China ist mit 1,4 Milliarden Menschen ein multikulturelles Land. Neben den Han-Chinesen, die mehr als 92 % der Bevölkerung ausmachen, leben viele Ethnien auf chinesischem Staatsgebiet.56 Völker werden von der Regierung als Nationale Minderheiten anerkannt, die überwiegend Bergregionen bewohnen, in denen sie ihre kulturelle Identität über Jahrhunderte bewahren konnten. Der rasante Prozess der Modernisierung Chinas auf vielen Gebieten beeinflusst inzwischen auch die Ethnien.Längst sind Fernsehen und Internet selbstverständlich geworden. Neue Straßen, der Ausbau der Infrastruktur mit Wasserversorgung, Elektrizität, Schulzentren und Krankenhäusern beschleunigen den Anschluss der Dorfbewohner an verlockende urbane Lebenswelten. Nur noch wenige Dörfer können und wollen sich dem entziehen, versucht doch auch die Tourismusindustrie den gut verdienenden Mittelstand in die exotisch anmutenden Dörfer zu bringen. Die männliche Landbevölkerung sucht bessere Verdienstmöglichkeiten in der Stadtund lernt dort ein völlig anderes Leben kennen, das die alte soziale Dorf-Struktur in Frage stellt.Während meiner Reisen seit 2003 in die Provinzen Yunnan, Guangxi, Guizhou, Sichuan, Qinghai, Gansu, Hunan und auf die Insel Hainan besuchte ich meist nicht immer leicht zugängliche Dörfer und lernte dort vor allem die Festkleider der Ethnien kennen.Kleidung hat in allen Kulturen eine große Bedeutung, offenbart eine Volks-, Stammes- oder Gruppen- Zugehörigkeit. Sie sagt nicht nur etwas über die gesellschaftliche Stellung des Trägers aus, sondern kann ebenso ein Zeichen von Individualität und persönlicher Abgrenzung sein.China blickt auf eine sehr lange textile Tradition zurück. Speziell die kunstvollen Arbeiten der Bergvölker sind prächtig und farbenfroh gestaltet und überbieten sich in ihrem Formen - und Materialreichtum. Flora und Fauna liefern die Muster der Festtagskleider, Babytragetücher, Schmuckdecken, Kopfbedeckungen und Schuhe. Häufig verwendet man Drachen- und Schmetterlingsmotive aus der noch lebendigen Mythologie.Eingebunden in den Kreislauf der Natur bestimmen Fruchtbarkeitsgötter, Geister und Dämonen unter dem Einfluss von Schamanen das Leben von der Geburt bis zum Tod. Davon künden Trommeltürme, Wind- und Regenbrücken, Musik, Tanz und Dichtung, Silberschmuck und besonders Web- und Stickkunst.Erkennbare Formen der Stickarbeiten wie Phönix, Pfau, Granatapfel, Chrysantheme, Päonie und Lilie entwickelte man im Lauf der Zeit auch zu stilisierten geometrischen Mustern. Oft erzählt die Symbolik in Ermangelung einer eigenen Schrift dem Kundigen die Geschichte und den Alltag der Stammesangehörigen. Jeder Stich soll nach strengen Regeln als heiliger Akt unter Beobachtung der Ahnen bestens ausgeführt werden Die Nadel zeichnet die Muster, der Faden schafft die Farben. Die phantasievolle Gestaltung der Textilien spiegelt die Kreativität und Leidenschaft der Bergvölker Südchinas auf eine ganz besondere Weise wider.In erster Linie ging es mir während meiner Reisen um eine fotografische Dokumentation, von 2003 bis 2005 analog in Schwarz-Weiß, dann digital in Farbe. Manchmal wurden mir Textilien in den Dörfern zum Kauf angeboten, welche die Frauen selbst gewebt, gestickt und gebatikt hatten und die ihren Kindern nicht mehr interessant schienen. So entstand meine Sammlung von etwa 70 Textilien, die ich in Ausstellungen Kulturinteressierten zugänglich machte.I