Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2005NEUE REISEBÜCHER
Für die Tasche Es ist ein seltsames Stück Alpingeschichte: Zwei Männer steigen auf einen Berg, nur einer kommt wieder herunter - ob sie den Gipfel erreicht haben, weiß nur der Überlebende. Er behauptet stur: Wir waren oben. Keiner will ihm glauben. Sein Freund ist tot. Der Berg gilt als unbestiegen.
Der Berg ist der Cerro Torre, eine 3128 Meter hohe Granitnadel in Patagonien - einer der schönsten und schwersten Gipfel der Welt. Und deswegen ist es nicht nur ein seltsames, sondern auch ein bedeutendes Stück Alpingeschichte, das der Münchner Journalist Tom Dauer in seinem neuen Buch thematisiert. Dauer hat die Besteigungsgeschichte akribisch nachrecherchiert und brillant niedergeschrieben - mit all den Abenteuern und Tragödien, Anekdoten und Mysterien, die ihn umranken. Für die siebzig Seiten lange Reportage "Das Rätsel" recherchierte Dauer in Patagonien, Österreich und Südtirol, verglich Tagebucheinträge, Expeditionsberichte, kontaktierte alle relevanten Gesprächspartner und besuchte schließlich in Madonna di Campiglio den Überlebenden, den Mann, um den sich die Geschichte dreht: Cesare Maestri. Der mürrische 74jährige sagte: "Ich hasse den Torre. Tausendmal mehr, als du dir vorstellen kannst."
So hat Maestri 1958 noch nicht gedacht. Der "unmögliche Berg", ein alpinistisches Prädikat, das Walter Bonatti dem Cerro Torre damals aufgestempelt hat, stachelte ihn an: die überhängenden Granitwände, die Brüchigkeit der Felsen, das Wetter Patagoniens, die Eislawinen. Zusammen mit dem Österreicher Toni Egger will Maestri den Cerro Torre bezwingen. Sie kommen in schlechtes Wetter, ein Seil reißt, Egger stürzt und stirbt - und viele Rätsel werden geboren.
Vielleicht ist der Tod des Gefährten der Schlüssel zu dieser absurden Geschichte. Vielleicht, mutmaßt Dauer, "mußte der Cerro Torre als bestiegen gelten, um den Tod Toni Eggers zu erklären". Das kommt der Wahrheit sicher nahe, Zweifel bleiben dennoch. "Hat er (Maestri) den Gipfel erreicht, so wird eine der größten alpinistischen Leistungen des 20. Jahrhunderts zu Unrecht in Zweifel gezogen. Hat er ihn nicht erreicht, lebt er seit 45 Jahren mit einer Lebenslüge." Die vier Italiener jedenfalls, die 1974 als Erstbesteiger in die Geschichte des Berges eingingen, haben mit seiner wahren Geschichte nichts zu tun.
asl
Tom Dauer: "Cerro Torre - Mythos Patagonien", AS-Verlag, 366 Seiten, 39,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für die Tasche Es ist ein seltsames Stück Alpingeschichte: Zwei Männer steigen auf einen Berg, nur einer kommt wieder herunter - ob sie den Gipfel erreicht haben, weiß nur der Überlebende. Er behauptet stur: Wir waren oben. Keiner will ihm glauben. Sein Freund ist tot. Der Berg gilt als unbestiegen.
Der Berg ist der Cerro Torre, eine 3128 Meter hohe Granitnadel in Patagonien - einer der schönsten und schwersten Gipfel der Welt. Und deswegen ist es nicht nur ein seltsames, sondern auch ein bedeutendes Stück Alpingeschichte, das der Münchner Journalist Tom Dauer in seinem neuen Buch thematisiert. Dauer hat die Besteigungsgeschichte akribisch nachrecherchiert und brillant niedergeschrieben - mit all den Abenteuern und Tragödien, Anekdoten und Mysterien, die ihn umranken. Für die siebzig Seiten lange Reportage "Das Rätsel" recherchierte Dauer in Patagonien, Österreich und Südtirol, verglich Tagebucheinträge, Expeditionsberichte, kontaktierte alle relevanten Gesprächspartner und besuchte schließlich in Madonna di Campiglio den Überlebenden, den Mann, um den sich die Geschichte dreht: Cesare Maestri. Der mürrische 74jährige sagte: "Ich hasse den Torre. Tausendmal mehr, als du dir vorstellen kannst."
So hat Maestri 1958 noch nicht gedacht. Der "unmögliche Berg", ein alpinistisches Prädikat, das Walter Bonatti dem Cerro Torre damals aufgestempelt hat, stachelte ihn an: die überhängenden Granitwände, die Brüchigkeit der Felsen, das Wetter Patagoniens, die Eislawinen. Zusammen mit dem Österreicher Toni Egger will Maestri den Cerro Torre bezwingen. Sie kommen in schlechtes Wetter, ein Seil reißt, Egger stürzt und stirbt - und viele Rätsel werden geboren.
Vielleicht ist der Tod des Gefährten der Schlüssel zu dieser absurden Geschichte. Vielleicht, mutmaßt Dauer, "mußte der Cerro Torre als bestiegen gelten, um den Tod Toni Eggers zu erklären". Das kommt der Wahrheit sicher nahe, Zweifel bleiben dennoch. "Hat er (Maestri) den Gipfel erreicht, so wird eine der größten alpinistischen Leistungen des 20. Jahrhunderts zu Unrecht in Zweifel gezogen. Hat er ihn nicht erreicht, lebt er seit 45 Jahren mit einer Lebenslüge." Die vier Italiener jedenfalls, die 1974 als Erstbesteiger in die Geschichte des Berges eingingen, haben mit seiner wahren Geschichte nichts zu tun.
asl
Tom Dauer: "Cerro Torre - Mythos Patagonien", AS-Verlag, 366 Seiten, 39,80 Euro.
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