Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2020„Überall Freude, Profit, Exzess“
„Berauscht euch; berauscht euch unentwegt!“: Simon Werle hat „Le Spleen de Paris“ von Charles Baudelaire
neu übersetzt und ist damit für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert
VON NICO BLEUTGE
Seit einigen Tagen habe er den Wein vormittags abgeschafft, schreibt Charles Baudelaire Anfang März 1866 an seine Mutter. Stattdessen folge er nun einem genauen Ernährungsplan: „Fleisch und Tee, nach englischer Manier“. Der große Vorteil daran sei, dass man sofort und lange Zeit arbeiten könne. Allerdings bedürfe es einiger Kraft, den Zustand zu halten, um nicht in die gefürchteten Kopfschmerzen abzudriften: „Die leichte Benommenheit, die der Tee bewirkt, verursacht eine Art Blutandrang, ein ähnliches Gefühl, wie man es manchmal im Kopf hat, wenn man ein Eis isst.“
Die extravagante neue Diät half dem Dichter Baudelaire nicht weiter. Zwar hatte er den Plan, in diesen Märzwochen wieder intensiv an seinem „Spleen de Paris“ zu schreiben, aber er konnte die Arbeit an der großen Sammlung nie abschließen. Zwanzig Monate lang war er fast dauernd krank gewesen, ohne überhaupt zu wissen, was ihm denn fehlte. War es Neuralgie, wie einige Ärzte meinten? Rheuma? Oder gewöhnliches Fieber? Die Anfälle erfolgten in Schüben: Schwindelgefühle, Taumeln („wie ein Betrunkener“), Erbrechen. Tagelanges Liegen im Bett. Als Therapie dienten Pillen oder Umschläge mit schmerzlinderndem Wasser und Terpentin. An der Syphilis litt er ohnehin. Zum schlechten körperlichen Zustand kamen Geldprobleme und die dauernde Sorge, die poetische Energie könne plötzlich versiegen.
So sehr die Sammlung Fragment geblieben ist – „Le Spleen de Paris“ ist nach den „Fleurs du Mal“ zweifellos Baudelaires zweites Hauptwerk. Und auch wenn viele Jahre und einige wichtige ästhetische Überlegungen zwischen den beiden Büchern liegen, zeigen sich schon beim ersten Blättern lose Querverbindungen. Die Vorstellung etwa, die Dinge und das Denken seien unauflöslich miteinander verwoben, wobei das Ich im Hintergrund eher einer dünnen Membran gleicht als einer weltsetzenden Instanz. Oder die Feier des Leidens und der „überspannten Nerven“, Voraussetzung für Baudelaires „sensible Kunst“, wie er sein Schreiben selbst einmal genannt hat.
Erst recht aber die Beschwörung der Stadt mit ihrem „Gewimmel“, wie es in den „Blumen des Bösen“ heißt, den Narren und Gauklern, den Spielern und Verliebten, den Einsamen und armen Menschen – und alles „von Traum durchzogen“. Gleich zu Beginn der „Spleen“-Gedichte betont Baudelaire den „Kontakt mit den Riesenstädten“ und weist auch auf die entscheidende Neuerung hin. Es gehe darum, eine Form zu finden, „geschmeidig genug und kantig genug“, um sich nicht nur den lyrischen Regungen der Seele oder dem Hin und Her der Träumereien anzupassen, sondern auch den „jähen Zuckungen des Bewusstseins“ und den zahllosen Beziehungen, die sich in der Großstadt durchdringen.
Seine Lösung ist das „Wunder einer poetischen Prosa“, musikalisch, aber ohne strengen Rhythmus oder Reime, und so nennt er seine Sammlung im Untertitel des Buches nicht von ungefähr „Petits poèmes en prose“. Eine Mischform, die nahezu alles in sich aufnehmen kann, erzählende Momente, Dialoge, Anklänge an journalistisches Schreiben oder auch an das philosophische Traktat. Eine Form, die tatsächlich so geschmeidig und kantig ist, dass sie bis heute von zahllosen Dichterinnen und Dichtern weltweit genutzt und weiterentwickelt wird, um die Schwingungen der unruhigen Gegenwart einzufangen. Baudelaire selbst bringt darin mühelos Sozialkritik, Beobachtungen, fantastische Reisen und Reflexionen über den Geist Frankreichs unter, stellt mit feiner Ironie das Schuldbekenntnis eines Künstlers neben das Porträt eines Esels.
