Zwei Jahrzehnte Wirtschaftsreformen haben China gründlicher verändert als die Kulturrevolution. Im Rausch der Modernisierung werden über Nacht Kulturdenkmäler, traditionelle Hofhäuser und manchmal ganze Stadtteile eingerissen. Das alte China gibt es nur noch in Nischen: In einst kaiserlichen Städten wie Pingyao, die von den Modernisierern vergessen wurde. In den verlassenen Bauerndörfern von Anhui, den kargen Wohnhöhlen am Gelben Fluss und den Hinterhofgassen der Hauptstadt. STERN-Fotograf Michael Wolf und Autor Harald Maass zeigen nicht nur das alte China. Sie führen den Leser zu den Menschen, in eine unbekannte Welt aus Traditionen und Ästhetik. Zu einer Jahrtausende alten Kultur, die an den schwierigen Aufbruch in die Moderne wagt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2001REISEBÜCHER
Für den Tisch. Dieses China-Buch handelt nicht von Lifestyle, sondern vom Überlebenskampf. Der Fotograf Michael Wolf ist den Parolen von "Öffnung" und "Modernisierung" nicht auf den Leim gegangen. Er zeigt, wie des Landes neue Kleider den Menschen etwas schief am Leibe sitzen, aber er denunziert sie nicht damit, im Gegenteil. Seine Bilder der von Anstrengung und Entbehrung versehrten Gesichter, der ruhigen Familienfeste und der harten Arbeit zeugen von einer großen Sympathie.
Wolf und der Journalist Harald Maass, der die erläuternden Texte geschrieben hat, stellen ihre Erkundungen nicht, wie unter China-Beobachtern sonst heute üblich, in den Metropolen der Ostküste an, sondern im Inneren des Landes, auf dörflichen Trauerfeiern und Neujahrsfesten, auf verschlammten Straßen und in mit Zeitungspapier tapezierten Wohnungen.
Ein wahres Symbolbild ist Wolf mit der Aufnahme eines alten kleinen Mannes gelungen, dessen Wohnhöhle in Yanan mit einer Ahnenreihe der großen Revolutionäre des Jahrhunderts dekoriert ist, von Lenin über Stalin bis Mao. Und darunter, inmitten eines Wusts aus Erinnerungsfotos und Kalenderblättern, spiegelt sich das Gesicht des alten Mannes in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit. Drumherum tobt die "sozialistische Marktwirtschaft", er aber lebt in derselben Armut wie zu Beginn der Revolution, ist derselben Willkür der Mächtigen ausgeliefert. Es ist ein Bild der Ohnmacht ebenso wie der verzweifelten Sehnsucht, aufzuschauen, in den Übervätern der Politik einen Halt zu finden.
Michael Wolfs Bilder zeigen weniger "China im Wandel", wie der Titel verheißt, als das Beständige inmitten der Veränderungen. Ihre sinnliche Konkretion läßt westliche Abstraktionen wie "Exotik" oder "Moderne" weit hinter sich; der Betrachter wird vielmehr unaufdringlich in die eigene Logik eines Lebens in China hineingezogen. Ein wunderbarer, großer Band.
Si.
Michael Wolf, Harald Maass: "China im Wandel". Bildband. Verlag Frederking & Thaler, München 2001. 192 S., 100 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Für den Tisch. Dieses China-Buch handelt nicht von Lifestyle, sondern vom Überlebenskampf. Der Fotograf Michael Wolf ist den Parolen von "Öffnung" und "Modernisierung" nicht auf den Leim gegangen. Er zeigt, wie des Landes neue Kleider den Menschen etwas schief am Leibe sitzen, aber er denunziert sie nicht damit, im Gegenteil. Seine Bilder der von Anstrengung und Entbehrung versehrten Gesichter, der ruhigen Familienfeste und der harten Arbeit zeugen von einer großen Sympathie.
Wolf und der Journalist Harald Maass, der die erläuternden Texte geschrieben hat, stellen ihre Erkundungen nicht, wie unter China-Beobachtern sonst heute üblich, in den Metropolen der Ostküste an, sondern im Inneren des Landes, auf dörflichen Trauerfeiern und Neujahrsfesten, auf verschlammten Straßen und in mit Zeitungspapier tapezierten Wohnungen.
Ein wahres Symbolbild ist Wolf mit der Aufnahme eines alten kleinen Mannes gelungen, dessen Wohnhöhle in Yanan mit einer Ahnenreihe der großen Revolutionäre des Jahrhunderts dekoriert ist, von Lenin über Stalin bis Mao. Und darunter, inmitten eines Wusts aus Erinnerungsfotos und Kalenderblättern, spiegelt sich das Gesicht des alten Mannes in seiner ganzen Hoffnungslosigkeit. Drumherum tobt die "sozialistische Marktwirtschaft", er aber lebt in derselben Armut wie zu Beginn der Revolution, ist derselben Willkür der Mächtigen ausgeliefert. Es ist ein Bild der Ohnmacht ebenso wie der verzweifelten Sehnsucht, aufzuschauen, in den Übervätern der Politik einen Halt zu finden.
Michael Wolfs Bilder zeigen weniger "China im Wandel", wie der Titel verheißt, als das Beständige inmitten der Veränderungen. Ihre sinnliche Konkretion läßt westliche Abstraktionen wie "Exotik" oder "Moderne" weit hinter sich; der Betrachter wird vielmehr unaufdringlich in die eigene Logik eines Lebens in China hineingezogen. Ein wunderbarer, großer Band.
Si.
Michael Wolf, Harald Maass: "China im Wandel". Bildband. Verlag Frederking & Thaler, München 2001. 192 S., 100 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
China - nicht nur ein Land der Widersprüche, zerrissen zwischen Tradition und Moderne, sondern vor allem ein "Land der klugen Widersprüche", schwärmt "zri". Anlass zur Begeisterung gibt dieser Band über "China im Wandel", welchen in schöner Ergänzung die Fotografien des Stern-Reporters Michael Wolf und die Reportagen des Korrespondenten der Frankfurter Rundschau, Harald Maass, dokumentieren. "zri" sieht in diesem Band kein geschöntes China ins Bild gerückt; viel wurde mutwillig zerstört, und erst allmählich entdeckten die Chinesen, berichtet "zri", dass es sich lohnt, die historische Bausubstanz zu erhalten. Aber es sei auch kein dämonisiertes China, sondern mehr ein "pralles Reich der Geschichten, Mythen und Riten", erzählt "zri" begeistert, das in die Welt der Garküchen, Nudelfabriken, Reisfelder und unter die chinesischen Rapper führe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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