Produktdetails
- Verlag: Creative Media Partners, LLC
- Seitenzahl: 218
- Erscheinungstermin: 10. September 2021
- Englisch
- Abmessung: 234mm x 156mm x 12mm
- Gewicht: 313g
- ISBN-13: 9781015267886
- ISBN-10: 1015267882
- Artikelnr.: 66186373
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
- Herstellerkennzeichnung
- Libri GmbH
- Europaallee 1
- 36244 Bad Hersfeld
- 06621 890
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2015Das Meer holt sich, was ihm geraubt wurde
Entfesselter Rhythmus: Lafcadio Hearn schuf 1889 mit "Chita" einen Klassiker über die unbezähmbare Gewalt der Meere. Jetzt erscheint dieses Epos en miniature erstmals auf Deutsch.
Man muss es gegen jeden Vertrag mit der Besonnenheit ankündigen wie eine Sensation: Der Jung und Jung Verlag aus Salzburg hat ein Meisterwerk emittiert. Fast wie nebenbei erreicht uns in einer Erstübersetzung von Alexander Pechmann ein Klassiker. Wer von Lafcadio Hearn noch nichts gehört hat, wer ihn noch nicht gelesen hat, der darf jetzt die Gelegenheit zu seiner Entdeckung nutzen. "Chita" enthält auf nur knapp hundertzwanzig Seiten das Beste, was die Literaturgeschichte an altkontinentaler Erzählkunst und neuweltlicher Naturbeschreibung bereithält. Das Buch ist eine Nussschale, die auf der rauhen See, die es beschreibt, umhergeworfen wird. Und mit ihr die Leser, die man sich wie Passagiere auf dieser Nussschale vorzustellen hat.
Ein Hurrikan fegt am 10. August 1856 über Louisiana hinweg, verwüstet die vorgelagerten Inseln, die im neunzehnten Jahrhundert beliebte Urlaubsziele der kreolischen Upperclass waren. Opulente Feste wurden in alten Kolonialhotels gefeiert. Die Nacht vor dem historisch verbürgten Sturm muss spannungsreich gewesen sein. Um die vierhundert Personen hatten sich versammelt. "Und all diese Vergnügungssüchtigen, die Wohlstand und Reichtum der kreolischen Gemeinden repräsentierten, ob sie von Ascension oder Assumption, St. Mary's oder St. Landry's, Iberville oder Terrebonne stammten, ob sie Bewohner der bunten und balkonreichen kreolischen Stadtviertel der malerischen Metropole waren oder im verträumten Paradies des Têche zu Hause waren, mischten sich freudig, kannten einander, fühlten sich irgendwie verwandt - ob sie nun durch Blutlinien verbunden waren, derselben Kaste angehörten oder sich einfach aufgrund traditioneller Klassengefühle und Klasseninteressen sympathisch fanden. Vielleicht war in der außergewöhnlich großen Heiterkeit jenes Abends eine nervöse Erregung zu erkennen - etwas wie ein fiebriger Entschluss, der Furcht mit Frohsinn zu begegnen, um Nervosität mit Zerstreuung zu bekämpfen."
Unweigerlich imaginiert man sich in die Kulissen der havarierten "Titanic" hinein. Der Sturm kommt so heftig über die Insel, dass noch Wochen später auf Möbeln treibende Leichen aus dem Ozean gefischt werden. Der Sturm hat die Insel in einem zornigen Angriff der Zivilisation entrissen. Und die "Kavallerie des Ozeans" holt sich nun Meter für Meter zurück, was sie einst den Landtruppen der Vegetation überlassen musste. "Seit Ewigkeiten", heißt es bei Hearn, "strebt der gelbe Mississippi etwas aufzubauen, was die See seit Ewigkeiten zu vernichten sucht." Und die Sprache dieses Romans vollzieht nun den Prozess dieser Heimholung nach: "Die Nacht zog sich dahin: Immer noch erbebte das polierte Parkett unter den Füßen der Tänzer, immer noch erklang das Piano, und immer noch sangen die Violinen - und der Klang ihres Gesangs gellte in den Sturmpausen durch die Dunkelheit ans Ohr von Kapitän Smith, als er versuchte, auf dem gischtgetränkten Deck der Star nicht den Halt zu verlieren." Kurz danach ist es nicht mehr die Ekstase der Hochkultur, die gellt und tanzt, sondern die Natur allein. ",Walzer!', rief der Kapitän. ,Gott steh ihnen bei! - Gott steh uns allen nun bei! ... Heute Nacht walzt der Wind mit dem Meer!'" Was folgt, ist eine Vermischung der Sphären: "Dann hörte er einen angsterfüllten Schrei, den rohen, furchtbaren, unbeschreiblichen Schrei hoffnungsloser Angst - den verzweifelten Urschrei des Menschen, der sich plötzlich unvorbereitet, ohne Trost, ohne möglichen Aufschub mit dem Nichts konfrontiert sieht ... Sauve qui peut!"
