Produktdetails
- Verlag: Zürich : Ammann
- ISBN-13: 9783250104704
- ISBN-10: 3250104701
- Artikelnr.: 10685762
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2003Die erglühende Windsbraut
Erstmals übersetzt: Die große Lyrikerin Alejandra Pizarnik
"Wenn dem Haus der Sprache das Dach davonfliegt und die Wörter keine Zuflucht sind, spreche ich." Wer mit Heidegger die Sprache als das Haus des Seins versteht und als das Amt des Dichters, die Dinge ins Wort zu rufen, weiß schwerlich etwas Schmerzlicheres zu verkünden. "Müde vom magischen Lärm der Vokale" zu sein bedeutet in diesem Licht keine überdrüssige Absage an Rimbauds Alchimie des Wortes, keinen nominalistischen Hohn auf die versagende Macht der Worte über die Dinge. Es beinhaltet die verzweifelte Erkenntnis, daß das Haus des Seins, in das man die Welt gerne rufen würde, allein als Ruine noch existiert. Wenig hilft es hier, Zuflucht im Glauben an das Individuum oder in einer Transzendenz zu suchen. Wer "Müde vom Warten auf das beiläufige Ich" ist und "Müde von Gott! Müde von Gott!", dem bleibt nur eine Rettung: Diesen hilflosen und dennoch nicht für tot erklärbaren Gott um "süße Wohnstatt für so viel Müdigkeit" zu bitten, um einen Weg aus dieser Absteige, in der wir gemäß Fernando Pessoa auf die Postkutsche des Todes warten. "So viel Leben, Herr! Wofür soviel Leben?"
Kaum ist bemerkbar, daß nahezu fünfzehn Jahre die hier zitierten Verse aus einem ungewöhnlich homogenen lyrischen Werk voneinander trennen. Mehr noch: daß sie Beginn und Ende einer ganzen Schriftstellerexistenz umspannen. In erschütternder Kongruenz stehen diese Worte auch zum Leben und Sterben ihrer Autorin, Alejandra Pizarnik. Bereits ihr erster Gedichtband, "Die letzte Unschuld" (1956) ist geprägt von dem "Warten auf die große Schwester", auf "Madame la Mort", als welche sie den Tod in der Tradition der Danse macabre allegorisierte. In expliziter Anlehnung an Franz Schuberts Lied und Quartett "Der Tod und das Mädchen" verkörpert der Tod die Ambivalenz von Angst und Erotik.
Zugleich aber treibt Pizarnik das Spiel des männlich-germanischen Sensenmanns mit der weiblichen Schüchternheit in der Figur der in den romanischen Sprachen weiblichen "Schwester Tod" des heiligen Franz von Assisi zu einem doppelten Tabubruch: zur Verbindung von Inzest- und Homoerotik. Diese widerspenstige Anwendung eines europäischen Motivs auf die eigene Lebenssituation einer lateinamerikanischen und unverhohlen lesbischen Lyrikerin entkleidet die Sehnsucht der Alejandra Pizarnik, von den Freunden "Sascha" genannt, jeden schwülstigen Kokettierens mit dem Tod. Mehr aber noch die Realität ihres jeder Allegorie entkleideten Freitods in der Nacht zum 25. September 1972, im Alter von nur 36 Jahren.
