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Um Ciorans facettenreich geschliffenes, unruhig funkelndes Aphorismenwerk ist es still geworden. Spätestens seit dem Tod des Autors vor zehn Jahren, am 20. Juni 1995, droht die Auseinandersetzung mit den antisemitischen und hitlerfreundlichen Äußerungen des jungen Cioran die mit dem Werk zu überschatten. Patrice Bollons biographischer Essay über den"Ketzer"setzt an genau diesem Punkt ein. Statt Ciorans Jugendblindheit abzudrängen, zeigt Bollon, in welcher kulturellen und politischen Landschaft die frühen Artikel sowie jene verhängnisvolle Schrift über die"Verklärung Rumäniens"entstanden und…mehr

Produktbeschreibung
Um Ciorans facettenreich geschliffenes, unruhig funkelndes Aphorismenwerk ist es still geworden. Spätestens seit dem Tod des Autors vor zehn Jahren, am 20. Juni 1995, droht die Auseinandersetzung mit den antisemitischen und hitlerfreundlichen Äußerungen des jungen Cioran die mit dem Werk zu überschatten.
Patrice Bollons biographischer Essay über den"Ketzer"setzt an genau diesem Punkt ein. Statt Ciorans Jugendblindheit abzudrängen, zeigt Bollon, in welcher kulturellen und politischen Landschaft die frühen Artikel sowie jene verhängnisvolle Schrift über die"Verklärung Rumäniens"entstanden und wie Cioran sich in einer lebenslangen Auseinandersetzung mit ebendiesem Irrtum von den"blutigen Possen"der Utopie und von jedem Glauben zu befreien suchte - und so zu dem wurde, der er schließlich war: ein Meister der Klarheit, der Eleganz und der Gelassenheit.
Bollons fundiertes, fesselnd geschriebenes Porträt bietet die beste Einführung in Leben und Werk Ciorans, der, am 8. April 1911 im rumänischen Rasinari als Sohn eines Popen geboren, 1937 nach Paris übersiedelte. Anknüpfend an die Tradition der französischen Moralisten, verarbeitete er die eigenen überschwenglichen Anfänge und Abgründe und wurde zu einem der bedeutenden Schriftsteller und Stilisten der französischen Sprache.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Patrice Bollon, Kulturjournalist und Autor, lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2006

Das Festival der schlechten Laune
Lachen nach dem letzten Zweifel: Ein neues Buch erklärt den großen Weltverneiner E. M. Cioran

Hier eine kurze Lebensbeschreibung des Dichters und Philosophen E. M. Cioran: "Was tun Sie vom Morgen bis zum Abend? Ich erleide mich." Das ist alles? Das ist alles. Er hat das wohl dunkelste Werk des letzten Jahrhunderts geschrieben. Die Verzweiflung, die Weltverdammnis auf immer höhere Gipfel getrieben. Wer hat sich selbst, sein Leben in größeren Worten verdammt als dieser Mann, der schrieb: "Auf ewig sei der Stern verflucht, unter dem ich geboren wurde, möge keinerlei Himmel ihn schützen, möge er im Raum zerbröckeln und zerstieben! Und jener heimtückische Augenblick, der mich mitten unter die Geschöpfe stieß, möge auch er für immer ausgelöscht sein aus den Verzeichnissen der Zeit!"

