Pressestimmen
"[...] jeder, der sich mit der Geschichte der Moskauer Schauprozesse beschäftigt, [wird] froh sein über die gut erschlossene materialreiche Zusammenstellung, die einen guten Überblick über Archivmaterialien und aktuelle Forschungsliteratur liefert."
Tanja Penter, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas (2007)
Keine ausführliche Beschreibung für "Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938" verfügbar.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
"[...] jeder, der sich mit der Geschichte der Moskauer Schauprozesse beschäftigt, [wird] froh sein über die gut erschlossene materialreiche Zusammenstellung, die einen guten Überblick über Archivmaterialien und aktuelle Forschungsliteratur liefert."
Tanja Penter, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas (2007)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2003Zettelkasten des Terrors
Ein Findbuch zu den stalinistischen Schauprozessen
Wladislaw Hedeler: Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Mit einem Essay von Steffen Dietzsch. Akademie Verlag, Berlin 2003. 695 Seiten, 69,80 [Euro].
Am 19. August 1936 begann in Moskau vor dem Militärtribunal des Obersten Gerichtshofes der Schauprozeß gegen Sinowjew, Kamenew und vierzehn weitere prominente Parteifunktionäre. Sinowjew war in den zwanziger Jahren Kominternvorsitzender, Kamenew der Moskauer Parteichef gewesen - beide waren damals auch Mitglieder des Politbüros. Der Presse konnte man entnehmen, daß sie als "Vortrupp der internationalen Konterrevolution" und "Agenten der Gestapo" ein "trotzkistisch-sinowjewistisches terroristisches Zentrum" gegründet, den Mord am Leningrader Parteichef Kirow inszeniert und weitere Attentate auf Partei- und Sowjetführer (unter anderen auf Stalin) geplant hatten. In dem knapp eine Woche dauernden Prozeß wurden alle Angeklagten zum Tode verurteilt, Gnadengesuche abgelehnt.
Laut Prozeßbericht hatten sie in den Verhören weitere prominente Altbolschewiki schwer belastet. Siebzehn wurden im Januar 1937 - in einem zweiten großen Schauprozeß - als "antisowjetisches trotzkistisches Zentrum" vor Gericht gestellt, mit dem stellvertretenden Volkskommissar (Minister) für Schwerindustrie Pjatakow an der Spitze. Die "Prawda" teilte mit, daß sie den Kapitalismus in der Sowjetunion wiederbeleben, den Arbeitern alles nehmen und die Kollektivwirtschaften auflösen wollten. Während der Vorsitzende des Militärtribunals nach einwöchiger Verhandlung alle zum Tode verurteilen wollte, wandelte die Parteiführung in zwei Fällen das Urteil in Haftstrafen um (die Betroffenen sollten die Haft allerdings nicht überleben); erneut wurden alle Gnadengesuche abgelehnt.
Im März 1938 begann ein dritter Schauprozeß gegen 21 Angeklagte, die wichtige, ja höchste Ämter in Partei und Staat bekleidet hatten: Bucharin als Wirtschaftstheoretiker, Redakteur der "Prawda" und Kominternfunktionär, Rykow als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, Jagoda als Chef des NKWD, Krestinski als stellvertretender Volkskommissar erst des Äußeren, dann für Justiz. Die Anklage warf ihnen vor, einen "Block der Rechten und Trotzkisten" gebildet und im Auftrag feindlicher Geheimdienste Spionage zugunsten dieser Staaten, die Zersetzung der sowjetischen Wehrkraft, die Provozierung eines Überfalls auf die Sowjetunion, ihre Niederlage und territoriale Zerstückelung betrieben zu haben. In den Worten der "Prawda": Es gab kein Verbrechen, das die Verräter nicht begangen hatten, das Sowjetvolk fordere "einmütig die Erschießung der faschistischen Banditen, Mörder und Vaterlandsverräter". Der Chefankläger Wyschinski kam diesem Wunsch nach und forderte für 19 der 21 Angeklagten den Tod. Die Schauprozesse sollten Signalfunktion für die Verfolgung von "Trotzkisten", "Sinowjewisten" oder was man dafür hielt, von "Spionen", "Schädlingen" und "Vaterlandsverrätern" draußen im Lande übernehmen. Die Zahl derjenigen, die allein in den Jahren 1937 und 1938 verhaftet und abgeurteilt wurden, überschritt die Millionengrenze weit; über 680 000 wurden in diesen beiden Jahren nachweislich erschossen.
Wladislaw Hedeler hat zusammengetragen, was er über diese Schauprozesse, ihre Folgen in der Provinz und das Umfeld der Repressionen in Erfahrung bringen konnte. Er hat dafür Nachlässe im früheren Parteiarchiv (dem heutigen RGASPI), zeitgenössische Zeitungen und Zeitschriften, Quelleneditionen, Gedenkbücher, Fachartikel und Monographien, die seit den neunziger Jahren in großer Anzahl, wenn auch mitunter an entlegener Stelle erschienen, durchgesehen und in Form einer Chronik zusammengestellt. Sie vermerkt Tag für Tag, was die Schlagzeilen und Leitartikel der Zeitungen bestimmte; notiert Verhaftungen, Verhöre; bringt Auszüge aus Prozeßberichten.
Die Chronik nennt Opferzahlen zentraler, regionaler und lokaler Säuberungsaktionen, verweist auf Tagebucheinträge und Briefwechsel, berichtet von Politbürobeschlüssen, Plenarsitzungen des Zentralkomitees und Zusammenkünften von Parteigremien draußen in der Provinz. Sie registriert, wen Stalin an diesem oder jenem Tag empfing (jeweils mit Angabe der Fundstelle für die mitgeteilte Nachricht). Selbst wenn noch immer viel, viel zuviel im Präsidentenarchiv und im Archiv des heutigen SFB (des früheren NKWD beziehungsweise KGB) unzugänglich ist, erinnert das mehr als 25 Seiten lange Verzeichnis der ausgewerteten und zitierten Literatur daran, um wieviel wir heute mehr wissen als noch vor 15 oder 20 Jahren.
Ein Verzeichnis der Besucher in Stalins Kabinett im Kreml, eine Aufstellung über die Strukturen des NKWD, eine lange Liste seiner Befehle, Telegramme und Weisungen, eine Tabelle der von ihm "aufgedeckten" Verschwörungen und initiierten Prozesse (deren Zahl ging in die Hunderte) sowie ein Orts- und ein Personenregister ergänzen die Chronik. Alles zusammen gibt eine Vorstellung von der Breite und Verästelung, ja der Allgegenwart des Terrors und der Involvierung der Staats- und Parteispitze. Zeigen sie auch, wie die Dinge zusammenhingen? Das Buch regt eher dazu an, sich auf jeder Seite diese Frage neu zu stellen, als daß es dazu angetan wäre, darauf eine bündige Antwort zu geben. Es liefert Material zur "Planung, Inszenierung und Wirkung" der Schauprozesse, nicht deren Entschlüsselung. Das soll die Arbeitsleistung, die in ihm steckt, keineswegs schmälern. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird es als Bestandsaufnahme, als Findbuch und Wegweiser durch die einschlägigen Materialien mit Gewinn benutzen.
HELMUT ALTRICHTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Findbuch zu den stalinistischen Schauprozessen
Wladislaw Hedeler: Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Mit einem Essay von Steffen Dietzsch. Akademie Verlag, Berlin 2003. 695 Seiten, 69,80 [Euro].
Am 19. August 1936 begann in Moskau vor dem Militärtribunal des Obersten Gerichtshofes der Schauprozeß gegen Sinowjew, Kamenew und vierzehn weitere prominente Parteifunktionäre. Sinowjew war in den zwanziger Jahren Kominternvorsitzender, Kamenew der Moskauer Parteichef gewesen - beide waren damals auch Mitglieder des Politbüros. Der Presse konnte man entnehmen, daß sie als "Vortrupp der internationalen Konterrevolution" und "Agenten der Gestapo" ein "trotzkistisch-sinowjewistisches terroristisches Zentrum" gegründet, den Mord am Leningrader Parteichef Kirow inszeniert und weitere Attentate auf Partei- und Sowjetführer (unter anderen auf Stalin) geplant hatten. In dem knapp eine Woche dauernden Prozeß wurden alle Angeklagten zum Tode verurteilt, Gnadengesuche abgelehnt.
Laut Prozeßbericht hatten sie in den Verhören weitere prominente Altbolschewiki schwer belastet. Siebzehn wurden im Januar 1937 - in einem zweiten großen Schauprozeß - als "antisowjetisches trotzkistisches Zentrum" vor Gericht gestellt, mit dem stellvertretenden Volkskommissar (Minister) für Schwerindustrie Pjatakow an der Spitze. Die "Prawda" teilte mit, daß sie den Kapitalismus in der Sowjetunion wiederbeleben, den Arbeitern alles nehmen und die Kollektivwirtschaften auflösen wollten. Während der Vorsitzende des Militärtribunals nach einwöchiger Verhandlung alle zum Tode verurteilen wollte, wandelte die Parteiführung in zwei Fällen das Urteil in Haftstrafen um (die Betroffenen sollten die Haft allerdings nicht überleben); erneut wurden alle Gnadengesuche abgelehnt.
Im März 1938 begann ein dritter Schauprozeß gegen 21 Angeklagte, die wichtige, ja höchste Ämter in Partei und Staat bekleidet hatten: Bucharin als Wirtschaftstheoretiker, Redakteur der "Prawda" und Kominternfunktionär, Rykow als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare, Jagoda als Chef des NKWD, Krestinski als stellvertretender Volkskommissar erst des Äußeren, dann für Justiz. Die Anklage warf ihnen vor, einen "Block der Rechten und Trotzkisten" gebildet und im Auftrag feindlicher Geheimdienste Spionage zugunsten dieser Staaten, die Zersetzung der sowjetischen Wehrkraft, die Provozierung eines Überfalls auf die Sowjetunion, ihre Niederlage und territoriale Zerstückelung betrieben zu haben. In den Worten der "Prawda": Es gab kein Verbrechen, das die Verräter nicht begangen hatten, das Sowjetvolk fordere "einmütig die Erschießung der faschistischen Banditen, Mörder und Vaterlandsverräter". Der Chefankläger Wyschinski kam diesem Wunsch nach und forderte für 19 der 21 Angeklagten den Tod. Die Schauprozesse sollten Signalfunktion für die Verfolgung von "Trotzkisten", "Sinowjewisten" oder was man dafür hielt, von "Spionen", "Schädlingen" und "Vaterlandsverrätern" draußen im Lande übernehmen. Die Zahl derjenigen, die allein in den Jahren 1937 und 1938 verhaftet und abgeurteilt wurden, überschritt die Millionengrenze weit; über 680 000 wurden in diesen beiden Jahren nachweislich erschossen.
Wladislaw Hedeler hat zusammengetragen, was er über diese Schauprozesse, ihre Folgen in der Provinz und das Umfeld der Repressionen in Erfahrung bringen konnte. Er hat dafür Nachlässe im früheren Parteiarchiv (dem heutigen RGASPI), zeitgenössische Zeitungen und Zeitschriften, Quelleneditionen, Gedenkbücher, Fachartikel und Monographien, die seit den neunziger Jahren in großer Anzahl, wenn auch mitunter an entlegener Stelle erschienen, durchgesehen und in Form einer Chronik zusammengestellt. Sie vermerkt Tag für Tag, was die Schlagzeilen und Leitartikel der Zeitungen bestimmte; notiert Verhaftungen, Verhöre; bringt Auszüge aus Prozeßberichten.
Die Chronik nennt Opferzahlen zentraler, regionaler und lokaler Säuberungsaktionen, verweist auf Tagebucheinträge und Briefwechsel, berichtet von Politbürobeschlüssen, Plenarsitzungen des Zentralkomitees und Zusammenkünften von Parteigremien draußen in der Provinz. Sie registriert, wen Stalin an diesem oder jenem Tag empfing (jeweils mit Angabe der Fundstelle für die mitgeteilte Nachricht). Selbst wenn noch immer viel, viel zuviel im Präsidentenarchiv und im Archiv des heutigen SFB (des früheren NKWD beziehungsweise KGB) unzugänglich ist, erinnert das mehr als 25 Seiten lange Verzeichnis der ausgewerteten und zitierten Literatur daran, um wieviel wir heute mehr wissen als noch vor 15 oder 20 Jahren.
Ein Verzeichnis der Besucher in Stalins Kabinett im Kreml, eine Aufstellung über die Strukturen des NKWD, eine lange Liste seiner Befehle, Telegramme und Weisungen, eine Tabelle der von ihm "aufgedeckten" Verschwörungen und initiierten Prozesse (deren Zahl ging in die Hunderte) sowie ein Orts- und ein Personenregister ergänzen die Chronik. Alles zusammen gibt eine Vorstellung von der Breite und Verästelung, ja der Allgegenwart des Terrors und der Involvierung der Staats- und Parteispitze. Zeigen sie auch, wie die Dinge zusammenhingen? Das Buch regt eher dazu an, sich auf jeder Seite diese Frage neu zu stellen, als daß es dazu angetan wäre, darauf eine bündige Antwort zu geben. Es liefert Material zur "Planung, Inszenierung und Wirkung" der Schauprozesse, nicht deren Entschlüsselung. Das soll die Arbeitsleistung, die in ihm steckt, keineswegs schmälern. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, wird es als Bestandsaufnahme, als Findbuch und Wegweiser durch die einschlägigen Materialien mit Gewinn benutzen.
HELMUT ALTRICHTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einen Strudel von Dokumenten zu den Moskauer Schauprozessen hat sich Gerd Koenen von der Chronik des Bucharin-Biografen Wladislaw Hedeler ziehen lassen. Auch wenn dieser Band aufgrund eines Lektorats, dem "ärgerliche Redundanzen und widersprüchliche bis falsche Angaben" entgingen, nur bedingt als wissenschaftliches Handbuch tauge, wie Koenen moniert, macht er eine Fülle von Dokumenten verfügbar und liefert so "unschätzbar wertvolles Material", versichert der Rezensent. Gerade durch die Aneinanderreihung unterschiedlichster Dokumente eröffne Hedeler dem Leser einen Blick auf die "blinde Eigendynamik" der Prozesse, so Koenen, und vermittelt eine Vorstellung davon, in welch "paranoidem Ausnahmezustand" sich eine politische Führung befunden haben muss, die Tag für Tag die Protokolle der vermeintlichen Konspiration - Aufzeichnungen Verhören, Geständnissen und Verleumdungen - studierte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[...] jeder, der sich mit der Geschichte der Moskauer Schauprozesse beschäftigt, [wird] froh sein über die gut erschlossene materialreiche Zusammenstellung, die einen guten Überblick über Archivmaterialien und aktuelle Forschungsliteratur liefert." Tanja Penter, in: Jahrbücher für die Geschichte Osteuropas (2007)