In einer kleinen Flasche Chanel No. 5 wohnen tausend Geheimnisse - das zeigt diese "nicht autorisierte Biographie eines Dufts", der seit fast hundert Jahren die Welt betört. Tilar J. Mazzeo, versierte Kennerin der französischen Kulturgeschichte, erzählt die mit dem berühmten Parfum eng verknüpfte Erfolgsgeschichte einer der faszinierendsten, aber auch widersprüchlichsten Schlüsselfiguren des 20. Jahrhunderts: Coco Chanels Weg vom Waisenhaus über die Demimonde von Lyon zur Pariser Haute Couture. Nicht für eine Werbekampagne, sondern in spontaner Verzückung verriet Marilyn Monroe: "Im Bett habe ich nichts weiter an als ein paar Tropfen Chanel No 5." Von Brancheninsidern ehrfürchtig "le monstre" genannt, gehört die kostbare Flüssigkeit in ihrem Art-déco-Flakon, das zum Markenzeichen wurde, zu den begehrtesten Luxusaccessoires des 20. und 21. Jahrhunderts und ist weltweit die Nummer 1 unter den exquisiten Parfums. Wie kam es dazu, dass dieser raffinierte Duft, der in den frühen zwanziger Jahren seinen Siegeszug antrat, ein Eigenleben entwickelte und zu einem von Millionen gepriesenen Kultobjekt wurde? Tilar J. Mazzeo schildert den rasanten Aufstieg einer Femme fatale mit Herz zur Gestalterin des modernen Savoir-vivre.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2012Schnuppernde Damen
Die Geschichte von Chanel NO 5
Oft kolportiert wurde Marilyn Monroes Ausspruch, sie habe nachts im Bett nichts an außer ein paar Tropfen Chanel NO 5. Bis heute gilt das mehr als 90 Jahre alte Parfum als das verführerischste auf der Welt. Angeblich geht alle 30 Sekunden eine Flasche über den Ladentisch, was sich zu einem Jahresumsatz von gut 100 Millionen Dollar aufaddiert. Die genaue Summe ist ebenso wie die Rezeptur des begehrten Duftwassers streng gehütetes Geheimnis. "Bester Nährboden für Legendenbildung," sagt Tilar Mazzeo. "Vieles von dem, was Allgemeinwissen über den spektakulären Aufstieg von Chanel NO 5 und seine Verwandlung zum internationalen Synonym für Luxus verbreitet wird, sind Halbwahrheiten, Irrtümer, kollektive Phantasien und reine Erfindung."
Mazzeos Buch verspricht, Fakten von Fiktion zu trennen. Die historische Wahrheit über das olfaktorische Wunderelixier gerät der Amerikanerin allerdings als weitere Biographie über Gabrielle "Coco" Chanel, "gesehen durch das Brennglas einer ihrer berühmtesten Kreationen". Die bezaubernde, keineswegs makellose Dame war offenbar eine ähnlich smarte, eisenharte, egomane Geschäftsfrau wie die Champagner-Königin Veuve Clicquot, über die Tilar Mazzeo zuvor geschrieben hat.
Interessanter als die Details über das schillernde Leben und Lieben von Mademoiselle Chanel, die als Waise in einem Kloster in Südwestfrankreich aufwuchs und mit 87 Jahren als Multimillionärin im Pariser Hotel Ritz starb, sind tatsächlich Mazzeos Korrekturen an der gängigen Erzählweise, wie das glorreiche Parfum in die Welt kam. Danach scheint zumindest übertrieben, dass Chanel NO 5 im Jahre 1921 eine komplette Innovation war - gänzlich neu, weil sich dieser Duft erstmals sogenannter Aldehyde bediente, also leicht und frisch riechender künstlicher Substanzen aus dem Labor. "Leider ist davon nichts wahr", sagt Mazzeo. "Chanel NO 5 war keineswegs das erste synthetisch komponierte Parfum auf Aldehydbasis."
Offenbar nicht einmal das zweite, dennoch eine wahre Revolution als Harmonie aus sinnlichem, nicht länger monofloralem Blumenduft und den Aldehydaromen frisch gewaschener Wäsche. Neu und anders war nämlich, dass Rosenblüten und Jasmin gemeinsam verwendet und durch ungewöhnlich große Beigaben von Aldehyden im Duft verführerisch intensiviert und auf eigene Weise bestimmt wurden. Offenbar ein Erfolgsrezept: "Der essentielle Kontrast zwischen dem sinnlichen Blumenduft und den asketisch anmutenden Aldehyden ist Teil des Geheimnisses von Chanel NO 5," resümiert Mazzeo.