Diesen kleinen Prosagedichten kann man jetzt in einer neuen Übersetzung nachgehen. Simon Werle, der schon die „Fleurs du Mal“ in ein funkelndes gegenwärtiges Deutsch verwandelt hat, wendet sich vor allem der rhythmischen Feinstruktur der Sätze zu. Man kann die Arbeit am Rhythmus sehr schön sehen, wenn man Werles Übersetzung mit der ebenfalls grandiosen Übersetzung vergleicht, die Friedhelm Kemp Mitte der 1980er-Jahre angefertigt hat. Wo Kemp etwa einen Satz mit daktylischem Grundton im Deutschen trochäisch zuspitzt – „Wie durchdringend sind die Abende im Herbst!“ –, versucht Werle, den Rhythmus von Baudelaires Satz nachzuformen: „Wie durchdringend ist der Ausklang der Tage im Herbst!“
Werle hat auch ein feines Ohr für den Klang. Den Wechsel von v-, ou-, und i-Lauten in einem Satz wie „Ah! vous voulez savoir pourquoi je vous hais aujourd’hui“ verschiebt er im Deutschen in eine Melange aus w-, a- und i-Lauten: „Ah, Sie wollen wissen, warum ich Sie heute hasse.“ Was aber keineswegs heißt, er würde Abstriche in Sachen Bedeutung machen. So lesenswert sie ist, Friedhelm Kemps Übersetzung leidet bisweilen an jenem „kaum merklichen Wohlgeruch von erlesenster Wahl“, den er einmal benennt.
Werle indes gibt Baudelaire noch in der elegantesten Formulierung etwas von seiner Brüchigkeit und Sperrigkeit zurück, in der sich immer auch eine kritische Perspektive versteckt. Aus „odeur de friture“ wird hier der „Geruch nach Ausbackfett“, und „la lourde et sale atmosphère parisienne“ heißt in der Übersetzung nun „der schwere Pariser Smog“. Auch wenn „Smog“ ein Wort ist, das erst nach Baudelaires Zeit erfunden wurde, trifft es gut die industriell bestimmte Luftatmosphäre im damaligen Paris. Überhaupt hat Werles Übersetzung dort ihre Stärken, wo Baudelaire die schon etablierte Konsumgesellschaft im Frankreich unter Napoleon III. analysiert und immer wieder deren Kehrseite in den Blick nimmt, die soziale Not: „Überall Freude, Profit, Exzess“ („Gewinst, Verschwendung“ schreibt Friedhelm Kemp) – und gleich daneben „das absolute Elend, das Elend, das in komische Lumpen gehüllt war“.
Es ist ein Glück, die „Spleen“-Gedichte in dieser intensiven Neuübersetzung lesen zu können. Nicht ganz so geglückt ist die Entscheidung der Herausgeber, auch noch alle möglichen anderen Texte Baudelaires in die Ausgabe zu packen, auf dass ein vergleichbar dickes Buch entstehe wie die Neuausgabe der „Fleurs du Mal“ von 2017. Die Novelle „La Fanfarlo“, in der Baudelaire seine Selbstwerdung zum Dichter nachzeichnet, mag man noch mit der sprachlichen Feinheit mancher „Spleen“-Stücke in Verbindung bringen. Aber weder das dramatische Fragment „Idéolus“ noch das Sammelsurium von Jugendgedichten, „in Zusammenarbeit entstandenen“, „Baudelaire zugeschriebenen“ und „wiederentdeckten“ Gedichten weiß so recht zu überzeugen. Hier steht manches „hochfahrende Sonett“ neben mauen Liebesversen.
