Seine Lyrik war subversiv, seine Übersetzungen werden bis heute gerühmt, seine "Galgenlieder"zählen zu den populärsten deutschen Gedichten. Christian Morgenstern war einer der interessantesten Autoren seiner Zeit. Geboren im Jahr 1871, erlebte er eine Epoche der radikalen geistigen, technischen und kulturellen Umbrüche: den Eintritt in die Moderne. Zu seinen Generationsgenossen zählen Rilke, Hofmannsthal und Robert Walser. Morgensterns Werk reagierte in seiner Vielfalt und seiner Zerrissenheit auf eine Ära, die im raschen Wandel begriffen war. Jochen Schimmang wirft in seiner Biografie ein neues Licht auf Leben und Werk dieses bedeutenden Dichters.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Pünktlich zum hundertsten Todestag erscheint diese Biografie über Christian Morgenstern von Jochen Schimmang, und der Rezensent freut sich über eine Umwertung dieses doppelnatürlichen Dichterlebens, Nonkonformist einerseits, Kulturphrasendrescher andererseits, zugunsten des Subversiven. Lebendig und anschaulich findet Harald Hartung die Darstellung der Lebensetappen Morgensterns, das "Aufsuchen" von Orten und genaue Anschauen von Umständen. Viel mehr aber beeindruckt ihn Schimmangs Verständnis des Dichters als eines kritischen, zugleich subversiven Autors, weil es quer steht zur üblichen Zweiteilung des Morgensternschen Werkes in ein "seriöses" und ein "humoristisches". Schimmang, so Hartung, erkennt das Seriöse im Subversiven und umgekehrt und darin die Bedeutung Morgensterns für die poetische Moderne von Dada bis Gernhardt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2013Der Husten ist vierdimensional
Zwischen Lattenzaun und Neugottesgrund: Jochen Schimmangs gelungene Biographie über Christian Morgenstern erforscht die Doppelnatur des sprachspielenden Humoristen und geistsuchenden Metaphysikers.
Eine neue Biographie war fällig, denn des Autors hundertster Todestag steht vor der Tür: Christian Morgenstern starb, erst dreiundvierzig Jahre alt, wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Jochen Schimmang, den wir als Romancier schätzen, hat diese Biographie eines früh Vollendeten besser: zu früh Verstorbenen, verfasst. Lebendig und anschaulich geschrieben, ersetzt sie in ihrer kritischen Freiheit die früheren, oft hagiographischen Darstellungen.
Schimmang, ein neugieriger Rechercheur, liebt die Details von Orten und Umständen. Gleich zu Anfang rückt er dem Leser den Galgenberg im märkischen Werder vor Augen, an dessen Hang das heute verwaiste gleichnamige Restaurant steht. Von hier ging um 1895 der "Galgenbund" aus, dessen Haupt der Galgenbruder "Rabenaas" war, bürgerlich Christian Morgenstern. Schimmang hat sich aber auch Birkenwerder angesehen, dessen Sanatorium der lungenkranke Morgenstern 1905 aufsuchte. In der DDR als "Orthopädische Heilstätte" genutzt, erinnert heute immerhin die Cafeteria der Klinik an den einstigen Patienten.
Mit solchen Recherchen bettet der Biograph Christian Morgensterns Leben in Zeit und Geschichte ein. Schimmang nennt es "ein relativ kurzes und eher schweres Leben". Es umfasst die gut vier Jahrzehnte zwischen der Reichsgründung und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Christian Morgenstern wurde in München am 6. Mai 1871 geboren, sieben Wochen nach Bismarcks Wahl zum Reichskanzler. Der Lungenkranke starb, nach langer Suche nach einem Sterbeort, in der Nacht vom 30. auf den 31. März 1914 in Meran. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Der Husten ist vierdimensional", und: "Die Heilung kann nur aus dem Geist kommen."
