Keiner kennt ihre genaue Zahl: Wohl 150 bis 200 Millionen Menschen suchen Tag für Tag ihr Glück in Chinas aufstrebenden Städten. Die endlose Kolonne von Chinas Wanderarbeitern bildet die größte Massenbewegung zu Friedenszeiten in der Geschichte der Menschheit. Das rasante Wirtschaftswachstum seit den 1990er Jahren lässt diese Strömung nicht abreißen. Wanderarbeiter vom Land werden zudem bevorzugt eingestellt: Mit ihrem "Hukou"-Status haben sie schließlich keinen Anspruch auf soziale Sicherung, geschweige denn auf einen Mindestlohn. Trotz der unwürdigen Zustände, die sie in den Städten erwarten, entscheiden sich täglich Tausende zur Migration vom Land in die Städte. Antje König untersucht die Ursachen dieses umfassenden Entscheidungsprozesses und beschreibt, wie Chinas politische Führung darauf reagiert. Darüber hinaus vermittelt sie erschütternde Einblicke in die desolaten Lebensumstände der Wanderarbeiter selbst.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2010Chinas Wanderlust
Die 150 bis 200 Millionen Wanderarbeiter, die aus armen Provinzen Chinas meist in die boomenden Städte der Ostküste strömen, sind die größte Menschenbewegung zu Friedenszeiten in der Geschichte. Antje König beleuchtet die historischen Verlaufsformen dieser Migration. Nach der staatlichen Lenkung des Wanderns wie der Landverschickung Jugendlicher unter Maos Kulturrevolution habe das mit Dengs Reformpolitik einsetzende Phänomen "spontanen Charakter". So arbeitet das Buch Schub- und Sogfaktoren der Herkunfts- und Zielregion heraus. Der Arbeitskräfteüberschuss der stagnierenden Binnenregion führt zum Exodus zu den Werkbänken und Baustellen im Südosten. Dabei setzt der Staat der Wanderlust institutionelle Stolpersteine in den Weg. König beschreibt das Registrierungssystem "Hukou", das die Bevölkerung seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts trotz aller Reformversuche in Stadt- und Landbewohner spaltet, als eine Art inländischen Pass. So sind die höchstens mit einem temporären städtischen Hukou ausgestatteten, meist aber illegalen Arbeiter weitgehend vom Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem ausgeschlossen. In ihren Typologien der Wandernden unterscheidet König die freiwillige und unfreiwillige (wie beim Projekt des Drei-Schluchten-Staudamms), legale und illegale Wanderung, die politisch bedingte, Umwelt- und Armutsmigration. Die "zirkuläre Migration", bei der die Wanderer wieder zu ihrem Ausgangsort zurückkommen, bewertet die Autorin als Wohlstandsgenerator, zumal die aufs Land Zurückkehrenden städtisches Knowhow in die Heimat bringen. (Antje König: "Chinas wandernde Massen". Die rund 200 Millionen Wanderarbeiter und ihre Gründe zur Migration. Tectum Verlag, Marburg 2010. 217 S., br., 24,90 [Euro].) sg
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Die 150 bis 200 Millionen Wanderarbeiter, die aus armen Provinzen Chinas meist in die boomenden Städte der Ostküste strömen, sind die größte Menschenbewegung zu Friedenszeiten in der Geschichte. Antje König beleuchtet die historischen Verlaufsformen dieser Migration. Nach der staatlichen Lenkung des Wanderns wie der Landverschickung Jugendlicher unter Maos Kulturrevolution habe das mit Dengs Reformpolitik einsetzende Phänomen "spontanen Charakter". So arbeitet das Buch Schub- und Sogfaktoren der Herkunfts- und Zielregion heraus. Der Arbeitskräfteüberschuss der stagnierenden Binnenregion führt zum Exodus zu den Werkbänken und Baustellen im Südosten. Dabei setzt der Staat der Wanderlust institutionelle Stolpersteine in den Weg. König beschreibt das Registrierungssystem "Hukou", das die Bevölkerung seit den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts trotz aller Reformversuche in Stadt- und Landbewohner spaltet, als eine Art inländischen Pass. So sind die höchstens mit einem temporären städtischen Hukou ausgestatteten, meist aber illegalen Arbeiter weitgehend vom Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem ausgeschlossen. In ihren Typologien der Wandernden unterscheidet König die freiwillige und unfreiwillige (wie beim Projekt des Drei-Schluchten-Staudamms), legale und illegale Wanderung, die politisch bedingte, Umwelt- und Armutsmigration. Die "zirkuläre Migration", bei der die Wanderer wieder zu ihrem Ausgangsort zurückkommen, bewertet die Autorin als Wohlstandsgenerator, zumal die aufs Land Zurückkehrenden städtisches Knowhow in die Heimat bringen. (Antje König: "Chinas wandernde Massen". Die rund 200 Millionen Wanderarbeiter und ihre Gründe zur Migration. Tectum Verlag, Marburg 2010. 217 S., br., 24,90 [Euro].) sg
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