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Die charismatische und pfingstliche Frömmigkeit hat sich nicht nur weltweit verbreitet (vor allem in der Dritten Welt, man rechnet global mit über 400 Millionen!), sie ist auch in unseren Breitengraden aufgetreten, gewiss auch eine Defizitanzeige unserer Kirchen und unserer Theologie - ein Thema, das W. J. Hollenweger ausführlich behandelt.
Da die Kirchen diese Frömmigkeit jeweils ausschließlich vom lokalen Erscheinungsbild her beurteilen, ergibt sich ein unbefriedigender Dialog, wenn man überhaupt noch von Dialog reden kann (und dies, obschon der Vatikan seit zwanzig Jahren einen
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Produktbeschreibung
Die charismatische und pfingstliche Frömmigkeit hat sich nicht nur weltweit verbreitet (vor allem in der Dritten Welt, man rechnet global mit über 400 Millionen!), sie ist auch in unseren Breitengraden aufgetreten, gewiss auch eine Defizitanzeige unserer Kirchen und unserer Theologie - ein Thema, das W. J. Hollenweger ausführlich behandelt.
Da die Kirchen diese Frömmigkeit jeweils ausschließlich vom lokalen Erscheinungsbild her beurteilen, ergibt sich ein unbefriedigender Dialog, wenn man überhaupt noch von Dialog reden kann (und dies, obschon der Vatikan seit zwanzig Jahren einen offiziellen Dialog mit der Pfingstbewegung führt, über den W. J. Hollenweger ausführlich berichtet). Der Verfasser legt eine umfassende Analyse dieser Frömmigkeit vor. Er behandelt (geschichtlich und in der Gegenwart) die schwarze (mündliche) Wurzel, die katholische, die kritische, die ökumenische und die evangelikale Wurzel. Diese führten zu einem innerpfingstlichen und innercharismatischen Pluralismus, der von den Vertretern der hiesigen pfingstlich-charismatischen Gruppierungen entweder ignoriert oder verdrängt wird, aber eine gute Voraussetzung für ein kritisches ökumenisches Gespräch wäre. Der Verfasser stellt Erfahrungen und die ersten pfingstlich-charismatischen theologischen Interpretationen vor, die in unseren Breitengraden (noch) unbekannt sind, die aber in Zukunft wichtig werden.
Insbesondere interessiert die Aufgabe, die sich heutige pfingstliche Theologen stellen, nämlich: mit ihrer eigenen mündlichen Basis und mit der kritischen Wissenschaft im Gespräch zu bleiben. Hier kann das ökumenische Gespräch sinnvoll anknüpfen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1997

O Heiliger Geist, übertöne den Walkman
Selig sind die Armen im Geiste: Die Pfingstkirchen wachsen weltweit, und Walter Hollenweger ist ihr Prophet

Seit zweihundert Jahren beschwören kritische Kulturdeuter den Verfall des Christentums. Unkirchlich seien die Menschen geworden, und Säkularisierung präge die Entwicklung moderner Gesellschaften. Solche Krisendiagnosen werden der widersprüchlichen Lage des Christentums am Ende des zweiten Jahrtausends nur eingeschränkt gerecht. In vielen Ländern der Dritten Welt suchen große Teile der Bevölkerung ihr Heil im gekreuzigten Erlöser aus Nazareth. Aufgeklärte Eliten im Westen nehmen dies kaum zur Kenntnis, weil sie an ihr Säkularisierungsdogma glauben. Das Wachstum der Christenheit verdankt sich vorrangig der aggressiven Mission der Pfingstkirchen, die hierzulande wenig bekannt sind. Sie entstanden um 1900 im methodistisch evangelikalen Protestantismus der Vereinigten Staaten. Inzwischen verstehen sich knapp fünfhundert Millionen Menschen als Pentecostals. Halten die Zuwachsraten der letzten Jahre an, werden die Pfingstler zur Jahrtausendwende Katholiken oder Protestanten zahlenmäßig übertroffen haben.

Für den Erfolg der Pfingstler haben akademische Religionsexperten noch keine Erklärungen. Walter Hollenweger, der führende Theologe der Bewegung, führt ihn auf den Heiligen Geist zurück, der eben Herzen bewegen könne. Sein Bericht von Entstehung und globaler Expansion der Pfingstkirchen wird zum Credo. Mehrfach unterbricht er den Erzählfluß durch Gebete, in denen Naturromantik und Zivilisationskritik, Liebespathos und Antikapitalismus eng verknüpft sind. Der betende Autor präsentiert sich hier als eine vom Lärm "moderner Walkmänner" geplagte Singdrossel. "Aber lieber Geist, könntest du nicht den jungen Leuten sagen, daß sie vielleicht einmal ihren Walkman weglegen könnten, um meinem Gesang zuzuhören?" In kitschigem religiösem Jargon erzählt er eine success story, die von der Geschäftstüchtigkeit der Geistbegabten auf den umkämpften Weltanschauungsmärkten unseres Jahrhunderts zeugen soll.

