEATE SÖNTGEN
Johannes Grave: "Caspar David Friedrich".
Prestel Verlag, München 2012. 225 S., Abb., geb., 99,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wer hätte gedacht, dass der Friedrich-Literatur noch etwas maßgeblich Neues hinzugefügt werden könnte? Beate Söntgen zeigt sich angenehm überrascht, allerdings nicht nur von Johannes Graves Blick auf das Werk Caspar David Friedrichs als eines gemalten kritischen Kommentars zur Bildkritik und bildnerisches Wälzen theologischer Fragen (etwa durch die prinzipielle Ortlosigkeit des Betrachters), sondern ebenso von Graves bescheidenem Gestus und seiner Fähigkeit, eine kompliziert scheinende Denkfigur aus einzelnen Bildanalysen zu entwickeln und sprachlich klar darzustellen. Eine Menge falscher Bilder und Vorstellungen zum Werk Friedrichs kann der Autor damit aus dem Weg räumen, unterstützend wirken laut Söntgen dabei die Abbildungen, meist in hervorragender Qualität, wie sie schreibt. Eine gewichtige Monografie, kein Coffee Table Book, meint die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH