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Voltaire las sein Leben lang Pascals "Pensées". Er durchdachte dessen Gedanken und machte sich von etwa 1728 an bis 1777 in drei Schüben ausführliche Notizen. Er läßt Pascal zu Wort kommen. Er bringt ausführliche Zitate und druckt darunter seine Kritik. Voltaire führt eine ernsthafte philosophische Auseinandersetzung mit dem von ihm anerkannten Genie. Er spricht von einem Kampf der Giganten. Dadurch ist ein Dokument von großer Bedeutung entstanden. Es beleuchtet wie ein Blitzgewitter die intellektuelle, religiöse und politische Zeitlandschaft: Voltaire fand Pascals Christentum archaisch,…mehr

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Produktbeschreibung
Voltaire las sein Leben lang Pascals "Pensées". Er durchdachte dessen Gedanken und machte sich von etwa 1728 an bis 1777 in drei Schüben ausführliche Notizen. Er läßt Pascal zu Wort kommen. Er bringt ausführliche Zitate und druckt darunter seine Kritik. Voltaire führt eine ernsthafte philosophische Auseinandersetzung mit dem von ihm anerkannten Genie. Er spricht von einem Kampf der Giganten. Dadurch ist ein Dokument von großer Bedeutung entstanden. Es beleuchtet wie ein Blitzgewitter die intellektuelle, religiöse und politische Zeitlandschaft: Voltaire fand Pascals Christentum archaisch, unplausibel geworden, lebensfeindlich. Es gibt keinen deutlicheren und keinen geschliffeneren Text zum Verhältnis von Aufklärung und Christentum. Zugleich ist er auch ein stilistischer Genuss; hier sprechen zwei der originellsten und witzigsten Schriftsteller Frankreichs. Flaschs Buch legt die Texte in Übersetzung vor und ermittelt ihre historische und sachliche Bedeutung. Es beschreibt erstmals aus den Quellen die Entstehung der Problemlage vom späten Augustinus bis zu Jansenius, Pascal und Voltaire.Im Jahr 2000 erhielt Kurt Flasch den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Seine schriftstellerischen Qualitäten werden immer wieder von den Rezensenten hervorgehoben, zuletzt von Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung: "Dieser freie, stolze und heitere Ton wird noch lange hörbar sein."»Ein interessantes, nachdenkliches Buch voller Überraschungen [...]. Mit unverkennbarer Sympathie begleitet Flasch seinen "Helden" [Voltaire] bei dessen Versuchen, eine Umformung des Christentums zu gestalten.«Johann Hinrich Claussen, Süddeutsche Zeitung»Aus dem Buch spricht das gewohnte Brennen für die Sache [...]. Und einmal mehr geht eine Fülle von Anregungen von ihm aus, die Theologie, Philosophie, aber auch unsere Sicht der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte berührt. Nicht zuletzt: Es ist glänzend geschrieben, man liest es nicht nur mit Interesse, sondern mit Genuss.«Heinrich Schmidinger, Salzburger Jahrbuch für Philosophie»Kurt Flasch ist ein großer Wurf der Ideengeschichte gelungen.«Lorenz Jäger, CATO»Flaschs Genauigkeit im Detail, die Akribie, mit der er Argumente verfolgt, der Versuch, das in einer sehr klugen, verständlichen Sprache hinzukriegen - da ist er wirklich der Meister, da gibt es keinen besseren.«SWR 2, 14.12.2020»Flasch hat bemerkt, dass er bei der Erforschung vergangener Denkformen »auf dem nicht-existierenden Bindestrich zwischen Pascal und Voltaire« balanciere [...]. Wer seiner Argumentation weiter folgen möchte, erhält nun in einer umfangreichen Monographie eine Anleitung, die bis in die Anfänge des Christentums zurückführt.«Friedrich Vollhardt, Frankfurter Allgemeine ZeitungVoltaire kept reading Pascal's "Pensées" throughout his life. He thoroughly perused them and made detailed notes in three stages from about 1728 until 1777. He let Pascal have his say. He prints detailed quotations and counters them with his criticism. Voltaire conducts a serious philosophical discussion with the author of the "Pensées" whom he recognizes as a genius. He calls it a battle of the giants. This has resulted in a document of great importance. It illuminates the intellectual, religious, and political landscape of the time like a flash of lightning: Voltaire considered Pascal's Christianity as archaic, implausible, hostile towards life. There is no clearer or more polished text on the relationship between Enlightenment and Christianity. At the same time, it is also a stylistic delight; two of the most original and witty writers in France are engaged here. Flasch's book presents the texts in translation and determines their historical and factual significance. It describes for the first time from the sources the emergence of the problem situation from the late Augustine to Jansenius, Pascal and Voltaire.
Autorenporträt
Flasch, KurtKurt Flasch ist Professor emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied der Römischen Akademie der Wissenschaften (Academia Nazionale dei Lincei), ferner der Toskanischen Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Florenz (La Colombaria) sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2020

Dunkler Glanz auf alten Dogmen gefiel auch im Salon
Kurt Flasch geht Voltaires Auseinandersetzung mit Pascal auf den Grund, und ein Buch des französischen Aufklärers erscheint zum ersten Mal vollständig auf Deutsch

Gegenwärtig wird gerne die Sentenz Blaise Pascals (1623-1662) zitiert, dass "alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können". Diese Einschätzung zielte natürlich nicht auf die Pariser Seuchenhygiene im siebzehnten Jahrhundert, sondern auf die Unruhe und Vergnügungssucht von Menschen. Doch darin sieht Pascal nur eine der Ursachen für unser Unglück, auch nicht den eigentlichen Grund. Wer seiner Argumentation weiter folgen möchte, erhält nun in der umfangreichen Monographie des Philosophen und Philosophiehistorikers Kurt Flasch eine Anleitung, die bis in die Anfänge des Christentums zurückführt.

Denn maßgebend für Pascal waren die späten Schriften von Augustinus zur Allmacht und zum Handeln Gottes, das für den Menschen unbegreiflich bleibt. Die Gnadenlehre hatte sich seitdem, verstärkt durch die Reformation, in eine "Logik des Schreckens" (Flasch) verwandelt, da wir über unsere Prädestination - Erlösung oder Verdammung, Himmel oder Hölle - nichts wissen können. Nachdem Cornelius Jansenius diese Lehre in einem monumentalen, 1640 erschienenen Werk über Augustinus verteidigt hatte, kam es auch in der katholischen Welt zu einer heftigen Kontroverse über die Willensfreiheit, in der Pascal die antimoderne, gegen die Jesuiten gerichtete Position vertrat.

Kurt Flasch skizziert die Vorgeschichte des Streits (Luis de Molina), stellt die wichtigsten Akteure vor (Isaac Habert, Antoine Arnauld, Denis Pétau) und zieht die Konfliktlinien bis in das achtzehnte Jahrhundert aus (Pierre Bayle, John Locke). Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte in der Auseinandersetzung, die Voltaire seit den dreißiger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts mit Pascals Schriften führte. Damit war eine Konstellation entstanden, die den Autor ernsthaft herausfordert, wie er im Vorwort bekennt: "Jedem der beiden Kontrahenten gehört genau die Hälfte meiner Seele. Beiden gilt meine Kritik." An anderer Stelle hat Flasch bemerkt, dass er bei der Erforschung vergangener Denkformen "auf dem nicht-existierenden Bindestrich zwischen Pascal und Voltaire" balanciere, um - so ist zu vermuten - Bewegung in die Geschichte der Philosophie und ihren Problembestand zu bringen.

Pascal gewinnt seine Einsicht aus der Lehre von der Erbsünde, einem umstrittenen Theoriestück der Tradition. Obwohl er das Dogma für eine mythische Anschauungsform, ja für Unsinn hält ("sans raison"), erklärt er es zum Fundament des Glaubens, wobei die Art seiner Beweisführung die Schulung an Montaigne und Descartes verrät. Die Erzählung vom Sündenfall mache uns auf das in sich widersprüchliche und instabile Wesen des Menschen aufmerksam, das ihn zwingt, aus dem Zimmer zu gehen und nach Ablenkung zu suchen. Das Mysterium öffnet uns den Blick in den "Abgrund" der menschlichen Natur, der sowohl die Skeptiker als auch die Dogmatiker verwirrt - das ist der Leitgedanke Pascals, der als Beunruhigung im achtzehnten Jahrhundert fortwirkt.

Es geht Pascal jedoch nicht allein um anthropologische Fragen, die Flasch mit einer Anspielung auf Heidegger als "daseinsanalytisch" charakterisiert. Pascal will erschrecken. Als Mathematiker und Physiker gehörte er zu einer kleinen Elite von Forschern, die über die Stellung des Menschen im Kosmos nicht mehr im gesicherten Rahmen der aristotelischen Naturtheorie nachdachten, sondern radikale Schlussfolgerungen aus ihren Experimenten zogen. Pascal teilte den Schrecken über ein stumm gewordenes Universum und die Verzweiflung angesichts der eigenen Sterblichkeit, die er nicht zum Gegenstand der Spekulation machte. Über den Tod schreibt er in der Haltung des Skeptikers, kalt und distanziert: "Der letzte Akt ist blutig, mag der Rest der Komödie noch so schön gewesen sein. Zuletzt wirft man Erde auf den Kopf, und das war es dann für immer." Daher benötigt der Mensch Zerstreuung, um die Angst zu verdrängen, die eine Folge unserer Erbsünde ist. Pascal geht, wie Flasch resümiert, vom "Irrationalsten" aus, um "dunklen Glanz auf den dogmatischen Altbestand" zu lenken: "Damit erregte er unter Gelehrten und in den Salons Interesse."

Einhundert Jahre später hatte sich die religiöse und kulturelle Lage grundlegend verändert. Nicht mehr der Jansenismus war das Thema des Tages, sondern die "Enzyklopädie" und Voltaires "Dictionnaire philosophique portatif", der 1764 erschien. Es handelt sich um einen Grundtext der Aufklärung, der nun erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt wurde. In kurzen, unterhaltsamen Artikeln vermittelt Voltaire Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften und der historischen Forschung, um mit ironischen, bisweilen auch blasphemischen Bonmots religiöse Einbildungen, Intoleranz und Vorurteile zu bekämpfen.

Dabei verteidigt er seine Philosophie zugleich gegen Kritiker aus dem materialistischen Lager der Aufklärung, die seinen Theismus in Frage stellten: "Der Religionslehrer verkündet Gott den Kindern", heißt es in seinem Wörterbuch, "Newton beweist ihn den Gelehrten." In einer Reihe von Artikeln bezieht er sich auf den Sozinianismus, der die Bibel rationalistisch interpretierte, die Göttlichkeit der Trinität bestritt und die Vorstellungen von der Prädestination ablehnte, womit sich die christliche Überlieferung für die Vernunft öffnen und gegen den Augustinismus abgrenzen ließ. Und gegen Pascal, den Voltaire als Autor respektierte und als Apologeten kritisierte: "O Pascal! Das ist es, was herausgekommen ist bei den unendlichen Streitereien über diese Dogmen, diese Mysterien, die nur Unfrieden gebracht haben. Da ist kein Glaubensartikel dabei, der nicht Bürgerkrieg verursacht hat."

Am Ende führt das von Kurt Flasch aufgezeichnete Gespräch zwischen Pascal und Voltaire nur zu einem "kargen Ergebnis": Die beiden Positionen lassen sich "zwar rhetorisch fortspinnen, aber nicht philosophisch stützen". Dennoch geben sie "auch heute noch zu denken", wie das Fazit Voltaires zeigt: "Die moderne Welt brauchte entweder ein historisch besser begründetes anderes Christentum oder keines."

FRIEDRICH VOLLHARDT

Kurt Flasch: "Christentum und Aufklärung".

Voltaire gegen Pascal.

Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2020. 436 S., geb., 49,- [Euro].

Voltaire: "Philosophisches Taschenwörterbuch".

Hrsg. von Rainer Bauer.

Aus dem Französischen

von Angelika Oppenheimer.

Reclam Verlag, Ditzingen 2020. 444 S., geb., 36,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Johann Hinrich Claussen empfiehlt Kurt Flaschs neues Buch als interessant, nachdenklich und überraschend. Wenn der Philosophiehistoriker sich dem Verhältnis von Christentum und Aufklärung anhand von Voltaires Auseinandersetzung mit Pascals christlichem Verständnis von der Erbsünde zuwendet, darf man gespannt sein, findet der Rezensent. Er wird nicht enttäuscht. Flasch betreibt Quellenforschung auf höchstem Niveau, inszeniert den Dialog der beiden Denker und behandelt zugleich eine eigene Lebensfrage, wenn er Dämonisierung des Gottesbildes hier und Glaubensbekenntnis dort gegeneinander abwägt, erläutert Claussen. Das ergibt laut Rezensent ein lesenswertes Arbeitsbuch, eine Tiefenbohrung, eine gescheite Grübelei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2021