Es sind Sätze, die Morgensterns Doppelnatur bezeichnen: die des sprachspielenden Humoristen und des geistsuchenden Metaphysikers, dem Rudolf Steiner die Grabrede hielt. Diese Doppelnatur macht den Autor Morgenstern zu einem subversiven Nonkonformisten und zugleich zum merkwürdig angepassten Exponenten der wilhelminischen Ära. Schimmang zeigt sich irritiert von der Paradoxie, "dass derselbe Christian Morgenstern, der in seinen Galgenliedern und Grotesken die Sprachkritik in die kleinsten Verästelungen trieb und dabei durchaus den Zusammenhang von Sprache und Lüge aufzeigte, zugleich den Phrasen einer wohlfeilen Kulturkritik erlag".
Um diese Ambivalenz zu verdeutlichen, lässt Schimmang die Lebensetappen des Dichters in prägnanten Bildern und Exkursen Revue passieren. Christian Morgensterns Abkunft aus einer Dynastie von Landschaftsmalern, den frühen Tod der Mutter und die Entfremdung vom Vater, die ihn Ersatzväter suchen lässt, seine Bemühungen, beruflich als Autor und Übersetzer Fuß zu fassen (Morgenstern lernte Norwegisch, um Ibsen zu übersetzen), und schließlich seine Karriere als Lungenkranker, die ihm ein unruhiges Wanderdasein aufzwang.
Diese Lebensunruhe suchte die "Heilung aus dem Geist". Dazu sollten ihm drei Ersatzväter verhelfen: Friedrich Nietzsche, Paul de Lagarde und Rudolf Steiner. Nietzsche war davon der zuträglichste. Er verhalf Christian Morgenstern dazu, über die "Umwertung aller Werte" zur "Umwortung aller Worte" zu gelangen, zur poetischen Freiheit seiner Galgenpoesie. Fatal dagegen war der Einfluss Paul de Lagardes. "Ich traf ihn zum rechten Zeitpunkt. Welch ein Mann!", jubilierte Morgenstern. Schimmang dagegen sieht in der Schwärmerei für den völkischen Antisemiten die Suche eines Zerrissenen nach Sinnstiftung im Modernisierungsschub des Wilhelminismus.
Erfüllung schien diese Sinnsuche in Gestalt und Lehre Rudolf Steiners zu finden. Unterwerfungs- und opferwillig folgte der Schwerkranke seinem Guru, sooft und solange er konnte. Seine ernste Lyrik kreiste fortan um den "Durchchrister", der "Neugottesgrund" schafft. "Gute Lyrik entsteht daraus auch nicht", bemerkt Schimmang lakonisch und hält fest: "Die Anthroposophen haben Christian Morgenstern nun ganz als ihren Dichter bei sich aufgenommen."
Das heißt aber nicht, dass Schimmang den Lyriker der Galgenlieder und der verwandten humoristischen Texte preisgäbe. Im Gegenteil. Seine Darstellung will Christian Morgenstern prononciert als den Dichter von Kritik und Subversion verstehen. Wenn die Sprache hintersinnig mit sich selbst spielt, so meint er, "dann wird eben auch die Welt auf umstürzlerische Weise verändert." Sein Beispiel ist der bekannte "Lattenzaun". Schließlich nahm ja der Architekt "den Zwischenraum heraus / und baute daraus ein großes Haus".
Schimmang kehrt die von Morgenstern selbst vorgenommene wertende Zweiteilung seines Werkes in ein "seriöses" und ein "humoristisches" um. Das subversive ist ihm das eigentlich konstruktive, das seriöse Werk. Es gab entscheidende Anregungen für die poetische Moderne von Dada bis zur Konkreten Poesie, von Schwitters bis zu Robert Gernhardt.
Wer Schimmangs These überprüfen möchte, greife zu den drei voluminösen Bänden, in denen Christian Morgensterns gesamte Lyrik vorliegt, textgetreu und wohlkommentiert, von dem Erstling "In Phantas Schloss" bis zur Nachlese aus der Galgenpoesie. Als Morgenstern starb, war erst weniger als die Hälfte seines Werkes publiziert. Immerhin standen die Galgenlieder 1914 bei der dreizehnten Auflage, während die ernste Lyrik in Kleinauflagen stagnierte. Eine heimliche Wunde, zumindest ein Umstand, den Christian Morgenstern selbst beklagte. Man müsse - so reimte er - "erst einmal Narr werden, erst einmal machen, daß die Mienen starr werden, / dann wird man sich vielleicht bequemen, / auch was du Ernstes schreibst, zur Hand zu nehmen." Doch seit wann haben die Dichter sich wirklich selbst verstanden?
