Produktdetails
- Verlag: Schirmer/Mosel
- Seitenzahl: 398
- Abmessung: 235mm
- Gewicht: 1340g
- ISBN-13: 9783888146466
- Artikelnr.: 25532866
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.1998Stille Stadt - Berenice Abbotts New York
Man muß lange suchen, bevor man auf einer Fotografie Berenice Abbotts einen Kran, einen Bagger oder auch nur einen Bauzaun entdeckt. Mitte der dreißiger Jahre, zwischen dem Höhepunkt der Depression und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, herrschte Stillstand in New York. Für einige Jahre begegneten sich in den Straßen der Stadt deshalb nahtlos zwei grundverschiedene Epochen. Hier noch die Pferdefuhrwerke, dort schon Schnellbahnen und bullige Limousinen. Hier noch die Häuserfronten des viktorianischen Erbes, dort schon die schnörkellosen Fassaden einer himmelwärtsstrebenden Moderne. Damals schien es nur eine Frage von Tagen, bis sich die Zukunft Block für Block über die Vergangenheit stülpen würde. Berenice Abbott blieb nicht viel Zeit, den Augenblick vor dem Umbruch zu dokumentieren.
Durch Zufall war sie zur Fotografie gekommen, Anfang der zwanziger Jahre in Paris, wohin sie ausgewandert war und wo Man Ray sie als seine Assistentin eingestellt hatte. Doch dessen Lust an künstlerischen Verfremdungen widersprach ihrem distanzierten Blick. In Atget, der während des Fin de siècle mit seinen Aufnahmen versuchte, das alte Paris zu bewahren, fand sie ihren Mentor und Freund. Als sie 1929 nach Atgets Tod mit Tausenden seiner Fotos zurück nach New York reist, um dort sein Werk zu publizieren, erkennt sie, daß der absehbare Wandel der Stadt nach einem vergleichbaren Konzept verlangt.
Mit finanzieller Unterstützung des Federal Art Project beginnt Berenice Abbott Straßenzüge zu dokumentieren, die bald für immer verschwunden sein werden. Daß sie sich dabei nur selten von Nostalgie geprägten Sehnsüchten hingibt, sorgt für die Spannung ihrer Aufnahmen. Aus den Motiven spricht vielmehr ein ambivalentes Gefühl, sie gleichen einem Balanceakt zwischen Schrecken und Faszination. In mehreren Ausstellungen zeigt Berenice Abbott schon bald ihre jeweils jüngsten Bilder, und 1939 faßt sie 97 Aufnahmen zu dem Fotoband "Changing New York" zusammen, dem auf Anhieb der Rang eines Klassikers attestiert wird. Danach verschwindet das viel umfangreichere Material in Archiven.
Erst jetzt, sechs Jahre nach dem Tod der Fotografin und rechtzeitig zu ihrem hundertsten Geburtstag im kommenden Sommer, wurde es aufgearbeitet. Unter dem alten Titel "Changing New York" ist dabei ein prachtvolles Buch von imposantem Format und stattlichem Umfang entstanden. Die nach Stadtbezirken geordneten Kapitel samt ihrer detaillierten Stadtpläne greifen den dokumentarischen Ansatz des ursprünglichen Vorhabens auf. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Künstlerbuch. Mit ihrer Liebe für das Spiel von Licht und Schatten, ungewöhnliche Perspektiven und überraschende Kompositionen wies Berenice Abbott den Weg für den fotografischen Blick der Moderne. - Unsere Abbildung zeigt eine Aufnahme aus dem Wall Street District: die Hochhäuser 111 John Street, 116 John Street und 60 Wall Tower, von der Kreuzung Cliff und Ferry Street aus aufgenommen. (Berenice Abbott: "Changing New York". Mit Texten von Bonnie Yochelson. Schirmer/Mosel Verlag, München 1997. 400 S., 413 Abb., geb., 148,- DM.)
FREDDY LANGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man muß lange suchen, bevor man auf einer Fotografie Berenice Abbotts einen Kran, einen Bagger oder auch nur einen Bauzaun entdeckt. Mitte der dreißiger Jahre, zwischen dem Höhepunkt der Depression und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, herrschte Stillstand in New York. Für einige Jahre begegneten sich in den Straßen der Stadt deshalb nahtlos zwei grundverschiedene Epochen. Hier noch die Pferdefuhrwerke, dort schon Schnellbahnen und bullige Limousinen. Hier noch die Häuserfronten des viktorianischen Erbes, dort schon die schnörkellosen Fassaden einer himmelwärtsstrebenden Moderne. Damals schien es nur eine Frage von Tagen, bis sich die Zukunft Block für Block über die Vergangenheit stülpen würde. Berenice Abbott blieb nicht viel Zeit, den Augenblick vor dem Umbruch zu dokumentieren.
Durch Zufall war sie zur Fotografie gekommen, Anfang der zwanziger Jahre in Paris, wohin sie ausgewandert war und wo Man Ray sie als seine Assistentin eingestellt hatte. Doch dessen Lust an künstlerischen Verfremdungen widersprach ihrem distanzierten Blick. In Atget, der während des Fin de siècle mit seinen Aufnahmen versuchte, das alte Paris zu bewahren, fand sie ihren Mentor und Freund. Als sie 1929 nach Atgets Tod mit Tausenden seiner Fotos zurück nach New York reist, um dort sein Werk zu publizieren, erkennt sie, daß der absehbare Wandel der Stadt nach einem vergleichbaren Konzept verlangt.
Mit finanzieller Unterstützung des Federal Art Project beginnt Berenice Abbott Straßenzüge zu dokumentieren, die bald für immer verschwunden sein werden. Daß sie sich dabei nur selten von Nostalgie geprägten Sehnsüchten hingibt, sorgt für die Spannung ihrer Aufnahmen. Aus den Motiven spricht vielmehr ein ambivalentes Gefühl, sie gleichen einem Balanceakt zwischen Schrecken und Faszination. In mehreren Ausstellungen zeigt Berenice Abbott schon bald ihre jeweils jüngsten Bilder, und 1939 faßt sie 97 Aufnahmen zu dem Fotoband "Changing New York" zusammen, dem auf Anhieb der Rang eines Klassikers attestiert wird. Danach verschwindet das viel umfangreichere Material in Archiven.
Erst jetzt, sechs Jahre nach dem Tod der Fotografin und rechtzeitig zu ihrem hundertsten Geburtstag im kommenden Sommer, wurde es aufgearbeitet. Unter dem alten Titel "Changing New York" ist dabei ein prachtvolles Buch von imposantem Format und stattlichem Umfang entstanden. Die nach Stadtbezirken geordneten Kapitel samt ihrer detaillierten Stadtpläne greifen den dokumentarischen Ansatz des ursprünglichen Vorhabens auf. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Künstlerbuch. Mit ihrer Liebe für das Spiel von Licht und Schatten, ungewöhnliche Perspektiven und überraschende Kompositionen wies Berenice Abbott den Weg für den fotografischen Blick der Moderne. - Unsere Abbildung zeigt eine Aufnahme aus dem Wall Street District: die Hochhäuser 111 John Street, 116 John Street und 60 Wall Tower, von der Kreuzung Cliff und Ferry Street aus aufgenommen. (Berenice Abbott: "Changing New York". Mit Texten von Bonnie Yochelson. Schirmer/Mosel Verlag, München 1997. 400 S., 413 Abb., geb., 148,- DM.)
FREDDY LANGER
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