Lorsque Myriam, mère de deux jeunes enfants, décide malgré les réticences de son mari de reprendre son activité au sein d'un cabinet d'avocats, le couple se met à la recherche d'une nounou. Après un casting sévère, ils engagent Louise, qui conquiert très vite l'affection des enfants et occupe progressivement une place centrale dans le foyer. Peu à peu le piège de la dépendance mutuelle va se refermer, jusqu'au drame. A travers la description précise du jeune couple et celle du personnage fascinant et mystérieux de la nounou, c'est notre époque qui se révèle, avec sa conception de l'amour et de l'éducation, des rapports de domination et d'argent, des préjugés de classe ou de culture. Le style sec et tranchant de Leïla Slimani, où percent des éclats de poésie ténébreuse, instaure dès les premières pages un suspense envoûtant.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2016Wie heiß und kalt duschen
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani hat mit ihrem großartigen Roman "Chanson Douce" den Prix Goncourt gewonnen
Ich glaube, ich habe tatsächlich auf meinem Bett gesessen und laut "Non!" und dann "Incroyable!" und dann sicher noch so etwas wie "Oh putain!" gerufen. Fast so, als hätte ich gerade beobachtet, wie jemand etwas unerhört Gewagtes, maximal Verbotenes tut. Ich saß da, hatte gerade einmal drei Seiten von Leïla Slimanis neuem Roman "Chanson Douce" gelesen, und konnte es kaum fassen. Wie schnell und dreist die Autorin loslegt, wie schonungslos sie zuschlägt. Einfach so: zack. Ohne Vorwarnung. Ohne Einleitung. Ohne ein "Achtung, könnte kurz pieksen". Stattdessen kommt ihr Roman so wie alle Romane der Collection Blanche von Gallimard in seinem cremefarbenen Einband mit roter Schrift daher und gibt sich ganz harmlos.
Man hätte es natürlich ahnen können: Vor zwei Jahren sorgte Slimani mit ihrem Erstling "Dans le Jardin de l'ogre" für Begeisterung, als sie roh und ohne große Umwege den hungrigen Alltag, die frenetische Suche nach Gefühl einer Nymphomanin beschrieb. Aber hier, in diesem neuen Roman, geht sie ein Stück weiter. Sie hämmert ihn uns einfach rein, diesen Vorspann, der mit folgendem Satz beginnt: "Le bébé est mort."
Das Baby ist tot. Gelitten hat es nicht, es war sofort tot, als man dort irgendwo zwischen Wickeltisch und Kuscheltierberg auf seinen kleinen Körper einstach. Seine Schwester hingegen hat sich gewehrt. Sie hat gekratzt, gebissen, geschrien, nur hat sie niemand gehört. Die Menschen interessieren sich nicht füreinander, in diesen großen Häusern des 10. Arrondissements in Paris, sie kommen erst aus ihren Löchern gekrochen, wenn so etwas passiert, wenn sie sagen können, sie hätten immer gewusst, dass das Böse genau hier zuschlagen würde. Musste es ja, bei so selbstsüchtigen Eltern. Während das Mädchen zu Hause um ihr Leben kämpft, steht ihre Mutter direkt um die Ecke in einer Boulangerie und kauft ein paar Eclairs. Sie kommt heute früher nach Hause und freut sich, ihre Kinder gleich zu überraschen. Adam ist zu diesem Zeitpunkt schon tot, Mila wird ihren Verletzungen bald erliegen. Die Täterin, ihre Nanny, überlebt.
