Barbara Honigmann lebt in Straßburg, weit weg vom berühmten Zentrum. Hier gibt es keine Parks, kein Europaparlament und keine Kathedrale. Was es gibt, ist Vielfalt: orthodoxe und weniger orthodoxe Juden, einen dreibeinigen Hund, eine ältere Dame, die nicht zurückschreckt vor der Bepflanzung fremder Balkone, einen dunkelhäutigen Priester in weißem Gewand und einen Splitternackten mit dem Po in der Sonne. Barbara Honigmann begegnet in ihrer Straße der ganzen Welt im Kleinen, erfährt von Tragödien, schließt Freundschaften, stellt sich den Enttäuschungen, aber auch Träumen ihrer Nachbarn. Ein Buch, wie es nur das Leben selbst schreibt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2017NEUE TASCHENBÜCHER
Entwurzelte
Biografien
Einst blickte der Maler Gustave Caillebotte vom Balkon auf die prächtigen Boulevards von Paris. Barbara Honigmann verließ Anfang der Achtzigerjahre Ost-Berlin, zog nach Straßburg, in einen hässlichen „Altneubau“, der sie an die DDR erinnert. Dort beobachtet sie seither vom Schreibtisch vorm Balkon aus das rege Treiben in der grauen, rauen Rue Edel, „eine Straße des Ankommens und Anfangens und des Hängenbleibens“. Hier wohnen Juden, Araber, Türken, Kurden, Inder, Afrikaner, Asiaten, Osteuropäer, aber auch „das andere Frankreich“, sozial Abgehängte, Dealer. Der Blick von oben, wach und neugierig, gewährt Einblicke in das (Zusammen-)Leben der Kulturen, die eigene Biografie, die jüdische Identität. Honigmann fragt nach Heimat – Heimat der Sprache, der Religion, des Herzens. Selbst bei aller Tragik noch ganz locker und leicht im Ton, mit einem Staunen darüber auf den Lippen, dass „es so viele Dinge auf der Welt gibt, die wir überhaupt nicht verstehen können“. Eines Morgens liegt ein entwurzelter Baum auf dem Balkon: „… er wirkte gar nicht außerirdisch, und so gab ich ihm irdische Nahrung und ein Heim in einem Topf.“ FLORIAN WELLE
Barbara Honigmann: Chronik meiner Straße. dtv, München 2016.
160 Seiten, 9,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Entwurzelte
Biografien
Einst blickte der Maler Gustave Caillebotte vom Balkon auf die prächtigen Boulevards von Paris. Barbara Honigmann verließ Anfang der Achtzigerjahre Ost-Berlin, zog nach Straßburg, in einen hässlichen „Altneubau“, der sie an die DDR erinnert. Dort beobachtet sie seither vom Schreibtisch vorm Balkon aus das rege Treiben in der grauen, rauen Rue Edel, „eine Straße des Ankommens und Anfangens und des Hängenbleibens“. Hier wohnen Juden, Araber, Türken, Kurden, Inder, Afrikaner, Asiaten, Osteuropäer, aber auch „das andere Frankreich“, sozial Abgehängte, Dealer. Der Blick von oben, wach und neugierig, gewährt Einblicke in das (Zusammen-)Leben der Kulturen, die eigene Biografie, die jüdische Identität. Honigmann fragt nach Heimat – Heimat der Sprache, der Religion, des Herzens. Selbst bei aller Tragik noch ganz locker und leicht im Ton, mit einem Staunen darüber auf den Lippen, dass „es so viele Dinge auf der Welt gibt, die wir überhaupt nicht verstehen können“. Eines Morgens liegt ein entwurzelter Baum auf dem Balkon: „… er wirkte gar nicht außerirdisch, und so gab ich ihm irdische Nahrung und ein Heim in einem Topf.“ FLORIAN WELLE
Barbara Honigmann: Chronik meiner Straße. dtv, München 2016.