Und den Rest hat dann wohl jahrzehntelange, geschickte Werbung besorgt, meint man. Irrtum, sagt Mazzeo. Ihre umfangreiche Recherche in Archiven und Modemagazinen ergab: "In den ersten 40 Jahren war die Werbung für Chanel NO 5 ausgesprochen mittelmäßig und uninspiriert, um nicht zu sagen eine Katastrophe." Die größten Rivalen des Edelparfums bis zu den vierziger Jahren seien hausgemachte Konkurrenz und die Verwechslungsgefahr mit anderen, hauseigenen Duftwässern gewesen.
Wer weiß, dass die Markteinführung an einem Parfum eigentlich das Teuerste ist, wundert sich, dass Chanel NO 5 bei dem Minimalaufwand überhaupt an die Zielgruppe der Reichen und Schönen gelangte. Coco Chanel tat 1921 zum Start nicht viel mehr, als bei einem Abendessen mit Freunden in einem angesagten Restaurant in Cannes den neuen Duft in die Luft zu sprühen. Die Wirkung sei verblüffend gewesen, zitiert Mazzeo die Designerin. "Alle Frauen, die an unserem Tisch vorbeikamen, blieben stehen und schnupperten." Nach dem erfolgreichen Test schenkte die Couturière ihren treuesten Kundinnen zu Weihnachten Flakons. Ab Mai war das Parfum in Chanels eigenen Boutiquen zu haben, wo es reißenden Absatz fand. Der nächste Schritt war die globale Vermarktung: Mit Blick darauf verkaufte Coco Chanel 1924 bis auf zehn Prozent Eigenanteil alle Rechte an ihrem Duft, das meiste an die Industriellen Paul und Pierre Wertheimer. Deren erste eigentliche, bescheidene Werbeoffensive zehn Jahre später führte zu einem langen, unerquicklichen Rechtsstreit über den Inhalt des seinerzeit geschlossenen Vertrags.
Als Chanel 1971 starb, hatte sich ihr Parfum längst verselbständigt, schien aber gleichfalls in seinem elitären Anspruch auf dem prosperierenden Massenmarkt am Ende angelangt zu sein. "Erstmals gekonntes Marketing", so Mazzeo, rettete das angejahrte Produkt: In einer erfolgreichen Werbekampagne trat die französische Filmschauspielerin Catherine Deneuve als Markenbotschafterin und Folie perfekter Schönheit für Chanel NO 5 auf. Mitte der achtziger Jahre warb die Firma dann gegen teures Geld mit Andy Warhols lebensechten, witzigen Pop-Art-Buntstiftzeichnungen. Die Variante in kühlem Blau-Gelb ziert jetzt Mazzeos Buchumschlag und erinnert an Coco Chanels einstige Zielvorgabe vom "Geruch eines nordischen Bergsees" für ihr Parfum.
ULLA FÖLSING.
Tilar Mazzeo: Chanel NO 5.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 320 Seiten, 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte von Chanel NO 5
Oft kolportiert wurde Marilyn Monroes Ausspruch, sie habe nachts im Bett nichts an außer ein paar Tropfen Chanel NO 5. Bis heute gilt das mehr als 90 Jahre alte Parfum als das verführerischste auf der Welt. Angeblich geht alle 30 Sekunden eine Flasche über den Ladentisch, was sich zu einem Jahresumsatz von gut 100 Millionen Dollar aufaddiert. Die genaue Summe ist ebenso wie die Rezeptur des begehrten Duftwassers streng gehütetes Geheimnis. "Bester Nährboden für Legendenbildung," sagt Tilar Mazzeo. "Vieles von dem, was Allgemeinwissen über den spektakulären Aufstieg von Chanel NO 5 und seine Verwandlung zum internationalen Synonym für Luxus verbreitet wird, sind Halbwahrheiten, Irrtümer, kollektive Phantasien und reine Erfindung."
Mazzeos Buch verspricht, Fakten von Fiktion zu trennen. Die historische Wahrheit über das olfaktorische Wunderelixier gerät der Amerikanerin allerdings als weitere Biographie über Gabrielle "Coco" Chanel, "gesehen durch das Brennglas einer ihrer berühmtesten Kreationen". Die bezaubernde, keineswegs makellose Dame war offenbar eine ähnlich smarte, eisenharte, egomane Geschäftsfrau wie die Champagner-Königin Veuve Clicquot, über die Tilar Mazzeo zuvor geschrieben hat.
Interessanter als die Details über das schillernde Leben und Lieben von Mademoiselle Chanel, die als Waise in einem Kloster in Südwestfrankreich aufwuchs und mit 87 Jahren als Multimillionärin im Pariser Hotel Ritz starb, sind tatsächlich Mazzeos Korrekturen an der gängigen Erzählweise, wie das glorreiche Parfum in die Welt kam. Danach scheint zumindest übertrieben, dass Chanel NO 5 im Jahre 1921 eine komplette Innovation war - gänzlich neu, weil sich dieser Duft erstmals sogenannter Aldehyde bediente, also leicht und frisch riechender künstlicher Substanzen aus dem Labor. "Leider ist davon nichts wahr", sagt Mazzeo. "Chanel NO 5 war keineswegs das erste synthetisch komponierte Parfum auf Aldehydbasis."