Jetzt ist ein neues Buch über den Aphoristiker der größten Dunkelheit erschienen, über Cioran, der 1911 als Sohn eines Priesters im rumänischen Rasinari geboren wurde und 1995 in Paris als großer Gott- und Weltverneiner starb. Ciorans Bücher zu lesen ist noch heute ein großartiges Festival der schlechten Laune, der Klarsicht und der Illusionslosigkeit. Und immer wieder denkt man sich: Wie interessant wäre es, etwas mehr über sein Leben zu erfahren, über dieses Leben in der Dunkelheit der Gedanken, dieses Leben-trotz-alledem. Ihn selbst hat das bei den großen Philosophen am meisten interessiert: ihr Leben, das ist die wahre Philosophie. Als er den Journalisten Patrice Bollon traf, machte er ihm immer klar, daß das Leben die wahre Lehre sei, das Leben der Denker. Bollon schreibt: "Selbst wenn er über Literatur oder Philosophie sprach, es war stets etwas anderes, etwas Persönlicheres, aber auch Umfassenderes, allgemein Menschliches, was ihn fesselte. Der ,Fall' Nietzsches beschäftigte ihn unendlich viel mehr als dessen Untersuchungen über die Wahrheit und die Werte. Nietzsches gescheiterte Leidenschaft zu Lou Andreas-Salomé schien ihm in philosophischer Hinsicht fast ebenso wichtig wie ,Menschliches, Allzumenschliches'. Aus allem suchte er nicht die Moral herauszulesen, sondern eine Lehre, die in die Richtung dessen wies, was für ihn das höchste, letzte Ziel des Denkens darstellte: zu leben wissen, lernen zu existieren." Und als ihm Bollon von Wittgensteins Arbeit als Volksschullehrer berichtete, war er begeistert, bezeichnete sein Leben als "Meisterwerk" und forderte den Journalisten auf: "Statt Ihre Zeit mit dem Schreiben von Artikeln zu vergeuden, täten Sie besser daran, sich an eine Lebensbeschreibung Wittgensteins zu machen, so, wie man früher ,Heiligenviten' verfaßte: Das wäre unterhaltender und sehr viel philosophischer obendrein."

Bollon ignorierte den Ratschlag. Er hat lieber das Werk und Leben Ciorans aufgeschrieben, nicht als Heiligenlegende, aber im Geiste einer tiefen Liebe und Bewunderung für dieses klarsichtige Werk eines Mannes, der der Welt auf den Grund gesehen hatte, nichts fand und doch weiterlebte, weiterschrieb, gegen den Selbstmord, gegen das Nichts, gegen die Verzweiflung. Bollon beschreibt, was Cioran am Anfang seines Schreibens in Rumänien und in seinen deutschen Jahren 1934 und 1935 in die Hände der Nazis trieb, was ihn Hitler bewundern ließ und die Juden hassen. Passagen, die bei anderen Cioran-Bewunderern gerne als unerhebliche Jugendsünden abgetan werden, stellt Bollon ins Zentrum, beschreibt, wie aus dem unbedingten Vitalismus, der Lebensbegeisterung, der Verehrung des Irrationalen die Bewunderung für Hitler entstehen konnte.

Cioran selbst hatte damals geschrieben: "Wenn mir etwas bei den Anhängern Hitlers gefällt, so ist es der Kult des Irrationalen, die Verherrlichung der Lebenskraft als solcher, das mannhafte Ausgreifen der Kräfte, ohne kritischen Geist, ohne Vorbehalte und ohne Beherrschung." Und wie er sich aus diesen Verfehlungen befreite, der Lebensemphase, der Leidenschaft in allem Schreiben immer treu blieb, aber bei alldem der absolut unabhängigste, alleinstehende, immer zweifelnde, alles bezweifelnde Geist Frankreichs wurde, des Landes, in das er Ende der dreißiger Jahre übergesiedelt war.

Die Lebensemphase blieb und das Unglück, aus dem es keinen Ausweg gab, auch nicht in der Politik, erst recht nicht in der Politik. Die Schwäche war interessanter als die Stärke. Seine Abwendung von den Weisheiten der Philosophie hat er einmal so begründet: "Meine Abkehr von der Philosophie geschah in dem Augenblick, da ich die Unmöglichkeit erkannte, bei Kant auch nur die geringste menschliche Schwäche, auch nur den leisesten Hauch wahrer Trauer zu entdecken. Weder bei Kant noch bei irgendeinem anderen Philosophen entdeckte ich sie. Das Leben fast aller Philosophen ist gut ausgegangen: darin liegt das stärkste Argument gegen die Philosophie."

