Die Tage zwischen den Protestkundgebungen zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 und der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 sind als die Zeit der "Wende" in die deutsche Geschichte eingegangen.
In diesen 163 Tagen vollzog sich die Entmachtung der alten SED-Führung, der Aufbruch zu einer demokratisch reformierten DDR und die Entscheidung für eine Vereinigung mit der Bundesrepublik.
Die "Chronik der Wende" zeichnet die dramatischen Ereignisse Tag für Tag nach. Dabei geht es nicht um eine Interpretation aus heutiger Sicht, sondern um eine authentische Darstellung aus der Perspektive der damals Agierenden. Es wird über ihre Handlungen berichtet, aber auch ihre Vorstellungen, Hoffnungen und Ängste kommen zu Wort.
Pressestimmen:
- "Ein faszinierender historischer Rückblick, der deutsch-deutsche Erinnerungsarbeit möglich macht" (Mitteldeutsche Zeitung/Kölner Stadt-Anzeiger)
- "Der Textband "Chronik der Wende" überrascht durch präzise Darstellung des öffentlichen Geschehens in der Endphase der DDR. Jeder Tag mit den entscheidenden Ereignissen von Oktober 1989 bis März 1990 wird unter die Lupe genommen. Diese Darstellungsmethode verträgt keine tendenziöse Darstellung der Herausgeber. Um so imponierender ist das Ergebnis des Buches" (Hessischer Rundfunk).
- "Ein zuverlässiges Nachschlagewerk, das durch Details besticht. Es macht sehr gut die Wechselbäder auf dem Weg zur Einheit deutlich" (Sächsische Zeitung).
In diesen 163 Tagen vollzog sich die Entmachtung der alten SED-Führung, der Aufbruch zu einer demokratisch reformierten DDR und die Entscheidung für eine Vereinigung mit der Bundesrepublik.
Die "Chronik der Wende" zeichnet die dramatischen Ereignisse Tag für Tag nach. Dabei geht es nicht um eine Interpretation aus heutiger Sicht, sondern um eine authentische Darstellung aus der Perspektive der damals Agierenden. Es wird über ihre Handlungen berichtet, aber auch ihre Vorstellungen, Hoffnungen und Ängste kommen zu Wort.
Pressestimmen:
- "Ein faszinierender historischer Rückblick, der deutsch-deutsche Erinnerungsarbeit möglich macht" (Mitteldeutsche Zeitung/Kölner Stadt-Anzeiger)
- "Der Textband "Chronik der Wende" überrascht durch präzise Darstellung des öffentlichen Geschehens in der Endphase der DDR. Jeder Tag mit den entscheidenden Ereignissen von Oktober 1989 bis März 1990 wird unter die Lupe genommen. Diese Darstellungsmethode verträgt keine tendenziöse Darstellung der Herausgeber. Um so imponierender ist das Ergebnis des Buches" (Hessischer Rundfunk).
- "Ein zuverlässiges Nachschlagewerk, das durch Details besticht. Es macht sehr gut die Wechselbäder auf dem Weg zur Einheit deutlich" (Sächsische Zeitung).
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.1995Ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit
Hannes Bahrmann und Christoph Links verwirren mit ihrer Wende-Chronik
Hannes Bahrmann, Christoph Links: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989. Chronik der Wende 2. Stationen der Einheit. Die letzten Monate der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 1994/95. 206 und 360 Seiten, Band 2 mit Register zu Teil 1 und 2, zahlreiche Abbildungen, Preis je Band 29,80 Mark.
Die "Chronik der Wende" wurde im vergangenen Jahr an dreiundsiebzig Fernsehabenden ausgestrahlt. Die Produktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg entstand in Zusammenarbeit mit dem Ost-Berliner Publizisten Hannes Bahrmann und dem verdienstvollen jungen Verleger Christoph Links, die zur gleichen Zeit die "Chronik der Wende" als Taschenbuch vorlegten. Offensichtlich ermuntert von den verkauften fünf Auflagen, haben sie ihrer Dokumentation jetzt einen zweiten Teil folgen lassen, der die "Stationen der Einheit" bis zum Tag der Wiedervereinigung nachzeichnet. Band zwei enttäuscht die Erwartungen, die sein Vorgänger weckte. So atmosphärisch dicht die "Chronik der Wende" den revolutionären Aufbruch in der DDR im Herbst 1989 rekonstruiert, so nachrichtlich mager handelt sie das Jahr der Einheit ab. Mehr als die Spitzenmeldungen des Tages finden sich selten wiedergegeben. Was aus heutiger Sicht grotesk wirkt, war Realität. So liest man etwa, daß der Bezirkschef der Dresdner Polizei, die am 4. Oktober 1989 in einer regelrechten Schlacht am Hauptbahnhof gekämpft hatte, schon Anfang November verkünden konnte, man habe "aus der Vergangenheit gelernt". Künftig wolle man sich "durch Bereitstellung von Tontechnik" an den Demonstrationen beteiligen. Und im November 1989 vergoß der DDR-Postdirektor Krokodilstränen über die fehlenden Telefonleitungen nach Westdeutschland. Jetzt räche sich, sagte er, daß das über Jahrzehnte vernachlässigt worden sei. Drei Monate später bot die DDR-Post ihre Dienste zur Beseitigung von Abhöranlagen per Zeitungsannonce an: "Suchen Sie nicht selbst - Wir sind die Profis". Welche sie einbauten, müßte man hinzufügen, um den Treppenwitz der Geschichte zu Ende zu erzählen. Die Annonce stand im "Neuen Deutschland".
Streitbar sind manche Wertungen, die Bahrmann und Links im besseren Teil ihrer zweibändigen Dokumentation treffen, wo sie sich als Chronisten noch nicht auf den Dienst nach Vorschrift zurückgezogen hatten. Vielleicht erklärt sich das mit ihren Hoffnungen auf eine reformierbare DDR, die sie im Jahr der Einheit nicht mehr hegen konnten? So bauten sie die Künstlerkundgebung vom 4. November 1989 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, durchaus typisch für solche Hoffnungen, zu einem "Markstein" des Umbruchs auf. Tatsächlich handelte es sich bei diesem Meeting eher um ein anachronistisches Ereignis, schon deshalb, weil die "Organisatoren" vorher die Genehmigung für die Veranstaltung einholten. Nach solchen Genehmigungen hatten weder die Leipziger Montagsdemonstranten noch die Hunderttausende Bürger gefragt, die in anderen ostdeutschen Städten auf die Straße gingen und dies auch weiterhin taten, ungeachtet der Versuche, sie mit "Dialog"-Angeboten und etwa dem Aufruf "Für unser Land" wieder auf eine sozialistische Linie einzuschwenken. "Zu spät, zu spät", skandierten zwei Tage nach der Berliner Kundgebung die Leipziger Montagsdemonstranten, wie die "Chronik der Wende" auch vermeldet.
Für die "authentische Rekonstruktion" der heißesten Phase der friedlichen Revolution blätterten die Chronisten ganz vergeblich in den DDR-Tageszeitungen. Doch nach anfänglichem Schweigen erwachte die gleichgeschaltete Medienlandschaft. Abgesehen von der "taz", die sie als einzige Westzeitung 1989 gelegentlich zitieren, stützen sich Bahrmann und Links auf Meldungen und Berichte der ostdeutschen Medien. Damit reproduzierten sie jedoch zugleich ein verzerrtes Bild der Wende-Wirklichkeit, das von altgedienten Parteipropagandisten oder reformsozialistischen Nachwuchskadern in vielen Redaktionsstuben gemacht wurde. Deutlich wird das an der fortgeschriebenen Überbewertung neonazistischer Erscheinungen, die von der SED-PDS-Propaganda zum Popanz aufgebaut wurden. Dabei standen die ersten Republikaner, die bei den Leipziger Montagsdemonstrationen auftauchten, fast im Range von Wunschkandidaten. "Eine wachsende Zahl von Neonazis, Bombendrohungen und offene Sympathieerklärungen für die rechtsradikalen Republikaner alarmierten die Öffentlichkeit", formuliert pauschalisierend die "Chronik" am 28. Dezember 1989. Tatsächlich ist es der langjährige DDR-Generalstaatsanwaltskader Peter Przybilski, der an diesem Tag vor die Presse tritt und alarmiert. In der Mahn- und Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald, einem heiligen Ort des gerade dort aus Halbwahrheiten zusammengezimmerten DDR-Antifaschismus, seien "faschistische Morddrohungen" eingegangen, berichtete die FDJ-Zeitung "Junge Welt" am 16. Dezember. Die "Chronik der Wende" nimmt den Tatbestand auf. Doch man muß schon das Zeitungsinterview mit der später übrigens abgesetzten Gedenkstättenleiterin im Ganzen kennen, um die Sache richtig einzuordnen. "Wir brauchen ein antifaschistisches Bündnis aller demokratischen Kräfte in diesem Land!" hieß es da zu guter Letzt. Was die SED-PDS brauchte, die damals tatsächlich noch SED-PDS hieß, war auch einmal eine Demonstration mit Volkscharakter. Die antifaschistische Menschenkette durch Berlin kam zur Luxemburg-Liebknecht-Demo am 14. Januar 1990 dann aber doch nicht zustande.