Dann ist der Tragödie erster Akt vorbei. "Die Legende der Île Dernière", wie der französische Name lautet, ist dieser Teil des Romans überschrieben, "Aus der Gewalt des Meeres" heißt der zweite. Hier gibt der Ozean tatsächlich etwas aus seinem Raubzug an die Menschenwelt zurück. Der spanische Fischer Feliu entdeckt im Übergang zwischen Sumpf und Meer ein kleines Mädchen, das sich auf einem schwimmenden Billardtisch an seine tote Mutter klammert. Wie ein Triton durchpflügt er das Wasser und birgt das Kind, das in allerliebstem Patois mit seinen Rettern spricht. Der Fischer und seine Frau nehmen die Kleine zu sich, nennen sie Chita und ziehen sie auf. Ein Kind wurde ihnen, so deutet der Roman an, genommen, nun hat ihnen der unergründliche Ozean ein neues geschenkt. In der Zwischenzeit wird ein gewisser Docteur La Brierre von den Behörden für tot erklärt und taucht wie ein Geist in New Orleans wieder auf. Ein gebrochener Mann, dem Frau und Kind genommen wurden und der erst nach einer - seiner letzten - Reise zu einem Patienten auf die Insel des Fischers begreift, dass seine Tochter den Sturm überlebt hat. Der letzte Teil dieses Epos en miniature heißt "Der Schatten der Flut" und handelt von einer mythischen Überfahrt über ein "urzeitliches Meer, dessen ehrwürdiges Alter jede Sage verstummen lässt". Und doch spricht die unbezähmbare Gewalt unablässig zu den Lesern dieses Buchs - kondensierter als in dem bald ein halbes Jahrhundert zuvor erschienenen Walfängerroman "Moby Dick" und lyrischer als in den Erinnerungen des Seemanns Marlow bei Joseph Conrad. Wer war der Verfasser des Langgedichts über einen epischen Sturm und seine Opfer?
In einem Nachwort des Übersetzers lesen wir von einem zweiten Abenteuer. Lafcadio Hearn war der Sohn eines irischen Arztes und einer griechischen Mutter, ging in Frankreich zur Schule, machte in Cincinnati als Reporter Karriere, übersetzte Flaubert und Nerval, heiratete ein dunkelhäutiges Küchenmädchen, ließ sich wieder scheiden, ging nach New Orleans und brachte mehrere Bücher mit kreolischen Liedern, Redensarten und Rezepten heraus, schrieb "Chita", kündigte als Reporter, lebte eine Weile in Gesellschaft von dreißig Katzen und einer abergläubischen Haushälterin auf Martinique und zog schließlich nach Japan, wo er eine Reihe kulturgeschichtlicher Werke verfasste, zu denen Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal Vorworte schrieben. Nachdem ihm ein Freund aus New Orleans von der Sturzflut erzählt hatte, war Hearn klar, dass er seinen Stoff gefunden hatte. "Sie erinnern sich an meinen uralten Traum von poetischer Prosa", schrieb er an einen Bekannten, "an Kompositionen, die in den Ohren eines alten Griechen reizvoll klingen - wie Gesänge, gedichtet in epischem Versmaß, länger als die längste Zeile eines Sanskrittextes und nur ein klein wenig unregelmäßig, wie der Rhythmus des Ozeans". Lafcadio Hearn ist mit "Chita" etwas Seltenes gelungen: Er hat seine Leser in eine schwimmende Nussschale aus gut befestigten Sätzen gebannt - an einen heiklen Ort also, der zugleich sicher ist. Denn, was Feliu während des etwas ruppigen Schwimmunterrichts einmal zu Chita sagt, gilt ja erst recht für die Sprache: "Die Welt ist wie das Meer: Jene, die nicht wissen, wie man darin schwimmt, ertrinken."