160 Seiten, 9,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Wiebke Porombka erkennt an diesem kleinen Buch mit seinem so unspektakulär erscheinenden Thema rasch mehr als die Geschichte einer Straße irgendwo in Straßburg. Das liegt an Barbara Honigmanns persönlicher Geschichte, aber auch an etwas spezifisch Jüdischem, wie Porombka feststellt: dem Leben in der Vorläufigkeit, wie es die Autorin hier laut Rezensentin auf vermeintlich beiläufige Weise recht detailliert darstellt. Das Schwere hinter dem Leichten, eine Philosophie des Ankommens hinter einer gewöhnlichen Straßenansicht mit Kindergarten und Motorenlärm und Dealern, wird für Porombka sichtbar, ein kleines Denkmal und ein Stück Geschichte des 20. Jahrhunderts, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.04.2015Das gute Gefühl, immer etwas fremd bleiben zu dürfen
Laubhüttenfeste im Dauerprovisorium: Barbara Honigmann schreibt die Chronik einer übersehenen Straße
Mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass Barbara Honigmann Ost-Berlin verlassen hat, die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist und 35 Jahre lang gelebt hat. Seither wohnt die Schriftstellerin und Malerin mit ihrer Familie in Straßburg. Wenn sie Berlin nun hin und wieder noch besucht, will sich ein unbehagliches, zumindest ein ambivalentes Grundgefühl nicht vertreiben lassen. So jedenfalls kann man es in Honigmanns jüngstem Buch "Chronik meiner Straße" nachlesen: "Heute ist mir die Stadt heimatlich vertraut und ein Albtraum zugleich, ich gehöre nicht mehr zu ihr, schon so lange nicht mehr, und wenn ich dort bin, gehöre ich auch mir selbst nicht mehr richtig ..."
Berlin ist der Ort, über dem der Widerschein der Zerrissenheit von Honigmanns Biographie und des Schicksals ihrer Familie liegt. Dass Honigmanns Bücher beinahe allesamt hier spielen, ist freilich alles andere als ein Widerspruch. Literarisch tastet Honigmann in ihren Romanen und Essays nach den Bruchstellen der Vergangenheit, verdichtet behutsam allen voran die bewegte Geschichte ihrer Mutter samt deren Abwendung vom Judentum, wie auch die eigene Theaterlaufbahn in der DDR probeweise zu einem Ganzen, während sich der Alltag der Schriftstellerin - in eine Art Sicherheitsabstand - am östlichen Rand von Frankreich abspielt. Nur in "Soharas Reise" machte sie vor fünfzehn Jahren eine Ausnahme.
Mit "Chronik meiner Straße" lässt Barbara Honigmann nun ein weiteres Mal einen ihr geographisch nahen Ort Einzug in ein Buch halten. Mehr noch: Sie richtet ihren Blick sogar unmittelbar vor die eigene Haustür. Auf die Straße, die sie mit ihrer Familie bezogen hat, als sie nach Straßburg kam.
So unspektakulär dieses Ansinnen zunächst erscheinen mag, so unmittelbar nimmt der leise Humor des Buches den Leser sogleich für sich ein. Es beginnt schon damit, dass man sich die Straße, in der die Trägerin längst nicht nur des Kleist-Preises seit so vielen Jahren lebt, nun ja, wohl ein wenig pittoresker vorgestellt hätte. Eine "Straße des Anfangs" nennt Barbara Honigmann die Rue Edel, in der es keine Bäume gibt, dafür einen riesigen Sozialbau, der auf den schönen Namen SoCoLoPo-Komplex hört, daneben verschiedene andere Häuser, die nicht unbedingt als Sternstunden der Architektur zu gelten scheinen.
Mit einer vermeintlichen Beiläufigkeit, die es allerdings in sich hat, werden noch allerhand weitere Details über die Rue Edel beigesteuert: über das bunte Sprachengewirr, das längst nicht immer Nationalitäten zuzuordnen ist, über Motorenlärm, die Hitze im Sommer und den permanenten Windzug in anderen Jahreszeiten, über die Dealer, die sich neben dem Kindergarten, und die Trinker, die sich gegenüber an einer so getauften "falschen Einfahrt" sammeln; oder über den Mord an dem Betreiber-Ehepaar des chinesischen Restaurants, der immer noch nicht aufgeklärt ist, aber auch niemanden sonderlich zu irritieren scheint.
