Von allem Anfang an war mir klar, daß ich in etwas Schweres hineinging, daß es sich um keine Liebschaft der Art handeln konnte, deren Ort, Namen, Umstände, wenn ihre Zeit vorbei war, man leicht vergessen könnte. Brigitta Eisenreich
Als Paul Celan Brigitta Eisenreich kennenlernt, hat sie ihre österreichische Heimat und ihre katholische Umgebung verlassen und lebt als Au-pair-Mädchen und Studentin in Paris. Sie ist 25, Celan 33 Jahre alt. Die zehnjährige Beziehung beginnt kurz nachdem Celan Ende 1952 Gisèle de Lestrange geheiratet hat. Bei der Geliebten findet Celan, der im Alltag Französisch spricht, die Sprache seiner Mutter wieder. Sprach- und Liebesakt werden eins in vieler Hinsicht ist Brigitta Celans deutsche Frau in Paris.
Diese Liebesbeziehung ist eine der längsten und verborgensten Celans: fast keine Briefe, in den Büchern Widmungssternchen, ein Kreidestern auf der Schiefertafel an der Tür, wenn Celan Brigitta nicht antrifft. Man liest zusammen oder findet sich zu einem festlichen Mahl. Celan schenkt Brigitta Bücher, ein Buch etwa über Erotik in der jüdischen Mystik, er möchte sie zu einer Herzens-Jüdin machen.
Es ist die Lektüre der Briefwechsel Celans mit seiner Frau Gisèle und mit Ingeborg Bachmann, die Brigitta Eisenreichs persönlichste Erinnerungen an Paul Celan auslöst und sie selbst zum Schreiben bringt. Aus der Intensität dieses Erinnerns öffnet sich ein neuer Blick auf Celans Werk und sein Leben, auf die Strahlkraft ebenso wie auf die Gegensätze und das Rätsel seines Wesens.
Als Paul Celan Brigitta Eisenreich kennenlernt, hat sie ihre österreichische Heimat und ihre katholische Umgebung verlassen und lebt als Au-pair-Mädchen und Studentin in Paris. Sie ist 25, Celan 33 Jahre alt. Die zehnjährige Beziehung beginnt kurz nachdem Celan Ende 1952 Gisèle de Lestrange geheiratet hat. Bei der Geliebten findet Celan, der im Alltag Französisch spricht, die Sprache seiner Mutter wieder. Sprach- und Liebesakt werden eins in vieler Hinsicht ist Brigitta Celans deutsche Frau in Paris.
Diese Liebesbeziehung ist eine der längsten und verborgensten Celans: fast keine Briefe, in den Büchern Widmungssternchen, ein Kreidestern auf der Schiefertafel an der Tür, wenn Celan Brigitta nicht antrifft. Man liest zusammen oder findet sich zu einem festlichen Mahl. Celan schenkt Brigitta Bücher, ein Buch etwa über Erotik in der jüdischen Mystik, er möchte sie zu einer Herzens-Jüdin machen.
Es ist die Lektüre der Briefwechsel Celans mit seiner Frau Gisèle und mit Ingeborg Bachmann, die Brigitta Eisenreichs persönlichste Erinnerungen an Paul Celan auslöst und sie selbst zum Schreiben bringt. Aus der Intensität dieses Erinnerns öffnet sich ein neuer Blick auf Celans Werk und sein Leben, auf die Strahlkraft ebenso wie auf die Gegensätze und das Rätsel seines Wesens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2010Sprich, Schublade, sprich
Brigitta Eisenreich war viele Jahre die Geliebte von Paul Celan. Dass der Dichter der "Todesfuge" im Leben wie in der Literatur ein großer Liebender war, das zeigt überzeugend der Bericht "Celans Kreidestern".
Von der ehemaligen Geliebten eines berühmten Dichters, die erst ein halbes Jahrhundert später ins Licht der literarischen Öffentlichkeit tritt, könnte man eine Fuhre Allzumenschliches erwarten. Die einundachtzigjährige Brigitta Eisenreich erhebt subtilere Ansprüche. In die vielbearbeiteten Claims der Celan-Philologie dringt sie ein und sagt: Ich war's! Ihr habt es nur noch nicht gewusst.
Wer ist diese Frau? 1928 wurde sie in Linz geboren, als spätes Kind von Eltern, die noch in der Habsburgermonarchie des neunzehnten Jahrhunderts groß geworden waren. Einleitend schildert sie ihre Jugend, überschattet von Diktatur und Krieg, ihre Annäherung an katholische Widerstandskreise. 1951 begann sie ein neues Leben in Paris, zunächst als Au-pair-Mädchen mit Zimmer unterm Dach eines Bürgerhauses. Dann studierte sie Anthropologie; später arbeitete sie als Afrikanistin und forschte zur Wissenschaftsgeschichte der Ethnologie.
Im Frühjahr 1952 machte sie ihr Bruder, der Schriftsteller Herbert Eisenreich, in einer flanierfreudigen "Nacht voller Zauber" mit dem zweiunddreißigjährigen Paul Celan bekannt, der damals im Quartier Latin lebte. Die Beziehung kam ein Jahr später in Gang; inzwischen hatte Celan, der dem Holocaust knapp entronnene Dichter aus der Bukowina, die wohlhabende Gisèle de Lestrange geheiratet und sich dadurch gewissermaßen das Heimatrecht in Frankreich verschafft. Eines Abends stand er vor dem Bürgerhaus und pfiff Brigitta Eisenreich herunter, mit einem Motiv aus Schuberts "Unvollendeter". Kurz zuvor war sein erster Sohn nach schwerer Geburt gestorben; womöglich suchte er Trost, Ablenkung, Zuflucht.
Neun Jahre verband die beiden eine mehr oder weniger "heimliche" Liebe. Celan sei "ein Verführer" gewesen, mit einem "Repertorium an Zauberkünsten", schreibt Eisenreich. Und sie selbst hatte dem durchaus etwas entgegenzusetzen: "Mir war bewusst, dass die starke physische Anziehung, die Celan für mich empfand, ihn beunruhigte." Aber warum begnügt sich eine junge Frau so lange mit der Rolle einer Nebenbei-Geliebten? Sie spürte offenbar, dass dieses Verhältnis Epoche machen würde - in ihrem Leben und nun auch in der Literaturgeschichte.
In den Albträumen von Celans Frau war sie der Schrecken
Gelegentlich ist in bei ihr noch heute Rivalität zu spüren, vor allem gegenüber der anderen Geliebten, der Großdichterin - Ingeborg Bachmann. Wie konnte Celan seiner Frau diese "letzten Endes entgleiste Passion" zumuten? "Ich persönlich fand Bachmanns Gedichte spröde ... Aber ich glaube nicht, dass ich das Celan sofort sagte, sondern erst viel später. Er meinte dann dazu, dass sie, als Person, wirklich sehr eindrucksvoll und charmant sei." Im Übrigen verschweigt sie nicht, dass Gisèle Celan-Lestrange Albträume protokollierte, in denen sie selbst, Brigitta Eisenreich, der Schrecken war (im Anhang nachzulesen). Immerhin, für den Freund der Frauen sei das Verhältnis zu ihr die "unbeschwerteste unter allen seinen damaligen Verbindungen" gewesen. Da ist der Musen-Verdacht hoch.
Das hassgeliebte Deutsch war für Celan die Sprache der ermordeten Mutter und die Sprache der Mörder. In Paris fehlte ihm "das alltägliche Sprachbad im gesprochenen Wort". Da traf es sich gut, dass Brigitta Eisenreich die "lingua austriaca" wie einst die Mutter im Mund führte. Bei ihr konnte Celan sich aussprechen wie bei keiner anderen. Detailliert rekonstruiert sie die Themen. Mit welchen Lektüren, Buchgeschenken, noch unveröffentlichten Gedichten, mit welchen neuen Wort-Schätzen kam er hinauf ins Liebeszimmer? "Himmelsschüssel", "Honigschwaden" - vieles, was sie am Ende der Nacht dem Notizbuch anvertraute, konnte sie später in seinen Büchern wiederfinden.