Gegen das barbarische Nörgeln
Menschenfeindliche Ideologie oder guter Glaube: Der Philosophiehistoriker Kurt Flasch fragt mit Voltaire nach dem Verhältnis von Christentum und Aufklärung
Es kann heikel werden, wenn man das neue Buch eines älteren, hochverdienten Autoren zu besprechen hat. Soll man es kritisch unter die Lupe nehmen wie alle anderen Neuerscheinungen? Wirkte das nicht unangemessen, irgendwie peinlich? Andererseits, täte man es nicht, würde man den Eindruck erwecken, den Autor nicht mehr für voll zu nehmen, nur weil er eine gewisse Zeitgrenze überschritten hat. Dann verwandelte sich der Respekt vor dem Alter in Herablassung. Nun hat der Philosophiehistoriker Kurt Flasch, der unzählige gelehrte und überaus anregende Werke zur älteren und neueren Geistesgeschichte verfasst hat, eine neue Veröffentlichung vorgelegt. Er ist 91 Jahre alt. Zum Glück aber ist hier alles ganz einfach: Es ist schlicht ein interessantes, nachdenkliches Buch voller Überraschungen.
Flasch nimmt sich ein klassisches Thema vor und gibt ihm eine originelle Wendung. Er will das Verhältnis von Christentum und Aufklärung untersuchen, genauer gesagt herausfinden, ob eine Aufklärung des Christentums möglich sei. Dazu wählt er eine epochale Konstellation und analysiert eine faszinierende Quelle, die hierzulande kaum bekannt ist: über 200 Notizen, die sich Voltaire, der von 1694 bis 1778 lebte, zu den 800 Papieren gemacht hat, in denen Blaise Pascal, der von 1623 bis 1662 lebte, sein Verständnis der christlichen Religion niedergelegt hatte.
Anders als man es vielleicht vermutet hätte, sind dies keine Spöttereien, sondern Dokumente einer überaus ernsten Auseinandersetzung mit einer Theologie, die der Aufklärer zu überwinden suchte, weil er sich selbst als religiös, wenn auch auf andere Art, verstand. So war das Ringen mit Pascal für Voltaire das Medium seiner Suche nach einem neuzeitlichen, lebensdienlichen Glauben.
Indem Flasch den literarischen Dialog zwischen diesen beiden inszeniert, geht er zugleich einer eigenen Lebensfrage nach. Wie er im Vorwort schreibt, hatte er nach dem zweiten Weltkrieg, der seine Familie hart getroffen hatte, eine Phase der Pascalbegeisterung. In den Jahren der Not, des Leidens und Grübelns wollte er „diese verdammte Welt verstehen, konnte es aber nicht“. Da stieß er auf Pascal: „Erklärte mir seine Rede vom dunklen, verborgenen Gott, was ich übermächtig erfahren hatte, nämlich daß Gewalt und Lüge die Welt regieren?“
In der Nacht des 23. November 1654 hatte Pascal eine religiöse Eingebung, die er so bezeugte: „Feuer – Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten.“ Flasch zeigt, dass es weniger der Jahwe der alttestamentlichen Urvater war, der Pascal „Gewißheit, Freude und Friede“ schenkte, als die Theologie des späten Augustin. Diese hatte Flasch schon in seinem Buch „Logik des Schreckens“ (1995) einer präzisen Ideologiekritik unterzogen.
Der späte Augustin war der Erfinder einer Erbsündenlehre, nach der alle Menschen den göttlichen Zorn verdient haben, weil sie „in Adam“ gesündigt haben – denn die Ursünde des ersten Menschen wird durch den Geschlechtsakt, wie ein metaphysisches HI-Virus, von Generation zu Generation weitergegeben. Alle sind deshalb der Verdammung würdig bis auf ganz wenige, die Gott vor Beginn der Welt zum Heil bestimmt hat.
Pascal schloss sich dieser gnadenlosen Gnadenlehre an, obwohl – nein, weil er ihre Widersinnigkeit durchschaut hatte. Denn für ihn war das menschliche Elend so übermächtig, dass es nur durch diese abgründige Doktrin erklärt werden konnte. Nur so ließ sich für ihn auch die Gerechtigkeit Gottes retten. Denn wie sonst sollte man das Leiden unschuldiger Kinder heute verstehen – es sei denn, diese wären gar nicht unschuldig, sondern Sünder, die der Zorn Gottes zu Recht trifft? So wagte Pascal mit befremdlicher Lust am Paradox einen halsbrecherischen Sprung in einen schrecklichen Glauben: „Diese Verrücktheit ist weiser als alle Weisheit der Menschen. Sein ganzer Zustand hängt ab von diesem unbegreiflichen Punkt.“