Vollends unaufgeregt schildert Honigmann, was sich vor ihrem mit allerlei Gerümpel vollgestellten Balkon zuträgt, dem erst ein auf unerklärliche Weise wie vom Himmel gefallenes Bäumchen und die Initiative einer Nachbarin zu ein wenig Grün verhelfen. Aber natürlich steckt mehr hinter der Beiläufigkeit, natürlich ist die Leichtfüßigkeit dieses Buches nur das Gewand, in dem etwas eigentlich Schwerwiegendes daherkommt.
Dass Honigmann die Rue Edel "Straße des Anfangs" nennt, liegt nicht allein daran, dass ihr Straßburger Leben hier begonnen hat, sondern auch daran, dass sie immer wieder auf Menschen trifft, die ebendort oder zumindest in dieser Gegend gewohnt haben. Damals, als sie jung waren und wenig Geld hatten. Nun, da man arriviert ist, wohnt man in besseren Gegenden. Nur Barbara Honigmann tut dies nicht.
Was auch sie zunächst als Übergangslösung gedacht haben mag, ist zu einem Dauerprovisorium geworden, in dem sie sich glänzend eingerichtet hat, eben gerade deshalb, so wird nach und nach klar, weil sie an diesem Ort der Endgültigkeit des Ankommens entgeht, weil sie sich hier nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne, eingerichtet hat, ob nun bewusst oder unbewusst. Was manch anderem Unwohlsein bereiten könnte, scheint Honigmann im Gegenteil zu beruhigen: dass sie hier immer ein wenig fremd bleiben darf, dass sie nie das Gefühl hat, sich ihrer Straße ganz angeglichen zu haben. Oder umgekehrt: die Straße ihr.
Auf diese Weise wird das Leben in der Rue Edel, in dem sich Erinnerungen und Erinnerungsstücke sammeln und wieder verlorengehen, in dem Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen werden und im Sande verlaufen, zu einem Bild und zugleich zur gelebten Praxis eines Schicksals, das Honigmann mit zahllosen anderen Juden teilt: ein Leben in der Vorläufigkeit desjenigen, für den ein Ort, an den er zweifelsfrei gehört und an dem er fraglos leben kann, nicht existiert.
In Honigmanns wiederum von zartem Witz grundierter Schilderung ihrer ersten, gegen die Widerstände und den Argwohn der Nachbarn durchgesetzten Feier des Laubhüttenfestes im bemitleidenswert tristen Hinterhof ihres Hauses wird dieser Existenzmodus noch einmal ganz deutlich. Das Dach einer solchen Laubhütte, erklärt Honigmann, habe durchlässig zu sein für Sonne, Wind, aber auch für Regen, und man müsse hindurchsehen können: "So soll es uns daran erinnern, wie unbehaust und ungeschützt wir auf dieser Welt wohnen und wie löchrig unser Leben ist." Wenn man das Kräfteverhältnis umdreht, dann lässt es sich mitunter sehr gut mit einer Bestimmung leben.
Siegfried Kracauers Feuilleton-Sammlung "Straßen in Berlin und anderswo" hat deshalb eine so große Bekanntheit erlangt, weil Kracauer aus dem Zusammenspiel von Alltagsszenarien und steingewordenen Lebenskonzepten Bruchstück für Bruchstück die Mentalität seiner Zeit herausliest. Auch wenn Barbara Honigmann sehr viel konsequenter auf den subjektiven Blick und auf sehr persönliche Episoden setzt, gelingt ihr mit ihrem schmalen Buch etwas zumindest Vergleichbares. Auch sie entfaltet, ohne viel Aufhebens davon zu machen, aus dem Alltäglichen, scheinbar Nebensächlichen ein Stück Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und sie setzt einer sicherlich oftmals durchfahrenen, aber genauso häufig übersehenen Straße liebevoll ein Denkmal.