Völlig unverständlich bleibt, wie Bahrmann und Links auch in eine andere Trickkiste der Roll-back-Propagandisten greifen konnten. Sie konstatieren für den Dezember 1989, daß die "Enthüllungen" im Lande "in einigen Fällen" schon zur "Selbstjustiz" geführt hätten. Für eine solche Behauptung wider die friedliche Revolution können sie keinen besseren Beleg erbringen als einen Bericht aus dem Dresdner SED-Blatt "Sächsische Zeitung", den sie unter dem Datum 11. Dezember 1989 ausführlich zitieren. Einem Stasi-Mitarbeiter, der seine Tochter vom Schwimmunterricht abholen wollte, sollen 50 Leute vor der Schwimmhalle aufgelauert haben. Fast wäre der Mann angeblich mit dem Abschleppseil aus seinem Wagen erhängt worden. Wo Bahrmann und Links diesen Zeitungsartikel ausgruben, bleibt ihr Geheimnis. Im Archiv der "Sächsischen Zeitung" in Dresden findet er sich nicht. Möglicherweise sei er in einer der achtzehn Lokalausgaben erschienen, erfährt man dort. Seinerzeit werden sich ein paar tausend Leser in der sächsischen Provinz über diese Geschichte gewundert haben, heute ist sie als Teil der "Chronik der Wende" ein schwerer wiegendes, aber nicht weniger fragwürdiges Dokument.
Doch vielleicht ist das gar kein Nachteil. Wer noch immer nicht glauben will, daß es 1989/90 in der DDR tatsächlich eine revolutionäre Situation gegeben hat, wird das nicht zuletzt an solchen Versuchen erkennen, sie zu unterminieren. Es war der DDR-Innenminister, der im November 1989 erklärte, Angehörige der Volkspolizei würden an Tankstellen nicht mehr bedient und ihre Kinder in Kindergärten nicht mehr aufgenommen. Alsbald erklärte der DDR-Verteidigungsminister: "Wir fürchten für die Sicherheit dieser Republik, für die wir auf Wacht stehen." In dieser komplizierten Zeit hatten dann auch die Anwälte, ungesehen ihrer Vergangenheit, eine "nationale Aufgabe" zu erfüllen, wie sich Sonderanwalt Wolfgang Vogel im Dezember 1989 ausdrückte. Die Mühlen der Propaganda, die munter weiter mahlten, lieferten die Schlaglichter zu diesem Szenario, das im Stasi-Deutsch "gezielte Verunsicherung" genannt worden wäre. Ohne die Zusammenhänge deutlich zu machen, haben Bahrmann und Links in ihrer "Chronik der Wende" doch die Spuren dieses letzten Gefechts um die Macht aufgezeichnet. Man muß sich nur auf die Fährtensuche machen. SIEGFRIED STADLER
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Hannes Bahrmann und Christoph Links verwirren mit ihrer Wende-Chronik
Hannes Bahrmann, Christoph Links: Chronik der Wende. Die DDR zwischen 7. Oktober und 18. Dezember 1989. Chronik der Wende 2. Stationen der Einheit. Die letzten Monate der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 1994/95. 206 und 360 Seiten, Band 2 mit Register zu Teil 1 und 2, zahlreiche Abbildungen, Preis je Band 29,80 Mark.