HARALD HARTUNG.
Jochen Schimmang: "Christian Morgenstern." Eine Biographie.
Residenz Verlag , Salzburg, 2013. 271 S., geb., 24,90 [Euro].
Christian Morgenstern: "Sämtliche Gedichte". Sonderausgabe zum 100. Geburtstag nach der Stuttgarter Ausgabe der Werke und Briefe.
Hrsg. von Martin Kießig. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2013. Drei Bände im Schuber, zus. 3095 S., br., 99,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Lattenzaun und Neugottesgrund: Jochen Schimmangs gelungene Biographie über Christian Morgenstern erforscht die Doppelnatur des sprachspielenden Humoristen und geistsuchenden Metaphysikers.
Eine neue Biographie war fällig, denn des Autors hundertster Todestag steht vor der Tür: Christian Morgenstern starb, erst dreiundvierzig Jahre alt, wenige Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Jochen Schimmang, den wir als Romancier schätzen, hat diese Biographie eines früh Vollendeten besser: zu früh Verstorbenen, verfasst. Lebendig und anschaulich geschrieben, ersetzt sie in ihrer kritischen Freiheit die früheren, oft hagiographischen Darstellungen.
Schimmang, ein neugieriger Rechercheur, liebt die Details von Orten und Umständen. Gleich zu Anfang rückt er dem Leser den Galgenberg im märkischen Werder vor Augen, an dessen Hang das heute verwaiste gleichnamige Restaurant steht. Von hier ging um 1895 der "Galgenbund" aus, dessen Haupt der Galgenbruder "Rabenaas" war, bürgerlich Christian Morgenstern. Schimmang hat sich aber auch Birkenwerder angesehen, dessen Sanatorium der lungenkranke Morgenstern 1905 aufsuchte. In der DDR als "Orthopädische Heilstätte" genutzt, erinnert heute immerhin die Cafeteria der Klinik an den einstigen Patienten.
Mit solchen Recherchen bettet der Biograph Christian Morgensterns Leben in Zeit und Geschichte ein. Schimmang nennt es "ein relativ kurzes und eher schweres Leben". Es umfasst die gut vier Jahrzehnte zwischen der Reichsgründung und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Christian Morgenstern wurde in München am 6. Mai 1871 geboren, sieben Wochen nach Bismarcks Wahl zum Reichskanzler. Der Lungenkranke starb, nach langer Suche nach einem Sterbeort, in der Nacht vom 30. auf den 31. März 1914 in Meran. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Der Husten ist vierdimensional", und: "Die Heilung kann nur aus dem Geist kommen."
Es sind Sätze, die Morgensterns Doppelnatur bezeichnen: die des sprachspielenden Humoristen und des geistsuchenden Metaphysikers, dem Rudolf Steiner die Grabrede hielt. Diese Doppelnatur macht den Autor Morgenstern zu einem subversiven Nonkonformisten und zugleich zum merkwürdig angepassten Exponenten der wilhelminischen Ära. Schimmang zeigt sich irritiert von der Paradoxie, "dass derselbe Christian Morgenstern, der in seinen Galgenliedern und Grotesken die Sprachkritik in die kleinsten Verästelungen trieb und dabei durchaus den Zusammenhang von Sprache und Lüge aufzeigte, zugleich den Phrasen einer wohlfeilen Kulturkritik erlag".
Um diese Ambivalenz zu verdeutlichen, lässt Schimmang die Lebensetappen des Dichters in prägnanten Bildern und Exkursen Revue passieren. Christian Morgensterns Abkunft aus einer Dynastie von Landschaftsmalern, den frühen Tod der Mutter und die Entfremdung vom Vater, die ihn Ersatzväter suchen lässt, seine Bemühungen, beruflich als Autor und Übersetzer Fuß zu fassen (Morgenstern lernte Norwegisch, um Ibsen zu übersetzen), und schließlich seine Karriere als Lungenkranker, die ihm ein unruhiges Wanderdasein aufzwang.
