Eine atemberaubende Reise durch den Kosmos bis an die äußersten Grenzen der Schöpfung. Von der rätselhaftnen Welt der kleinsten Teilchen bis hin zur Weltformel, der Großen Vereinheitlichten Theorie, präsentiert Timothy Ferris mit bewundernswerter Leichtigkeit die faszinierenden Erkenntnisse der modernen Kosmologie. Ein Muß für jeden, der das Staunen nicht verlernt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2000Lieber nichts Größeres sein!
Timothy Ferris versteht die Probleme der Kosmologie
"Als ich die Bilder meines schönen Universums in Farbe auf dem großen Bildschirm sah, es war so schön - ich weinte fast. Ich weiß, was ich wollte, aber ich dachte nicht, es würde so schön sein." Nahezu überwältigt war der russische Forscher Andrej Linde, als er das erste Mal die grafische Darstellung seiner Theorie von der chaotischen Inflation des Universums zu Gesicht bekam. Eine der Inflationstheorien, mit denen die Kosmologen versuchten, die mit dem mittlerweile klassischen Urknall-Modell vom Ursprung des Alls verbundenen Schwierigkeiten zu beseitigen. Über die modernen Deutungen des Universums, mit einem Schwerpunkt auf der quantenphysikalischen Sicht, berichtet Timothy Ferris in seinem Buch "Chaos und Notwendigkeit".
Lindes noch der alten Physik verschriebene chaotische Inflation ist ein gutes Beispiel für die Ideenvielfalt, mit der die heutige Kosmologie aufwartet. Mit dem Begriff der Inflation charakterisieren die Kosmologen die Vorgänge im frühen Universum, das sich den Theorien zufolge viel rascher ausdehnte als das, was aus ihm hervorging, nämlich exponentiell. Für Linde war die Inflation selbst nur ein Teil der Geschichte. Seiner Meinung nach sprießen aus einem inflationären Universum weitere inflationäre Blasen hervor, die wiederum Tochter-Blasen erzeugen. Was daraus entsteht, ist ein Multiversum, das unzählige einzelne Universen wie das enthält, in dem wir selbst leben.
Worüber auch die Inflationstheorien hinweggehen, ist die Frage nach dem Urknall. Der herkömmlichen Physik zufolge müsste das All zur Zeit seiner Entstehung in einem unendlich heißen Punkt vereint gewesen sein. Eine solche "Singularität" entzieht sich der physikalischen Beschreibung, nach den Gesetzen der Quantenphysik darf es sie auch gar nicht geben. Hier setzen die quantenphysikalischen Deutungen des Universums an, mit all ihren dem normalen Menschenverstand kaum noch zugänglichen Folgen. Die Quantenkosmologie lässt sich als der Versuch beschreiben, die Wellenfunktion des Universums zu finden. Wenn die Quantenmechanik berücksichtigt wird, ergibt sich die Möglichkeit, dass die anfängliche Singularität verschmiert und Raum und Zeit zusammen eine geschlossene Fläche ohne Rand oder Kante bilden.
Nach der von Niels Bohr und anderen Physikern formulierten "Kopenhagener Deutung" kann man von einem Quantensystem erst dann sagen, es sei in einem bestimmten Zustand - zum Beispiel Welle oder Teilchen -, wenn es beobachtet wird. Die Messung lässt nämlich die Wellenfunktion "kollabieren", wodurch sich das System für den einen oder anderen seiner möglichen, einander aber ausschließenden Aspekte entscheidet. Messungen und Beobachter können aber keine Grundbegriffe einer Theorie sein, die das frühe Universum zu beschreiben versucht, weil es damals keines von beiden gab.