Celan hat in seinen Werken, nicht nur den Jahrhundertversen der "Todesfuge", das Gedicht nach Auschwitz im emphatischen Sinn möglich gemacht. Dass er zugleich in Leben und Literatur ein großer Liebender war - das ist die Richtigstellung, die Eisenreich wider den einseitig verstandenen Celan geltend macht. Zugleich meldet sie eigene Rechte an, und das macht ihr Buch noch interessanter. Celans Lyrik wird ihr zum Spiegel. "Zum Beispiel war ich eitel genug, ,dies späte, späte Licht' im Gedicht ,Ich weiß' auf mein von unten her sichtbar erleuchtetes Fenster zu projizieren." Sie beschreibt, wie man von ihrem Zimmer in ein anderes Fenster schauen konnte, wo ein unermüdlicher Leser bei der Lampe saß. "Ein Bild, das in meinem Bewusstsein auftaucht, wenn ich mir den Vers ,Wer mit der Lampe allein ist' aus dem Gedichtzyklus ,Stimmen' in Erinnerung rufe, obgleich ein reeller Zusammenhang zwischen dem vielschichtigen Gedicht aus ,Sprachgitter' und der von meinem Zimmer aus wahrgenommenen Tatsache nicht wahrscheinlich ist." Man kann auch etwas behaupten, indem man es in Frage stellt.
Das Gedicht "Schuttkahn" hat ebenfalls die gewisse Eisenreich-Haltigkeit; das Wort sei ihre Bezeichnung für die Lastkähne auf der Seine gewesen. Sie schließt auch nicht aus, dass sich der "Brotpfeil" im Gedicht "La Contrescarpe" auf ein Baguette-Sandwich bezieht, das sie bei einem von Celan erzwungenen gemeinsamen Abend mit Gisèle verzehrt habe. Ein andermal bleibt beim gemeinsamen Musikhören die Nadel des Plattenspielers mitten im Gesang hängen - der Moment finde sich, poetisch sublimiert, im Gedicht "Benedicta" wieder. Das sind nur einige Beispiel für die geheime Kommunikation der Liebenden, die nun lesbar wird in den Gedichten Celans; eine weitere Chiffrenspur. Wenn er die Freundin nicht zu Hause vorfand, zeichnete er auf die Schiefertafel neben der Tür einen kleinen Stern. "Der ,Kreidestern' des Gedichts ,À la pointe acérée' dürfte sich darauf beziehen", deutet die Philologin in eigener Sache. Auch sie hat damals Gedichte geschrieben; "Übungen" für die Schublade. Aber nun heißt es: Sprich, Schublade, sprich. Im Anhang sind einige Texte erstmals veröffentlicht - bei Ton und Motivik ist die Celan-Nähe unüberhörbar. Als bloße Epigonenbemühung will die Autorin ihre Gedichte aber nicht verstanden wissen. Der Freund habe an ihren "Wortfügungen mitunter Gefallen gefunden". Mehr noch: "Du schreibst mir alles weg. Ich sollte deine Gedichte nicht lesen. Alles, was so in mir umgeht, es steht schon da." So Celan, nach Auskunft von Eisenreichs damaligem Notizbuch - und sie führt manches auf, was aus ihren Gedichten in seine gewandert sei.
Man liest seine Gedichte jetzt mit anderen Augen
Ausführlich beschäftigt sie sich mit dem Gedicht "Radix, Matrix", weil Celan hier ein Geschehen verarbeitete, das sie ihm ausführlich berichtet habe: den Todesmarsch jüdischer Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mauthausen im April 1945. Sie beobachtete als zufällige Zeugin auf dem Fahrrad fassungslos, wie die Bewohner der Dörfer "schleunigst Fenster und Türen schlossen", wie die erschöpften Menschen im Gras nach essbaren Blättern suchten und wie am Abend die Leichen den Weg säumten. Man liest das Gedicht jetzt mit anderen Augen: Das große "Du" der "Verschwisterten" - es bezöge sich demnach auf Brigitta Eisenreich.
Während sie sich in kanonische Werke der deutschen Lyrik einschreibt, fühlt man sich fast an Charles Kinbote erinnert, die exzentrische Erzählerfigur in Vladimir Nabokovs Philologen-Roman "Fahles Feuer". Als Herausgeber eines epischen Langgedichts nimmt sich Kinbote die Freiheit, in den fremden Versen Anspielungen auf die eigene enterbte Existenz zu entdecken: Sekundärliteratur als trügerisches Spiegelkabinett. Während Kinbote jedoch seinen Wahn zur Methode macht, sind die Auskünfte Eisenreichs glaubwürdig, auch wenn sie sich bisweilen wie ein Roman von Nabokov lesen. Auch bei ihr ist die große Sehnsucht zu spüren, das eigene Leben im Werk eines anderen wiederzufinden und in die literarische Transzendenz hinüberzuretten.