Eine Grenzgängerin im umfassenden Sinne, zwischen Kontinenten und Kulturen ebenso wie zwischen Leben und Tod, ist Alejandra Pizarnik immer gewesen. 1936 als Tochter jüdischer Einwanderer aus der Ukraine in Argentinien geboren, aufgewachsen mit den Muttersprachen Jiddisch und Spanisch, tauschte sie früh Buenos Aires gegen Paris, wo sie zur Weggefährtin Julio Cortázars wurde, der ihrer Poetik in "Himmel und Hölle" ein Denkmal gesetzt hat. Mehr als jeglicher lateinamerikanische Einfluß ist in Pizarniks Werk die Nähe zu Breton und zu Rimbaud spürbar, besonders aber, in für einen deutschsprachigen Leser geradezu frappierender Weise, zu Georg Trakl. Dessen Verse: "Über schwärzliche Klippen / Stürzt todestrunken / Die erglühende Windsbraut" stehen als Epigraph über ihrem zweiten Buch "Die verlorenen Abenteuer" (1958). Die "bleiche Schwester", "der Schwester Schatten", rekurrentes erotisches Motiv bei Trakl, hat in Pizarniks Schwester Tod jenseits des Atlantiks ihre wohl innigste dichterische Entsprechung gefunden. Im grandiosen Prosagedicht "Bergung des Wahnsteins" hat sich Frau Tod als schöne Schlafende mit der Laute in der Hand, gewissermaßen neben Eichendorffs Kaiserkron und Päonien rot, in den zerstörten Garten von Trakls Helian gesetzt, der von Ruinen und verstümmelten Statuen bewohnt wird, den Trümmern des geborstenen Kosmos.
Zuweilen keimt zwar die Hoffnung auf das "heilende Wort" auf, neben dem Schweigen "das einzige, das existiert / in der ungeheuren Leere der Jahrhunderte"; die Hoffnung "daß eine Welt durch die Sprache ausgegraben wird". Dennoch bleiben die Worte der Dichterin immer nur an "Aschen" hängen, "Cenizas", so auch der Titel dieser zweisprachig spanisch-deutschen Werkausgabe. "Schreiben ist, im Getümmel der Verbrannten den Armknochen zu finden, der zum Beinknochen gehört. Elende Mischung", so konstatiert sie. Anders als Trakl bedurfte Alejandra Pizarnik daher nicht mehr der zerbrochenen Münder der Gefallenen in der Schlacht von Grodek, um von der Unfähigkeit der Sprache, der maßlosen Gewalt der Wirklichkeit gerecht und damit zugleich tödlich getroffen zu werden. Das Gemetzel findet innerhalb der Sprache selbst statt. Das Nichts schafft "eine so unsägliche Einsamkeit, daß die Wörter Selbstmord begehen", schrieb Alejandra Pizarnik mit zweiundzwanzig Jahren.
Daß Georg Trakls ebenbürtige Schwester, daß diese große Dichterin beider Kontinente hierzulande bis heute nahezu unbekannt ist, stellt eine der Absurditäten unseres noch immer von einseitigem Austausch geprägten Literaturbetriebs dar. Als wirkliche Tragödie ist daher zu betrachten, daß die Lektüre einem des Spanischen nicht mächtigen Leser durch die in geradezu infamer Weise mißlungene Übertragung von Juana und Tobias Burghardt systematisch vergällt wird. Pizarniks "poetische Bilder, Symbole und Metaphern atmen und die hohen Temperaturen ihrer abgründigen Lyrik glühen" zu lassen, beanspruchen die Übersetzer. Schon diese Stilblüte beweist recht eindrucksvoll, wie sehr die Nachdichtung einer Magierin der zerbrochenen Sprache hier vielmehr einer fatalen Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten entspringt. Daher ruft die deutsche Erstausgabe von Alejandra Pizarniks Gedichten bereits jetzt nach einer Neuübersetzung.
