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Wer das heutige China mit all seinen Spannungen, Hoffnungen und Krisen besser verstehen will, muss wissen, wie präsent die Vergangenheit im "Reich der Mitte" ist. In seiner Darstellung der vergangenen 400 Jahre chinesischer Geschichte entschlüsselt Jonathan Spence die Problem- und Verhaltensmuster, die noch das heutige China prägen.

Produktbeschreibung
Wer das heutige China mit all seinen Spannungen, Hoffnungen und Krisen besser verstehen will, muss wissen, wie präsent die Vergangenheit im "Reich der Mitte" ist. In seiner Darstellung der vergangenen 400 Jahre chinesischer Geschichte entschlüsselt Jonathan Spence die Problem- und Verhaltensmuster, die noch das heutige China prägen.
Autorenporträt
Jonathan D. Spence, geboren 1936, ist Professor für Geschichte an der Yale University und gilt weltweit als einer der renommiertesten Chinaforscher. Seine Bücher zur Geschichte Chinas haben ihn auch in Deutschland bekannt gemacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995

Späte Neuzeit
Jonathan Spence über Chinas Moderne / Von Michael Lackner

Hat China seinen "Weg in die Moderne" gefunden? Und wenn ja, in welche? Der Titel der deutschen Übersetzung von Jonathan Spence's Buch legt eine universalistischere Konzeption von "Moderne" näher als der Originaltitel "The Search for Modern China". Selbst unter chinesischen Historikern herrscht Unklarheit über den rechten Begriff: Zurück zu dem phonetischen, in den dreißiger Jahren populären modeng will gewiß niemand, doch ob es sich bei der Moderne stets um die jeweilige Gegenwart handelt (wie es das u.a. für die "Vier Modernisierungen" verwendete chinesische Wort xiandai nahelegt) oder ob zugunsten besserer Vergleichbarkeit mit der "Neuzeit" des Westens der historische Ausdruck jindai, den einst japanische Historiker als Äquivalent für die westliche Neuzeit erfanden, vorzuziehen sei, ist umstritten.

Kritische chinesische Historiker halten das Versprechen der Modernisierung Chinas immer noch für uneingelöst und derzeit auch für uneinlösbar: Da China in vielerlei Hinsicht bis heute nicht in der Neuzeit angelangt sei, könne von nur gegenwartsbezogener Modernisierung im Sinne von xiandai nicht die Rede sein. Dieselben Gelehrten würden aber dem Gespenst der "Verwestlichung" (xihua) entgegenhalten, daß zunächst die vollständige "Sowjetisierung" (suhua) zu bedenken und zu überwinden sei.

Dieser eher pessimistischen Sicht würde zweifellos auch Spence zustimmen, der China bis zum Ende des 20. Jahrhunderts Modernität abspricht, weil diese ausschließlich Nationen kennzeichne, die "sich einerseits ihrer Identität weitgehend sicher und andererseits imstande sind, sich als gleichrangiger Partner an der Suche nach neuen Märkten, neuen Technologien, neuen Ideen zu beteiligen". Das Buch, im Rahmen von Spence's Gesamtwerk eher eine Wendung zur narrativen Geschichtsschreibung, zeigt demnach Gründe für die Ungewißheit der chinesischen Identität und den Unwillen oder das Unvermögen, gleichrangiger Partner in der Weltgemeinschaft zu sein.

Dazu benötigt Spence einen langen Atem, und er setzt mit seiner Erzählung der chinesischen Geschichte etwa in dem Moment (Anfang des 17. Jahrhunderts) ein, da europäische Nationen entstehen, die seinen Kriterien der Modernität genügen. In seinem immer wieder von längeren Reflexionen oder Zusammenfassungen unterbrochenen Bericht, der literarischen wie sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklungen Rechnung trägt, verfällt Spence weder naiven Vorstellungen von der Alleinschuld des westlichen Imperialismus am Niedergang Chinas noch dem etwas komplexeren, gleichwohl jedoch einseitig nach eurozentrischen Mustern ausgerichteten Leitmotiv von (westlichem) Stimulus und (chinesischer) Reaktion. Stets ist er bemüht, das innen- und außenpolitische Verhalten Chinas an Maßstäben der für China jeweils erreichbaren Modernität zu messen. So findet etwa die Episode der Jesuitenmission (16. bis 18. Jahrhundert), gewiß in vieler Hinsicht eine frühe intellektuelle Prüfung der chinesischen Dialogfähigkeit mit dem Westen (und vice versa), nur sehr marginale Beachtung; völlig zu Recht, denn das intellektuelle Echo dieser Mission ist bis heute nur für die feinen Ohren von Spezialisten zu vernehmen.