Die Leidensmotive von Celans letztem Lebensjahrzehnt, beginnend mit den Verleumdungen und Plagiatsbeschuldigungen Claire Golls, erfährt man hier nicht als trocken rekonstruierte Literaturbetriebsaffäre, sondern aus teilnehmender, irritierter Nähe. Bald sieht sich Celan umstellt: überall Treuebrüche, bösartige Rezensionen und die Fratze des Antisemitismus. Bei Besuchen bringt er stapelweise deutsche Zeitungen mit, "auf der Suche nach neuen Stellungnahmen und neuem Verrat". Auch gegen Brigitta Eisenreich richtet er Vorwürfe. "Seine Rede war heftig und aggressiv, schließlich stieß er mich und zerrte an mir, als ob er etwas wollte, was ich nicht verstehen konnte." Der Mann vieler Verhältnisse unterstellt ihr eine Affäre mit einem seiner Freunde. Als sie widerspricht, bezeichnet er sie als "Lügnerin". Und er wirft ihr vor, dass sie keine klare Haltung zum Antisemitismus einnehme. Sein schroffes Verhalten treibt sie zu Tränen, worauf er nur noch bizarrer reagiert: "Ein Jude weint nicht!" Gerade weil sie keine Jüdin ist, fordert er sie auf: "Verjude doch!" Celans Begriff des "Verjudens" ist eine radikale Umwertung: von der bösartigsten Diskriminierung zum uneingeschränkten Solidaritätsappell. Eisenreich bleibt hinter der Forderung zurück, fühlt sich verstoßen. Der späte Celan, gepeinigt von Paranoia und einem "Delirium der Melancholie", ist fremd geworden.
Mit der eigenwilligen Engführung von Biographie und Philologie eröffnet "Celans Kreidestern" einen faszinierenden Seiteneingang ins Werk eines Dichters, der als hochschwierig und "hermetisch" gilt. In den letzten Jahren sind durch die Veröffentlichung wichtiger Briefwechsel und die erste kommentierte Gesamtausgabe der Gedichte viele konkrete biographische Hintergründe deutlicher geworden. Keine Rede mehr von "reinen Kunstwerken"; stattdessen überall die raffinierteste Umschrift von Leben ins Gedicht. "Mein letztes Buch wird überall für verschlüsselt gehalten", schrieb der späte Celan in einem Brief. "Glauben Sie mir - jedes Wort ist mit direktem Wirklichkeitsbezug geschrieben." Brigitta Eisenreichs Buch der Bezüge macht diese Auskunft noch überzeugender.
WOLFGANG SCHNEIDER
Brigitta Eisenreich: "Celans Kreidestern". Ein Bericht. Mit Briefen und anderen unveröffentlichten Dokumenten. Unter Mitwirkung von Bertrand Badiou. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2010. 266 S., geb., 22,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Brigitta Eisenreich war viele Jahre die Geliebte von Paul Celan. Dass der Dichter der "Todesfuge" im Leben wie in der Literatur ein großer Liebender war, das zeigt überzeugend der Bericht "Celans Kreidestern".
Von der ehemaligen Geliebten eines berühmten Dichters, die erst ein halbes Jahrhundert später ins Licht der literarischen Öffentlichkeit tritt, könnte man eine Fuhre Allzumenschliches erwarten. Die einundachtzigjährige Brigitta Eisenreich erhebt subtilere Ansprüche. In die vielbearbeiteten Claims der Celan-Philologie dringt sie ein und sagt: Ich war's! Ihr habt es nur noch nicht gewusst.
