This important volume presents a systematic analysis of the Bloomington Institutional and Development (IAD) Research Program that developed a unique and extremely successful combination of interdisciplinary theoretical and empirical approaches for the study of social sciences.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungDie Bloomington School
Warum die Frage "Markt oder Staat?" zu kurz greift
In wirtschaftspolitischen Debatten dauert es meist nicht lange, bis die Frage aufkommt, wer in der Führungsrolle sein soll: der Markt oder der Staat. Und es dauert nicht viel länger, bis sich dann auch der erste indignierte Protest angesichts solch vereinfachender Frontstellungen regt. Beides führt meist zum raschen Abebben des Gesprächs - und damit regelmäßig in eine Sackgasse.
Ertragreicher ist es, von vornherein eine breitere und damit offenere Perspektive einzunehmen, so wie es die Vertreter der Bloomington School schon seit Jahrzehnten tun. Das umfassende institutionentheoretische Forschungsprogramm, genannt "Institutional Analysis and Development" (IAD), das die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler Elinor und Vincent Ostrom über viele Jahre an der University of Indiana in Bloomington aufgezogen haben, macht nicht den Markt und nicht den Staat, aber das unfruchtbare Gegensatzpaar "Markt oder Staat" obsolet.
Hier geht es um das Handeln von Menschen in Gemeinschaften, um Institutionen als "gesellschaftliche Schöpfungen, die durch menschliche Vernunft und bewusste Wahlentscheidungen geschaffen werden", per Setzung oder Evolution. Es geht um die "Science and art of association", was in bewusster Doppeldeutigkeit zu übersetzen wäre als die "Wissenschaft und Kunst des Zusammen-Tuns".
Die Gegenüberstellung "Markt oder Staat" greift zu kurz, weil das "Wie" im Zentrum des Interesses stehen muss: Konkurrenz, Kooperation, Koordination. Vielfalt ist gefragt, keine holzschnittartige Polarität, wie Vincent Ostrom betont hat: "Menschliche Gesellschaften brauchen vielfältige Muster gemeinsamen Handelns." Diese Muster zu verstehen, ist Aufgabe der "Science of association". Diese ist zugleich auch Wissenschaft von Bürgerrechten und Freiheit.
Das IAD-Programm überwindet zugleich die Grenzen zwischen den sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Der Ostromsche Ansatz kommt einem Aufruf gleich, sich vom sterilen Mainstream der Ökonomie zu lösen und zugleich "unsere institutionelle und politische Phantasie zu befreien", wie Paul Dragos Aligica und Pete Boettke (beide George Mason University, Fairfax, Virginia) in ihrem schönen, überaus kenntnisreichen und theoretisch auch recht anspruchsvollen Buch schreiben: "Die Botschaft der Bloomington School ist eine Aufforderung, uns zu befreien von den intellektuellen Idolen unserer Zeit, und sie ist eine Einladung, die verschiedenen institutionellen Alternativen zu erkunden, die uns heute zur Verfügung stehen, mit Hilfe unserer Vernunft, unserer Vorstellungskraft und einer handfesten Auseinandersetzung mit der empirischen Wirklichkeit."
Die beiden politökonomisch profilierten und stark von der österreichischen Theorie der Nationalökonomie geprägten amerikanischen Wissenschaftler haben ausführliche Gespräche mit der Nobelpreisträgerin von 2009 und ihrem Ehemann geführt. Mit Fug und Recht kann der Band als autorisierte Zusammenfassung und Interpretation des IAD-Forschungsprogramms und der dahinterliegenden Vision gelten.
Den Ostroms geht es darum, zu verstehen, wie sich Menschen in der Gemeinschaft verhalten und welche Institutionen in der gesellschaftlichen Interaktion entstehen können, um gemeinsame Probleme zu lösen. Elinor Ostrom kümmert sich vorrangig um die empirische Erkundung der Wirklichkeit. Man kennt die agile Wissenschaftlerin als jemanden, der sich daheim wie auch in fernen Ländern mit der Frage befasst hat, wie und unter welchen Bedingungen sich Gemeinschaften Regeln setzen (können), damit es nicht zur "Tragödie der Allmende" kommt, der übermäßigen Nutzung von Ressourcen, zum Beispiel zur Überfischung und langfristigen Schädigung von gemeinsamen Fanggründen.
Vincent Ostrom kommt der Part zu, die sozialphilosophische Theorie aufgrund moderner Erkenntnisse fortzuentwickeln, auf der Basis der Arbeiten der Klassiker wie Thomas Hobbes, John Locke, Montesquieu, David Hume, Adam Smith, James Madison, Alexander Hamilton und Alexis de Tocqueville. In seiner Konzentration auf Fragen der Regelsysteme löst er den klassischen Widerspruch zwischen spontaner Ordnung und Setzung dadurch, dass er das Institutionendesign als Ergebnis der sozialen Wissensteilung und des Lernens modelliert. So lässt es sich als Teil der spontanen Ordnung begreifen.