WIEBKE POROMBKA
Barbara Honigmann:
"Chronik meiner Straße". Carl Hanser Verlag,
München 2015. 153 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Laubhüttenfeste im Dauerprovisorium: Barbara Honigmann schreibt die Chronik einer übersehenen Straße
Mehr als drei Jahrzehnte ist es her, dass Barbara Honigmann Ost-Berlin verlassen hat, die Stadt, in der sie geboren und aufgewachsen ist und 35 Jahre lang gelebt hat. Seither wohnt die Schriftstellerin und Malerin mit ihrer Familie in Straßburg. Wenn sie Berlin nun hin und wieder noch besucht, will sich ein unbehagliches, zumindest ein ambivalentes Grundgefühl nicht vertreiben lassen. So jedenfalls kann man es in Honigmanns jüngstem Buch "Chronik meiner Straße" nachlesen: "Heute ist mir die Stadt heimatlich vertraut und ein Albtraum zugleich, ich gehöre nicht mehr zu ihr, schon so lange nicht mehr, und wenn ich dort bin, gehöre ich auch mir selbst nicht mehr richtig ..."
Berlin ist der Ort, über dem der Widerschein der Zerrissenheit von Honigmanns Biographie und des Schicksals ihrer Familie liegt. Dass Honigmanns Bücher beinahe allesamt hier spielen, ist freilich alles andere als ein Widerspruch. Literarisch tastet Honigmann in ihren Romanen und Essays nach den Bruchstellen der Vergangenheit, verdichtet behutsam allen voran die bewegte Geschichte ihrer Mutter samt deren Abwendung vom Judentum, wie auch die eigene Theaterlaufbahn in der DDR probeweise zu einem Ganzen, während sich der Alltag der Schriftstellerin - in eine Art Sicherheitsabstand - am östlichen Rand von Frankreich abspielt. Nur in "Soharas Reise" machte sie vor fünfzehn Jahren eine Ausnahme.
Mit "Chronik meiner Straße" lässt Barbara Honigmann nun ein weiteres Mal einen ihr geographisch nahen Ort Einzug in ein Buch halten. Mehr noch: Sie richtet ihren Blick sogar unmittelbar vor die eigene Haustür. Auf die Straße, die sie mit ihrer Familie bezogen hat, als sie nach Straßburg kam.
So unspektakulär dieses Ansinnen zunächst erscheinen mag, so unmittelbar nimmt der leise Humor des Buches den Leser sogleich für sich ein. Es beginnt schon damit, dass man sich die Straße, in der die Trägerin längst nicht nur des Kleist-Preises seit so vielen Jahren lebt, nun ja, wohl ein wenig pittoresker vorgestellt hätte. Eine "Straße des Anfangs" nennt Barbara Honigmann die Rue Edel, in der es keine Bäume gibt, dafür einen riesigen Sozialbau, der auf den schönen Namen SoCoLoPo-Komplex hört, daneben verschiedene andere Häuser, die nicht unbedingt als Sternstunden der Architektur zu gelten scheinen.
Mit einer vermeintlichen Beiläufigkeit, die es allerdings in sich hat, werden noch allerhand weitere Details über die Rue Edel beigesteuert: über das bunte Sprachengewirr, das längst nicht immer Nationalitäten zuzuordnen ist, über Motorenlärm, die Hitze im Sommer und den permanenten Windzug in anderen Jahreszeiten, über die Dealer, die sich neben dem Kindergarten, und die Trinker, die sich gegenüber an einer so getauften "falschen Einfahrt" sammeln; oder über den Mord an dem Betreiber-Ehepaar des chinesischen Restaurants, der immer noch nicht aufgeklärt ist, aber auch niemanden sonderlich zu irritieren scheint.
Vollends unaufgeregt schildert Honigmann, was sich vor ihrem mit allerlei Gerümpel vollgestellten Balkon zuträgt, dem erst ein auf unerklärliche Weise wie vom Himmel gefallenes Bäumchen und die Initiative einer Nachbarin zu ein wenig Grün verhelfen. Aber natürlich steckt mehr hinter der Beiläufigkeit, natürlich ist die Leichtfüßigkeit dieses Buches nur das Gewand, in dem etwas eigentlich Schwerwiegendes daherkommt.
Dass Honigmann die Rue Edel "Straße des Anfangs" nennt, liegt nicht allein daran, dass ihr Straßburger Leben hier begonnen hat, sondern auch daran, dass sie immer wieder auf Menschen trifft, die ebendort oder zumindest in dieser Gegend gewohnt haben. Damals, als sie jung waren und wenig Geld hatten. Nun, da man arriviert ist, wohnt man in besseren Gegenden. Nur Barbara Honigmann tut dies nicht.