Die "Chronik der Wende" wurde im vergangenen Jahr an dreiundsiebzig Fernsehabenden ausgestrahlt. Die Produktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg entstand in Zusammenarbeit mit dem Ost-Berliner Publizisten Hannes Bahrmann und dem verdienstvollen jungen Verleger Christoph Links, die zur gleichen Zeit die "Chronik der Wende" als Taschenbuch vorlegten. Offensichtlich ermuntert von den verkauften fünf Auflagen, haben sie ihrer Dokumentation jetzt einen zweiten Teil folgen lassen, der die "Stationen der Einheit" bis zum Tag der Wiedervereinigung nachzeichnet. Band zwei enttäuscht die Erwartungen, die sein Vorgänger weckte. So atmosphärisch dicht die "Chronik der Wende" den revolutionären Aufbruch in der DDR im Herbst 1989 rekonstruiert, so nachrichtlich mager handelt sie das Jahr der Einheit ab. Mehr als die Spitzenmeldungen des Tages finden sich selten wiedergegeben. Was aus heutiger Sicht grotesk wirkt, war Realität. So liest man etwa, daß der Bezirkschef der Dresdner Polizei, die am 4. Oktober 1989 in einer regelrechten Schlacht am Hauptbahnhof gekämpft hatte, schon Anfang November verkünden konnte, man habe "aus der Vergangenheit gelernt". Künftig wolle man sich "durch Bereitstellung von Tontechnik" an den Demonstrationen beteiligen. Und im November 1989 vergoß der DDR-Postdirektor Krokodilstränen über die fehlenden Telefonleitungen nach Westdeutschland. Jetzt räche sich, sagte er, daß das über Jahrzehnte vernachlässigt worden sei. Drei Monate später bot die DDR-Post ihre Dienste zur Beseitigung von Abhöranlagen per Zeitungsannonce an: "Suchen Sie nicht selbst - Wir sind die Profis". Welche sie einbauten, müßte man hinzufügen, um den Treppenwitz der Geschichte zu Ende zu erzählen. Die Annonce stand im "Neuen Deutschland".
Streitbar sind manche Wertungen, die Bahrmann und Links im besseren Teil ihrer zweibändigen Dokumentation treffen, wo sie sich als Chronisten noch nicht auf den Dienst nach Vorschrift zurückgezogen hatten. Vielleicht erklärt sich das mit ihren Hoffnungen auf eine reformierbare DDR, die sie im Jahr der Einheit nicht mehr hegen konnten? So bauten sie die Künstlerkundgebung vom 4. November 1989 auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz, durchaus typisch für solche Hoffnungen, zu einem "Markstein" des Umbruchs auf. Tatsächlich handelte es sich bei diesem Meeting eher um ein anachronistisches Ereignis, schon deshalb, weil die "Organisatoren" vorher die Genehmigung für die Veranstaltung einholten. Nach solchen Genehmigungen hatten weder die Leipziger Montagsdemonstranten noch die Hunderttausende Bürger gefragt, die in anderen ostdeutschen Städten auf die Straße gingen und dies auch weiterhin taten, ungeachtet der Versuche, sie mit "Dialog"-Angeboten und etwa dem Aufruf "Für unser Land" wieder auf eine sozialistische Linie einzuschwenken. "Zu spät, zu spät", skandierten zwei Tage nach der Berliner Kundgebung die Leipziger Montagsdemonstranten, wie die "Chronik der Wende" auch vermeldet.