FLORIAN BORCHMEYER
Alejandra Pizarnik: "Cenizas - Asche, Asche". 1956-1971. Spanisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Ammann Verlag, Zürich 2002. 406 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erstmals übersetzt: Die große Lyrikerin Alejandra Pizarnik
"Wenn dem Haus der Sprache das Dach davonfliegt und die Wörter keine Zuflucht sind, spreche ich." Wer mit Heidegger die Sprache als das Haus des Seins versteht und als das Amt des Dichters, die Dinge ins Wort zu rufen, weiß schwerlich etwas Schmerzlicheres zu verkünden. "Müde vom magischen Lärm der Vokale" zu sein bedeutet in diesem Licht keine überdrüssige Absage an Rimbauds Alchimie des Wortes, keinen nominalistischen Hohn auf die versagende Macht der Worte über die Dinge. Es beinhaltet die verzweifelte Erkenntnis, daß das Haus des Seins, in das man die Welt gerne rufen würde, allein als Ruine noch existiert. Wenig hilft es hier, Zuflucht im Glauben an das Individuum oder in einer Transzendenz zu suchen. Wer "Müde vom Warten auf das beiläufige Ich" ist und "Müde von Gott! Müde von Gott!", dem bleibt nur eine Rettung: Diesen hilflosen und dennoch nicht für tot erklärbaren Gott um "süße Wohnstatt für so viel Müdigkeit" zu bitten, um einen Weg aus dieser Absteige, in der wir gemäß Fernando Pessoa auf die Postkutsche des Todes warten. "So viel Leben, Herr! Wofür soviel Leben?"
Kaum ist bemerkbar, daß nahezu fünfzehn Jahre die hier zitierten Verse aus einem ungewöhnlich homogenen lyrischen Werk voneinander trennen. Mehr noch: daß sie Beginn und Ende einer ganzen Schriftstellerexistenz umspannen. In erschütternder Kongruenz stehen diese Worte auch zum Leben und Sterben ihrer Autorin, Alejandra Pizarnik. Bereits ihr erster Gedichtband, "Die letzte Unschuld" (1956) ist geprägt von dem "Warten auf die große Schwester", auf "Madame la Mort", als welche sie den Tod in der Tradition der Danse macabre allegorisierte. In expliziter Anlehnung an Franz Schuberts Lied und Quartett "Der Tod und das Mädchen" verkörpert der Tod die Ambivalenz von Angst und Erotik.
Zugleich aber treibt Pizarnik das Spiel des männlich-germanischen Sensenmanns mit der weiblichen Schüchternheit in der Figur der in den romanischen Sprachen weiblichen "Schwester Tod" des heiligen Franz von Assisi zu einem doppelten Tabubruch: zur Verbindung von Inzest- und Homoerotik. Diese widerspenstige Anwendung eines europäischen Motivs auf die eigene Lebenssituation einer lateinamerikanischen und unverhohlen lesbischen Lyrikerin entkleidet die Sehnsucht der Alejandra Pizarnik, von den Freunden "Sascha" genannt, jeden schwülstigen Kokettierens mit dem Tod. Mehr aber noch die Realität ihres jeder Allegorie entkleideten Freitods in der Nacht zum 25. September 1972, im Alter von nur 36 Jahren.
Eine Grenzgängerin im umfassenden Sinne, zwischen Kontinenten und Kulturen ebenso wie zwischen Leben und Tod, ist Alejandra Pizarnik immer gewesen. 1936 als Tochter jüdischer Einwanderer aus der Ukraine in Argentinien geboren, aufgewachsen mit den Muttersprachen Jiddisch und Spanisch, tauschte sie früh Buenos Aires gegen Paris, wo sie zur Weggefährtin Julio Cortázars wurde, der ihrer Poetik in "Himmel und Hölle" ein Denkmal gesetzt hat. Mehr als jeglicher lateinamerikanische Einfluß ist in Pizarniks Werk die Nähe zu Breton und zu Rimbaud spürbar, besonders aber, in für einen deutschsprachigen Leser geradezu frappierender Weise, zu Georg Trakl. Dessen Verse: "Über schwärzliche Klippen / Stürzt todestrunken / Die erglühende Windsbraut" stehen als Epigraph über ihrem zweiten Buch "Die verlorenen Abenteuer" (1958). Die "bleiche Schwester", "der Schwester Schatten", rekurrentes erotisches Motiv bei Trakl, hat in Pizarniks Schwester Tod jenseits des Atlantiks ihre wohl innigste dichterische Entsprechung gefunden. Im grandiosen Prosagedicht "Bergung des Wahnsteins" hat sich Frau Tod als schöne Schlafende mit der Laute in der Hand, gewissermaßen neben Eichendorffs Kaiserkron und Päonien rot, in den zerstörten Garten von Trakls Helian gesetzt, der von Ruinen und verstümmelten Statuen bewohnt wird, den Trümmern des geborstenen Kosmos.
