Der italienische Dramatiker und Nobelpreisträger Dario Fo erzählt die Geschichte einer starken FrauDario Fos Romanheldin Christina von Schweden ist eine "unmögliche Königin": hochgebildet, rebellisch und unberechenbar. Sie weigert sich zu heiraten, hat Affären und korrespondiert mit Intellektuellen wie Blaise Pascal und Molière. Nach ihrer Abdankung1654 geht sie nach Rom und wird zu einer wichtigen Förderin von Wissenschaft und Kunst. Anhand geschichtlicher Zeugnisse und Chroniken erzählt Dario Fo das Leben einer selbstbewussten Frau, die mit den Konventionen ihrer Zeit bricht, und erfindet sie dabei ganz neu.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.2018Modellierte Wahlverwandte
Hosenrollenspiel: Dario Fos Nachlass-Roman "Christina von Schweden"
Dario Fo hat einen Roman hinterlassen. Einerseits mag das verwundern: War der 2016 verstorbene Literaturnobelpreisträger doch so durch und durch Theatertier, dass - wie bei den Großen der Weltdramatik, wie bei Shakespeare, Molière, Goldoni oder dem späten Brecht - Schreiben, Inszenieren und Spielen ineinandergriffen und schwer zu trennen sind. Andererseits auch wieder nicht: In Fos späten Lebensjahren, nach dem Tod seiner Frau Franca Rame (2013), reichte die Kraft nicht mehr für die Präsenz auf der Bühne.
Die letzte Heldin des italienischen Komödianten heißt Christina von Schweden. Es ist kein historischer Roman, der ihren Namen trägt; nicht Geschichtsstoff wird vermittelt, sondern ein Verhältnis zur Welt, ein Umgang mit Wirklichkeit reflektiert. Dario Fo rekapituliert das Leben der "unmöglichen Königin" (1626 bis 1689) von der Wiege, in der sie zunächst für einen Jungen gehalten wurde, bis zur Bahre, ihrem Fiebertod in Rom, wo sie im Petersdom bestattet liegt. Dafür hat er, wie er im Prolog erklärt, Zeugnisse, Gemälde und Chroniken studiert - "und", so weiter über die Tochter König Gustavs II. Adolf, "ein wenig haben wir sie auch erfunden, um ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden". Biographie: ein Spiel.
Der Untertitel zeigt an, worauf der Autor hinauswill: "Eine Hosenrolle für die Königin". Es geht um Emanzipation, Geschlechterpolitik, Verwandlungskunst und ihre Möglichkeiten. Eine Frau wird porträtiert, die, auch vom Vater so erzogen, ihren Mann steht und, selbstbewusst, eigensinnig und ohne Rücksicht auf Etiketten, ihren Weg geht: die es ablehnt, sich zu verheiraten, mit 28 Jahren abdankt, zum Katholizismus konvertiert, den Namen Maria Alexandra annimmt und Stockholm in Männerkleidern in Richtung Süden, nach Rom und Paris verlässt. Der "Roman", eine Abfolge von Episoden, (fingierten) Dokumenten, Briefen und Szenen, setzt sie in ihre Zeit, den Dreißigjährigen Krieg, erzählt von ihren Liebschaften, von Intrigen und Infamien, ihrem Engagement für die Kultur, davon, wie sie die schönen Künste fördert, Tanz und Theater liebt, Architekten, Gelehrte, Wissenschaftler und sogar René Descartes an ihren Hof holt, schließlich von ihrem freien Leben in Rom, wo Kardinal Decio Azzolino sich wegen der Beziehung zu ihr vor dem Papst verantworten muss und sie für religiöse Toleranz eintritt.
Dabei hält sich Fo an viele Fakten, aber er fabuliert auch und erfindet hinzu. So lässt er Christina mehrere Theateraufführungen erleben, die er seitenlang und in den kräftigsten Farben beschreibt: Erst den Auftritt einer Commedia dell'arte-Truppe in Stockholm, dann Molières "Fliegenden Arzt" in Rouen, wo es zu einer Begegnung mit dem Komödien-Dichter kommt, sowie dessen "Tartuffe" und "Don Juan" in Rom. Der Erzähler spricht, als wäre er selbst dabei gewesen: "Mischen wir uns unter die Zuschauer. . ."
