Produktdetails
  • Verlag: Argon
  • ISBN-13: 9783870244521
  • ISBN-10: 3870244526
  • Artikelnr.: 07531415
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.1999

Erdapfel im Schlafrock
Nicht gerade ein Krimi: Das unbewegte Berlin von Horst Bosetzky

Mit dem Buchumschlag sollte man auch für eine Bausparkasse werben können. Zu sehen ist die Rückansicht eines junges Paares, das sich locker umschlungen hält und dem Leser einen aufmunternden Blick zuwirft. Er zwinkert, sie lächelt. Etwa auf Brusthöhe des Mädchens prangt der Name des Autors: Horst Bosetzky. Die beiden letzten Buchstaben sind andersfarbig gedruckt, ein dezenter Hinweis auf das Pseudonym "-ky", unter dem der Berliner Soziologieprofessor in den siebziger Jahren bekannt wurde. "Champagner und Kartoffelchips" jedoch ist keiner seiner Kriminalromane. Das Buch bildet mit den beiden älteren Werken "Brennholz für Kartoffelschalen" und "Capri und Kartoffelpuffer" eine Trilogie der deutschen Alltagsgeschichte am Beispiel des Berliner Jungen Manfred Matuschewski. Auf eine Kindheit und Jugend in der Nachkriegszeit folgen nun die Lehrjahre. Die Handlung beginnt 1957 und reicht bis 1969.

Matuschewski ist eine erfundene Figur. Doch schon die Namensähnlichkeit verrät die Nähe zum Verfasser, der hier offensichtlich seine eigenen Erinnerungen niederschreibt. Der angebliche Roman gleicht eher einer Chronik, die auf überarbeiteten Tagebuchnotizen basiert. Man liest von seiner Lehre bei Siemens, seinem Soziologiestudium, seinem Engagement für die Sozialdemokraten, seinen Erfahrungen mit Frauen und immer wieder von seinen Zweifeln an alldem. Bosetzky widersteht der Versuchung, sich als wachen Beobachter der Zeitläufte in Szene zu setzen. Sein Held erscheint als ein recht durchschnittlicher junger Mann, der mit seinen eigenen Angelegenheiten schon ausgelastet ist.

Hier liegt ja der Reiz einer solchen Sozialgeschichte von unten: daß sie sich am deutlichsten an denen vollzieht, die gar nichts mit ihr zu tun haben wollen. Dafür ausgerechnet die bewegten sechziger Jahre zu wählen, verlangt freilich Mut. Zwar kann der Autor aus einem reichen Vorrat an Erinnerungen schöpfen. Doch die meisten davon verraten so wenig über den Ort und die Zeit, daß er sie um historische Daten ergänzt. Alle seine Figuren lesen wenigstens die Tageszeitung, aus der sie dann zitieren. Kinoprogramme, Fahrpläne, Sportergebnisse sind wie seltene Fundstücke in den Text integriert. Er wird dadurch weder glaubhafter noch unterhaltsamer.

Daß Bosetzky seiner Leidenschaft für Straßenbahnen und Leichtathletik freien Lauf läßt, nimmt man noch als sympathische Schrulle hin. Doch mit der gleichen Ausführlichkeit erzählt er auch vom Verbleib alter Freunde oder dem Speiseplan der Schmöckwitzer Oma. Die Familie wird es ihm danken. Der Leser indes kennt diese Leute nicht und möchte sie auch nicht kennenlernen. Denn so wohlwollend der Autor sie beschreibt, so tief tunkt er sie in ein sentimentales Süppchen. Alle sind die gleichen liebenswerten, bauernschlauen Simpel, alle reißen dieselben schlechten Witze. (Das Verfremden der Namen muß Bosetzky besonderen Spaß gemacht haben. Der Vorgesetzte Herr Gosch, das reizarme Fräulein Flach, der Journalist Pinkponk, den man wegen seiner Blähungen "Pingpong, der gasende Reporter" nennt, sind nur einige seiner Knallchargen.)

Das Buch schwankt zwischen Landserroman und Internatsgeschichte. Es ist die Welt der guten Kameraden und der schlechten Vorgesetzten, wo man unentwegt feixt, frotzelt oder flachst und jeder einen Spitznamen trägt. Wenn es einmal nachdenklicher wird, läßt den Verfasser sein Sprachgefühl im Stich: "Wo waren die Tage, an denen er hier mit Gerhard, Dirk Kollmannsperger und Balla-Balla Pankalla um den Sieg gerungen hatte ...? Nur damals, so schien ihm, war er eins gewesen mit sich und der Welt, glücklich eben, und seitdem nie wieder. Und mußte dennoch weiterleben. Er pinkelte gegen die Eiche, die den Anlauf beim Speerwerfen begrenzt hatte." Selten einmal gelingt eine gute Beschreibung wie die, daß es in Ost-Berlin anders roch, "nach Ofenheizung und Desinfektionsmittel". Doch über seine stolze Länge bietet der letzte Band der Erdäpfel-Trilogie wenig mehr als Kommißbrot und Quark.

MICHAEL ALLMAIER

Horst Bosetzky: "Champagner und Kartoffelchips". Roman. Argon Verlag, Berlin 1998. 502 S., geb., 44,- DM.

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