Nur die Pessimisten kann Cioran ertragen. Je mehr er sie lese, um so mehr liebe er das Leben. "Nachdem ich Schopenhauer gelesen habe, führe ich mich wie ein frisch Verlobter auf", schreibt er; der einzige, aber entscheidende Denkfehler Schopenhauers sei gewesen, aus seiner Grundüberzeugung, das Leben sei nur Traum und Schein, nicht die Folgerung zu ziehen, diese Illusion zu fördern, sondern sie immer entlarven zu wollen und die Leser glauben zu machen, es gebe etwas anderes als sie. Es gibt nichts anderes, und es geht darum, Nein zu sagen zum Leben und es doch zu leben bis zum Schluß, die Verzweiflung auszuhalten und immer wieder das große Lachen zu finden im tiefsten Unglück und immer wieder an allem zu zweifeln: "Der Schriftsteller Henri Thomas sagte mir einmal: ,Sie sind gegen alles, was seit 1920 passiert ist', und ich antwortete: ,Nein, seit Adam!'"

Ein Leben gegen alles, ein Schreiben gegen alles, in dem scheinbare Widersprüche problemlos eingeebnet werden durch die Kraft der Sprache und den Überwältigungswillen, der noch im kleinsten Aphorismus lebt. Cioran hat den Akt des Schreibens einmal so beschrieben: "Gewöhnlich beginnt das folgendermaßen: ein leichtes Zittern, das immer heftiger wird, wie nach einer Beleidigung, die man eingesteckt hat, ohne sie zu erwidern. Formulieren heißt verspätete Gegenrede oder eben aufgeschobene Aggression; ich schreibe, um nicht zur Tat zu schreiten."

Für Bollon ist Cioran der "Ketzer", der Denker, der nichts so sehr verachtete und verhöhnte wie die Religionen, denen er trotzdem etwa ein Drittel seines Werkes widmete, der jede politische, philosophische, lebensweise Überzeugung mit Spott und Lachen überzog. "Er ist ein Gegengift", schreibt Bollon. "Es dürfte schwerfallen, eine Denkart zu finden, die dermaßen frei ist von dem geringsten Zugeständnis an die Mächte und Konformismen der Zeit, die im Gegensatz zu ihnen steht, unzeitgemäß."

Und das schönste beim Lesen all der Bücher Ciorans, all der verzweifelten, alles durchschauenden Aphorismen, ist noch heute das Lachen überall, das Lachen nach dem letzten Zweifel: "Es kommt die Stunde", hat er einmal geschrieben, "da der Skeptiker, nachdem er alles in Frage gestellt hat, nichts mehr findet, woran er zweifeln könnte; dann erst hebt er sein Urteil allen Ernstes auf. Was bleibt ihm noch übrig? Sich zu vergnügen oder dumpf zu werden." Cioran hat sich immer für das Vergnügen entschieden.

VOLKER WEIDERMANN

Patrice Bollon: "Cioran - Der Ketzer". Aus dem Französischen von Ferdinand Leopold. Suhrkamp 2006. 362 Seiten, 24,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine Verteidigungsschrift sei diese Biografie, aber zugleich eine, die die inkriminierte Zeit des frühen Emile Cioran umfänglich aufklärt, lobt Rezensent Karl-Markus Gauss. Patrice Bollon schließe sich weitgehend der Autointerpretation Ciorans an, der sein französisch geschriebenes Werk ab 1947 als eine lebenslange "Selbstheilung" verstanden wissen wollte. Der interessantere Teil der Biografie ist für den Rezensenten gleichwohl derjenige, der sich mit der Zeit vor der vermeintlichen Läuterung befasst. Beispielsweise habe Cioran vier Jahre nach seiner legendären Hetzschrift "Die Verklärung Rumäniens" immer noch die gleichen inhumanen Anschauungen vertreten, als sie 1940 auf den Straßen von Bukarest schon längst blutig umgesetzt wurden. Der Heilungstheorie von Patrice Bollons Biografie gegenüber gibt sich der Rezensent skeptisch, eher sieht er in der Wandlung von einem fanatischen Hetzer zu einem fanatischen Ketzer eine schlecht kaschierte Lebenslüge. "Faszinierend" am späten Cioran sei ohnehin nicht der Inhalt seiner Schriften, sondern deren Stil. Und dort, wo spannende Gedanken auftauchten, so der Rezensent, würden sie weniger durch Denken als durch die rhetorischen Stilmittel wie Paradoxien generiert.

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