Quentin Tarantino gehört nicht nur zu den berühmtesten Filmemachern der Gegenwart, sondern ist wohl auch der mitreißendste Filmliebhaber der Welt. Jahrelang hat er in Interviews davon gesprochen, dass er eines Tages Bücher über Filme schreiben wird. Jetzt, mit CINEMA SPECULATION, ist es soweit, und das Ergebnis ist alles, was sich seine Fans und alle Filmliebhaber erhofft haben.
Dieses Buch, das sich um die wichtigsten amerikanischen Filme der 1970er Jahre dreht, die er alle zum ersten Mal als junger Kinobesucher gesehen hat, ist durchwoben von überraschenden Erzählungen aus erster Hand über Tarantinos Leben als junger Mann in L.A - ein Blick auf das Hollywood der Siebziger, so nah und doch so fern. Dies sind die ersten Jahre der berühmten Tarantino-Ursprungsgeschichte, die uns der Mann selbst erzählt. Es ist zugleich Filmkritik, Filmtheorie, ein Meisterwerk der Reportage und eine wunderbare persönliche Geschichte, geschrieben mit der einzigartigen Stimme, die man sofort als die von Quentin Tarantino erkennt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Dieses Buch, das sich um die wichtigsten amerikanischen Filme der 1970er Jahre dreht, die er alle zum ersten Mal als junger Kinobesucher gesehen hat, ist durchwoben von überraschenden Erzählungen aus erster Hand über Tarantinos Leben als junger Mann in L.A - ein Blick auf das Hollywood der Siebziger, so nah und doch so fern. Dies sind die ersten Jahre der berühmten Tarantino-Ursprungsgeschichte, die uns der Mann selbst erzählt. Es ist zugleich Filmkritik, Filmtheorie, ein Meisterwerk der Reportage und eine wunderbare persönliche Geschichte, geschrieben mit der einzigartigen Stimme, die man sofort als die von Quentin Tarantino erkennt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Andreas Scheiners Kritik liest sich amüsant, das Buch sicherlich auch, aber amüsant legt Scheiner auch dar, wo das nicht der Fall ist: Tarantino liebt Filme so sehr, dass das Buch über den Leser wie ein Tsunami hereinstürmt. Interessiert es uns wirklich, wo Tarantino den Action-Kracher "Rolling Thunder" - einen seiner Lieblingsfilme, auch wegen des Bluts, das von den Wänden tropft - zum ersten Mal, und dann zum zweiten Mal und in welcher Dreifachvorführung zum xten Mal gesehen hat? Manchmal ja, manchmal nein, meint Scheiner. Mal ist Tarantino ihm arg zu pingelig und mäkelt seitenlang mit reichlich nervenden Argumenten an Sam Peckinpahs Meisterwerk "Getaway" herum. Dann aber erzählt er wieder, wie er als 19-jähriger nassforscher Fan John Flynn interviewte, den heute völlig vergessenen Regisseur des besagten Films "Rolling Thunder", und das ist dann doch wieder sehr amüsant, wie Scheiner glaubhaft beteuert.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent und Filmkritiker Bert Rebhandl schüttelt fasziniert den Kopf bei der Lektüre von Quentin Tarantinos Buch über die Filmgeschichte, das für ihn mehr ein "Traumprotokoll" ist. Denn einerseits spreche ein ungeheures Wissen aus Tarantinos "atemloser" Nacherzählung seiner ersten prägenden Kinoerfahrungen: mit zehn Jahren ging er mit seiner Mutter und deren Begleitung oft in wenig altersangemessene Filme des später so genannten "New Hollywood" der siebziger Jahre, liest Rebhandl; und diese Filme liefern dem Starregisseur allerlei Stoff für vergleichende Analysen vor allem gewalttätiger Szenen, so Rebhandl. Das Ergebnis findet er oft "idiosynkratisch" und "luzide"; auch sehr "libidinös". Andererseits muss er auch eine "geniale Einseitigkeit" konstatieren: ziemliche Männerfilme, mit denen der Starregisseur sich da ausschließlich auseinandersetze, und auch ein überraschend "identifikatorischer", also heldenorientierter Ansatz, den er vertrete, überlegt der Kritiker. Übersetzt sei das alles "tapfer", aber nicht immer gelungen von Stephan Kleiner. Am Ende ergibt sich der Eindruck eines rasanten, wissensreichen, sehr tarantinoesken, im Grunde aber "populären Kurses für Filmanalysen" beim Rezensenten, der nicht abgeneigt wirkt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2022Ohne Identifikation geht gar nichts
Im Bann der brutalsten Männerphantasien: Quentin Tarantino lässt die Filmgeschichte in Form eines atemlosen Traumprotokolls Revue passieren.
Als Quentin Tarantino in den Neunzigerjahren mit "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" dem amerikanischen Kino seinen Stempel aufdrückte, wurde das allgemein als eine Epochenwende begriffen. Die Filme begannen sich von sich selbst zu ernähren, wichtig war nicht mehr so sehr ein wie auch immer künstlerisch geprägter Wirklichkeitsbezug, sondern dass die Dialogzeilen, Posen und Actionszenen es mit Vorbildern aus früheren Filmen aufnehmen konnten, sich an ihnen maßen, sie ironisch überboten und unterliefen. "Pulp Fiction" gab sich schon mit seinem Titel als programmatisch zu erkennen, und Tarantino verschaffte dem Kino eine neue Identifikationsfigur: Ein "dreister, besserwisserischer Filmnerd" hatte es allen gezeigt.
Damals wurde viel über Tarantinos Bildungsgeschichte in einer Videothek geschrieben. Mit seinem Buch "Cinema Speculation" gibt er sich nun allerdings nicht nur mit Wucht noch einmal als dieser Nerd zu erkennen, er betont auch, dass er im genuinen Sinn ein Kind des Kinos ist - und erst in zweiter Linie der VHS-Kassetten-Revolution der Achtzigerjahre. Denn sein Talent bildete sich wohl in so etwas wie einer produktiven Überforderung heraus: "Der kleine Q guckt die großen Filme" heißt das erste Kapitel. Es erzählt davon, dass Tarantino um 1970 in Los Angeles mit seiner alleinerziehenden Mutter und deren unterschiedlichen Begleitungen häufig ins Kino ging, in Filme für Erwachsene, bei denen der noch keine zehn Jahre alte Junge bald begriff, dass er keine altklugen Fragen stellen sollte, wollte er sich seinen Zugang zu nicht jugendfreiem Stoff nicht verderben. So sah er weit vor der Pubertät einen Kanon des amerikanischen Kinos, der bald unter der Chiffre eines New Hollywood eingeordnet wurde.
Neu war an diesem Hollywood vieles. Zum Beispiel ein offenerer Umgang mit Sexualität. Wobei "die hintergründigste und verstörendste brutale Sequenz im frühen Kino der Siebziger, die nicht von Sam Peckinpah inszeniert wurde", über diesen offeneren Umgang deutlich hinausging: In "Deliverance" von John Boorman sah Tarantino eine anale Vergewaltigung, in deren retrospektive Beschreibung sich das ganze Filmwissen mischt, das "Cinema Speculation" ausbreitet. Und zwar eben oft mit diesem komparatistischen Gestus, der direkt aus den Double Features zu erwachsen scheint: Tarantino sammelt die brutalsten Szenen von Peckinpah und hält sie gegen die brutalsten Szenen bei Don Siegel, John Flynn oder Martin Scorsese, reflektiert zugleich über den Charakter dieser filmischen Brutalität und über die Häufigkeit der eigenen Verwendung des Adjektivs "brutal". Es wird bei der Beschreibung der vielen "heftigen Filme" nun einmal sehr oft benötigt.
In den Vereinigten Staaten hatte sich in den Jahren, in denen der kleine Quentin ins Kino zu gehen begann, eine filmkritische Spielart entwickelt, die von der französischen Autorentheorie abgeschaut war, und die zum Listenwesen tendierte: Wenn ein Filmemacher einmal als Autor - also als Künstler - anerkannt war, dann musste man ihm einfach folgen, und bei jedem neuen Film überprüfen, ob er seinem Standard noch gerecht wurde. Tarantino schließt mit seiner leidenschaftlichen Filmgeschichte an diese katalogisierende Kanonisierung, die vor allem mit dem Namen Andrew Sarris verbunden ist, implizit an, lässt sie aber zugleich durch immer neue Differenzierungen explodieren. "Ach Quentin, Sie drehen aber auch wirklich jeden Stein um", sagt Walter Hill, selber einer der Regisseure, die ihren Status stark der Autorenkritik verdanken, einmal zu ihm.
In "Cinema Speculation" dreht Tarantino tatsächlich nahezu jeden Stein in einer Reihe von Kultfilmen um, die für ihn das Maß aller Dinge sind. Filme von ausschließlich männlichen Regisseuren, in deren Zentrum eine Konstellation von ein paar Namen steht, mit denen Tarantino dann auch konkret spekuliert. Denn zwischen Brian De Palma, Paul Schrader, Martin Scorsese und John Milius wandern Stoffe und Ideen so hin und her, dass "Taxi Driver" für Tarantino zu einer Art von hypothetischer Größe wird - ein Klassiker des Kinos, den er sich auch in allen denkbaren Varianten vorstellt, mit anderem Regisseur oder anderer Besetzung entscheidender Rollen.
In seinen Analysen spricht dabei immer schon auch der spätere Regisseur, der bei aller Intellektualität des Zugangs doch einen stark identifikatorischen Ansatz vertritt. "Schaut man einen Film, will man den Helden mögen." Für ihn zählt, ob und wie man an einer Figur dranbleibt, wie sehr man ihr vertraut oder sich umgekehrt ausschütten (oder "im Gang wälzen") muss vor Lachen, weil sie so unglaubwürdig oder unbeholfen konzipiert oder gespielt wird. "Cinema Speculation" ist so auch ein zwar idiosynkratischer, im Kern aber populärer Kurs für Filmanalysen, der von seinem ungeheuren Wissen profitiert.
Das Buch ist aber im Kern vor allem ungeheuer libidinös. Selten hat man die Konstellation des Mediums Kino, das ja Leib und Seele in einer kulturhistorisch davor ungekannten Weise beansprucht, so intensiv gespiegelt gesehen wie bei Tarantino. Man ist beinahe versucht, sein gigantisches Gedächtnis und seine unerschöpfliche Assoziationskraft dem überwältigenden Eindruck zuzurechnen, dem er als kleines Kind auch medientechnologisch ausgesetzt wurde. Den atemlosen Duktus seines Erinnerungsstroms hat Stephan Kleiner tapfer in ein Deutsch gebracht, das manchmal Züge latenter Parodie annimmt, wenn das amerikanische Englisch allzu wörtlich genommen wird ("Er wollte verdammt sein, wenn er ,The Getaway' drehte").
Den Höhepunkt erreicht die Kinospekulation in einem Kapitel über John Flynns "Rolling Thunder", den Film, auf den Tarantino die allergrößten Stücke hält. Das Drehbuch stammt von Paul Schrader, eine Szene daraus ließ sich nicht realisieren, dabei hätte sie wohl alles auf den Punkt gebracht, was damals an Männerphantasien im Neuen Hollywood im Umlauf war: Der Held, ein stark beschädigter Vietnam-Veteran, "steigt in seinen großen roten Cadillac und fährt zu einem texanischen Autokino, im dem ,Deep Throat' läuft. Während er sich den Pornofilm mit Linda Lovelace ansieht, schaut er zu dem Mann im Auto neben ihm hinüber, und es ist Travis Bickle!"
Männer allein in ihren Autos, der berüchtigte Pornoklassiker auf der Leinwand und der Held aus "Taxi Driver" im falschen respektive umso richtigeren Film - eine bessere Klitterung für das, was den kleinen Q noch im reiferen Alter umtreibt, ist kaum denkbar. Und so wird man sein Buch am besten nicht so sehr als Filmgeschichte lesen, sondern als eine Art Traumprotokoll, das durch große Luzidität, aber auch durch geniale Einseitigkeit fasziniert. BERT REBHANDL
Quentin Tarantino: "Cinema Speculation".
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 400 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Bann der brutalsten Männerphantasien: Quentin Tarantino lässt die Filmgeschichte in Form eines atemlosen Traumprotokolls Revue passieren.
Als Quentin Tarantino in den Neunzigerjahren mit "Reservoir Dogs" und "Pulp Fiction" dem amerikanischen Kino seinen Stempel aufdrückte, wurde das allgemein als eine Epochenwende begriffen. Die Filme begannen sich von sich selbst zu ernähren, wichtig war nicht mehr so sehr ein wie auch immer künstlerisch geprägter Wirklichkeitsbezug, sondern dass die Dialogzeilen, Posen und Actionszenen es mit Vorbildern aus früheren Filmen aufnehmen konnten, sich an ihnen maßen, sie ironisch überboten und unterliefen. "Pulp Fiction" gab sich schon mit seinem Titel als programmatisch zu erkennen, und Tarantino verschaffte dem Kino eine neue Identifikationsfigur: Ein "dreister, besserwisserischer Filmnerd" hatte es allen gezeigt.
Damals wurde viel über Tarantinos Bildungsgeschichte in einer Videothek geschrieben. Mit seinem Buch "Cinema Speculation" gibt er sich nun allerdings nicht nur mit Wucht noch einmal als dieser Nerd zu erkennen, er betont auch, dass er im genuinen Sinn ein Kind des Kinos ist - und erst in zweiter Linie der VHS-Kassetten-Revolution der Achtzigerjahre. Denn sein Talent bildete sich wohl in so etwas wie einer produktiven Überforderung heraus: "Der kleine Q guckt die großen Filme" heißt das erste Kapitel. Es erzählt davon, dass Tarantino um 1970 in Los Angeles mit seiner alleinerziehenden Mutter und deren unterschiedlichen Begleitungen häufig ins Kino ging, in Filme für Erwachsene, bei denen der noch keine zehn Jahre alte Junge bald begriff, dass er keine altklugen Fragen stellen sollte, wollte er sich seinen Zugang zu nicht jugendfreiem Stoff nicht verderben. So sah er weit vor der Pubertät einen Kanon des amerikanischen Kinos, der bald unter der Chiffre eines New Hollywood eingeordnet wurde.
Neu war an diesem Hollywood vieles. Zum Beispiel ein offenerer Umgang mit Sexualität. Wobei "die hintergründigste und verstörendste brutale Sequenz im frühen Kino der Siebziger, die nicht von Sam Peckinpah inszeniert wurde", über diesen offeneren Umgang deutlich hinausging: In "Deliverance" von John Boorman sah Tarantino eine anale Vergewaltigung, in deren retrospektive Beschreibung sich das ganze Filmwissen mischt, das "Cinema Speculation" ausbreitet. Und zwar eben oft mit diesem komparatistischen Gestus, der direkt aus den Double Features zu erwachsen scheint: Tarantino sammelt die brutalsten Szenen von Peckinpah und hält sie gegen die brutalsten Szenen bei Don Siegel, John Flynn oder Martin Scorsese, reflektiert zugleich über den Charakter dieser filmischen Brutalität und über die Häufigkeit der eigenen Verwendung des Adjektivs "brutal". Es wird bei der Beschreibung der vielen "heftigen Filme" nun einmal sehr oft benötigt.
In den Vereinigten Staaten hatte sich in den Jahren, in denen der kleine Quentin ins Kino zu gehen begann, eine filmkritische Spielart entwickelt, die von der französischen Autorentheorie abgeschaut war, und die zum Listenwesen tendierte: Wenn ein Filmemacher einmal als Autor - also als Künstler - anerkannt war, dann musste man ihm einfach folgen, und bei jedem neuen Film überprüfen, ob er seinem Standard noch gerecht wurde. Tarantino schließt mit seiner leidenschaftlichen Filmgeschichte an diese katalogisierende Kanonisierung, die vor allem mit dem Namen Andrew Sarris verbunden ist, implizit an, lässt sie aber zugleich durch immer neue Differenzierungen explodieren. "Ach Quentin, Sie drehen aber auch wirklich jeden Stein um", sagt Walter Hill, selber einer der Regisseure, die ihren Status stark der Autorenkritik verdanken, einmal zu ihm.
In "Cinema Speculation" dreht Tarantino tatsächlich nahezu jeden Stein in einer Reihe von Kultfilmen um, die für ihn das Maß aller Dinge sind. Filme von ausschließlich männlichen Regisseuren, in deren Zentrum eine Konstellation von ein paar Namen steht, mit denen Tarantino dann auch konkret spekuliert. Denn zwischen Brian De Palma, Paul Schrader, Martin Scorsese und John Milius wandern Stoffe und Ideen so hin und her, dass "Taxi Driver" für Tarantino zu einer Art von hypothetischer Größe wird - ein Klassiker des Kinos, den er sich auch in allen denkbaren Varianten vorstellt, mit anderem Regisseur oder anderer Besetzung entscheidender Rollen.
In seinen Analysen spricht dabei immer schon auch der spätere Regisseur, der bei aller Intellektualität des Zugangs doch einen stark identifikatorischen Ansatz vertritt. "Schaut man einen Film, will man den Helden mögen." Für ihn zählt, ob und wie man an einer Figur dranbleibt, wie sehr man ihr vertraut oder sich umgekehrt ausschütten (oder "im Gang wälzen") muss vor Lachen, weil sie so unglaubwürdig oder unbeholfen konzipiert oder gespielt wird. "Cinema Speculation" ist so auch ein zwar idiosynkratischer, im Kern aber populärer Kurs für Filmanalysen, der von seinem ungeheuren Wissen profitiert.
Das Buch ist aber im Kern vor allem ungeheuer libidinös. Selten hat man die Konstellation des Mediums Kino, das ja Leib und Seele in einer kulturhistorisch davor ungekannten Weise beansprucht, so intensiv gespiegelt gesehen wie bei Tarantino. Man ist beinahe versucht, sein gigantisches Gedächtnis und seine unerschöpfliche Assoziationskraft dem überwältigenden Eindruck zuzurechnen, dem er als kleines Kind auch medientechnologisch ausgesetzt wurde. Den atemlosen Duktus seines Erinnerungsstroms hat Stephan Kleiner tapfer in ein Deutsch gebracht, das manchmal Züge latenter Parodie annimmt, wenn das amerikanische Englisch allzu wörtlich genommen wird ("Er wollte verdammt sein, wenn er ,The Getaway' drehte").
Den Höhepunkt erreicht die Kinospekulation in einem Kapitel über John Flynns "Rolling Thunder", den Film, auf den Tarantino die allergrößten Stücke hält. Das Drehbuch stammt von Paul Schrader, eine Szene daraus ließ sich nicht realisieren, dabei hätte sie wohl alles auf den Punkt gebracht, was damals an Männerphantasien im Neuen Hollywood im Umlauf war: Der Held, ein stark beschädigter Vietnam-Veteran, "steigt in seinen großen roten Cadillac und fährt zu einem texanischen Autokino, im dem ,Deep Throat' läuft. Während er sich den Pornofilm mit Linda Lovelace ansieht, schaut er zu dem Mann im Auto neben ihm hinüber, und es ist Travis Bickle!"
Männer allein in ihren Autos, der berüchtigte Pornoklassiker auf der Leinwand und der Held aus "Taxi Driver" im falschen respektive umso richtigeren Film - eine bessere Klitterung für das, was den kleinen Q noch im reiferen Alter umtreibt, ist kaum denkbar. Und so wird man sein Buch am besten nicht so sehr als Filmgeschichte lesen, sondern als eine Art Traumprotokoll, das durch große Luzidität, aber auch durch geniale Einseitigkeit fasziniert. BERT REBHANDL
Quentin Tarantino: "Cinema Speculation".
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner. Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2022. 400 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Tarantinos Film-Analysen sind derart leidenschaftlich, dass man sich fragt, was man falsch gemacht hat, wenn er Filme lobt, die man nicht mag, und sich freut, wenn er Filme in den Himmel hebt, die zu mögen man sich womöglich schämt.« Sassan Niasseri Rolling Stone 20221222