Wer ist diese Frau? 1928 wurde sie in Linz geboren, als spätes Kind von Eltern, die noch in der Habsburgermonarchie des neunzehnten Jahrhunderts groß geworden waren. Einleitend schildert sie ihre Jugend, überschattet von Diktatur und Krieg, ihre Annäherung an katholische Widerstandskreise. 1951 begann sie ein neues Leben in Paris, zunächst als Au-pair-Mädchen mit Zimmer unterm Dach eines Bürgerhauses. Dann studierte sie Anthropologie; später arbeitete sie als Afrikanistin und forschte zur Wissenschaftsgeschichte der Ethnologie.
Im Frühjahr 1952 machte sie ihr Bruder, der Schriftsteller Herbert Eisenreich, in einer flanierfreudigen "Nacht voller Zauber" mit dem zweiunddreißigjährigen Paul Celan bekannt, der damals im Quartier Latin lebte. Die Beziehung kam ein Jahr später in Gang; inzwischen hatte Celan, der dem Holocaust knapp entronnene Dichter aus der Bukowina, die wohlhabende Gisèle de Lestrange geheiratet und sich dadurch gewissermaßen das Heimatrecht in Frankreich verschafft. Eines Abends stand er vor dem Bürgerhaus und pfiff Brigitta Eisenreich herunter, mit einem Motiv aus Schuberts "Unvollendeter". Kurz zuvor war sein erster Sohn nach schwerer Geburt gestorben; womöglich suchte er Trost, Ablenkung, Zuflucht.
Neun Jahre verband die beiden eine mehr oder weniger "heimliche" Liebe. Celan sei "ein Verführer" gewesen, mit einem "Repertorium an Zauberkünsten", schreibt Eisenreich. Und sie selbst hatte dem durchaus etwas entgegenzusetzen: "Mir war bewusst, dass die starke physische Anziehung, die Celan für mich empfand, ihn beunruhigte." Aber warum begnügt sich eine junge Frau so lange mit der Rolle einer Nebenbei-Geliebten? Sie spürte offenbar, dass dieses Verhältnis Epoche machen würde - in ihrem Leben und nun auch in der Literaturgeschichte.
In den Albträumen von Celans Frau war sie der Schrecken
Gelegentlich ist in bei ihr noch heute Rivalität zu spüren, vor allem gegenüber der anderen Geliebten, der Großdichterin - Ingeborg Bachmann. Wie konnte Celan seiner Frau diese "letzten Endes entgleiste Passion" zumuten? "Ich persönlich fand Bachmanns Gedichte spröde ... Aber ich glaube nicht, dass ich das Celan sofort sagte, sondern erst viel später. Er meinte dann dazu, dass sie, als Person, wirklich sehr eindrucksvoll und charmant sei." Im Übrigen verschweigt sie nicht, dass Gisèle Celan-Lestrange Albträume protokollierte, in denen sie selbst, Brigitta Eisenreich, der Schrecken war (im Anhang nachzulesen). Immerhin, für den Freund der Frauen sei das Verhältnis zu ihr die "unbeschwerteste unter allen seinen damaligen Verbindungen" gewesen. Da ist der Musen-Verdacht hoch.
Das hassgeliebte Deutsch war für Celan die Sprache der ermordeten Mutter und die Sprache der Mörder. In Paris fehlte ihm "das alltägliche Sprachbad im gesprochenen Wort". Da traf es sich gut, dass Brigitta Eisenreich die "lingua austriaca" wie einst die Mutter im Mund führte. Bei ihr konnte Celan sich aussprechen wie bei keiner anderen. Detailliert rekonstruiert sie die Themen. Mit welchen Lektüren, Buchgeschenken, noch unveröffentlichten Gedichten, mit welchen neuen Wort-Schätzen kam er hinauf ins Liebeszimmer? "Himmelsschüssel", "Honigschwaden" - vieles, was sie am Ende der Nacht dem Notizbuch anvertraute, konnte sie später in seinen Büchern wiederfinden.
