Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.09.2007Der Feind ist der Krieg
Joseph Heller: „Catch 22”
Mit dem Zorn des Achilles beginnt Homer die Ilias, das große Epos vom Trojanischen Krieg, in dem die Griechen zehn Jahre lang und zehn Jahre lang vergeblich das hochgebaute Ilion berannten. Da der Krieg angeblich der Vater aller Dinge ist, wurde diese Heldengeschichte die Mutter aller weiteren Heldensagen, und der Krieg die schönste Möglichkeit, in der sich ein Mann als Mann und folglich als Held bewähren konnte. Wenn er draufging dabei, um so besser für die Geschichte. Der gekränkte Achill weigert sich zunächst, in die Schlacht zu ziehen, lässt sich dann aber doch überreden und stirbt sogleich, der Held. Als Alexander seinen Feldzug gegen die Perser begann, opferte er am Grab des großen Gefallenen und tat das Seine, um die Geschichte der Kriege zu verlängern. Am Ende dieser Geschichte steht Joseph Hellers Roman „Catch 22”.
Yossarian ist während des Zweiten Weltkriegs als Bomberpilot auf einer kleinen Insel im Mittelmeer stationiert. Niemand wird daran zweifeln, dass er den guten Kampf kämpft, wenn er mithilft, die deutschen Truppen zurückzudrängen. In dem Roman tritt jedoch kein Deutscher auf, der Feind ist der Krieg selber, der Wahnsinn, den er produziert, und die Logik, mit der er seine Leute vernichtet. „Wer sich vor dem Einsatz an der Front drücken will, kann nicht verrückt sein”, lautet die Parole für Yossarian, doch um in einer verrückten Welt zu überleben, bleibt einem am Ende doch nichts anderes übrig, als selber verrückt zu werden. Yossarian, der Intellektuelle, der Philosoph, dieser hochmoderne Held, gibt sich redlich Mühe.
„Catch 22” erschien 1961 und fiel zunächst nicht weiter auf. Der Autor hatte sich bis dahin als Werbetexter und mit bescheidenen Lehraufträgen durchgebracht. Je mehr allerdings der Vietnamkrieg eskalierte, je mehr College-Absolventen in dieses verrückte und ausschließlich politisch begründete Unternehmen geschickt wurden, desto weiter verbreitete sich der Ruhm des Romans und seiner raffinierten Logik. Es war die Zeit der Paradoxa, die Zeit, in der Bob Dylan erklärte, wer gesetzlos sein wolle, müsse vor allem ehrlich sein. Der Weltkriegs-Veteran Heller behauptete später, er hätte seinen Roman nicht ohne Jaroslav Hašeks „Braven Soldat Schwejk” schreiben können, doch er geht viel weiter. Der Krieg ist kein Abenteuer mehr, in dem man sich als Schlitzohr schon irgendwie durchmogeln kann. Wer bei diesem Wahnsinn mitmacht, ist verrückt, denn wer bei Verstand ist, käme nie auf die Idee, sich freiwillig in den Krieg zu stürzen. Wer also bei Verstand bleiben will, so der logische Schluss, muss schon ziemlich verrückt sein. Krieg ist die reine Paranoia, aber manchmal hat der Paranoiker Recht, und Yossarian ist der Vater aller echten Helden. WILLI WINKLER
Joseph Heller Foto: dpa/SV-Bilderdienst
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Joseph Heller: „Catch 22”
Mit dem Zorn des Achilles beginnt Homer die Ilias, das große Epos vom Trojanischen Krieg, in dem die Griechen zehn Jahre lang und zehn Jahre lang vergeblich das hochgebaute Ilion berannten. Da der Krieg angeblich der Vater aller Dinge ist, wurde diese Heldengeschichte die Mutter aller weiteren Heldensagen, und der Krieg die schönste Möglichkeit, in der sich ein Mann als Mann und folglich als Held bewähren konnte. Wenn er draufging dabei, um so besser für die Geschichte. Der gekränkte Achill weigert sich zunächst, in die Schlacht zu ziehen, lässt sich dann aber doch überreden und stirbt sogleich, der Held. Als Alexander seinen Feldzug gegen die Perser begann, opferte er am Grab des großen Gefallenen und tat das Seine, um die Geschichte der Kriege zu verlängern. Am Ende dieser Geschichte steht Joseph Hellers Roman „Catch 22”.
Yossarian ist während des Zweiten Weltkriegs als Bomberpilot auf einer kleinen Insel im Mittelmeer stationiert. Niemand wird daran zweifeln, dass er den guten Kampf kämpft, wenn er mithilft, die deutschen Truppen zurückzudrängen. In dem Roman tritt jedoch kein Deutscher auf, der Feind ist der Krieg selber, der Wahnsinn, den er produziert, und die Logik, mit der er seine Leute vernichtet. „Wer sich vor dem Einsatz an der Front drücken will, kann nicht verrückt sein”, lautet die Parole für Yossarian, doch um in einer verrückten Welt zu überleben, bleibt einem am Ende doch nichts anderes übrig, als selber verrückt zu werden. Yossarian, der Intellektuelle, der Philosoph, dieser hochmoderne Held, gibt sich redlich Mühe.
„Catch 22” erschien 1961 und fiel zunächst nicht weiter auf. Der Autor hatte sich bis dahin als Werbetexter und mit bescheidenen Lehraufträgen durchgebracht. Je mehr allerdings der Vietnamkrieg eskalierte, je mehr College-Absolventen in dieses verrückte und ausschließlich politisch begründete Unternehmen geschickt wurden, desto weiter verbreitete sich der Ruhm des Romans und seiner raffinierten Logik. Es war die Zeit der Paradoxa, die Zeit, in der Bob Dylan erklärte, wer gesetzlos sein wolle, müsse vor allem ehrlich sein. Der Weltkriegs-Veteran Heller behauptete später, er hätte seinen Roman nicht ohne Jaroslav Hašeks „Braven Soldat Schwejk” schreiben können, doch er geht viel weiter. Der Krieg ist kein Abenteuer mehr, in dem man sich als Schlitzohr schon irgendwie durchmogeln kann. Wer bei diesem Wahnsinn mitmacht, ist verrückt, denn wer bei Verstand ist, käme nie auf die Idee, sich freiwillig in den Krieg zu stürzen. Wer also bei Verstand bleiben will, so der logische Schluss, muss schon ziemlich verrückt sein. Krieg ist die reine Paranoia, aber manchmal hat der Paranoiker Recht, und Yossarian ist der Vater aller echten Helden. WILLI WINKLER
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