Zuweilen keimt zwar die Hoffnung auf das "heilende Wort" auf, neben dem Schweigen "das einzige, das existiert / in der ungeheuren Leere der Jahrhunderte"; die Hoffnung "daß eine Welt durch die Sprache ausgegraben wird". Dennoch bleiben die Worte der Dichterin immer nur an "Aschen" hängen, "Cenizas", so auch der Titel dieser zweisprachig spanisch-deutschen Werkausgabe. "Schreiben ist, im Getümmel der Verbrannten den Armknochen zu finden, der zum Beinknochen gehört. Elende Mischung", so konstatiert sie. Anders als Trakl bedurfte Alejandra Pizarnik daher nicht mehr der zerbrochenen Münder der Gefallenen in der Schlacht von Grodek, um von der Unfähigkeit der Sprache, der maßlosen Gewalt der Wirklichkeit gerecht und damit zugleich tödlich getroffen zu werden. Das Gemetzel findet innerhalb der Sprache selbst statt. Das Nichts schafft "eine so unsägliche Einsamkeit, daß die Wörter Selbstmord begehen", schrieb Alejandra Pizarnik mit zweiundzwanzig Jahren.
Daß Georg Trakls ebenbürtige Schwester, daß diese große Dichterin beider Kontinente hierzulande bis heute nahezu unbekannt ist, stellt eine der Absurditäten unseres noch immer von einseitigem Austausch geprägten Literaturbetriebs dar. Als wirkliche Tragödie ist daher zu betrachten, daß die Lektüre einem des Spanischen nicht mächtigen Leser durch die in geradezu infamer Weise mißlungene Übertragung von Juana und Tobias Burghardt systematisch vergällt wird. Pizarniks "poetische Bilder, Symbole und Metaphern atmen und die hohen Temperaturen ihrer abgründigen Lyrik glühen" zu lassen, beanspruchen die Übersetzer. Schon diese Stilblüte beweist recht eindrucksvoll, wie sehr die Nachdichtung einer Magierin der zerbrochenen Sprache hier vielmehr einer fatalen Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten entspringt. Daher ruft die deutsche Erstausgabe von Alejandra Pizarniks Gedichten bereits jetzt nach einer Neuübersetzung.
FLORIAN BORCHMEYER
Alejandra Pizarnik: "Cenizas - Asche, Asche". 1956-1971. Spanisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Ammann Verlag, Zürich 2002. 406 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Uwe Stolzmann begrüßt diesen ersten Band einer auf drei Bände angelegten Werkausgabe der argentinischen Lyrikerin, die sich 1972 das Leben nahm. Eingehend beschreibt er die Biografie Pizarniks, die bald nach ihrem Selbstmord zum "Mythos" wurde, wie der Rezensent mitteilt. Er lobt den Band als "ansprechend", wobei er es nicht nur erfreulich findet, dass die Gedichte jetzt in einer zweisprachigen Ausgabe vorliegen, sondern auch, dass man die Übersetzungen nun mit den Fassungen von Elisabeth Siefer des 2000 erschienen Gedichtbandes "fremd die ich war" vergleichen kann. Allerdings bekennt Stolzmann, dass ihm die Übersetzungen Siefers "eleganter" scheinen, auch wenn er glaubt, dass dies reine "Geschmackssache" ist. Einige Formulierungen im vorliegenden Buch beklagt er als "unglücklich", und unverständlich bleibt ihm, warum im Nachwort nicht auf den Gedichtband "fremd die ich war" eingegangen wird. Zudem ist es für den Rezensenten offensichtlich, dass die Übertragung ins Deutsche nicht gegen die "Schwerelosigkeit" der spanischen Originalgedichte ankommt. Doch ist er angesichts des "Reichtums" dieser nun "gehobenen Schätze" geneigt, darüber hinwegzusehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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