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Produktdetails
  • Edition Allianz Dresdner Bauspar AG Bd.6
  • Verlag: Societäts-Verlag
  • Seitenzahl: 174
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 442g
  • ISBN-13: 9783797308504
  • ISBN-10: 3797308507
  • Artikelnr.: 11958488
Autorenporträt
Arno Lustiger, geboren 1924 in Bedzin, Polen. Unter nationalsozialistischer Herrschaft überlebte er mehrere Konzentrationslager und Todesmärsche. Er war Mitbegründer der jüdischen Gemeinde in Frankfurt und Ehrenvorsitzender der Zionistischen Organisation in Deutschland. Arno Lustiger lebte in Frankfurt, er bewegte sich sicher in acht Sprachen und arbeitete und veröffentlichte in vielen Ländern der Welt. Er verstarb im Jahr 2012.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2003

Ein Milliardär geht zu den Armen
Charles Hallgarten ist vergessen - dabei war er einer der größten Wohltäter Frankfurts

Ein reicher Mann, vielfacher Millionär, ein Milliardär gar, sagen wir ein Flick-Erbe, zieht sich aus dem Geschäftsleben zurück. Nimmt sein Geld und gründet Spielstuben, Bibliotheken, ein Heim für geistig Behinderte, baut Wohnungen für Bedürftige, Walderholungsstätten für Kinder, Mädchenhorte, kümmert sich um arbeitslose Jugendliche, obdachlose Schwangere, Kranke, ist rastlos in vielen Dutzend Vereinen tätig, um die Not in der Welt zu lindern. Eine Kitschgeschichte aus der Gattung Erbauungsroman, wird jeder sagen, fromme Heiligenlegende.

Und doch hat es einen solchen Mann gegeben, in Frankfurt, vor vielen Jahren. So vielen Jahren, daß kein Mensch sich mehr recht an ihn erinnert. Wer ist Charles Hallgarten? Irgendein Pädagoge, dachten bisher vermutlich die meisten Frankfurter, weil eine Sonderschule im Osten der Stadt nach ihm benannt ist, auch eine kleine Straße. Jetzt, nachdem der Historiker Arno Lustiger ein Buch über ihn herausgegeben hat mit Beiträgen von Hans-Otto Schembs, Jens Friedemann und Ulrich Stascheid, können wir es besser wissen. Hätte der Band schon vor zwei Jahren bei der 100-Jahr-Feier der "Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen" (ABG), die inzwischen in der FAAG-Holding aufgegangen ist, schon vorgelegen, die vielen Festredner im Palmengarten hätten mit Sicherheit den Namen Hallgarten nicht unterschlagen. Denn dieser Frankfurter mit amerikanischem Paß hat jene über ein Jahrhundert für die Stadt außerordentlich fruchtbar wirkende Wohnungsbaugesellschaft gegründet. Unter anderem.

Charles Hallgarten stammt aus der jüdischen Oberschicht der amerikanischen Ostküste, aus einer der führenden jüdischen Familien dort, die, wie der Autor Stephen Birmingham in seinem Buch "Our Crowd" schreibt, einer Aristokratie - im besten Sinne des Wortes - näherkam als jede andere Gesellschaftsgruppe in Amerika. Die Hallgarten-Bank seines Vaters Lazarus betrieb die Finanzierung der großen Eisenbahnprojekte in Nordamerika, sie zählte zu den mächtigen Finanzinstituten des Kontinents. Als Teilhaber wirkte Charles mit an den großen Geschäften, besaß Macht und Einfluß und, das war das Besondere an ihm, ein tiefes Mitgefühl für die Armen.

Weil Hallgarten ein Mann der Tat war, der nicht nur Geld gab, sondern sich die Not anschaute, die er lindern wollte, streifte er viel in den Elendsvierteln von New York herum - und steckte sich dabei mit Tuberkulose an. Das war wohl die Wende in seinem Leben. Er verließ Hals über Kopf die amerikanische Metropole mit ihrem für seine geschwächte Konstitution gefährliches Klima, floh nach Europa und ließ sich nach Umwegen in Frankfurt nieder.

