Charlotte von Kirschbaum war nicht nur Karl Barths Sekretärin, sondern seine engste Mitarbeiterin und Lebensgefährtin während mehr als dreissig Jahren. Selingers Arbeit ist die erste wissenschaftliche Studie, die nicht nur die persönlichen, von vielen Spekulationen umgebenen biographischen Umstände erforscht und dabei ein adäquates, kritisches und einfühlsames Bild dieser Arbeits- und Lebensbeziehung zeichnet, sondern Charlotte von Kirschbaum als eine eigenständige Denkerin und Theologin darstellt. Die Autorin - Feministin, Barthianerin und ausgebildete Historikerin zugleich - hat die biographischen Dokumente und von Kirschbaums theologisches Werk studiert, sie hat bislang unveröffentlichte Quellen benutzt und Zeitgenossinnen und -genossen befragt. Selinger hat einen geschärften Blick für Machtverhältnisse, für offene und verdeckte patriarchale Traditionen, und sie diskutiert ausführlich jene Kritik, die aus feministischen Kreisen an Barth geübt worden ist. Gleichzeitig jedoch versucht sie dem theologischen Anliegen von Kirschbaums und Barths gerecht zu werden, indem sie deren theologische Motive ernstnimmt, sie aber auch in ihren damaligen Kontext stellt (den des frühen deutschen Feminismus, des Personalismus und Existenzialismus, insbesondere des Werks von Simone de Beauvoir).
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Charlotte von Kirschbaum war die jahrzehntelange Lebensgefährtin des Theologen Karl Barth, zugleich seine Assistentin, auf die der verheiratete Mann meinte, nicht verzichten zu können, wie uns Hanno Helbling aufklärt, weshalb Barth sie seiner Familie als Hausgenossin aufzwängte. Eine unangenehme Position, wie man sich vorstellen kann, und eine ungewöhnliche und unkonventionelle Existenz, über die auch Suzanne Selingers Studie laut Helbling nicht richtig Auskunft gibt oder geben kann. Auf dünnem biografischen Boden bewegt sich seines Erachtens ihre Annahme, dass die christologischen Wandlungen, die Barths Denken in den Jahren 1938 bis 1948 erfahren hat, auf den Einfluss von Kirschbaums zurückzuführen sind. Konkreter werde es erst, wo sich Selinger auf schriftliche Äußerungen von Kirschbaums selbst beziehen kann. So hat von Kirschbaum sich 1949 mit der Schrift "Die wirkliche Frau" zu Wort gemeldet und sich darin auch von Barth zumindest inhaltlich emanzipiert, indem sie seiner Mariologie ein nüchternes "Wir wollen weniger erhoben sein" entgegensetzte. Eine konkrete Lokalisierung der Persönlichkeit dieser ungewöhnlichen Frau steht für Hanno Helbling noch aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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