Mit dieser Albtraumvision, diesem unerträglichen Einstieg, gewann die 35-Jährige an diesem Donnerstag den Prix Goncourt. Komischerweise war mir das bereits an diesem Abend klar, als ich gerne alle Pläne abgesagt hätte, nur um mit Slimani in ihrer düsteren Welt zu bleiben. Nicht nur, weil die Wahl einer jungen Franko-Marokkanerin nach dem anstrengenden Mathias Énard politisch klug ist, Leïla Slimanis Buch ist einfach gut. Sie spielt, ähnlich wie im wahren Leben, ein sehr verführerisches Spiel, baut durch schnelle Heiß-kalt-Duschen eine ungeheure Intensität auf: Auf den Schlag folgt das süße Lied, die "Chanson Douce", nach den ersten drei Seiten ist alles kurz leicht und weich und wahnsinnig normal. Sie erzählt von Myriam und Paul, einem für das 10. Arrondissement typischen Pariser, das mit beruflicher Karriere und Familienleben hadert und einen Ausweg sucht. Einen Ausweg aus dieser Existenz, die ihnen langsam die Luft zum Atmen raubt. Er heißt Louise. Louise ist nicht nur Nanny, sie ist auch Köchin, Haushaltsgehilfin, guter Geist, sie ist eine Perle. Sie schenkt Myriam ein Leben außerhalb des Mutterseins und Paul eine glücklichere Ehefrau.
Nach kürzester Zeit ist sie unabdingbar. Und während die beiden Mittdreißiger noch denken, sich befreit und endlich die berühmte Balance gefunden zu haben, sehen wir, die Leser, entsetzt dabei zu, wie sich ein Netz aus Erwartungen und Frust und Angst um sie herum spannt. Wir sehen, wie Louise, ganz langsam den Halt verliert, nicht mehr unterscheiden kann zwischen ihrem "echten" Leben, das kalt und leer und bröckelnd ist, und dem Leben, in das sie jeden Tag mit dem RER rein- und wieder rausfährt. Irgendwann will sie nicht mehr gehen. Sie will in dieser Familie bleiben, in der alles passt, und weil sie das nicht darf, weil ihr Platz angeblich woanders ist, schlägt sie zu. Man kann fast spüren, wie sich dieses Gift des angestauten Frusts in Louise ausbreitet, wie sie noch dagegen ankämpft, aber schließlich verliert.
Leïla Slimani beschreibt all diese sehr unterschiedlichen Bestrebungen (die Mutter, die Mama, aber auch frei und kokett sein will; der Vater, der sich als coolen Typen mit cooler Karriere träumt; die Nanny, die erst sanft hofft und irgendwann denkt, sie sei jetzt verdammt noch mal auch am Zug) auf den Punkt genau. In ihrem Lied gibt es bis zum Ende keine falsche Note, nichts an dieser doch eher unglaublichen Geschichte wirkt ausgedacht. Chère Leïla Slimani, wir gratulieren zum Goncourt!
ANNABELLE HIRSCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani hat mit ihrem großartigen Roman "Chanson Douce" den Prix Goncourt gewonnen
Ich glaube, ich habe tatsächlich auf meinem Bett gesessen und laut "Non!" und dann "Incroyable!" und dann sicher noch so etwas wie "Oh putain!" gerufen. Fast so, als hätte ich gerade beobachtet, wie jemand etwas unerhört Gewagtes, maximal Verbotenes tut. Ich saß da, hatte gerade einmal drei Seiten von Leïla Slimanis neuem Roman "Chanson Douce" gelesen, und konnte es kaum fassen. Wie schnell und dreist die Autorin loslegt, wie schonungslos sie zuschlägt. Einfach so: zack. Ohne Vorwarnung. Ohne Einleitung. Ohne ein "Achtung, könnte kurz pieksen". Stattdessen kommt ihr Roman so wie alle Romane der Collection Blanche von Gallimard in seinem cremefarbenen Einband mit roter Schrift daher und gibt sich ganz harmlos.
Man hätte es natürlich ahnen können: Vor zwei Jahren sorgte Slimani mit ihrem Erstling "Dans le Jardin de l'ogre" für Begeisterung, als sie roh und ohne große Umwege den hungrigen Alltag, die frenetische Suche nach Gefühl einer Nymphomanin beschrieb. Aber hier, in diesem neuen Roman, geht sie ein Stück weiter. Sie hämmert ihn uns einfach rein, diesen Vorspann, der mit folgendem Satz beginnt: "Le bébé est mort."