Die „Spleen“-Gedichte sind die mit Abstand aufregendsten Texte. Viele weitere Prosagedichte wollte Baudelaire für die Sammlung noch schreiben, über das „schwarze Huhn“ etwa oder den „roten Fisch“, über die Hölle des Theaters oder das Verhältnis von Dichter und Geschichtsschreiber. Aber er konnte das Buch nicht vollenden, kurze Zeit nach dem März-Brief an die Mutter sollte er einen Schlaganfall erleiden. Im August 1867 starb er, mit gerade 46 Jahren.
Hätte er den geplanten Text über den „Philosophen im Karneval“ noch anfertigen können, wer weiß, vielleicht wäre es ein Selbstporträt des Schreibenden geworden. Womöglich hätte Baudelaire darin seine Prosagedichte mit den schlanken Formen der Schiffe verglichen, die in jenen „Hafen“ einfahren, von dem einmal die Rede ist: Man möchte unaufhörlich ihren Bewegungen folgen.
Aber auch die vor Anker liegenden Schiffe eignen sich zum Vergleich. Aller Brüchigkeit zum Trotz zeigen sie nicht nur „harmonisches Schwanken“, sondern verstehen es zudem, „die Lust an Rhythmus und Schönheit zu nähren“. Allerdings ist es eine Schönheit, die mit ihrem Gegenteil verschwistert ist, das wusste Baudelaire genau. Um die Last der Zeit mit all ihren Schrecken und sozialen Verwerfungen zu ertragen, gibt er seinen Lesern gleich noch einen Rat an die Hand: „Berauscht euch; berauscht euch unentwegt! An Wein, an Dichtung, an Tugend, wie es euch beliebt.“
Mit feiner Ironie stellt er das
Schuldbekenntnis eines Künstlers
neben das Porträt eines Esels
Der Dichter starb im
August 1867 im Alter von
gerade einmal 46 Jahren
Im „Kontakt mit den Riesenstädten“ – Charles Baudelaire (1821 – 1867), porträtiert von Nadar.
Foto: Getty images
Charles Baudelaire: Le Spleen de Paris. Gedichte in Prosa und frühe Dichtungen. Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt
Verlag, Hamburg 2019.
510 Seiten, 40 Euro.
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„Berauscht euch; berauscht euch unentwegt!“: Simon Werle hat „Le Spleen de Paris“ von Charles Baudelaire
neu übersetzt und ist damit für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert
VON NICO BLEUTGE
Seit einigen Tagen habe er den Wein vormittags abgeschafft, schreibt Charles Baudelaire Anfang März 1866 an seine Mutter. Stattdessen folge er nun einem genauen Ernährungsplan: „Fleisch und Tee, nach englischer Manier“. Der große Vorteil daran sei, dass man sofort und lange Zeit arbeiten könne. Allerdings bedürfe es einiger Kraft, den Zustand zu halten, um nicht in die gefürchteten Kopfschmerzen abzudriften: „Die leichte Benommenheit, die der Tee bewirkt, verursacht eine Art Blutandrang, ein ähnliches Gefühl, wie man es manchmal im Kopf hat, wenn man ein Eis isst.“
Die extravagante neue Diät half dem Dichter Baudelaire nicht weiter. Zwar hatte er den Plan, in diesen Märzwochen wieder intensiv an seinem „Spleen de Paris“ zu schreiben, aber er konnte die Arbeit an der großen Sammlung nie abschließen. Zwanzig Monate lang war er fast dauernd krank gewesen, ohne überhaupt zu wissen, was ihm denn fehlte. War es Neuralgie, wie einige Ärzte meinten? Rheuma? Oder gewöhnliches Fieber? Die Anfälle erfolgten in Schüben: Schwindelgefühle, Taumeln („wie ein Betrunkener“), Erbrechen. Tagelanges Liegen im Bett. Als Therapie dienten Pillen oder Umschläge mit schmerzlinderndem Wasser und Terpentin. An der Syphilis litt er ohnehin. Zum schlechten körperlichen Zustand kamen Geldprobleme und die dauernde Sorge, die poetische Energie könne plötzlich versiegen.