KATHARINA TEUTSCH.
Lafcadio Hearn: "Chita". Roman. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2015. 133 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Entfesselter Rhythmus: Lafcadio Hearn schuf 1889 mit "Chita" einen Klassiker über die unbezähmbare Gewalt der Meere. Jetzt erscheint dieses Epos en miniature erstmals auf Deutsch.
Man muss es gegen jeden Vertrag mit der Besonnenheit ankündigen wie eine Sensation: Der Jung und Jung Verlag aus Salzburg hat ein Meisterwerk emittiert. Fast wie nebenbei erreicht uns in einer Erstübersetzung von Alexander Pechmann ein Klassiker. Wer von Lafcadio Hearn noch nichts gehört hat, wer ihn noch nicht gelesen hat, der darf jetzt die Gelegenheit zu seiner Entdeckung nutzen. "Chita" enthält auf nur knapp hundertzwanzig Seiten das Beste, was die Literaturgeschichte an altkontinentaler Erzählkunst und neuweltlicher Naturbeschreibung bereithält. Das Buch ist eine Nussschale, die auf der rauhen See, die es beschreibt, umhergeworfen wird. Und mit ihr die Leser, die man sich wie Passagiere auf dieser Nussschale vorzustellen hat.
Ein Hurrikan fegt am 10. August 1856 über Louisiana hinweg, verwüstet die vorgelagerten Inseln, die im neunzehnten Jahrhundert beliebte Urlaubsziele der kreolischen Upperclass waren. Opulente Feste wurden in alten Kolonialhotels gefeiert. Die Nacht vor dem historisch verbürgten Sturm muss spannungsreich gewesen sein. Um die vierhundert Personen hatten sich versammelt. "Und all diese Vergnügungssüchtigen, die Wohlstand und Reichtum der kreolischen Gemeinden repräsentierten, ob sie von Ascension oder Assumption, St. Mary's oder St. Landry's, Iberville oder Terrebonne stammten, ob sie Bewohner der bunten und balkonreichen kreolischen Stadtviertel der malerischen Metropole waren oder im verträumten Paradies des Têche zu Hause waren, mischten sich freudig, kannten einander, fühlten sich irgendwie verwandt - ob sie nun durch Blutlinien verbunden waren, derselben Kaste angehörten oder sich einfach aufgrund traditioneller Klassengefühle und Klasseninteressen sympathisch fanden. Vielleicht war in der außergewöhnlich großen Heiterkeit jenes Abends eine nervöse Erregung zu erkennen - etwas wie ein fiebriger Entschluss, der Furcht mit Frohsinn zu begegnen, um Nervosität mit Zerstreuung zu bekämpfen."
Unweigerlich imaginiert man sich in die Kulissen der havarierten "Titanic" hinein. Der Sturm kommt so heftig über die Insel, dass noch Wochen später auf Möbeln treibende Leichen aus dem Ozean gefischt werden. Der Sturm hat die Insel in einem zornigen Angriff der Zivilisation entrissen. Und die "Kavallerie des Ozeans" holt sich nun Meter für Meter zurück, was sie einst den Landtruppen der Vegetation überlassen musste. "Seit Ewigkeiten", heißt es bei Hearn, "strebt der gelbe Mississippi etwas aufzubauen, was die See seit Ewigkeiten zu vernichten sucht." Und die Sprache dieses Romans vollzieht nun den Prozess dieser Heimholung nach: "Die Nacht zog sich dahin: Immer noch erbebte das polierte Parkett unter den Füßen der Tänzer, immer noch erklang das Piano, und immer noch sangen die Violinen - und der Klang ihres Gesangs gellte in den Sturmpausen durch die Dunkelheit ans Ohr von Kapitän Smith, als er versuchte, auf dem gischtgetränkten Deck der Star nicht den Halt zu verlieren." Kurz danach ist es nicht mehr die Ekstase der Hochkultur, die gellt und tanzt, sondern die Natur allein. ",Walzer!', rief der Kapitän. ,Gott steh ihnen bei! - Gott steh uns allen nun bei! ... Heute Nacht walzt der Wind mit dem Meer!'" Was folgt, ist eine Vermischung der Sphären: "Dann hörte er einen angsterfüllten Schrei, den rohen, furchtbaren, unbeschreiblichen Schrei hoffnungsloser Angst - den verzweifelten Urschrei des Menschen, der sich plötzlich unvorbereitet, ohne Trost, ohne möglichen Aufschub mit dem Nichts konfrontiert sieht ... Sauve qui peut!"