Offenbar nicht einmal das zweite, dennoch eine wahre Revolution als Harmonie aus sinnlichem, nicht länger monofloralem Blumenduft und den Aldehydaromen frisch gewaschener Wäsche. Neu und anders war nämlich, dass Rosenblüten und Jasmin gemeinsam verwendet und durch ungewöhnlich große Beigaben von Aldehyden im Duft verführerisch intensiviert und auf eigene Weise bestimmt wurden. Offenbar ein Erfolgsrezept: "Der essentielle Kontrast zwischen dem sinnlichen Blumenduft und den asketisch anmutenden Aldehyden ist Teil des Geheimnisses von Chanel NO 5," resümiert Mazzeo.
Und den Rest hat dann wohl jahrzehntelange, geschickte Werbung besorgt, meint man. Irrtum, sagt Mazzeo. Ihre umfangreiche Recherche in Archiven und Modemagazinen ergab: "In den ersten 40 Jahren war die Werbung für Chanel NO 5 ausgesprochen mittelmäßig und uninspiriert, um nicht zu sagen eine Katastrophe." Die größten Rivalen des Edelparfums bis zu den vierziger Jahren seien hausgemachte Konkurrenz und die Verwechslungsgefahr mit anderen, hauseigenen Duftwässern gewesen.
Wer weiß, dass die Markteinführung an einem Parfum eigentlich das Teuerste ist, wundert sich, dass Chanel NO 5 bei dem Minimalaufwand überhaupt an die Zielgruppe der Reichen und Schönen gelangte. Coco Chanel tat 1921 zum Start nicht viel mehr, als bei einem Abendessen mit Freunden in einem angesagten Restaurant in Cannes den neuen Duft in die Luft zu sprühen. Die Wirkung sei verblüffend gewesen, zitiert Mazzeo die Designerin. "Alle Frauen, die an unserem Tisch vorbeikamen, blieben stehen und schnupperten." Nach dem erfolgreichen Test schenkte die Couturière ihren treuesten Kundinnen zu Weihnachten Flakons. Ab Mai war das Parfum in Chanels eigenen Boutiquen zu haben, wo es reißenden Absatz fand. Der nächste Schritt war die globale Vermarktung: Mit Blick darauf verkaufte Coco Chanel 1924 bis auf zehn Prozent Eigenanteil alle Rechte an ihrem Duft, das meiste an die Industriellen Paul und Pierre Wertheimer. Deren erste eigentliche, bescheidene Werbeoffensive zehn Jahre später führte zu einem langen, unerquicklichen Rechtsstreit über den Inhalt des seinerzeit geschlossenen Vertrags.
Als Chanel 1971 starb, hatte sich ihr Parfum längst verselbständigt, schien aber gleichfalls in seinem elitären Anspruch auf dem prosperierenden Massenmarkt am Ende angelangt zu sein. "Erstmals gekonntes Marketing", so Mazzeo, rettete das angejahrte Produkt: In einer erfolgreichen Werbekampagne trat die französische Filmschauspielerin Catherine Deneuve als Markenbotschafterin und Folie perfekter Schönheit für Chanel NO 5 auf. Mitte der achtziger Jahre warb die Firma dann gegen teures Geld mit Andy Warhols lebensechten, witzigen Pop-Art-Buntstiftzeichnungen. Die Variante in kühlem Blau-Gelb ziert jetzt Mazzeos Buchumschlag und erinnert an Coco Chanels einstige Zielvorgabe vom "Geruch eines nordischen Bergsees" für ihr Parfum.
ULLA FÖLSING.
Tilar Mazzeo: Chanel NO 5.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012, 320 Seiten, 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Johannes Willms hat sich die Geschichte des Parfüms Chanel No. 5 von der amerikanischen Kulturhistorikerin Tilar J. Mazzeo erzählen lassen, der es aber - zum Glück? - auch nicht gelingt, den Mythos des weltberühmten Dufts gänzlich in Fakten aufzulösen. Die Autorin räumt ein, wie schwierig es war, zwischen Wahrheit, Legenden und Irrtümern zu unterscheiden, und verspricht dann aber vollmundig eine "noch phantastischere" historische Faktenlage, als es jede Erfindung sein könnte. Der Rezensent durchschaut dies zwar als Werbekniff, findet aber, dass Mazzeo ihre Sache überwiegend gut macht. Zum Parfümeur Ernest Beaux allerdings, der sich den Duft im Auftrag von Coco Chanel hat einfallen lassen, hätte der Rezensent gern mehr gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Coco Chanel ergründen zu wollen, heißt, über die Zeit und die Liebe selbst nachdenken zu müssen." Cosima Lutz Die Welt, 17.11.2012