Christopher Sims dokumentiert künstlich angelegte irakische und afghanische Dörfer auf den Truppenübungsplätzen von US-Militärstützpunkten. Diese Dörfer liegen in den tiefen Wäldern von North Carolina, Louisiana und in einem Wüstengebiet in der Nähe des kalifornischen Death Valley. Sie bilden seltsame, eindringliche Zwischenstationen für Soldaten auf dem Weg in den Krieg und diejenigen, die vor ihm geflohen sind: US-Soldaten treffen auf Schauspieler - oft Eingewanderte aus dem Irak und Afghanistan, die als bezahlte "kulturelle Rollenspieler" arbeiten.
Christopher Sims fotografierte über 15 Jahre unterschiedlich intensiver US-Auslandskriege in diesen verblüffenden, fantastischen Welten. Mit diesem Buch legt er einen archivarischen Bericht über das Dorfleben des "Feindes" vor, das in gleichem Maße überzeugend detailgetreu und skurril fehlgeleitet, wie auch profan und albtraumhaft ist.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Christopher Sims fotografierte über 15 Jahre unterschiedlich intensiver US-Auslandskriege in diesen verblüffenden, fantastischen Welten. Mit diesem Buch legt er einen archivarischen Bericht über das Dorfleben des "Feindes" vor, das in gleichem Maße überzeugend detailgetreu und skurril fehlgeleitet, wie auch profan und albtraumhaft ist.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2021In den Wäldern Louisianas wird der Ernstfall geprobt
Christopher Sims fotografiert fiktive afghanische und irakische Dörfer auf amerikanischen Militärstützpunkten
Amerikanische Soldaten sollten die schlimmsten Kriegserfahrungen schon in der Heimat machen. Das wappne sie gegen den Horror, der auf ausländischen Schlachtfeldern zu erwarten sei. So formuliert es ein Bewohner Mosalahs. Die kleine Gemeinde hat eine aus Sperrholz zusammengezimmerte Moschee, auf ihren Wegen tummeln sich Maultiere, ein Gettoblaster spielt arabische Popmusik. Leute, die am Basar entlangschlendern, hüllen sich in Gewänder, wie man sie aus Vorderasien kennt. Darunter tragen sie Jeans und Tennisschuhe. Etwas abseits befestigen zwei Männer in Tarnanzügen eine mit Kunstblut befleckte Gummiprothese am Arm eines Bewohners. Sie soll den Anschein erwecken, eine Sprengfalle habe ihn verstümmelt, denn hier in den Wäldern von Louisiana wird der Ernstfall geprobt. Mosalah? Ein Potemkin'sches Dorf. Seine Einwohner? Rollenspieler. Die Zielgruppe? Einheiten der Militärbasis Fort Riley in Kansas, die bald zum Irak-Einsatz aufbrechen.
Der Historiker Christopher Sims hat rund fünfzehn Jahre lang künstlich angelegte Siedlungen nach afghanischem oder irakischem Vorbild auf Truppenübungsplätzen in den Vereinigten Staaten fotografiert und die besten Bilder für den Band "The Pretend Villages" zusammengestellt. Ergänzt werden sie durch einen atmosphärisch glänzenden, zuerst 2006 erschienenen Essay des Autors Wells Tower. Die Dörfer bilden Zonen zwischen Fiktion und Realität, schließlich treffen dort echte Soldaten auf bezahlte Darsteller, die häufig aus dem Nahen Osten eingewandert sind und nun frei erfundene Versionen jenes Lebens aufführen, das sie eigentlich hinter sich gelassen haben. Den meisten Amerikanern sind diese Nicht-Orte in North Carolina, Louisiana und Kalifornien unbekannt. Wer in der Umgebung der Stützpunkte lebt, ist dagegen bestens im Bilde, denn Anwohner werden häufig als Statisten rekrutiert.
Sims hat die Dörfer entweder mit einer vom Militär ausgestellten Zugangsberechtigung oder als Mitwirkender besucht. So verkörperte er etwa einen Kriegsfotografen, der erlebt, wie antiamerikanische Unruhen ausbrechen oder Aufständische eine Bombe in einem Krankenwagen deponieren. Mit seinen Bildern möchte er Kritik an "traditioneller Kriegsfotografie" üben, die sich oft um Gewaltillustrationen drehe. Sobald Sims selbst die inszenierten Greuel vom Übungsgelände einfängt, wirken sie unwirklich. Da ist zum Beispiel ein freundlich in die Kamera blickender Darsteller, dem ein Stück Plastikdarm aus der Bauchdecke quillt. Ein Kärtchen informiert über seinen Zustand: "You can talk. You cannot walk. Injury involves bladder".
Chlorfässer und Sandsäcke, Stofftiere und Statisten, Autokarosserien und Stacheldraht: Sims konzentriert sich auf Staffage und Kulissen; die Motive seiner Aufnahmen erinnern an die heruntergekommenen Sets von B-Movies. Damit wirft er laufend die Frage auf, ob das Einüben von Krieg tatsächlich auf echte Kampfhandlungen vorbereiten kann. Was hat ein Rollenspiel, so ernst es von den Teilnehmern auch genommen wird, mit einem Konflikt zu tun, bei dem es Tote gibt? Die schlimmsten Kriegserfahrungen machen amerikanische Soldaten gewiss nicht in der Heimat.