Eine andere Schwierigkeit liefern die so genannten verschränkten Teilchen. Zerfällt beispielsweise ein Teilchen in zwei andere mit unterschiedlichen Spins, kann man zunächst nicht sagen, welches dieser beiden Produkte welchen Spin mit sich führt. Dieser manifestiert sich erst bei der Messung. Haben sich die beiden Teilchen nun um Tausende von Kilometern voneinander entfernt und misst ein Physiker den Spin des einen Teilchens, ist damit gleichzeitig der Spin des anderen festgelegt, weil die beiden Spins ja nicht übereinstimmen dürfen. Es ist, als wechselten die Partikel über riesige Distanzen spontan Informationen aus. Könnte das bedeuten, dass das Universum in einer tiefen und bis jetzt nur undeutlich wahrgenommenen Weise auf einer Ebene vernetzt ist, auf der Zeit und Raum nicht zählen?
Der Autor versteht es meisterhaft, den Leser mit den Stärken und Schwächen und all den Komplikationen der modernen Kosmologie vertraut zu machen. Es wird deutlich, warum sich diese Wissenschaft in einem Umbruch befindet, dessen Ende noch nicht einmal abzuschätzen ist. Unverständlich bleibt, warum sich Ferris in seinem Buch nicht auf solche Aspekte beschränkt hat. Der erste Teil des Buches handelt von Beobachtungsergebnissen, zum Beispiel hinsichtlich der Verteilung der Galaxien im Universum, deren Bezug zur Kosmologie, obwohl vorhanden, nicht klar wird. Außerdem sind diese Abschnitte eher ermüdend zu lesen. Hinzu kommen einige ärgerliche Fehler und Unstimmigkeiten. Es stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Gedankenexperiments, in dem die Sonne zu einem Schwarzen Loch wird. Diese Entwicklung ist gar nicht möglich, weil die Sonne dafür eine viel zu kleine Masse hat. In dem Zusammenhang schreibt der Autor, Schwarze Löcher seien "nicht aggressiv", was er gleich darauf in anderem Zusammenhang wieder zurücknehmen muss. Und übrigens: Die Null ist nicht in Mitteleuropa erfunden worden, wie der Autor behauptet, sondern in Indien.
GÜNTER PAUL
Timothy Ferris: "Chaos und Notwendigkeit". Report zur Lage des Universums. Aus dem Amerikanischen von Anita Ehlers. Droemer Verlag, München 2000. 478 S., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Timothy Ferris versteht die Probleme der Kosmologie
"Als ich die Bilder meines schönen Universums in Farbe auf dem großen Bildschirm sah, es war so schön - ich weinte fast. Ich weiß, was ich wollte, aber ich dachte nicht, es würde so schön sein." Nahezu überwältigt war der russische Forscher Andrej Linde, als er das erste Mal die grafische Darstellung seiner Theorie von der chaotischen Inflation des Universums zu Gesicht bekam. Eine der Inflationstheorien, mit denen die Kosmologen versuchten, die mit dem mittlerweile klassischen Urknall-Modell vom Ursprung des Alls verbundenen Schwierigkeiten zu beseitigen. Über die modernen Deutungen des Universums, mit einem Schwerpunkt auf der quantenphysikalischen Sicht, berichtet Timothy Ferris in seinem Buch "Chaos und Notwendigkeit".
Lindes noch der alten Physik verschriebene chaotische Inflation ist ein gutes Beispiel für die Ideenvielfalt, mit der die heutige Kosmologie aufwartet. Mit dem Begriff der Inflation charakterisieren die Kosmologen die Vorgänge im frühen Universum, das sich den Theorien zufolge viel rascher ausdehnte als das, was aus ihm hervorging, nämlich exponentiell. Für Linde war die Inflation selbst nur ein Teil der Geschichte. Seiner Meinung nach sprießen aus einem inflationären Universum weitere inflationäre Blasen hervor, die wiederum Tochter-Blasen erzeugen. Was daraus entsteht, ist ein Multiversum, das unzählige einzelne Universen wie das enthält, in dem wir selbst leben.