Für die "authentische Rekonstruktion" der heißesten Phase der friedlichen Revolution blätterten die Chronisten ganz vergeblich in den DDR-Tageszeitungen. Doch nach anfänglichem Schweigen erwachte die gleichgeschaltete Medienlandschaft. Abgesehen von der "taz", die sie als einzige Westzeitung 1989 gelegentlich zitieren, stützen sich Bahrmann und Links auf Meldungen und Berichte der ostdeutschen Medien. Damit reproduzierten sie jedoch zugleich ein verzerrtes Bild der Wende-Wirklichkeit, das von altgedienten Parteipropagandisten oder reformsozialistischen Nachwuchskadern in vielen Redaktionsstuben gemacht wurde. Deutlich wird das an der fortgeschriebenen Überbewertung neonazistischer Erscheinungen, die von der SED-PDS-Propaganda zum Popanz aufgebaut wurden. Dabei standen die ersten Republikaner, die bei den Leipziger Montagsdemonstrationen auftauchten, fast im Range von Wunschkandidaten. "Eine wachsende Zahl von Neonazis, Bombendrohungen und offene Sympathieerklärungen für die rechtsradikalen Republikaner alarmierten die Öffentlichkeit", formuliert pauschalisierend die "Chronik" am 28. Dezember 1989. Tatsächlich ist es der langjährige DDR-Generalstaatsanwaltskader Peter Przybilski, der an diesem Tag vor die Presse tritt und alarmiert. In der Mahn- und Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald, einem heiligen Ort des gerade dort aus Halbwahrheiten zusammengezimmerten DDR-Antifaschismus, seien "faschistische Morddrohungen" eingegangen, berichtete die FDJ-Zeitung "Junge Welt" am 16. Dezember. Die "Chronik der Wende" nimmt den Tatbestand auf. Doch man muß schon das Zeitungsinterview mit der später übrigens abgesetzten Gedenkstättenleiterin im Ganzen kennen, um die Sache richtig einzuordnen. "Wir brauchen ein antifaschistisches Bündnis aller demokratischen Kräfte in diesem Land!" hieß es da zu guter Letzt. Was die SED-PDS brauchte, die damals tatsächlich noch SED-PDS hieß, war auch einmal eine Demonstration mit Volkscharakter. Die antifaschistische Menschenkette durch Berlin kam zur Luxemburg-Liebknecht-Demo am 14. Januar 1990 dann aber doch nicht zustande.
Völlig unverständlich bleibt, wie Bahrmann und Links auch in eine andere Trickkiste der Roll-back-Propagandisten greifen konnten. Sie konstatieren für den Dezember 1989, daß die "Enthüllungen" im Lande "in einigen Fällen" schon zur "Selbstjustiz" geführt hätten. Für eine solche Behauptung wider die friedliche Revolution können sie keinen besseren Beleg erbringen als einen Bericht aus dem Dresdner SED-Blatt "Sächsische Zeitung", den sie unter dem Datum 11. Dezember 1989 ausführlich zitieren. Einem Stasi-Mitarbeiter, der seine Tochter vom Schwimmunterricht abholen wollte, sollen 50 Leute vor der Schwimmhalle aufgelauert haben. Fast wäre der Mann angeblich mit dem Abschleppseil aus seinem Wagen erhängt worden. Wo Bahrmann und Links diesen Zeitungsartikel ausgruben, bleibt ihr Geheimnis. Im Archiv der "Sächsischen Zeitung" in Dresden findet er sich nicht. Möglicherweise sei er in einer der achtzehn Lokalausgaben erschienen, erfährt man dort. Seinerzeit werden sich ein paar tausend Leser in der sächsischen Provinz über diese Geschichte gewundert haben, heute ist sie als Teil der "Chronik der Wende" ein schwerer wiegendes, aber nicht weniger fragwürdiges Dokument.
Doch vielleicht ist das gar kein Nachteil. Wer noch immer nicht glauben will, daß es 1989/90 in der DDR tatsächlich eine revolutionäre Situation gegeben hat, wird das nicht zuletzt an solchen Versuchen erkennen, sie zu unterminieren. Es war der DDR-Innenminister, der im November 1989 erklärte, Angehörige der Volkspolizei würden an Tankstellen nicht mehr bedient und ihre Kinder in Kindergärten nicht mehr aufgenommen. Alsbald erklärte der DDR-Verteidigungsminister: "Wir fürchten für die Sicherheit dieser Republik, für die wir auf Wacht stehen." In dieser komplizierten Zeit hatten dann auch die Anwälte, ungesehen ihrer Vergangenheit, eine "nationale Aufgabe" zu erfüllen, wie sich Sonderanwalt Wolfgang Vogel im Dezember 1989 ausdrückte. Die Mühlen der Propaganda, die munter weiter mahlten, lieferten die Schlaglichter zu diesem Szenario, das im Stasi-Deutsch "gezielte Verunsicherung" genannt worden wäre. Ohne die Zusammenhänge deutlich zu machen, haben Bahrmann und Links in ihrer "Chronik der Wende" doch die Spuren dieses letzten Gefechts um die Macht aufgezeichnet. Man muß sich nur auf die Fährtensuche machen. SIEGFRIED STADLER
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