So sehr die Sammlung Fragment geblieben ist – „Le Spleen de Paris“ ist nach den „Fleurs du Mal“ zweifellos Baudelaires zweites Hauptwerk. Und auch wenn viele Jahre und einige wichtige ästhetische Überlegungen zwischen den beiden Büchern liegen, zeigen sich schon beim ersten Blättern lose Querverbindungen. Die Vorstellung etwa, die Dinge und das Denken seien unauflöslich miteinander verwoben, wobei das Ich im Hintergrund eher einer dünnen Membran gleicht als einer weltsetzenden Instanz. Oder die Feier des Leidens und der „überspannten Nerven“, Voraussetzung für Baudelaires „sensible Kunst“, wie er sein Schreiben selbst einmal genannt hat.
Erst recht aber die Beschwörung der Stadt mit ihrem „Gewimmel“, wie es in den „Blumen des Bösen“ heißt, den Narren und Gauklern, den Spielern und Verliebten, den Einsamen und armen Menschen – und alles „von Traum durchzogen“. Gleich zu Beginn der „Spleen“-Gedichte betont Baudelaire den „Kontakt mit den Riesenstädten“ und weist auch auf die entscheidende Neuerung hin. Es gehe darum, eine Form zu finden, „geschmeidig genug und kantig genug“, um sich nicht nur den lyrischen Regungen der Seele oder dem Hin und Her der Träumereien anzupassen, sondern auch den „jähen Zuckungen des Bewusstseins“ und den zahllosen Beziehungen, die sich in der Großstadt durchdringen.
Seine Lösung ist das „Wunder einer poetischen Prosa“, musikalisch, aber ohne strengen Rhythmus oder Reime, und so nennt er seine Sammlung im Untertitel des Buches nicht von ungefähr „Petits poèmes en prose“. Eine Mischform, die nahezu alles in sich aufnehmen kann, erzählende Momente, Dialoge, Anklänge an journalistisches Schreiben oder auch an das philosophische Traktat. Eine Form, die tatsächlich so geschmeidig und kantig ist, dass sie bis heute von zahllosen Dichterinnen und Dichtern weltweit genutzt und weiterentwickelt wird, um die Schwingungen der unruhigen Gegenwart einzufangen. Baudelaire selbst bringt darin mühelos Sozialkritik, Beobachtungen, fantastische Reisen und Reflexionen über den Geist Frankreichs unter, stellt mit feiner Ironie das Schuldbekenntnis eines Künstlers neben das Porträt eines Esels.
Diesen kleinen Prosagedichten kann man jetzt in einer neuen Übersetzung nachgehen. Simon Werle, der schon die „Fleurs du Mal“ in ein funkelndes gegenwärtiges Deutsch verwandelt hat, wendet sich vor allem der rhythmischen Feinstruktur der Sätze zu. Man kann die Arbeit am Rhythmus sehr schön sehen, wenn man Werles Übersetzung mit der ebenfalls grandiosen Übersetzung vergleicht, die Friedhelm Kemp Mitte der 1980er-Jahre angefertigt hat. Wo Kemp etwa einen Satz mit daktylischem Grundton im Deutschen trochäisch zuspitzt – „Wie durchdringend sind die Abende im Herbst!“ –, versucht Werle, den Rhythmus von Baudelaires Satz nachzuformen: „Wie durchdringend ist der Ausklang der Tage im Herbst!“
Werle hat auch ein feines Ohr für den Klang. Den Wechsel von v-, ou-, und i-Lauten in einem Satz wie „Ah! vous voulez savoir pourquoi je vous hais aujourd’hui“ verschiebt er im Deutschen in eine Melange aus w-, a- und i-Lauten: „Ah, Sie wollen wissen, warum ich Sie heute hasse.“ Was aber keineswegs heißt, er würde Abstriche in Sachen Bedeutung machen. So lesenswert sie ist, Friedhelm Kemps Übersetzung leidet bisweilen an jenem „kaum merklichen Wohlgeruch von erlesenster Wahl“, den er einmal benennt.