Diese Lebensunruhe suchte die "Heilung aus dem Geist". Dazu sollten ihm drei Ersatzväter verhelfen: Friedrich Nietzsche, Paul de Lagarde und Rudolf Steiner. Nietzsche war davon der zuträglichste. Er verhalf Christian Morgenstern dazu, über die "Umwertung aller Werte" zur "Umwortung aller Worte" zu gelangen, zur poetischen Freiheit seiner Galgenpoesie. Fatal dagegen war der Einfluss Paul de Lagardes. "Ich traf ihn zum rechten Zeitpunkt. Welch ein Mann!", jubilierte Morgenstern. Schimmang dagegen sieht in der Schwärmerei für den völkischen Antisemiten die Suche eines Zerrissenen nach Sinnstiftung im Modernisierungsschub des Wilhelminismus.
Erfüllung schien diese Sinnsuche in Gestalt und Lehre Rudolf Steiners zu finden. Unterwerfungs- und opferwillig folgte der Schwerkranke seinem Guru, sooft und solange er konnte. Seine ernste Lyrik kreiste fortan um den "Durchchrister", der "Neugottesgrund" schafft. "Gute Lyrik entsteht daraus auch nicht", bemerkt Schimmang lakonisch und hält fest: "Die Anthroposophen haben Christian Morgenstern nun ganz als ihren Dichter bei sich aufgenommen."
Das heißt aber nicht, dass Schimmang den Lyriker der Galgenlieder und der verwandten humoristischen Texte preisgäbe. Im Gegenteil. Seine Darstellung will Christian Morgenstern prononciert als den Dichter von Kritik und Subversion verstehen. Wenn die Sprache hintersinnig mit sich selbst spielt, so meint er, "dann wird eben auch die Welt auf umstürzlerische Weise verändert." Sein Beispiel ist der bekannte "Lattenzaun". Schließlich nahm ja der Architekt "den Zwischenraum heraus / und baute daraus ein großes Haus".
Schimmang kehrt die von Morgenstern selbst vorgenommene wertende Zweiteilung seines Werkes in ein "seriöses" und ein "humoristisches" um. Das subversive ist ihm das eigentlich konstruktive, das seriöse Werk. Es gab entscheidende Anregungen für die poetische Moderne von Dada bis zur Konkreten Poesie, von Schwitters bis zu Robert Gernhardt.
Wer Schimmangs These überprüfen möchte, greife zu den drei voluminösen Bänden, in denen Christian Morgensterns gesamte Lyrik vorliegt, textgetreu und wohlkommentiert, von dem Erstling "In Phantas Schloss" bis zur Nachlese aus der Galgenpoesie. Als Morgenstern starb, war erst weniger als die Hälfte seines Werkes publiziert. Immerhin standen die Galgenlieder 1914 bei der dreizehnten Auflage, während die ernste Lyrik in Kleinauflagen stagnierte. Eine heimliche Wunde, zumindest ein Umstand, den Christian Morgenstern selbst beklagte. Man müsse - so reimte er - "erst einmal Narr werden, erst einmal machen, daß die Mienen starr werden, / dann wird man sich vielleicht bequemen, / auch was du Ernstes schreibst, zur Hand zu nehmen." Doch seit wann haben die Dichter sich wirklich selbst verstanden?
HARALD HARTUNG.
Jochen Schimmang: "Christian Morgenstern." Eine Biographie.
Residenz Verlag , Salzburg, 2013. 271 S., geb., 24,90 [Euro].
Christian Morgenstern: "Sämtliche Gedichte". Sonderausgabe zum 100. Geburtstag nach der Stuttgarter Ausgabe der Werke und Briefe.
Hrsg. von Martin Kießig. Verlag Urachhaus, Stuttgart 2013. Drei Bände im Schuber, zus. 3095 S., br., 99,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main