Im ersten Teil des Buchs ordnen die Autoren das Forschungsprogramm der Bloomington School in seinen geistesgeschichtlichen Kontext ein. Außerdem führen sie einige wichtige Begriffe ein, von der "Co-production" (der gemeinschaftlichen Produktion) öffentlicher Güter bis hin zu "Polycentricity" (ein komplexes System von Machtbefugnissen, Anreizen, Regeln und Werten auf verschiedenen Ebenen). Das ist notwendig, denn leider hat man sich wie in vielen anderen modernen Forschungsrichtungen auch in Bloomington ein eigenes Vokabular zugelegt, das sich Nichteingeweihte erst erarbeiten müssen.
Im zweiten Teil präsentieren Aligica und Boettke vor allem Vincent Ostroms sozialphilosophische Überlegungen über institutionelle Ordnung und Wandel. Die Erörterungen ranken sich um die Natur der sozialen Ordnung, um Spannungen zwischen Freiheit und Organisation, um Spontaneität und Planung, um Wesen und Aufgabe von gesellschaftlichen Regeln sowie um die Rolle von Ideen und Überzeugungen. Vincent Ostrom hat in seiner Arbeit auch die Bedeutung der "epistemischen Wahl" herausgearbeitet, die Bedeutung des vorherrschenden Weltanschauungskonsenses für das Fortkommen einer Gemeinschaft und Kultur. Im dritten Teil arbeiten die Autoren heraus, wie die Bloomington School das Alte mit dem Neuen verbindet, von den frühen sozialphilosophischen Fragen eines Thomas Hobbes bin hin zur Theorie des "Public Choice".
Pete Boettke nutzt die Gelegenheit, um darzustellen, was Ökonomie heute nicht mehr ist, aber dringend wieder werden sollte: eine philosophische, keine "harte" Wissenschaft; eine Theorie der Wahlentscheidungen und der dynamischen Anpassungsprozesse, nicht des statischen Gleichgewichts; eine Theorie des Austauschs, nicht der Maximierung; ein individualistischer, kein kollektivistischer Ansatz; die Lehre von einem Spiel innerhalb von Regeln, die nicht bloß gesetzt sind, sondern über die man streiten darf. Vor dem Hintergrund des schwelenden Methodenstreits in der Ökonomie ist das eine sinnvolle Mahnung.
KAREN HORN
Die Verfasserin leitet das Berliner Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum die Frage "Markt oder Staat?" zu kurz greift
In wirtschaftspolitischen Debatten dauert es meist nicht lange, bis die Frage aufkommt, wer in der Führungsrolle sein soll: der Markt oder der Staat. Und es dauert nicht viel länger, bis sich dann auch der erste indignierte Protest angesichts solch vereinfachender Frontstellungen regt. Beides führt meist zum raschen Abebben des Gesprächs - und damit regelmäßig in eine Sackgasse.
Ertragreicher ist es, von vornherein eine breitere und damit offenere Perspektive einzunehmen, so wie es die Vertreter der Bloomington School schon seit Jahrzehnten tun. Das umfassende institutionentheoretische Forschungsprogramm, genannt "Institutional Analysis and Development" (IAD), das die beiden amerikanischen Politikwissenschaftler Elinor und Vincent Ostrom über viele Jahre an der University of Indiana in Bloomington aufgezogen haben, macht nicht den Markt und nicht den Staat, aber das unfruchtbare Gegensatzpaar "Markt oder Staat" obsolet.
Hier geht es um das Handeln von Menschen in Gemeinschaften, um Institutionen als "gesellschaftliche Schöpfungen, die durch menschliche Vernunft und bewusste Wahlentscheidungen geschaffen werden", per Setzung oder Evolution. Es geht um die "Science and art of association", was in bewusster Doppeldeutigkeit zu übersetzen wäre als die "Wissenschaft und Kunst des Zusammen-Tuns".
Die Gegenüberstellung "Markt oder Staat" greift zu kurz, weil das "Wie" im Zentrum des Interesses stehen muss: Konkurrenz, Kooperation, Koordination. Vielfalt ist gefragt, keine holzschnittartige Polarität, wie Vincent Ostrom betont hat: "Menschliche Gesellschaften brauchen vielfältige Muster gemeinsamen Handelns." Diese Muster zu verstehen, ist Aufgabe der "Science of association". Diese ist zugleich auch Wissenschaft von Bürgerrechten und Freiheit.