Die Villa Hallgarten, von wo er bald darauf seine rastlose Hilfstätigkeit entfaltete, gibt es nicht mehr, auf dem Grundstück an der Siesmayerstraße steht heute das amerikanische Generalkonsulat. Dafür haben die von seiner ABG um die Jahrhundertwende errichteten Wohnareale überlebt, der Burgstraßenblock etwa oder der Nord- endblock. Hallgarten war nicht nur einer der Erfinder des sozialen Wohnungsbaus in Frankfurt, weshalb die Allianz Dresdner Bauspar AG die Herausgabe des Buches über ihn unterstützt hat. Er hat auch viele Jahrzehnte früher als andere erkannt, daß es mit zwei Zimmern und einer Küche für eine Familie nicht getan ist. Daß eine Siedlung darüber hinaus Sozialeinrichtungen braucht: Lesezimmer, Krippen, Kinderhorte, Vortragssäle, Erholungsräume, Spielplätze. Solche Stätten ließ er bei seinen Bauprojekten aus eigenen Mitteln, die ihm Jahr für Jahr aus dem Ertrag seines amerikanischen Erbes zuflossen, errichten.

Der "Kapitalist" mit sozialem Gewissen gründete oder förderte um die vierzig Institutionen und Vereine, die sich darum bemühten, den Hilfsbedürftigen, den Frauen aus den unteren Schichten, den Behinderten, den Jugendlichen und vielen mehr Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Der höchste Grad der Wohltätigkeit, zitierte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn, in seinem Vortrag bei der Buchvorstellung in der Villa Bonn den Philosophen Maimonides, bestehe darin, für den Bedürftigen Voraussetzungen zu schaffen, unter denen er ohne fremde Hilfe sich und seine Familie ernähren könne. "Diesem Ideal strebte Charles Hallgarten ein Leben lang nach."

In einer Todesanzeige in der "Frankfurter Zeitung" vom 19. April 1908 dankten Hallgarten allein 27 nichtjüdische Frankfurter Institutionen: von der "Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur" über die "Gesellschaft für Wohlfahrtseinrichtungen" bis zum "Verein Kinderschutz". Franz Frey (SPD), Frankfurts derzeitiger Sozialdezernent, könnte bei der Vorstellung des Hallgarten-Buches gedacht haben, daß ein solch tatkräftiger Wohltäter wie der vergessene Deutschamerikaner einer Stadt guttun würde, die sich hundert Jahre nach Hallgarten mit fast denselben Problemen herumschlagen muß, die dieser in privater Initiative anzupacken versucht hat.

Warum ist eine Persönlichkeit wie Hallgarten vergessen? Ein Mann, der nach Ansicht Roland Gerschermanns vom Societätsverlag, welcher das neue Buch veröffentlicht hat, durchaus mit Leopold Sonnemann vergleichbar ist, dem großen Liberalen, der Frankfurt zu jener Zeit mitgeprägt hat. Hallgarten, dieser uneitle, öffentliche Auftritte scheuende Wohltäter, hat seine Gründungen nicht "Hallgartenschen Hauspflege-Verein" oder "Hallgartenschen Verein Kinderschutz" genannt, weil er sich nicht selbst beweihräuchern wollte. Vermutlich deshalb ist sein Name mehr oder weniger aus dem Gedächtnis verschwunden. Die Frankfurter Bürger seiner Zeit wußten indes sehr wohl, welchen Glücksfall Hallgarten für ihre Stadt bedeutete. Als er am 19. April 1908 auf dem Jüdischen Friedhof Rat-Beil-Straße begraben wurde, säumten mehr als 20 000 Menschen die Straßen während des Trauerzuges.

Am 20. Juni 1933 schrieb Emma Neisser, die Tochter Charles Hallgartens, nachdem ihr wegen ihres Jüdischseins eine Spende an die Hallgarten-Schule zurückgeschickt wurde, an den NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs: "Ich empfinde es nicht mehr für angebracht, daß die Schule den Namen meines Vaters trägt." Heute heißt sie wieder Hallgarten-Schule - hoffentlich wissen bald wieder mehr Frankfurter, weshalb.

HANS RIEBSAMEN

"Charles Hallgarten. Leben und Wirken eines Frankfurter Sozialreformers und Philanthropen", Hrsg. Arno Lustiger, Societätsverlag 2003, 174 Seiten, ISBN 3-7973-0850-7.

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