Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2011Wenigstens auf das Federvieh ist Verlass
Tolle, lege: Jacques Couvillons Debüt ist ein so trauriger wie witziger Pubertätsroman. Und nebenbei ein vergnügliches Kompendium für alle Fragen der Hühnerzucht.
Don Schmidt heißt eigentlich Stanley und lebt in Louisiana bei seinen Eltern Janice und Dick, die gar nicht seine richtigen Eltern sind, weil seine Mutter Dawn, die er lange für seine Schwester hielt, gekidnappt worden sei. All das muss einen Zwölfjährigen überfordern, doch Don gibt sich Mühe, seine, um 1980 spielende Geschichte so zu erzählen, dass die eigentümlichen Gepflogenheiten auf der Geflügelfarm der Schmidts auch Lesern einleuchten, die aus geordneten Familienverhältnissen stammen.
Als Don von jenen Turbulenzen berichtet, die aus ihm nicht nur einen gefragten Fachmann für White Leghorns und Rhode Island Reds, sondern auch einen gestählten, durch keine Verwicklungen aus der Ruhe zu bringenden Heranwachsenden machten, liegt ein bewegtes Jahr hinter ihm. Zuvor gilt er als Sonderling, um dessen Geburtstag sich keiner schert und dessen Speiseplan aus Fertiggerichten besteht. Und während seine in Erinnerungen an eine imaginäre Tanzkarriere schwelgende Mutter gern betont, Hühner nur wegen des von ihnen gelieferten pittoresken "Ambientes" zu halten, kümmert sich Don mit Leidenschaft ums Federvieh und sorgt so dafür, dass sich das Sozialverhalten seiner Eltern im Nu ändert. Denn als Don beim Hühner-Wissens-Wettbewerb, dem Höhepunkt des alljährlichen Milch-und-Eier-Festivals, die durchweg ältere Konkurrenz deklassiert und den Sieg davonträgt, huldigt ihm die ganze Gemeinde. Schmidt-Hühner gelten nun als Delikatesse, und als Einstein der Geflügelzucht steigt Dons Beliebtheit im Rekordtempo. Seine aus ihrer Lethargie erwachende Mutter weiß daraus sofort Kapital zu schlagen und vermarktet die Hühner professionell.
Jacques Couvillons Debüt spiegelt die Befindlichkeiten eines ungeliebten Kindes und reichert diesen tristen Befund derart mit Einfällen und Situationskomik an, dass die Grenze zum Rührseligen nie überschritten wird. Ob Couvillon Dons abenteuerliche, in einer Nachtbar in Baton Rouge endende Suche nach Dawn schildert, wie sich der Vater seines Freundes Leon beim Anbringen einer formschönen Dauerwelle die Kopfhaut versengt oder das deprimierende Finale einer Tanzaufführung - allenthalben waltet ein liebevoller Witz, der das Leid des Helden nie aus den Augen verliert. "Ich wusste nicht, wovon meine Eltern sprachen" - in diesem Satz kulminiert Dons Unverständnis für das Leben der Erwachsenen. "Merkwürdig" lautet die Leitvokabel dieses originellen Romans, und sie gilt in der Regel nicht dem Alltagsverhalten der geliebten Hühner. "Chicken Dance" handelt von den Grobheiten, die Eltern ihrem Nachwuchs antun, und von den Anstrengungen der Kinder, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Um echte und falsche Freunde geht es auch, wobei die scharrenden und pickenden Weggefährten wiederum den auf Vorabendserien geeichten Erwachsenen manches voraushaben. Wem das nicht reicht, der darf "Chicken Dance" zu Rate ziehen, um Hinweise auf das Legeverhalten unterschiedlichster Hühnerrassen zu erhalten.
RAINER MORITZ
Jacques Couvillon: "Chicken Dance".
Aus dem Amerikanischen von André Mumot. Bloomsbury Verlag, Berlin 2011. 335 S., 16,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tolle, lege: Jacques Couvillons Debüt ist ein so trauriger wie witziger Pubertätsroman. Und nebenbei ein vergnügliches Kompendium für alle Fragen der Hühnerzucht.