Celan hat in seinen Werken, nicht nur den Jahrhundertversen der "Todesfuge", das Gedicht nach Auschwitz im emphatischen Sinn möglich gemacht. Dass er zugleich in Leben und Literatur ein großer Liebender war - das ist die Richtigstellung, die Eisenreich wider den einseitig verstandenen Celan geltend macht. Zugleich meldet sie eigene Rechte an, und das macht ihr Buch noch interessanter. Celans Lyrik wird ihr zum Spiegel. "Zum Beispiel war ich eitel genug, ,dies späte, späte Licht' im Gedicht ,Ich weiß' auf mein von unten her sichtbar erleuchtetes Fenster zu projizieren." Sie beschreibt, wie man von ihrem Zimmer in ein anderes Fenster schauen konnte, wo ein unermüdlicher Leser bei der Lampe saß. "Ein Bild, das in meinem Bewusstsein auftaucht, wenn ich mir den Vers ,Wer mit der Lampe allein ist' aus dem Gedichtzyklus ,Stimmen' in Erinnerung rufe, obgleich ein reeller Zusammenhang zwischen dem vielschichtigen Gedicht aus ,Sprachgitter' und der von meinem Zimmer aus wahrgenommenen Tatsache nicht wahrscheinlich ist." Man kann auch etwas behaupten, indem man es in Frage stellt.
Das Gedicht "Schuttkahn" hat ebenfalls die gewisse Eisenreich-Haltigkeit; das Wort sei ihre Bezeichnung für die Lastkähne auf der Seine gewesen. Sie schließt auch nicht aus, dass sich der "Brotpfeil" im Gedicht "La Contrescarpe" auf ein Baguette-Sandwich bezieht, das sie bei einem von Celan erzwungenen gemeinsamen Abend mit Gisèle verzehrt habe. Ein andermal bleibt beim gemeinsamen Musikhören die Nadel des Plattenspielers mitten im Gesang hängen - der Moment finde sich, poetisch sublimiert, im Gedicht "Benedicta" wieder. Das sind nur einige Beispiel für die geheime Kommunikation der Liebenden, die nun lesbar wird in den Gedichten Celans; eine weitere Chiffrenspur. Wenn er die Freundin nicht zu Hause vorfand, zeichnete er auf die Schiefertafel neben der Tür einen kleinen Stern. "Der ,Kreidestern' des Gedichts ,À la pointe acérée' dürfte sich darauf beziehen", deutet die Philologin in eigener Sache. Auch sie hat damals Gedichte geschrieben; "Übungen" für die Schublade. Aber nun heißt es: Sprich, Schublade, sprich. Im Anhang sind einige Texte erstmals veröffentlicht - bei Ton und Motivik ist die Celan-Nähe unüberhörbar. Als bloße Epigonenbemühung will die Autorin ihre Gedichte aber nicht verstanden wissen. Der Freund habe an ihren "Wortfügungen mitunter Gefallen gefunden". Mehr noch: "Du schreibst mir alles weg. Ich sollte deine Gedichte nicht lesen. Alles, was so in mir umgeht, es steht schon da." So Celan, nach Auskunft von Eisenreichs damaligem Notizbuch - und sie führt manches auf, was aus ihren Gedichten in seine gewandert sei.
Man liest seine Gedichte jetzt mit anderen Augen
Ausführlich beschäftigt sie sich mit dem Gedicht "Radix, Matrix", weil Celan hier ein Geschehen verarbeitete, das sie ihm ausführlich berichtet habe: den Todesmarsch jüdischer Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mauthausen im April 1945. Sie beobachtete als zufällige Zeugin auf dem Fahrrad fassungslos, wie die Bewohner der Dörfer "schleunigst Fenster und Türen schlossen", wie die erschöpften Menschen im Gras nach essbaren Blättern suchten und wie am Abend die Leichen den Weg säumten. Man liest das Gedicht jetzt mit anderen Augen: Das große "Du" der "Verschwisterten" - es bezöge sich demnach auf Brigitta Eisenreich.
Während sie sich in kanonische Werke der deutschen Lyrik einschreibt, fühlt man sich fast an Charles Kinbote erinnert, die exzentrische Erzählerfigur in Vladimir Nabokovs Philologen-Roman "Fahles Feuer". Als Herausgeber eines epischen Langgedichts nimmt sich Kinbote die Freiheit, in den fremden Versen Anspielungen auf die eigene enterbte Existenz zu entdecken: Sekundärliteratur als trügerisches Spiegelkabinett. Während Kinbote jedoch seinen Wahn zur Methode macht, sind die Auskünfte Eisenreichs glaubwürdig, auch wenn sie sich bisweilen wie ein Roman von Nabokov lesen. Auch bei ihr ist die große Sehnsucht zu spüren, das eigene Leben im Werk eines anderen wiederzufinden und in die literarische Transzendenz hinüberzuretten.