Der Leser spürt die Absicht (und ist nur leicht verstimmt): Dario Fo modelliert, so munter wie mutwillig, sich Christina von Schweden als eine Art Wahlverwandte zurecht, an der er sein Theaterverständnis exemplifiziert. Sein kleiner Roman ist auch ein Stück Autobiographie, die in der fernen, doch nahegebrachten Figur gespiegelt wird, eine Projektion, um eigene Erfahrungen und Befindlichkeiten spielerisch abzuhandeln. "Quasi per caso una donna: Cristina di Svezia" lautet der Titel im Original: "Fast zufällig eine Frau".
Wie das anekdotisch und etwas holzschnittartig den Lebensweg entlang erzählt wird, ist konventionell und alles andere als aufregend. Wer Dario Fo je in Aktion gesehen hat aber mag eine Ahnung davon bekommen, ja, sich sogar vorstellen können, was der große Stegreifspieler und Situationskomiker damit auf der Bühne alles angestellt hätte. Der Abstand zur Textvorlage wäre gewaltig. Dass Fo in seinem 1984 uraufgeführten Theaterstück über Elisabeth I. mit dieser ganz ähnlich verfahren ist wie hier mit Christina und dessen Protagonistin ebenfalls mit dem Vorsatz "quasi per caso una donna" versehen hat, scheint der Wiener Theaterprofessor Ulf Birbaumer nicht zu wissen, zumindest hält er es in seinem Nachwort nicht der Rede wert. Darin geht es auch nur kurz um den Roman und dafür einmal mehr um die Frage, ob der "buffone" 1997 den Literaturnobelpreis zu Recht erhalten hat. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Und dieser Roman auch nicht. Dario Fos Ruhm kann er nicht mehren. Aber auch nicht mindern.
ANDREAS ROSSMANN
Dario Fo: "Christina von Schweden - Eine Hosenrolle für die Königin". Roman.
Aus dem Italienischen von Johanna Borek. Hollitzer Verlag, Wien 2017. 160 S., br., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hosenrollenspiel: Dario Fos Nachlass-Roman "Christina von Schweden"
Dario Fo hat einen Roman hinterlassen. Einerseits mag das verwundern: War der 2016 verstorbene Literaturnobelpreisträger doch so durch und durch Theatertier, dass - wie bei den Großen der Weltdramatik, wie bei Shakespeare, Molière, Goldoni oder dem späten Brecht - Schreiben, Inszenieren und Spielen ineinandergriffen und schwer zu trennen sind. Andererseits auch wieder nicht: In Fos späten Lebensjahren, nach dem Tod seiner Frau Franca Rame (2013), reichte die Kraft nicht mehr für die Präsenz auf der Bühne.
Die letzte Heldin des italienischen Komödianten heißt Christina von Schweden. Es ist kein historischer Roman, der ihren Namen trägt; nicht Geschichtsstoff wird vermittelt, sondern ein Verhältnis zur Welt, ein Umgang mit Wirklichkeit reflektiert. Dario Fo rekapituliert das Leben der "unmöglichen Königin" (1626 bis 1689) von der Wiege, in der sie zunächst für einen Jungen gehalten wurde, bis zur Bahre, ihrem Fiebertod in Rom, wo sie im Petersdom bestattet liegt. Dafür hat er, wie er im Prolog erklärt, Zeugnisse, Gemälde und Chroniken studiert - "und", so weiter über die Tochter König Gustavs II. Adolf, "ein wenig haben wir sie auch erfunden, um ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden". Biographie: ein Spiel.
Der Untertitel zeigt an, worauf der Autor hinauswill: "Eine Hosenrolle für die Königin". Es geht um Emanzipation, Geschlechterpolitik, Verwandlungskunst und ihre Möglichkeiten. Eine Frau wird porträtiert, die, auch vom Vater so erzogen, ihren Mann steht und, selbstbewusst, eigensinnig und ohne Rücksicht auf Etiketten, ihren Weg geht: die es ablehnt, sich zu verheiraten, mit 28 Jahren abdankt, zum Katholizismus konvertiert, den Namen Maria Alexandra annimmt und Stockholm in Männerkleidern in Richtung Süden, nach Rom und Paris verlässt. Der "Roman", eine Abfolge von Episoden, (fingierten) Dokumenten, Briefen und Szenen, setzt sie in ihre Zeit, den Dreißigjährigen Krieg, erzählt von ihren Liebschaften, von Intrigen und Infamien, ihrem Engagement für die Kultur, davon, wie sie die schönen Künste fördert, Tanz und Theater liebt, Architekten, Gelehrte, Wissenschaftler und sogar René Descartes an ihren Hof holt, schließlich von ihrem freien Leben in Rom, wo Kardinal Decio Azzolino sich wegen der Beziehung zu ihr vor dem Papst verantworten muss und sie für religiöse Toleranz eintritt.