KAI SPANKE
Christopher Sims:
"The Pretend Villages".
Inside the U.S. Military
Training Grounds. Texte von Christopher Sims und Wells Tower. Kehrer Verlag,
Heidelberg 2021. 120 S., Abb., geb., 35,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christopher Sims fotografiert fiktive afghanische und irakische Dörfer auf amerikanischen Militärstützpunkten
Amerikanische Soldaten sollten die schlimmsten Kriegserfahrungen schon in der Heimat machen. Das wappne sie gegen den Horror, der auf ausländischen Schlachtfeldern zu erwarten sei. So formuliert es ein Bewohner Mosalahs. Die kleine Gemeinde hat eine aus Sperrholz zusammengezimmerte Moschee, auf ihren Wegen tummeln sich Maultiere, ein Gettoblaster spielt arabische Popmusik. Leute, die am Basar entlangschlendern, hüllen sich in Gewänder, wie man sie aus Vorderasien kennt. Darunter tragen sie Jeans und Tennisschuhe. Etwas abseits befestigen zwei Männer in Tarnanzügen eine mit Kunstblut befleckte Gummiprothese am Arm eines Bewohners. Sie soll den Anschein erwecken, eine Sprengfalle habe ihn verstümmelt, denn hier in den Wäldern von Louisiana wird der Ernstfall geprobt. Mosalah? Ein Potemkin'sches Dorf. Seine Einwohner? Rollenspieler. Die Zielgruppe? Einheiten der Militärbasis Fort Riley in Kansas, die bald zum Irak-Einsatz aufbrechen.
Der Historiker Christopher Sims hat rund fünfzehn Jahre lang künstlich angelegte Siedlungen nach afghanischem oder irakischem Vorbild auf Truppenübungsplätzen in den Vereinigten Staaten fotografiert und die besten Bilder für den Band "The Pretend Villages" zusammengestellt. Ergänzt werden sie durch einen atmosphärisch glänzenden, zuerst 2006 erschienenen Essay des Autors Wells Tower. Die Dörfer bilden Zonen zwischen Fiktion und Realität, schließlich treffen dort echte Soldaten auf bezahlte Darsteller, die häufig aus dem Nahen Osten eingewandert sind und nun frei erfundene Versionen jenes Lebens aufführen, das sie eigentlich hinter sich gelassen haben. Den meisten Amerikanern sind diese Nicht-Orte in North Carolina, Louisiana und Kalifornien unbekannt. Wer in der Umgebung der Stützpunkte lebt, ist dagegen bestens im Bilde, denn Anwohner werden häufig als Statisten rekrutiert.
Sims hat die Dörfer entweder mit einer vom Militär ausgestellten Zugangsberechtigung oder als Mitwirkender besucht. So verkörperte er etwa einen Kriegsfotografen, der erlebt, wie antiamerikanische Unruhen ausbrechen oder Aufständische eine Bombe in einem Krankenwagen deponieren. Mit seinen Bildern möchte er Kritik an "traditioneller Kriegsfotografie" üben, die sich oft um Gewaltillustrationen drehe. Sobald Sims selbst die inszenierten Greuel vom Übungsgelände einfängt, wirken sie unwirklich. Da ist zum Beispiel ein freundlich in die Kamera blickender Darsteller, dem ein Stück Plastikdarm aus der Bauchdecke quillt. Ein Kärtchen informiert über seinen Zustand: "You can talk. You cannot walk. Injury involves bladder".
Chlorfässer und Sandsäcke, Stofftiere und Statisten, Autokarosserien und Stacheldraht: Sims konzentriert sich auf Staffage und Kulissen; die Motive seiner Aufnahmen erinnern an die heruntergekommenen Sets von B-Movies. Damit wirft er laufend die Frage auf, ob das Einüben von Krieg tatsächlich auf echte Kampfhandlungen vorbereiten kann. Was hat ein Rollenspiel, so ernst es von den Teilnehmern auch genommen wird, mit einem Konflikt zu tun, bei dem es Tote gibt? Die schlimmsten Kriegserfahrungen machen amerikanische Soldaten gewiss nicht in der Heimat.
KAI SPANKE
Christopher Sims:
"The Pretend Villages".
Inside the U.S. Military
Training Grounds. Texte von Christopher Sims und Wells Tower. Kehrer Verlag,
Heidelberg 2021. 120 S., Abb., geb., 35,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Frank Dischereit versteht den Bildband des Fotografen Christopher Sims als Anti-Kriegs-Panorama. Die Aufnahmen von Statisten und Requisiten auf Truppenübungsplätzen in den USA, wo Soldaten für ihren Antiterror-Einsatz in Krisengebieten trainiert werden, führen Dischereit vor allem die Absurdität eines solchen Unterfangens vor Augen. Wenn Teenager mit Bombenattrappen und aufgemalten Wunden in potemkinschen Dörfern posieren, fühlt sich Dischereit wie im B-Movie. Der Horror des echten Krieges lässt sich so nicht einfangen, ahnt er. Den Bildband findet er beeindruckend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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