Die Leidensmotive von Celans letztem Lebensjahrzehnt, beginnend mit den Verleumdungen und Plagiatsbeschuldigungen Claire Golls, erfährt man hier nicht als trocken rekonstruierte Literaturbetriebsaffäre, sondern aus teilnehmender, irritierter Nähe. Bald sieht sich Celan umstellt: überall Treuebrüche, bösartige Rezensionen und die Fratze des Antisemitismus. Bei Besuchen bringt er stapelweise deutsche Zeitungen mit, "auf der Suche nach neuen Stellungnahmen und neuem Verrat". Auch gegen Brigitta Eisenreich richtet er Vorwürfe. "Seine Rede war heftig und aggressiv, schließlich stieß er mich und zerrte an mir, als ob er etwas wollte, was ich nicht verstehen konnte." Der Mann vieler Verhältnisse unterstellt ihr eine Affäre mit einem seiner Freunde. Als sie widerspricht, bezeichnet er sie als "Lügnerin". Und er wirft ihr vor, dass sie keine klare Haltung zum Antisemitismus einnehme. Sein schroffes Verhalten treibt sie zu Tränen, worauf er nur noch bizarrer reagiert: "Ein Jude weint nicht!" Gerade weil sie keine Jüdin ist, fordert er sie auf: "Verjude doch!" Celans Begriff des "Verjudens" ist eine radikale Umwertung: von der bösartigsten Diskriminierung zum uneingeschränkten Solidaritätsappell. Eisenreich bleibt hinter der Forderung zurück, fühlt sich verstoßen. Der späte Celan, gepeinigt von Paranoia und einem "Delirium der Melancholie", ist fremd geworden.
Mit der eigenwilligen Engführung von Biographie und Philologie eröffnet "Celans Kreidestern" einen faszinierenden Seiteneingang ins Werk eines Dichters, der als hochschwierig und "hermetisch" gilt. In den letzten Jahren sind durch die Veröffentlichung wichtiger Briefwechsel und die erste kommentierte Gesamtausgabe der Gedichte viele konkrete biographische Hintergründe deutlicher geworden. Keine Rede mehr von "reinen Kunstwerken"; stattdessen überall die raffinierteste Umschrift von Leben ins Gedicht. "Mein letztes Buch wird überall für verschlüsselt gehalten", schrieb der späte Celan in einem Brief. "Glauben Sie mir - jedes Wort ist mit direktem Wirklichkeitsbezug geschrieben." Brigitta Eisenreichs Buch der Bezüge macht diese Auskunft noch überzeugender.
WOLFGANG SCHNEIDER
Brigitta Eisenreich: "Celans Kreidestern". Ein Bericht. Mit Briefen und anderen unveröffentlichten Dokumenten. Unter Mitwirkung von Bertrand Badiou. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2010. 266 S., geb., 22,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Sehr schön und gerade durch seine noble Sachlichkeit berührend findet Iris Radisch dieses Erinnerungsbuch der unbekannten Celan-Geliebten und Schwester des heute vergessenen Dichters Herbert Eisenreich, die sie in Paris besuchte. Deren Buch über die neun Jahre andauernde Beziehung zu Paul Celan sei durchdrungen vom Geist der Wissenschaftlerin, die Brigitta Eisenreich als Ethnologin auch sei. Nur sehr wenig sei von ihr selbst die Rede, von Büchern, die in der Beziehung eine Rolle spielten, umso mehr. Auch stützt diese sehr persönliche Publikation jene Celan-Interpreten, die dessen Lyrik biografisch grundiert lesen, wie Radisch schreibt. Auch eigene Lyrik von Brigitta Eisenreich aus jenen Jahren enthalte der Band, den Eisenreich den Informationen der Kritikerin zufolge nach der Publikation der Ehebriefe und der Bachmann-Korrespondenz geschrieben habe, da ihrer Ansicht nach die Geschichte wohl unvollständig sei, die eine Vierecksgeschichte war.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein sehr schönes, durch seine noble Sachlichkeit berührendes Buch.« Iris Radisch DIE ZEIT 20100415