Dann ist der Tragödie erster Akt vorbei. "Die Legende der Île Dernière", wie der französische Name lautet, ist dieser Teil des Romans überschrieben, "Aus der Gewalt des Meeres" heißt der zweite. Hier gibt der Ozean tatsächlich etwas aus seinem Raubzug an die Menschenwelt zurück. Der spanische Fischer Feliu entdeckt im Übergang zwischen Sumpf und Meer ein kleines Mädchen, das sich auf einem schwimmenden Billardtisch an seine tote Mutter klammert. Wie ein Triton durchpflügt er das Wasser und birgt das Kind, das in allerliebstem Patois mit seinen Rettern spricht. Der Fischer und seine Frau nehmen die Kleine zu sich, nennen sie Chita und ziehen sie auf. Ein Kind wurde ihnen, so deutet der Roman an, genommen, nun hat ihnen der unergründliche Ozean ein neues geschenkt. In der Zwischenzeit wird ein gewisser Docteur La Brierre von den Behörden für tot erklärt und taucht wie ein Geist in New Orleans wieder auf. Ein gebrochener Mann, dem Frau und Kind genommen wurden und der erst nach einer - seiner letzten - Reise zu einem Patienten auf die Insel des Fischers begreift, dass seine Tochter den Sturm überlebt hat. Der letzte Teil dieses Epos en miniature heißt "Der Schatten der Flut" und handelt von einer mythischen Überfahrt über ein "urzeitliches Meer, dessen ehrwürdiges Alter jede Sage verstummen lässt". Und doch spricht die unbezähmbare Gewalt unablässig zu den Lesern dieses Buchs - kondensierter als in dem bald ein halbes Jahrhundert zuvor erschienenen Walfängerroman "Moby Dick" und lyrischer als in den Erinnerungen des Seemanns Marlow bei Joseph Conrad. Wer war der Verfasser des Langgedichts über einen epischen Sturm und seine Opfer?
In einem Nachwort des Übersetzers lesen wir von einem zweiten Abenteuer. Lafcadio Hearn war der Sohn eines irischen Arztes und einer griechischen Mutter, ging in Frankreich zur Schule, machte in Cincinnati als Reporter Karriere, übersetzte Flaubert und Nerval, heiratete ein dunkelhäutiges Küchenmädchen, ließ sich wieder scheiden, ging nach New Orleans und brachte mehrere Bücher mit kreolischen Liedern, Redensarten und Rezepten heraus, schrieb "Chita", kündigte als Reporter, lebte eine Weile in Gesellschaft von dreißig Katzen und einer abergläubischen Haushälterin auf Martinique und zog schließlich nach Japan, wo er eine Reihe kulturgeschichtlicher Werke verfasste, zu denen Stefan Zweig und Hugo von Hofmannsthal Vorworte schrieben. Nachdem ihm ein Freund aus New Orleans von der Sturzflut erzählt hatte, war Hearn klar, dass er seinen Stoff gefunden hatte. "Sie erinnern sich an meinen uralten Traum von poetischer Prosa", schrieb er an einen Bekannten, "an Kompositionen, die in den Ohren eines alten Griechen reizvoll klingen - wie Gesänge, gedichtet in epischem Versmaß, länger als die längste Zeile eines Sanskrittextes und nur ein klein wenig unregelmäßig, wie der Rhythmus des Ozeans". Lafcadio Hearn ist mit "Chita" etwas Seltenes gelungen: Er hat seine Leser in eine schwimmende Nussschale aus gut befestigten Sätzen gebannt - an einen heiklen Ort also, der zugleich sicher ist. Denn, was Feliu während des etwas ruppigen Schwimmunterrichts einmal zu Chita sagt, gilt ja erst recht für die Sprache: "Die Welt ist wie das Meer: Jene, die nicht wissen, wie man darin schwimmt, ertrinken."
KATHARINA TEUTSCH.
Lafcadio Hearn: "Chita". Roman. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2015. 133 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main