Als Sofia Yablonska 1935 nach Ostasien aufbricht, hat sie eine schwere Last im Gepäck: Ihr sehr erfolgreicher Reisebericht über Marokko, der 1932 erschien, schuf eine hohe Erwartungshaltung beim Publikum und daher musste sie in China mit außergewöhnlichen Zielen locken. Yablonska reiste nach Yunnan,
das in dieser Zeit des Bürgerkriegs alles andere als ruhig war. Außerhalb der Hauptstadt Yunnan-fu…mehrAls Sofia Yablonska 1935 nach Ostasien aufbricht, hat sie eine schwere Last im Gepäck: Ihr sehr erfolgreicher Reisebericht über Marokko, der 1932 erschien, schuf eine hohe Erwartungshaltung beim Publikum und daher musste sie in China mit außergewöhnlichen Zielen locken. Yablonska reiste nach Yunnan, das in dieser Zeit des Bürgerkriegs alles andere als ruhig war. Außerhalb der Hauptstadt Yunnan-fu (heute Kunming) benötigte sie Begleitschutz und die Bevölkerung war ihr äußerst feindselig gesonnen. Unter diesen Bedingungen journalistisch tätig zu werden, war eine Herausforderung. Wer nun glaubt, dass sie als Frau besonders gefährdet war, irrt. Gerade dieser Umstand bot ihr einen gewissen Schutz, weil man sie nicht als direkte Bedrohung ansah und so gelangen ihr Ausflüge in die Umgebung, die Reporter vor ihr nicht überlebt hatten.
Ich interessiere mich seit langem für frühen Tourismus und frühen Reisejournalismus, wobei ich festgestellt habe, dass die Berichte von Frauen meist lebendiger sind und vor allem die „Realität des Reisens“ mit seinen Hindernissen und alltäglichen Mühen wesentlich besser beschreiben. Männer neigen in dieser Zeit viel mehr dazu, sich als Held zu stilisieren. Wie man an Nahrung und Unterkunft kommt, ist für sie meist unerheblich, weil man dafür Untergebene hat, die der Erwähnung nicht wert sind, dabei ist es genau das, was mich persönlich und aus heutiger Sicht am meisten interessiert. Die Sehenswürdigkeiten und Landschaften sehen heute noch weitgehend genauso aus, die Umstände haben sich dagegen geändert.
Sofia Jablonska ist erstaunlich ehrlich, wenn sie zugibt, das sie gezielt „Abenteuer“ sucht, die ihr die eingeschränkte räumliche Beweglichkeit erlauben. So geht sie z. B. auf Expedition zu den „Banditen“, die den Erzählungen nach die Umgebung von Yunnan-fu unsicher machen, die Filmkamera immer in Bereitschaft. Eine gewisse Sensationslust spielt immer mit, denn sie weiß, was ihre Leser und Zuschauer (sie ist auch im Auftrag einer ostasiatischen Filmgesellschaft unterwegs) von ihr verlangten. Mit Humor und einer Prise Selbstironie berichtet sie von Begegnungen mit Menschen und von deren Lebensbedingungen, die sie schonungslos schildert. Völlig unangebracht finde ich die Kritik Juri Andrchowytschs im Vorwort, dass sie teilweise eurozentrische und rassistische Formulierungen wählt, was ganz und gar nicht ihrer inneren Haltung entspricht. Jablonska ist den Einflüssen der westlichen Zivilisation gegenüber sehr kritisch und sie wird auch ständig Opfer rassistischer und teilweise gewalttätiger Übergriffe durch die Chinesen. Das erwähnt Andrchowytsch im Gegenzug nicht, aber manche Menschen streiten heute ja sogar ab, dass es Rassismus gegen Weiße überhaupt geben kann. Jablonska ist Opfer und nicht Täterin.
Ihr Stil ist sehr anschaulich und richtet sich weder an ein politisch interessiertes „Fachpublikum“ noch kann sie tief in die abgeschottete chinesische Gesellschaft eindringen. Dennoch schildert sie das tägliche Leben mit viel Mitgefühl und ihren täglichen Kampf mit der Bürokratie und den Knüppeln, die ihr die Hilfskräfte gerne in den Weg legen, mit Humor. Sie sieht sie nicht als Hindernis, sondern als Herausforderung. Auch körperliche Strapazen erträgt sie mit Gleichmut, wenn es am Ende etwas Interessantes zu berichten oder zu filmen gibt, wobei sie eine Mischung aus kultureller Anpassung und Sturköpfigkeit an den Tag legt, die ihr meistens Erfolg bringt.
„China, das Land von Reis und Opium“ ist kein politischer Journalismus im klassischen Sinn. Auch wenn Sofia Jablonska ihre Sympathie für die Exotik ihres Reiseziels klar zum Ausdruck bringt, liefert sie wenig politische Hintergrundinformationen und konzentriert sich stattdessen auf die Schilderung des Alltags und ihrer persönlichen Erlebnisse. Das ist aber aus heutiger Sicht mindestens ebenso spannend.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)