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, insbesondere seit der Gesandtschaft von Lord Macartney, hätte es in den Ohren der chinesischen Beamten allerdings dröhnen müssen; denn von englischer Seite wurde die splendide, im Gewande zivilisatorischer Suprematie auftretende Selbstgenügsamkeit Chinas zunächst verbal und rituell, später durch kommerzielle und politische Ansprüche gewaltsam in Frage gestellt. Doch die offizielle Anerkennung der wachsenden politischen Verflechtungen mit dem Westen kommt stets zu spät, das Reich der Zeichen erkennt die Zeichen der Zeit offenbar stets mit Verzögerung. Kaum ein Autor macht deutlicher, daß China nach einem anderen Takt lebt. Wenige erklären freilich auch wie Spence, wie viele konkrete, aber selten verwirklichte Alternativen in den Milieus chinesischer Intellektueller debattiert wurden.

Aufgrund einer der üblichen Verspätungen entstehen unter anderem die "ungleichen Verträge" im Gefolge des ersten Opiumkrieges. Statt der bei manch anderen anzutreffenden Larmoyanz ob der verheerenden Brutalität des westlichen Imperialismus (mutatis mutandis: Edward Said, aber der ist Literaturwissenschaftler und nicht Historiker) macht Spence - unter anderem anhand der Behandlung von Ausländern im chinesischen Recht der Mandschu-Zeit - klar, daß westliches Streben nach Gleichbehandlung paradoxerweise Ungleichheit produzieren mußte, weil diese bereits die Grundlage des zeitgenössischen chinesischen Rechtssystems bildete.

Der Realismus von Spence macht auch vor den heiligen Kühen des modernen chinesischen Nationalismus nicht halt: Die Kultfigur Sun Yat-sen, "Vater der Nation" auf Taiwan, geehrt in der Volksrepublik China, "fühlte sich enttäuscht und frustriert. Die Briten fanden seine medizinische Ausbildung nicht gut genug . . . und die Chinesen schienen seine neuerworbenen Kenntnisse ebensowenig entsprechend zu würdigen. Anlaß genug für Sun, Ende 1894 auf Hawaii unter dem Namen ,Gesellschaft zur Wiederbelebung Chinas' eine Geheimgesellschaft ins Leben zu rufen, die gelobte, die Mandschu zu stürzen . . ." Die chinesische Republik entsteht 1911/1912 gegen den Rat zahlreicher Intellektueller (die eine konstitutionelle Monarchie befürworteten), sie entsteht als Wechselbalg.

Dank eines für die deutsche Ausgabe verfaßten Nachworts erzählt Spence die Geschichte Chinas bis 1994. Spence ist diskret. Noten für politisch korrektes Betragen und Meinen werden nicht verteilt. Die Wirren der Republik, der Krieg gegen Japan, das Epos des Sieges der Kommunistischen Partei, die Säuberungen und die Zeit der Massenkampagnen, der "Große Sprung nach vorn" und die "Große Proletarische Kulturrevolution" - für alle diese Epochen wird die politische Führung Chinas stets am gleichen, in der Einleitung aufgestellten Anspruch auf Modernität gemessen. Über den gesamten Zeitraum hinweg genügt sie diesem Anspruch nicht.

Mittlerweile scheint die Vision, die der innere Führungskreis der Volksrepublik China von der "Moderne" hat, den explosiven Anforderungen der Wirklichkeit überhaupt nicht mehr zu entsprechen; dies, so legt das Nachwort nahe, wird für die nähere Zukunft wohl weiterhin eine eher reaktive Haltung bedingen, die zwischen Repression und Gewährenlassen, zwischen muddling through einerseits und hektischen Kompensationshandlungen andererseits schwankt.

Die chinesische Wahrnehmung des Westens hat auch ihren sprachlichen Aspekt: nicht nur das richtige chinesische Äquivalent für "Moderne/Neuzeit" ist umstritten, auch über zahlreiche weitere westliche Begriffe herrscht Unklarheit. Begriffsgeschichtlich sind die letzten 160 Jahre chinesischer Auseinandersetzung mit dem Westen noch kaum durchdrungen. Wenn das Standardwerk von Spence in der systematischen Forschung noch ein Desiderat offen läßt, so ist es jenes bis heute noch nicht abgeschlossene Unternehmen der Schaffung des modernen chinesischen Wortschatzes in den Wissenschaften, an dem Chinesen ebenso wie Europäer, Amerikaner und Japaner beteiligt waren.

Jonathan D. Spence: "Chinas Weg in die Moderne". Aus dem Amerikanischen von Gerda Kurz und Siglinde Summerer. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1995. 984 S., Abb., geb., 128,- DM.

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"Um die Bürden und die Chancen, die in Chinas Vergangenheit liegen, zu verstehen, gibt es keinen besseren Zugang als dieses hervorragende Buch." (New York Times Book Review)