Don Schmidt heißt eigentlich Stanley und lebt in Louisiana bei seinen Eltern Janice und Dick, die gar nicht seine richtigen Eltern sind, weil seine Mutter Dawn, die er lange für seine Schwester hielt, gekidnappt worden sei. All das muss einen Zwölfjährigen überfordern, doch Don gibt sich Mühe, seine, um 1980 spielende Geschichte so zu erzählen, dass die eigentümlichen Gepflogenheiten auf der Geflügelfarm der Schmidts auch Lesern einleuchten, die aus geordneten Familienverhältnissen stammen.
Als Don von jenen Turbulenzen berichtet, die aus ihm nicht nur einen gefragten Fachmann für White Leghorns und Rhode Island Reds, sondern auch einen gestählten, durch keine Verwicklungen aus der Ruhe zu bringenden Heranwachsenden machten, liegt ein bewegtes Jahr hinter ihm. Zuvor gilt er als Sonderling, um dessen Geburtstag sich keiner schert und dessen Speiseplan aus Fertiggerichten besteht. Und während seine in Erinnerungen an eine imaginäre Tanzkarriere schwelgende Mutter gern betont, Hühner nur wegen des von ihnen gelieferten pittoresken "Ambientes" zu halten, kümmert sich Don mit Leidenschaft ums Federvieh und sorgt so dafür, dass sich das Sozialverhalten seiner Eltern im Nu ändert. Denn als Don beim Hühner-Wissens-Wettbewerb, dem Höhepunkt des alljährlichen Milch-und-Eier-Festivals, die durchweg ältere Konkurrenz deklassiert und den Sieg davonträgt, huldigt ihm die ganze Gemeinde. Schmidt-Hühner gelten nun als Delikatesse, und als Einstein der Geflügelzucht steigt Dons Beliebtheit im Rekordtempo. Seine aus ihrer Lethargie erwachende Mutter weiß daraus sofort Kapital zu schlagen und vermarktet die Hühner professionell.
Jacques Couvillons Debüt spiegelt die Befindlichkeiten eines ungeliebten Kindes und reichert diesen tristen Befund derart mit Einfällen und Situationskomik an, dass die Grenze zum Rührseligen nie überschritten wird. Ob Couvillon Dons abenteuerliche, in einer Nachtbar in Baton Rouge endende Suche nach Dawn schildert, wie sich der Vater seines Freundes Leon beim Anbringen einer formschönen Dauerwelle die Kopfhaut versengt oder das deprimierende Finale einer Tanzaufführung - allenthalben waltet ein liebevoller Witz, der das Leid des Helden nie aus den Augen verliert. "Ich wusste nicht, wovon meine Eltern sprachen" - in diesem Satz kulminiert Dons Unverständnis für das Leben der Erwachsenen. "Merkwürdig" lautet die Leitvokabel dieses originellen Romans, und sie gilt in der Regel nicht dem Alltagsverhalten der geliebten Hühner. "Chicken Dance" handelt von den Grobheiten, die Eltern ihrem Nachwuchs antun, und von den Anstrengungen der Kinder, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Um echte und falsche Freunde geht es auch, wobei die scharrenden und pickenden Weggefährten wiederum den auf Vorabendserien geeichten Erwachsenen manches voraushaben. Wem das nicht reicht, der darf "Chicken Dance" zu Rate ziehen, um Hinweise auf das Legeverhalten unterschiedlichster Hühnerrassen zu erhalten.
RAINER MORITZ
Jacques Couvillon: "Chicken Dance".
Aus dem Amerikanischen von André Mumot. Bloomsbury Verlag, Berlin 2011. 335 S., 16,90 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist ein ganz außergewöhnliches Buch, meint Rainer Moritz, denn wie der Rezensent feststellen muss, ist Jacques Couvillons Debütroman "Chicken Dance" nicht nur ein unterhaltsamer und feinfühliger Pubertätsroman, sondern zugleich ein witziges Kompendium für Fragen der Hühnerzucht. Die Geschichte handelt von Don, der im Louisiana der achtziger Jahre bei seinen wenig liebevollen Adoptiveltern aufwachsen muss. Erst als sich der auch ansonsten eher unbeliebte Zwölfjährige der von der Mutter nur auf Grund ihres "pittoresken Ambientes" gehaltenen Hühnerzucht annimmt, gewinnt er nicht nur den örtlichen Hühner-Wissens-Wettbewerb, sondern vor allem auch das eher zweifelhafte Ansehen seiner Eltern. Dank solch überraschender Einfälle und viel Situationskomik verliert sich die traurige Geschichte eines ungeliebten Heranwachsenden nie in Sentimentalitäten, lobt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH