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Vagabunden im eigenen Land und Leben sind die Menschen in Celatis zweitem Erzählungsband.Literarische Momentaufnahmen wie Polaroids: Gianni Celati ist ein süchtiger Beobachter, der das Außergewöhnliche im Normalen entdeckt. Er sieht und hört genau zu; was er aber gesehen hat, rieselt durch den einzigartigen Celati-Sprachfilter, den wir schon aus »Erzähler der Ebenen« kennen, und der uns die Dinge in einem ganz neuen Licht zeigt. In diesem scheinrealistischen Stil erzählt Celati von seltsamen Berufen, ungewöhnlichen Entscheidungen, fremden Sitten.Vier Krankenpfleger fahren in die Wüste, einer…mehr

Produktbeschreibung
Vagabunden im eigenen Land und Leben sind die Menschen in Celatis zweitem Erzählungsband.Literarische Momentaufnahmen wie Polaroids: Gianni Celati ist ein süchtiger Beobachter, der das Außergewöhnliche im Normalen entdeckt. Er sieht und hört genau zu; was er aber gesehen hat, rieselt durch den einzigartigen Celati-Sprachfilter, den wir schon aus »Erzähler der Ebenen« kennen, und der uns die Dinge in einem ganz neuen Licht zeigt. In diesem scheinrealistischen Stil erzählt Celati von seltsamen Berufen, ungewöhnlichen Entscheidungen, fremden Sitten.Vier Krankenpfleger fahren in die Wüste, einer kommt als Held zurück. Ein Model landet an einem Strand und zeigt den Männern, wohin es führt, wenn man im Leben nichts anderes lernt, als immer das richtige Gesicht zu machen.
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Autorenporträt
Gianni Celati wurde 1937 in Sondrio geboren. Er studierte an der Universität in Bologna und schloss sein Studium mit einer Dissertation über James Joyce ab. Italo Calvino, damals Leiter des Einaudi Verlags und begeistert von einer kurzen Veröffentlichung Celatis, publizierte ab 1971 mehrere seiner Romane. 1975 übernahm Celati eine Professur für Englische und Amerikanische Literatur an der Universität von Bologna, zog sich jedoch fünf Jahre später aus dem Wissenschaftsbetrieb zurück, um sich dem Schreiben und der Filmarbeit zu widmen. Neben seinen eigenen literarischen Veröffentlichungen ist er auch Übersetzer zahlreicher Autoren ins Italienische, darunter Jonathan Swift, Mark Twain und Roland Barthes. 2007 wurde er als »herausragende Persönlichkeit des ständig Reisenden, unermüdlichen Beobachters der Worte und der Welt sowie als raffinierter Übersetzer« mit dem Premio Calepino ausgezeichnet. Celati lebt im südenglischen Brighton.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2002

Schwere See
Im Kopfkino: Gianni Celati beschwört den Dämon der Normalität

Früher wurden Romanschriftsteller Romanschriftsteller, wenn sie Romane lasen. Inzwischen gehen die Zeitgemäßen längst in die Schule des Kinos. Sie verwandeln Episoden in Einstellungen, Handlungen in Sequenzen und Figuren in Rasterbilder. Und die Sprache, von der lange galt, daß sie den Menschen zum Menschen macht: Wird sie nicht zu einem Medium unter anderen? Doch wie sollen sich ihre unbewegten Buchstaben gegen die direkte Art von Bildern und Tönen behaupten? Was hätte sie davon, wenn ihre Wörter dem Film nachlaufen? Sie würde doch nur verleugnen müssen, was sie selbst am besten kann.

Insofern könnte die Medienkonkurrenz auch ihr Gutes fürs literarische Erzählen haben. Statt sich nach dem Kino vor aller Augen zu richten - warum nicht das Kino im Kopf kultivieren? Wie einst die Malerei, die sich selbst neu verstehen mußte, als die Fotografie sie medial beerbte. Es gehört allerdings einiger Mut dazu, solchermaßen zur Sprache und zum Geschichtenerzählen heimzukehren. Gewagt hat es einer, dessen Wort nicht nur in Italien zählt: Gianni Celati. Der Titel seines jüngsten Buches ist Programm: "Cinema naturale".

Celati, Jahrgang 1936, ist mit dem Film groß geworden. Und doch - oder gerade deshalb - sucht er jetzt den Streit mit ihm. Wer ins Daumenkino des Erzählens geht, ins richtige, versteht sich, der, so behauptet er, braucht eigentlich keine Hollywoodfilme. Das macht es für die Sprache nicht leichter. Er vergleicht die Poesie mit einer Schiffahrt über gefährliches Wasser. Wie in einem "Schiff ohne Segel und ohne Steuer" fühlt er sich. Entsprechend fallen seine Gedankenfilme aus: Wo sie können, fügen sie dem Alltag sonderbare, phantasievolle, ironische, aber eben doch Schiffbrüche zu.

Kein Lebensumstand ist extravagant genug, um nicht vom Dämon aller Normalität befallen zu werden, dem Überdruß und der Langeweile (ein Schlüsselwort). Einer jungen, wilden Frau gelang es, nachdem sie unter allerlei asoziale Räder geraten war, Model zu werden. Perfekt hatte sie Bewegungen, Worte und Gedanken einstudiert. Eines Tages durchzuckte es sie wie ein rötlicher Blitz. Sie hatte sich an der zugemuteten Wirklichkeit übernommen, konnte "den Lügen des Bewußtseins" nicht mehr glauben - und verstummte. So oder ähnlich passiert es überall. Darauf kommt es Celati an: Wenn einer zu sehr und zu lange normal ist, wird er, ohne es zu merken, anormal. Es ist die Folge einer Zwangsbewirtschaftung unserer Vorstellungswelt. "Der Staub der Wiederholung", heißt es in der beklemmenden Geschichte von einem Wissenschaftler, der alles fotokopieren muß, "legt sich über uns und macht uns unkenntlich." Wenn alles wie üblich weitergeht, da entstehen mentale Brachen, wo man sich selbst nicht mehr kennt.

Dabei müßte es so nicht sein. Unsere guten oder schlechten Gewohnheiten weisen alles Abweichende und Unangepaßte von sich. Von Freud aber wissen wir, daß es sich in verstellter Weise dennoch wieder zurückmeldet. Und hier beginnt das eigentliche Drama von Celatis Geschichten. Irgendwann trifft seine Gestalten ein Wink, eine Stimme, ein Anruf des Verdrängten. Dann gibt es kein Zweifel mehr für sie. Man kann es erneut unterdrücken, sogar in bester Absicht, wie der junge Mann der ersten Geschichte. Er hört einen Hahn zweimal krähen, verleugnet aber seinen Appell (ein sexuelles Abenteuer) und damit sein anderes Selbst, um danach, ersatzweise, zwölf Stunden lang nichtssagende, ja erfundene Erlebnisse zu erzählen, die alle "im Sack der leeren Augenblicke" landen.

Wer andererseits den fremden Stimmen folgt, dem ergeht es merkwürdigerweise auch nicht besser. Dessen Normal-Ich verliert auf andere Weise den Boden unter seinem Bewußtsein. Ein Arzt hört bei einer Bootsfahrt zwei Frauen irgendwo in der Ferne über Nierenprobleme reden. Unwiderstehlich fühlt er sich von dieser "Nachricht" angesprochen. Eine verwirrende Suche beginnt, die ihn immer weiter von seinem bisherigen Leben abbringt. Er findet zwei Frauen, gerät in ihren Bann, verwahrlost, versklavt (sexuell) - und macht unbegreifliche Selbsterfahrungen. Sein Innenleben beginnt rastlos ein skandalös unnormales Lebensprojekt einzukreisen: "ohne ein Ziel oder einen Wunsch" zu sein, "wie die Tiere, wie die Vögel, wie die Kühe".

So geht es Erzählung um Erzählung. Irritierend sind jedoch nicht nur solche "verrückten" Anwandlungen der Figuren. Hinzu kommt, daß danach keiner mehr ins alte Leben zurückfindet. Sie verlaufen sich alle im ungewissen und werden zur Zumutung für einen ordentlichen Leser. Celati will diesem so die Wahrheit begreiflich machen, daß, wer seinen alltäglichen Gang geht, in geistigem Stillstand endet, daß aber jener, der dies ändern will, in eine Welt gerät, wo das Übliche gerade versagt.

Die einen leben deshalb unbewußt entfremdet, die anderen bewußt. Das ist der Unterschied. Hierin haben die Geschichten Celatis auch ihren tieferen Grund. Sie wollen die Augen für etwas öffnen, das man nicht sehen kann. Ihre Figuren bekommen (durchaus lesenswerte) Schwierigkeiten, weil sie weder auf normalem noch abnormalem Weg Sinn in ihre Existenz bringen. Sie werden darüber extremistisch. Je mehr sie von ihren untergründigen Phantasmen eingenommen werden - meist in Gestalt fülliger Frauen, die von Botero stammen könnten -, desto weiter rücken sie von sich ab: Geist und Leib haben ihren Zusammenhang verloren, und der eine erfährt sich als Zerrbild des anderen. Was sie erleben, sind eigentlich Kopf- und Bauchgeschichten, weil ihnen ein Projekt fehlt, auf das sie sich einigen könnten. Oder sollte man nicht gleich sagen: Es mangelt ihnen an Kultur? Es ist Celatis Art, zum Denken über Dinge anzuregen, "die sich nicht erklären lassen".

Angesprochen sind insofern die vielen Normalen, die es verlernt haben, Stimmen zu vernehmen und auf Zeichen zu achten. Sie will Celati in seine Hör- und Sehschule schicken. Daß sein Stil sich dabei etwas angestrengt hinter den Konfektionsgrößen seiner Darsteller versteckt, ist preziös und unnötig. Aber vielleicht wollte er ja so demonstrieren, daß Geschichten, die uns betreffen, ganz in unserer Nähe gedeihen und die Phantasie, um zu blühen, keine Hollywoodformate braucht.

WINFRIED WEHLE

Gianni Celati: "Cinema naturale". Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2001. 235 S., geb., 18,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lothar Baier tut sich etwas schwer, uns zu erklären, was es mit der "großartigen Erzählkunst" des Autors auf sich hat. Die "erkennbar sorgfältige Regie", in der sich Celati nach Meinung des Rezensenten auch mit seinen neuen Erzählungen als Virtuose erweist, zeigt sich in diesem Band demnach vor allem im Einsatz eines "erzählenden und gleichzeitig mit dem Erzählen spielenden Chronisten der Erzählungen von Dritten". Dies und auch, was Baier außerdem noch anführt - die Vorliebe des Autors für "Durchschnittsfiguren, die sich durch eigenartige Tricks und kauzige Obsessionen vom Durchschnitt unterscheiden" (was denn nun?) und der "von der Übersetzerin ... ausgezeichnet wiedergegebene Celati-Ton" -, es erklärt genau genommen - gar nichts.

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