Charles de Gaulle (1890-1970) hat die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts stärker geprägt als jeder andere französische Staatsmann. Als Führer des "Freien Frankreich" hat er den Widerstand gegen die deutsche Besatzung der Jahre 1940 bis 1944 organisiert und sein Land in den Kreis der Siegermächte geführt. Als erster Präsident der V. Republik von 1958 bis 1969 hat er den Algerienkrieg beendet, die Handlungsfähigkeit der französischen Demokratie gestärkt und die Versöhnung mit den Deutschen vorangetrieben. Sein Traum von einem Europa "vom Atlantik bis zum Ural" blieb unvollendet, doch sind ihm wichtige Weichenstellungen für eine unabhängige Rolle Europas in der Weltpolitik zu verdanken.De Gaulle war eine ebenso eigenwillige wie starke Persönlichkeit, deren Entscheidungen stets umstritten waren. In dieser Biographie werden sie auf wesentlich erweiterter Quellengrundlage verständlich gemacht. Dabei wird deutlich, dass der passionierte General in hohem Maße lernfähig war. In dem engagierten Franzosen steckte ein großer Europäer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2015Der General als Monarch
Charles de Gaulle
Vor 125 Jahren, am 22. November 1890, wurde Charles de Gaulle, Spross eines schon im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnten Adelsgeschlechts, in Lille geboren. Während des Zweiten Weltkriegs führte der Brigadegeneral und renommierte Militärschriftsteller von London aus als "Chef des Freien Frankreichs" seit Juni 1940 den Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Nach der alliierten Landung in der Normandie übernahm er Ende August 1944 trotz amerikanischer Vorbehalte die Regierunggeschäfte in Paris. Gegen Kriegsende 1945 gelang es ihm, sein Land, das "nur einen geringen Anteil an der Befreiung Frankreichs und einen noch geringenen an der Erzwingung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands" gehabt hatte, in den Kreis der Siegermächte einzureihen. Er trat Ende Januar 1946 zurück, weil ihm "Kompromisse, wie sie in einer parlamentarischen Demokratie nun einmal unabdingbar sind", wegen seines "gewaltigen Selbstbewusstseins" zuwider waren. Das stellt Wilfried Loth in seiner überzeugenden und durch wichtige Zitate aufgelockerten Biographie über de Gaulle heraus, den er als die "unbekannteste unter den großen Gestalten des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.
Im "Unruhestand" musste der "Retter Frankreichs", der im Mai 1946 eine Beförderung zum Marschall ablehnte, auf seinem Landsitz zwölf Jahre warten, bis er im Zuge des Algerien-Kriegs Ende 1958 mit der Bildung einer Regierung beauftragt wurde und eine Verfassungsreform durchsetzen konnte zur Gründung der Fünften Republik, deren Präsident er im Januar 1959 wurde. Ihm sei es außenpolitisch in den folgenden Jahren bis zum desaströsen Rücktritt im April 1969 um ein eigenständiges Europa gegangen, in dem Paris und Bonn eine - auch von Konrad Adenauer am Ende seiner Kanzlerschaft favorisierte, aber nicht durchsetzbare - "Zweier-Union" bildeten sollten, und er habe immer auch "Unabhängigkeit von der amerikanischen Führungsmacht" demonstrieren wollen. Das Politikverständnis des Generals sei "in der Fortentwicklung der monarchischen Tradition von einem Vertrag zwischen der Staatsspitze und der Nation" ausgegangen, der "von Zeit zu Zeit durch ein Referendum erneuert werden" musste und eben dann endete, "wenn die Nation ein neues Mandat verweigerte".
De Gaulle habe die Fünfte Republik als Monarchie auf Zeit und sich selbst "als ersten Diener seines Volkes" verstanden. Einem französischen Diplomaten sagte er im Mai 1969: "In Wirklichkeit war ich zehn Jahre lang ein Monarch." Zudem war der praktizierende Katholik "von einer besonderen Beziehung zwischen Gott und der französischen Nation" überzeugt, sprach sogar manchmal vom "Gott der Franzosen". Von diesem war die französische Nation in de Gaulles Sicht zu Höherem berufen: zur "Größe" - so Loths Resümee über den am 9. November 1970 gestorbenen Staatsmann, der zu Lebzeiten Ehrungen ablehnte: "Wer zu der Überzeugung gelangt war, das ,ewige Frankreich' zu verkörpern, der konnte irdische Lobpreisungen nur als Herabwürdigung empfinden."
RAINER BLASIUS
Wilfried Loth: Charles de Gaulle. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2015. 331 S., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Charles de Gaulle
Vor 125 Jahren, am 22. November 1890, wurde Charles de Gaulle, Spross eines schon im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnten Adelsgeschlechts, in Lille geboren. Während des Zweiten Weltkriegs führte der Brigadegeneral und renommierte Militärschriftsteller von London aus als "Chef des Freien Frankreichs" seit Juni 1940 den Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Nach der alliierten Landung in der Normandie übernahm er Ende August 1944 trotz amerikanischer Vorbehalte die Regierunggeschäfte in Paris. Gegen Kriegsende 1945 gelang es ihm, sein Land, das "nur einen geringen Anteil an der Befreiung Frankreichs und einen noch geringenen an der Erzwingung der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands" gehabt hatte, in den Kreis der Siegermächte einzureihen. Er trat Ende Januar 1946 zurück, weil ihm "Kompromisse, wie sie in einer parlamentarischen Demokratie nun einmal unabdingbar sind", wegen seines "gewaltigen Selbstbewusstseins" zuwider waren. Das stellt Wilfried Loth in seiner überzeugenden und durch wichtige Zitate aufgelockerten Biographie über de Gaulle heraus, den er als die "unbekannteste unter den großen Gestalten des 20. Jahrhunderts" bezeichnet.
Im "Unruhestand" musste der "Retter Frankreichs", der im Mai 1946 eine Beförderung zum Marschall ablehnte, auf seinem Landsitz zwölf Jahre warten, bis er im Zuge des Algerien-Kriegs Ende 1958 mit der Bildung einer Regierung beauftragt wurde und eine Verfassungsreform durchsetzen konnte zur Gründung der Fünften Republik, deren Präsident er im Januar 1959 wurde. Ihm sei es außenpolitisch in den folgenden Jahren bis zum desaströsen Rücktritt im April 1969 um ein eigenständiges Europa gegangen, in dem Paris und Bonn eine - auch von Konrad Adenauer am Ende seiner Kanzlerschaft favorisierte, aber nicht durchsetzbare - "Zweier-Union" bildeten sollten, und er habe immer auch "Unabhängigkeit von der amerikanischen Führungsmacht" demonstrieren wollen. Das Politikverständnis des Generals sei "in der Fortentwicklung der monarchischen Tradition von einem Vertrag zwischen der Staatsspitze und der Nation" ausgegangen, der "von Zeit zu Zeit durch ein Referendum erneuert werden" musste und eben dann endete, "wenn die Nation ein neues Mandat verweigerte".
De Gaulle habe die Fünfte Republik als Monarchie auf Zeit und sich selbst "als ersten Diener seines Volkes" verstanden. Einem französischen Diplomaten sagte er im Mai 1969: "In Wirklichkeit war ich zehn Jahre lang ein Monarch." Zudem war der praktizierende Katholik "von einer besonderen Beziehung zwischen Gott und der französischen Nation" überzeugt, sprach sogar manchmal vom "Gott der Franzosen". Von diesem war die französische Nation in de Gaulles Sicht zu Höherem berufen: zur "Größe" - so Loths Resümee über den am 9. November 1970 gestorbenen Staatsmann, der zu Lebzeiten Ehrungen ablehnte: "Wer zu der Überzeugung gelangt war, das ,ewige Frankreich' zu verkörpern, der konnte irdische Lobpreisungen nur als Herabwürdigung empfinden."
RAINER BLASIUS
Wilfried Loth: Charles de Gaulle. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2015. 331 S., 32,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rainer Blasius scheint die Darstellung des großen Unbekannten Charles de Gaulles in der Biografie von Wilfried Loth zuzusagen. Überzeugend findet er Loths Beschreibung von de Gaulles enormem Selbstbewusstsein, seines quasi monarchistischen Selbstverständnisses. Dass der Autor seine Darstellung durch Zitate auflockert, gefällt ihm gut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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