So abstoßend diese Lehre ist, so faszinierend kann sie auch wirken. Voltaire jedenfalls hat sich sein Leben lang an ihr abgearbeitet und mit Pascal gerungen. Dabei zielte er auf eine freiere Auffassung der Religion, nicht auf deren Vernichtung. Deshalb wollte er ähnlich wie später der aufgeklärte Protestantismus in Deutschland die augustinische Verzerrung des Glaubens überwinden. Anders jedoch als ein beliebtes Klischee konservativer Theologen behauptet, vertrat er dabei keine optimistische Weltsicht oder ein „oberflächliches“ Glaubensverständnis. Wer wollte hier auch das „Tiefe“ oder das „Flache“ ausmessen?
Voltaire, so zeigt Flasch, bewies mehr Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein als Pascal, weil er angesichts der Rätsel der Welt nicht ins Paradox flüchtete, sondern sich elementaren Fragen stellte. Wenn Pascal forderte: „Man anerkenne die Wahrheit der Religion in der Dunkelheit der Religion“, hielt er dagegen: „Das sind seltsame Kennzeichen der Wahrheit. Wodurch unterscheidet sie sich dann von der Lüge?“
Wenn Pascal deklarierte: „Gott ist verborgen. Daher ist keine Religion, die nicht sagt, dass Gott verborgen ist, die wahre“, entgegnete er kühl: „Warum immer darauf aus sein, dass Gott verborgen sei? Es wäre doch viel schöner, er wäre manifest.“ Und gegen Pascals Dämonisierung des Gottesbildes setzte er dieses Glaubensbekenntnis: „Man muß die Geschöpfe lieben, und zwar sehr zärtlich. Man muß sein Vaterland lieben, seine Frau, seinen Vater, seine Kinder. Man muß sie so sehr lieben, da Gott macht, daß wir sie gegen unsere Interessen lieben. Die gegenteiligen Prinzipien führen zu nichts als barbarischen Nörgeleien.“ Deshalb reduzierte Voltaire den Glauben auf das für ihn Wesentliche. Er konzentrierte ihn auf das, was dem Leben dient: „Das Christentum lehrt nichts als Einfachheit, Menschlichkeit, Nächstenliebe.“
Flasch nimmt im Buch manches aus älteren Veröffentlichungen wieder auf. So hatte er 2008 in „Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire“ einen Vorgeschmack seiner Pascal-Voltaire-Deutung gegeben. Nun versenkt er sich viel tiefer in diese Auseinandersetzung. So ist ein Arbeitsbuch entstanden, das manchmal wie ein Zettelkasten wirkt, viele Umwege nimmt, bohrt, wühlt und grübelt.
Einiges erinnert an seine scharfsinnige und erfolgreiche Kritik deutscher Vermittlungstheologien „Warum ich kein Christ bin“ (2013), doch ist der Ton ein etwas anderer. Denn mit unverkennbarer Sympathie begleitet Flasch seinen „Helden“ bei dessen Versuchen, eine Umformung des Christentums zu gestalten und es von einer menschenfeindlichen Ideologie wieder zurück in einen einfachen, guten Glauben zu verwandeln. Auf die Frage jedoch, ob Voltaire dies am Ende gelungen ist, gibt Flasch keine Antwort. Sinnvollerweise, denn auch die Aufklärung des Christentums ist eine lebenslange, individuelle Aufgabe mit offenem Ausgang. Es genügt schon zu erkennen, mit welchem Einsatz Voltaire sich ihr gewidmet hat.
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Kurt Flasch: Christentum und Aufklärung.
Voltaire gegen Pascal, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2020,
436 Seiten, 49 Euro.
Ein Dialog und wiederkehrende Fragen: „Warum immer darauf aus sein, dass Gott verborgen sei? Es wäre doch viel schöner, er wäre manifest", antwortete Voltaire (oben) auf Blaise Pascals Diktum vom verborgenen Gott.
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