Worüber auch die Inflationstheorien hinweggehen, ist die Frage nach dem Urknall. Der herkömmlichen Physik zufolge müsste das All zur Zeit seiner Entstehung in einem unendlich heißen Punkt vereint gewesen sein. Eine solche "Singularität" entzieht sich der physikalischen Beschreibung, nach den Gesetzen der Quantenphysik darf es sie auch gar nicht geben. Hier setzen die quantenphysikalischen Deutungen des Universums an, mit all ihren dem normalen Menschenverstand kaum noch zugänglichen Folgen. Die Quantenkosmologie lässt sich als der Versuch beschreiben, die Wellenfunktion des Universums zu finden. Wenn die Quantenmechanik berücksichtigt wird, ergibt sich die Möglichkeit, dass die anfängliche Singularität verschmiert und Raum und Zeit zusammen eine geschlossene Fläche ohne Rand oder Kante bilden.
Nach der von Niels Bohr und anderen Physikern formulierten "Kopenhagener Deutung" kann man von einem Quantensystem erst dann sagen, es sei in einem bestimmten Zustand - zum Beispiel Welle oder Teilchen -, wenn es beobachtet wird. Die Messung lässt nämlich die Wellenfunktion "kollabieren", wodurch sich das System für den einen oder anderen seiner möglichen, einander aber ausschließenden Aspekte entscheidet. Messungen und Beobachter können aber keine Grundbegriffe einer Theorie sein, die das frühe Universum zu beschreiben versucht, weil es damals keines von beiden gab.
Eine andere Schwierigkeit liefern die so genannten verschränkten Teilchen. Zerfällt beispielsweise ein Teilchen in zwei andere mit unterschiedlichen Spins, kann man zunächst nicht sagen, welches dieser beiden Produkte welchen Spin mit sich führt. Dieser manifestiert sich erst bei der Messung. Haben sich die beiden Teilchen nun um Tausende von Kilometern voneinander entfernt und misst ein Physiker den Spin des einen Teilchens, ist damit gleichzeitig der Spin des anderen festgelegt, weil die beiden Spins ja nicht übereinstimmen dürfen. Es ist, als wechselten die Partikel über riesige Distanzen spontan Informationen aus. Könnte das bedeuten, dass das Universum in einer tiefen und bis jetzt nur undeutlich wahrgenommenen Weise auf einer Ebene vernetzt ist, auf der Zeit und Raum nicht zählen?
Der Autor versteht es meisterhaft, den Leser mit den Stärken und Schwächen und all den Komplikationen der modernen Kosmologie vertraut zu machen. Es wird deutlich, warum sich diese Wissenschaft in einem Umbruch befindet, dessen Ende noch nicht einmal abzuschätzen ist. Unverständlich bleibt, warum sich Ferris in seinem Buch nicht auf solche Aspekte beschränkt hat. Der erste Teil des Buches handelt von Beobachtungsergebnissen, zum Beispiel hinsichtlich der Verteilung der Galaxien im Universum, deren Bezug zur Kosmologie, obwohl vorhanden, nicht klar wird. Außerdem sind diese Abschnitte eher ermüdend zu lesen. Hinzu kommen einige ärgerliche Fehler und Unstimmigkeiten. Es stellt sich die Frage nach dem Sinn eines Gedankenexperiments, in dem die Sonne zu einem Schwarzen Loch wird. Diese Entwicklung ist gar nicht möglich, weil die Sonne dafür eine viel zu kleine Masse hat. In dem Zusammenhang schreibt der Autor, Schwarze Löcher seien "nicht aggressiv", was er gleich darauf in anderem Zusammenhang wieder zurücknehmen muss. Und übrigens: Die Null ist nicht in Mitteleuropa erfunden worden, wie der Autor behauptet, sondern in Indien.
GÜNTER PAUL
Timothy Ferris: "Chaos und Notwendigkeit". Report zur Lage des Universums. Aus dem Amerikanischen von Anita Ehlers. Droemer Verlag, München 2000. 478 S., geb., 58,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In einer Doppelrezension bespricht Thomas Eckardt die folgenden Titel zur Astrophysik:
1) Timothy Ferris: "
1) Timothy Ferris: "