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"Alte Freunde" ist das literarische Meisterwerk von Rafael Chirbes: Das Porträt einer Generation, die vor 30 Jahren die Welt verändern wollte und in den Niederungen der Wirklichkeit angekommen ist.

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Produktbeschreibung
"Alte Freunde" ist das literarische Meisterwerk von Rafael Chirbes: Das Porträt einer Generation, die vor 30 Jahren die Welt verändern wollte und in den Niederungen der Wirklichkeit angekommen ist.
Autorenporträt
Rafael Chirbes, geboren 1949 in Tabernes de Valldigna bei Valencia, studierte in Madrid und lebt heute als freier Publizist in Beniarbeig bei Alicante. Früh verließ er den Ort seiner Kindheit und lebte in verschiedenen Städten Spaniens, u.a. in Salamanca, Madrid und Barcelona, später einige Zeit in Paris und in Marokko. Obwohl seine Liebe der Literatur galt, studierte Chirbes in Madrid Neuere Geschichte. Daneben interessiert er sich für Film, Malerei und Architektur und arbeitete zunächst als Literatur- und Filmkritiker für verschiedene Zeitschriften, u.a. lange Jahre für das Reise- und Gourmetmagazin Sobremesa. Rafael Chirbes verstarb im August 2015.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2005

Mittelgraue Demokratie
Lebensbilanz: Rafael Chirbes beendet seine Spanien-Trilogie

Der dünnste aller Vorwände, um beim Romanschreiben ins Erzählen zu kommen, kann verblüffende Ergebnisse erzielen. Daran sieht man wohl den Könner. Der spanische Schriftsteller Rafael Chirbes, geboren 1949 bei Valencia, ist einer von ihnen. Denn der Vorwand, unter dem dieser Roman das Erzählen beginnt, ist dünn wie Papier.

Eine Gruppe alter Freunde will sich in Madrid zu einem Abendessen treffen, warum eigentlich, wird gar nicht klar, und Freunde sind sie schon lange nicht mehr. Sie waren es einmal, als es in Spanien noch einen politischen Untergrund gab und die Protestgeneration in Madrid heimlich Flugblätter gegen Franco druckte, Molotowcocktails bastelte, gemeinsam trank, Gras rauchte und leninistische Parolen umwälzte. Alles wie in Paris, nur im Taschenformat. Dreißig Jahre später sind Carlos, Pedrito, Amalia, Guzmán, Demetrio, Rita und ihre Genossen längst auseinandergedriftet - die einen schick und arriviert, andere wie Steine, die liegengeblieben sind und Moos angesetzt haben. Eine von ihnen, Magda, ist einfach verschwunden. Elisa, die Kunsthistorikerin, starb an Krebs, und so, wie sie in den Berichten der anderen vorkommt, wird klar, daß sie für die verlorene Schönheit einstehen muß - Schönheit, die zwar sterblich ist, aber immerhin nicht langsam verrottet.

Aus fünfzehn Monologen, verteilt auf sieben Sprecher, läßt Chirbes die alten Beziehungen, die Verachtung, die Ernüchterung und die enttäuschte Liebe aufsteigen, die die kommunistische Zelle miteinander erlebt hat. Manche der Mitglieder haben sich gegenseitig geheiratet, aber irgendwann getrennt. Der Sohn von Carlos und Rita starb als Junkie. Demetrio arbeitet als Nachtwächter, glaubt jedoch immer noch, er sei eigentlich Maler. Pedrito, der revolutionärste Kopf von allen, wurde Bauunternehmer und dient aus Motiven, die er den anderen bestens erläutern kann, dem Kapital.

Was uns das alles angehen soll, liegt nicht im Thema begründet, sondern im Stil, der seinerseits ein Abbild von Chirbes' skeptischer Weltsicht ist. Die von Dagmar Ploetz brillant ins Deutsche übertragenen Sätze sind lang, bildkräftig, zupackend, ein Erkenntnisinstrument, das in die Tiefe bohrt. Diese Bauch- und Herzenssprache macht von der ersten Zeile an klar, daß es um Lebensbilanzen geht. Daß die politischen Utopien des Antifranquismus nicht alt wurden, sondern nur ziemlich unradikal ins Mittelgrau der Demokratie geführt haben, ist dabei kaum das Aufsehenerregende. Wohl aber, wie aus der bescheidenen Teilnahme an dem, was man früher den "geschichtlichen Prozeß" genannt hätte, Ernüchterung erwächst, weil sich das Gesellschaftliche dort draußen mit dem privaten Ich zu kreuzen beginnt. Denn das private Ich wird älter und egoistischer, was immer es sich selbst davon auch eingestehen mag, es läßt Bindungen zerbrechen und findet ein neues Feinschmeckerlokal plötzlich wichtiger als Baudelaire.

Wie sehr wenige Autoren schafft es Chirbes, im Durchschnittlichen das Geheimnis zu entdecken, und das mit einem der riskantesten Mittel, das der Roman kennt, dem absatzlosen Ich-Bericht. Darin vermischen sich Erinnerung, Reflexion, Selbstrechtfertigung und Katzenjammer. Wir Leser müssen hier selbst etwas leisten, nämlich die Figuren schnell identifizieren (über den Kapiteln steht nicht, wer spricht) und von den übrigen unterscheiden lernen.

Bei Chirbes haben solche Hürden ihren Sinn. Sie sind überhaupt erst die Bedingung dafür, daß der Roman "Alte Freunde" - nach "Der lange Marsch" und "Der Fall von Madrid" der dritte Teil einer Trilogie über das Spanien der Nachbürgerkriegszeit - sein Ziel so souverän erreicht: über den Verlust von Hoffnung zu sprechen, ohne besserwisserisch über der Blindheit von damals zu thronen oder gleich ins Renegatentum zu verfallen. Erst die vielfach gebrochene Perspektive ermöglicht einen gerechten Blick auf das Ganze, der weder nörglerisch noch sentimental wäre. Jeder erzählt seine eigene Geschichte, ungeschützt, mit typischen Stärken und Schwächen. Ja, das könnten auch wir sein, die sich da ihre Lebensgeschichte zurechtschnitzen.

Die Frage mag erlaubt sein, was Chirbes mit diesem Relativismus sagen will. Daß alles für die Katz war? Daß man sie am besten gleich gelassen hätte, die Sache mit der Weltverbesserung? Gerade diese Folgerung ist für einen wie Chirbes ausgeschlossen. Während er an seinen Figuren zeigt, wie Menschen ihre Entscheidungen kosmetisch zurechtlügen oder was ihnen der Badezimmerspiegel offenbart, steht er doch zuverlässig an ihrer Seite. Als einer, der derselben betrogenen, betrügenden Generation angehört und ihre Widersprüche zumindest benennen will.

Dostojewskij und Joseph Conrad waren fasziniert von der Verformung des Ichs, wenn es sich am Leben langsam abreibt und die Ideale verliert. Entzauberung, Enttäuschung und Verzweiflung über das Weltgetriebe stellten Laborbedingungen dar, unter denen ihr Subjekt gut zu beobachten war. Der unerschrockene Blick dessen, der unbedingt wissen möchte, wie eines Menschen innere Wahrheit aussieht, ist auch der Blick von Rafael Chirbes. Damit ist er ein Vertreter des modernen Bewußtseinsromans und darf in seiner spanischen Heimat, wo leichte Unterhaltungskost dominiert, als schützenswerte Art angesehen werden.

Rafael Chirbes: "Alte Freunde". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Dagmar Ploetz. Verlag Antje Kunstmann, München 2004. 237 S., geb., 19,90 [Euro].

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