Das IAD-Programm überwindet zugleich die Grenzen zwischen den sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Der Ostromsche Ansatz kommt einem Aufruf gleich, sich vom sterilen Mainstream der Ökonomie zu lösen und zugleich "unsere institutionelle und politische Phantasie zu befreien", wie Paul Dragos Aligica und Pete Boettke (beide George Mason University, Fairfax, Virginia) in ihrem schönen, überaus kenntnisreichen und theoretisch auch recht anspruchsvollen Buch schreiben: "Die Botschaft der Bloomington School ist eine Aufforderung, uns zu befreien von den intellektuellen Idolen unserer Zeit, und sie ist eine Einladung, die verschiedenen institutionellen Alternativen zu erkunden, die uns heute zur Verfügung stehen, mit Hilfe unserer Vernunft, unserer Vorstellungskraft und einer handfesten Auseinandersetzung mit der empirischen Wirklichkeit."
Die beiden politökonomisch profilierten und stark von der österreichischen Theorie der Nationalökonomie geprägten amerikanischen Wissenschaftler haben ausführliche Gespräche mit der Nobelpreisträgerin von 2009 und ihrem Ehemann geführt. Mit Fug und Recht kann der Band als autorisierte Zusammenfassung und Interpretation des IAD-Forschungsprogramms und der dahinterliegenden Vision gelten.
Den Ostroms geht es darum, zu verstehen, wie sich Menschen in der Gemeinschaft verhalten und welche Institutionen in der gesellschaftlichen Interaktion entstehen können, um gemeinsame Probleme zu lösen. Elinor Ostrom kümmert sich vorrangig um die empirische Erkundung der Wirklichkeit. Man kennt die agile Wissenschaftlerin als jemanden, der sich daheim wie auch in fernen Ländern mit der Frage befasst hat, wie und unter welchen Bedingungen sich Gemeinschaften Regeln setzen (können), damit es nicht zur "Tragödie der Allmende" kommt, der übermäßigen Nutzung von Ressourcen, zum Beispiel zur Überfischung und langfristigen Schädigung von gemeinsamen Fanggründen.
Vincent Ostrom kommt der Part zu, die sozialphilosophische Theorie aufgrund moderner Erkenntnisse fortzuentwickeln, auf der Basis der Arbeiten der Klassiker wie Thomas Hobbes, John Locke, Montesquieu, David Hume, Adam Smith, James Madison, Alexander Hamilton und Alexis de Tocqueville. In seiner Konzentration auf Fragen der Regelsysteme löst er den klassischen Widerspruch zwischen spontaner Ordnung und Setzung dadurch, dass er das Institutionendesign als Ergebnis der sozialen Wissensteilung und des Lernens modelliert. So lässt es sich als Teil der spontanen Ordnung begreifen.
Im ersten Teil des Buchs ordnen die Autoren das Forschungsprogramm der Bloomington School in seinen geistesgeschichtlichen Kontext ein. Außerdem führen sie einige wichtige Begriffe ein, von der "Co-production" (der gemeinschaftlichen Produktion) öffentlicher Güter bis hin zu "Polycentricity" (ein komplexes System von Machtbefugnissen, Anreizen, Regeln und Werten auf verschiedenen Ebenen). Das ist notwendig, denn leider hat man sich wie in vielen anderen modernen Forschungsrichtungen auch in Bloomington ein eigenes Vokabular zugelegt, das sich Nichteingeweihte erst erarbeiten müssen.
Im zweiten Teil präsentieren Aligica und Boettke vor allem Vincent Ostroms sozialphilosophische Überlegungen über institutionelle Ordnung und Wandel. Die Erörterungen ranken sich um die Natur der sozialen Ordnung, um Spannungen zwischen Freiheit und Organisation, um Spontaneität und Planung, um Wesen und Aufgabe von gesellschaftlichen Regeln sowie um die Rolle von Ideen und Überzeugungen. Vincent Ostrom hat in seiner Arbeit auch die Bedeutung der "epistemischen Wahl" herausgearbeitet, die Bedeutung des vorherrschenden Weltanschauungskonsenses für das Fortkommen einer Gemeinschaft und Kultur. Im dritten Teil arbeiten die Autoren heraus, wie die Bloomington School das Alte mit dem Neuen verbindet, von den frühen sozialphilosophischen Fragen eines Thomas Hobbes bin hin zur Theorie des "Public Choice".
Pete Boettke nutzt die Gelegenheit, um darzustellen, was Ökonomie heute nicht mehr ist, aber dringend wieder werden sollte: eine philosophische, keine "harte" Wissenschaft; eine Theorie der Wahlentscheidungen und der dynamischen Anpassungsprozesse, nicht des statischen Gleichgewichts; eine Theorie des Austauschs, nicht der Maximierung; ein individualistischer, kein kollektivistischer Ansatz; die Lehre von einem Spiel innerhalb von Regeln, die nicht bloß gesetzt sind, sondern über die man streiten darf. Vor dem Hintergrund des schwelenden Methodenstreits in der Ökonomie ist das eine sinnvolle Mahnung.
KAREN HORN
Die Verfasserin leitet das Berliner Büro des Instituts der deutschen Wirtschaft.
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