Was auch sie zunächst als Übergangslösung gedacht haben mag, ist zu einem Dauerprovisorium geworden, in dem sie sich glänzend eingerichtet hat, eben gerade deshalb, so wird nach und nach klar, weil sie an diesem Ort der Endgültigkeit des Ankommens entgeht, weil sie sich hier nicht, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne, eingerichtet hat, ob nun bewusst oder unbewusst. Was manch anderem Unwohlsein bereiten könnte, scheint Honigmann im Gegenteil zu beruhigen: dass sie hier immer ein wenig fremd bleiben darf, dass sie nie das Gefühl hat, sich ihrer Straße ganz angeglichen zu haben. Oder umgekehrt: die Straße ihr.
Auf diese Weise wird das Leben in der Rue Edel, in dem sich Erinnerungen und Erinnerungsstücke sammeln und wieder verlorengehen, in dem Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen werden und im Sande verlaufen, zu einem Bild und zugleich zur gelebten Praxis eines Schicksals, das Honigmann mit zahllosen anderen Juden teilt: ein Leben in der Vorläufigkeit desjenigen, für den ein Ort, an den er zweifelsfrei gehört und an dem er fraglos leben kann, nicht existiert.
In Honigmanns wiederum von zartem Witz grundierter Schilderung ihrer ersten, gegen die Widerstände und den Argwohn der Nachbarn durchgesetzten Feier des Laubhüttenfestes im bemitleidenswert tristen Hinterhof ihres Hauses wird dieser Existenzmodus noch einmal ganz deutlich. Das Dach einer solchen Laubhütte, erklärt Honigmann, habe durchlässig zu sein für Sonne, Wind, aber auch für Regen, und man müsse hindurchsehen können: "So soll es uns daran erinnern, wie unbehaust und ungeschützt wir auf dieser Welt wohnen und wie löchrig unser Leben ist." Wenn man das Kräfteverhältnis umdreht, dann lässt es sich mitunter sehr gut mit einer Bestimmung leben.
Siegfried Kracauers Feuilleton-Sammlung "Straßen in Berlin und anderswo" hat deshalb eine so große Bekanntheit erlangt, weil Kracauer aus dem Zusammenspiel von Alltagsszenarien und steingewordenen Lebenskonzepten Bruchstück für Bruchstück die Mentalität seiner Zeit herausliest. Auch wenn Barbara Honigmann sehr viel konsequenter auf den subjektiven Blick und auf sehr persönliche Episoden setzt, gelingt ihr mit ihrem schmalen Buch etwas zumindest Vergleichbares. Auch sie entfaltet, ohne viel Aufhebens davon zu machen, aus dem Alltäglichen, scheinbar Nebensächlichen ein Stück Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Und sie setzt einer sicherlich oftmals durchfahrenen, aber genauso häufig übersehenen Straße liebevoll ein Denkmal.
WIEBKE POROMBKA
Barbara Honigmann:
"Chronik meiner Straße". Carl Hanser Verlag,
München 2015. 153 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Auch sie entfaltet, ohne viel Aufhebens davon zu machen, aus dem Alltäglichen, scheinbar Nebensächlichen ein Stück Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts." Wiebke Porombka, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.04.15
"Mit dieser Chronik ist nicht nur ein vielgesichtiges Buch über jüdisches Leben im heutigen Europa entstanden, sondern auch eines über einen lebbaren Alltag mit wechselnden Nachbarschaften." Beatrice von Matt, Neue Zürcher Zeitung, 04.04.15
"...ein hinreißend menschliches und menschenfreundliches Buch." Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 10.03.15
"Sie ist eine herausragende Beobachterin. Ein literarisches Kleinod." Sandra Leis, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 22.02.15
"Mit dieser Chronik ist nicht nur ein vielgesichtiges Buch über jüdisches Leben im heutigen Europa entstanden, sondern auch eines über einen lebbaren Alltag mit wechselnden Nachbarschaften." Beatrice von Matt, Neue Zürcher Zeitung, 04.04.15
"...ein hinreißend menschliches und menschenfreundliches Buch." Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 10.03.15
"Sie ist eine herausragende Beobachterin. Ein literarisches Kleinod." Sandra Leis, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 22.02.15