Das Baby ist tot. Gelitten hat es nicht, es war sofort tot, als man dort irgendwo zwischen Wickeltisch und Kuscheltierberg auf seinen kleinen Körper einstach. Seine Schwester hingegen hat sich gewehrt. Sie hat gekratzt, gebissen, geschrien, nur hat sie niemand gehört. Die Menschen interessieren sich nicht füreinander, in diesen großen Häusern des 10. Arrondissements in Paris, sie kommen erst aus ihren Löchern gekrochen, wenn so etwas passiert, wenn sie sagen können, sie hätten immer gewusst, dass das Böse genau hier zuschlagen würde. Musste es ja, bei so selbstsüchtigen Eltern. Während das Mädchen zu Hause um ihr Leben kämpft, steht ihre Mutter direkt um die Ecke in einer Boulangerie und kauft ein paar Eclairs. Sie kommt heute früher nach Hause und freut sich, ihre Kinder gleich zu überraschen. Adam ist zu diesem Zeitpunkt schon tot, Mila wird ihren Verletzungen bald erliegen. Die Täterin, ihre Nanny, überlebt.
Mit dieser Albtraumvision, diesem unerträglichen Einstieg, gewann die 35-Jährige an diesem Donnerstag den Prix Goncourt. Komischerweise war mir das bereits an diesem Abend klar, als ich gerne alle Pläne abgesagt hätte, nur um mit Slimani in ihrer düsteren Welt zu bleiben. Nicht nur, weil die Wahl einer jungen Franko-Marokkanerin nach dem anstrengenden Mathias Énard politisch klug ist, Leïla Slimanis Buch ist einfach gut. Sie spielt, ähnlich wie im wahren Leben, ein sehr verführerisches Spiel, baut durch schnelle Heiß-kalt-Duschen eine ungeheure Intensität auf: Auf den Schlag folgt das süße Lied, die "Chanson Douce", nach den ersten drei Seiten ist alles kurz leicht und weich und wahnsinnig normal. Sie erzählt von Myriam und Paul, einem für das 10. Arrondissement typischen Pariser, das mit beruflicher Karriere und Familienleben hadert und einen Ausweg sucht. Einen Ausweg aus dieser Existenz, die ihnen langsam die Luft zum Atmen raubt. Er heißt Louise. Louise ist nicht nur Nanny, sie ist auch Köchin, Haushaltsgehilfin, guter Geist, sie ist eine Perle. Sie schenkt Myriam ein Leben außerhalb des Mutterseins und Paul eine glücklichere Ehefrau.
Nach kürzester Zeit ist sie unabdingbar. Und während die beiden Mittdreißiger noch denken, sich befreit und endlich die berühmte Balance gefunden zu haben, sehen wir, die Leser, entsetzt dabei zu, wie sich ein Netz aus Erwartungen und Frust und Angst um sie herum spannt. Wir sehen, wie Louise, ganz langsam den Halt verliert, nicht mehr unterscheiden kann zwischen ihrem "echten" Leben, das kalt und leer und bröckelnd ist, und dem Leben, in das sie jeden Tag mit dem RER rein- und wieder rausfährt. Irgendwann will sie nicht mehr gehen. Sie will in dieser Familie bleiben, in der alles passt, und weil sie das nicht darf, weil ihr Platz angeblich woanders ist, schlägt sie zu. Man kann fast spüren, wie sich dieses Gift des angestauten Frusts in Louise ausbreitet, wie sie noch dagegen ankämpft, aber schließlich verliert.
Leïla Slimani beschreibt all diese sehr unterschiedlichen Bestrebungen (die Mutter, die Mama, aber auch frei und kokett sein will; der Vater, der sich als coolen Typen mit cooler Karriere träumt; die Nanny, die erst sanft hofft und irgendwann denkt, sie sei jetzt verdammt noch mal auch am Zug) auf den Punkt genau. In ihrem Lied gibt es bis zum Ende keine falsche Note, nichts an dieser doch eher unglaublichen Geschichte wirkt ausgedacht. Chère Leïla Slimani, wir gratulieren zum Goncourt!
ANNABELLE HIRSCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main