Dabei hält sich Fo an viele Fakten, aber er fabuliert auch und erfindet hinzu. So lässt er Christina mehrere Theateraufführungen erleben, die er seitenlang und in den kräftigsten Farben beschreibt: Erst den Auftritt einer Commedia dell'arte-Truppe in Stockholm, dann Molières "Fliegenden Arzt" in Rouen, wo es zu einer Begegnung mit dem Komödien-Dichter kommt, sowie dessen "Tartuffe" und "Don Juan" in Rom. Der Erzähler spricht, als wäre er selbst dabei gewesen: "Mischen wir uns unter die Zuschauer. . ."
Der Leser spürt die Absicht (und ist nur leicht verstimmt): Dario Fo modelliert, so munter wie mutwillig, sich Christina von Schweden als eine Art Wahlverwandte zurecht, an der er sein Theaterverständnis exemplifiziert. Sein kleiner Roman ist auch ein Stück Autobiographie, die in der fernen, doch nahegebrachten Figur gespiegelt wird, eine Projektion, um eigene Erfahrungen und Befindlichkeiten spielerisch abzuhandeln. "Quasi per caso una donna: Cristina di Svezia" lautet der Titel im Original: "Fast zufällig eine Frau".
Wie das anekdotisch und etwas holzschnittartig den Lebensweg entlang erzählt wird, ist konventionell und alles andere als aufregend. Wer Dario Fo je in Aktion gesehen hat aber mag eine Ahnung davon bekommen, ja, sich sogar vorstellen können, was der große Stegreifspieler und Situationskomiker damit auf der Bühne alles angestellt hätte. Der Abstand zur Textvorlage wäre gewaltig. Dass Fo in seinem 1984 uraufgeführten Theaterstück über Elisabeth I. mit dieser ganz ähnlich verfahren ist wie hier mit Christina und dessen Protagonistin ebenfalls mit dem Vorsatz "quasi per caso una donna" versehen hat, scheint der Wiener Theaterprofessor Ulf Birbaumer nicht zu wissen, zumindest hält er es in seinem Nachwort nicht der Rede wert. Darin geht es auch nur kurz um den Roman und dafür einmal mehr um die Frage, ob der "buffone" 1997 den Literaturnobelpreis zu Recht erhalten hat. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Und dieser Roman auch nicht. Dario Fos Ruhm kann er nicht mehren. Aber auch nicht mindern.
ANDREAS ROSSMANN
Dario Fo: "Christina von Schweden - Eine Hosenrolle für die Königin". Roman.
Aus dem Italienischen von Johanna Borek. Hollitzer Verlag, Wien 2017. 160 S., br., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Geschichte der 'unmöglichen Königin', wie viele sie nannten, ist schon oft erzählt worden, aber wohl nie so amüsant und verständnisvoll wie von Dario Fo. ... Er habe die geschichtlichen Zeugnisse und die Gemälde studiert, die sie darstellen und die zeitgenössischen Chroniken herangezogen, schreibt er in einem Vorwort, um der 'in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Frau' eine Stimme zu geben, 'und ein wenig haben wir sie auch erfunden'. Nun, das Wenige ist offenbar ganz schön viel geworden - und sehr schön. Es ist nie langweilig. Nur viel zu kurz. ... Ein kleines Buch mit Witz und Charme über ein fulminantes Leben." (Spiegel Online)"Mit dem späten, nun posthum auf Deutsch erschienenen Schelminnenroman, erweist sich der Nobelpreisträger, den man stets als Dramatiker schätzte, als glänzender Erzähler. Die Monarchin, die im 17. Jahrhundert als frühe Feministin auf den Thron verzichtete und zur Intellektuellen reifte, wird in ein Geflecht aus historischer Recherche und fein fabulierten Skurrilitäten verstrickt." (Heinz Sichrovsky, erLesen, ORF III)"...eine schöne (auch schön gemachte) Editionauf der Grundlage einer sehr gelungenenÜbersetzung." (Zibaldone 64 / 2017)"Die letzte Heldin des italienischen Komödianten heißt Christina von Schweden. Es ist kein historischer Roman, der ihren Namen trägt; nicht Geschichtsstoff wird vermittelt, sondern ein Verhältnis zur Welt, ein Umgang mit Wirklichkeit reflektiert." (FAZ, 21.02.2018)