Werle indes gibt Baudelaire noch in der elegantesten Formulierung etwas von seiner Brüchigkeit und Sperrigkeit zurück, in der sich immer auch eine kritische Perspektive versteckt. Aus „odeur de friture“ wird hier der „Geruch nach Ausbackfett“, und „la lourde et sale atmosphère parisienne“ heißt in der Übersetzung nun „der schwere Pariser Smog“. Auch wenn „Smog“ ein Wort ist, das erst nach Baudelaires Zeit erfunden wurde, trifft es gut die industriell bestimmte Luftatmosphäre im damaligen Paris. Überhaupt hat Werles Übersetzung dort ihre Stärken, wo Baudelaire die schon etablierte Konsumgesellschaft im Frankreich unter Napoleon III. analysiert und immer wieder deren Kehrseite in den Blick nimmt, die soziale Not: „Überall Freude, Profit, Exzess“ („Gewinst, Verschwendung“ schreibt Friedhelm Kemp) – und gleich daneben „das absolute Elend, das Elend, das in komische Lumpen gehüllt war“.
Es ist ein Glück, die „Spleen“-Gedichte in dieser intensiven Neuübersetzung lesen zu können. Nicht ganz so geglückt ist die Entscheidung der Herausgeber, auch noch alle möglichen anderen Texte Baudelaires in die Ausgabe zu packen, auf dass ein vergleichbar dickes Buch entstehe wie die Neuausgabe der „Fleurs du Mal“ von 2017. Die Novelle „La Fanfarlo“, in der Baudelaire seine Selbstwerdung zum Dichter nachzeichnet, mag man noch mit der sprachlichen Feinheit mancher „Spleen“-Stücke in Verbindung bringen. Aber weder das dramatische Fragment „Idéolus“ noch das Sammelsurium von Jugendgedichten, „in Zusammenarbeit entstandenen“, „Baudelaire zugeschriebenen“ und „wiederentdeckten“ Gedichten weiß so recht zu überzeugen. Hier steht manches „hochfahrende Sonett“ neben mauen Liebesversen.
Die „Spleen“-Gedichte sind die mit Abstand aufregendsten Texte. Viele weitere Prosagedichte wollte Baudelaire für die Sammlung noch schreiben, über das „schwarze Huhn“ etwa oder den „roten Fisch“, über die Hölle des Theaters oder das Verhältnis von Dichter und Geschichtsschreiber. Aber er konnte das Buch nicht vollenden, kurze Zeit nach dem März-Brief an die Mutter sollte er einen Schlaganfall erleiden. Im August 1867 starb er, mit gerade 46 Jahren.
Hätte er den geplanten Text über den „Philosophen im Karneval“ noch anfertigen können, wer weiß, vielleicht wäre es ein Selbstporträt des Schreibenden geworden. Womöglich hätte Baudelaire darin seine Prosagedichte mit den schlanken Formen der Schiffe verglichen, die in jenen „Hafen“ einfahren, von dem einmal die Rede ist: Man möchte unaufhörlich ihren Bewegungen folgen.
Aber auch die vor Anker liegenden Schiffe eignen sich zum Vergleich. Aller Brüchigkeit zum Trotz zeigen sie nicht nur „harmonisches Schwanken“, sondern verstehen es zudem, „die Lust an Rhythmus und Schönheit zu nähren“. Allerdings ist es eine Schönheit, die mit ihrem Gegenteil verschwistert ist, das wusste Baudelaire genau. Um die Last der Zeit mit all ihren Schrecken und sozialen Verwerfungen zu ertragen, gibt er seinen Lesern gleich noch einen Rat an die Hand: „Berauscht euch; berauscht euch unentwegt! An Wein, an Dichtung, an Tugend, wie es euch beliebt.“
Mit feiner Ironie stellt er das
Schuldbekenntnis eines Künstlers
neben das Porträt eines Esels
Der Dichter starb im
August 1867 im Alter von
gerade einmal 46 Jahren
Im „Kontakt mit den Riesenstädten“ – Charles Baudelaire (1821 – 1867), porträtiert von Nadar.
Foto: Getty images
Charles Baudelaire: Le Spleen de Paris. Gedichte in Prosa und frühe Dichtungen. Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Französischen von Simon Werle. Rowohlt
Verlag, Hamburg 2019.
510 Seiten, 40 Euro.
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