Viele Historiker der Bewegung sehen in dem schwarzen Laienprediger William Joseph Seymour den ersten Künder des neuen antirational ekstatischen Christentums. Andere verweisen darauf, daß die innovativen religiösen Ideen von dem jungen Methodistenpfarrer Charles F. Parham entwickelt worden seien. Parham war eine sehr widersprüchliche Gestalt. Traumatische Erfahrungen mit Ärzten, die seine Homosexualität therapieren wollten, machten ihn zum scharfen Kritiker des modernen medizinischen Machbarkeitsglaubens. 1895 begann er mit "Geistheilungen". Angesichts des Pfingstwunders der Apostelgeschichte wollte er die Taufe mit dem Heiligen Geist durch "Zungenreden" bestätigt sehen. Unter Handauflegung und Gebet des Predigers errichtete sich seine Personalgemeinde ein sozioakustisches Heiligtum spontaner Glossolalie.

Zu charismatischer Erwählungsgewißheit trug eine rassistische British-Israel-Theologie bei. In den Angelsachsen sah der dem Ku-Klux-Klan nahestehende Heilungsprediger Nachfahren der in der assyrischen Deportation verschwundenen zehn Stämme Israels. So identifizierten seine Geistgetauften die Masse der verlorenen Sünder primär mit den Afroamerikanern. Die Verschmelzung des überkommenen christlichen Erwählungsglaubens mit einem modernen Rassismus prägte viele Pfingstgemeinden der weißen Mittelklasse in den Vereinigten Staaten. Der Geist, der sie beseelte, garantierte Ordnung, Autorität, Familienwerte, starke Gemeinschaftsbindung und die Überlegenheit des neuen, amerikanischen Israels.

Parhams schwarzer Schüler Seymour durfte die Predigten des Lehrers nur vor der Kirchentür hören, weil sich drinnen allein die Weißen begeistern lassen wollten. Sein Heiliger Geist sollte deshalb die Grenzen von Rasse, Stand, Geschlecht und Bildung überwinden. Berühmt wurde der Prediger einer schwarzen Gemeinde in Los Angeles, als sich 1906 weiße Professoren gemeinsam mit schwarzen Waschfrauen, asiatischen Kaufleuten und mexikanischen Arbeiterwitwen zu Buße und Umkehr erwecken ließen. Die bürgerliche Presse hatte für den "selbsternannten Negerpropheten" nur Spott übrig. Seymours Anhänger aber sahen sich darin bestätigt, gleich Jesu Jüngern von aller Sündenlast befreit worden zu sein. Durch Zungenreden, Traumdeutung, ekstatischen Tanz, freies öffentliches Gebet und wundersame Heilung von alten Gebrechen erschlossen sie sich eine starke Identität. Vielen Schwarzen verhalf der Pfingstglaube zu einer aktiven Lebenshaltung, die den Aufstieg in die Mittelschichten ermöglichte.

Hollenweger bietet einen breit angelegten Überblick über die Vielfalt pfingstlicher Kirchen. In Afrika, Lateinamerika und Asien ließen sich deren Frömmigkeitspraktiken leichter als die rationale, wortorientierte Verkündigung der alten Kirchen mit einheimischen religiösen Traditionen verschmelzen. Afrikaner konnten den Heiligen Geist als Sieger über böse Dämonen sowie als Inbegriff aller guten Geister der eigenen Tradition annehmen. Lateinamerikanischen Katholiken eröffnete der Geist asketischer Sittenstrenge die Aussicht auf ein Leben in bürgerlichem Wohlstand. In Asien führte der alles neu schaffende Geist Gläubige dazu, Passivität zugunsten tätiger Weltgestaltung zu überwinden. In allen Synkretismen von einheimischer Religion und Pfingstgeist hielten die Pfingstler aber an ihrer Botschaft fest, daß sich der Mensch durch Buße und Umkehr zu einer selbstbestimmten Lebensführung emporarbeiten kann. So läßt sich ihre Rede von der heilenden Kraft des Geistes auch als eine christliche Variante des modernen Glaubens an die aktive Selbsterlösung eines starken Menschen deuten.

Die Pfingstbewegung entstand als Reaktion auf ein bürgerliches Christentum, das wenig geistliche Kraft ausstrahlte. Sie setzte sich als eine "Religion der Hochspannung" durch, die mit der Erlösung des Menschen Ernst machen wollte. In ihrem Triumphalismus erzeugte sie zahllose Opfer, die die Geisttaufe als seelischen Terror und Versklavung ihres Ich erlebten. Unbedingtheit und Intoleranz begünstigten die Missionserfolge der Pfingstler.

Hollenwegers Buch ist auch ein Diskussionsbeitrag zum "Kampf der Kulturen". Fundamentalistische Entschiedenheit prägt nicht nur den neuen antiwestlichen Islam und andere nichtchristliche Religionen. Auch im Christentum gewinnen charismatische Radikale an Gewicht, die mit Feuerzungen neue Pfingstwunder bezeugen. Viele westliche Intellektuelle haben dies noch nicht gemerkt. Aber sie sind in ihrer aufgeklärten Religionsblindheit nicht weniger wundersam als jene Pfingstler, die Impfungen ablehnen, weil sie vom Geiste erfüllt sind. FRIEDRICH WILHELM GRAF

Walter J. Hollenweger: "Charismatisch-pfingstliches Christentum". Herkunft - Situation - Ökumenische Chancen. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997. 520 S., geb., 98,- DM.

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