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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2009

Zwischen den Fronten
David Benioffs vorzüglich anzügliche Abenteuerstory

Die Erinnerungen des Großvaters, der Zweite Weltkrieg, Russland: der Roman will sich offenbar vom Trauma nähren. Der Autor wird den Opa vom Kampf berichten lassen oder sein eigenes Los als jahrelanger Adressat der alten Geschichten weitergeben, indem er den Leser mit ins U-Boot holt. Das zumindest verspricht das Gerüst von "Stadt der Diebe". Der Roman hält dieses Versprechen nicht, glücklicherweise. Denn der Großvater, vom schreibgewandten, aber -blockierten Enkel zur inspirierenden Kriegsberichterstattung gezwungen, will partout nicht ins Detail gehen. Und so beendet er die private Geschichtsstunde (und damit die Einleitung des Buchs) mit einem einleuchtenden "David, du bist der Schriftsteller. Denk dir was aus."

Dieser David, das ist David Benioff, ein ehemaliger Türsteher, der heute als Autor ("25th Hour") in New York lebt, wo er 1970 als Sohn von Stephen Friedman, dem früheren Chef von Goldman Sachs, geboren wurde. Mit seiner Filmstarfrau Amanda Peet wohnt Benioff zuweilen auch in Los Angeles, wo er sich regelmäßig mit Bond-Regisseur Marc Foster trifft, der zwei seiner Drehbücher, "Stay" und "Drachenläufer", verfilmt hat. Dieser David also, der genug über seine Hollywood-Gegenwart zu erzählen hätte, denkt sich statt eines Alter Ego den jungen russischen Juden Lew als Alter Opa aus.

Lew ist siebzehn und überlebt so vor sich hin, im Leningrad des Jahres 1942. Die Deutschen haben die Stadt eingekesselt, Kälte und Hunger treibt die einen in Tod oder Kannibalismus, die anderen in die Verzweiflung. Eines Nachts sieht Lew ein Care-Paket der makabren Sorte vom Himmel gleiten: einen toten deutschen Piloten. Als er die Leiche nach Essen durchsucht, wird er verhaftet. Dem Plünderer droht die Todesstrafe, doch der Oberst hat andere Pläne mit ihm: Lew soll mit einem anderen Gefangenen, dem vermeintlichen Deserteur Kolja, auf Eiersuche gehen. Ungeachtet der krepierenden Stadt will der Oberst seiner Tochter eine Torte zur Hochzeit schenken. Ein Dutzend Eier soll der halbwüchsige, jungfräuliche Autorensohn Lew gemeinsam mit dem halbstarken, altklugen Möchtegernautor Kolja auftreiben. Als Belohnung winkt die Freiheit. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Bald wird den beiden bewusst, dass die Suche sie an Orte führen wird, wo Diebe die harmlosesten Verbrecher sind.

Benioff erzählt eine klassische, vorzügliche wie anzügliche Abenteuergeschichte. Er euphemisiert nicht den Horror der Kulisse, ignoriert aber auch nicht die kriegsmissachtende Komödie der Pubertät. So stapfen Lew und Kolja durch Schnee, Blut, Betten und Fettnäpfe, in den heitersten Momenten als lausbubenhaftes Narziss-und-Goldmund-Gespann, in den bittersten als Flucht-in-Ketten-Getriebene. So gelingt Benioff trotz eindimensionaler Figuren und trotz der Vorhersehbarkeit der Geschichte ein spannendes Werk. Denn je näher die groteske Hochzeit in Leningrad rückt, je furioser sich das naive Duo zwischen den Fronten durchschlägt, je weiter sich die Geschichte von Kriegshistorie entfernt und zur Großvaterbiographie entwickelt, desto gebannter rast der Leser durch das Buch, durch die Stadt, durch die Jugendepisode des alten Mannes. Und blättert dennoch vorsichtig um, auf dass die hektische Lektüre die verfluchten Eier nicht zerschlägt.

MARTIN WITTMANN

David Benioff: "Stadt der Diebe". Roman. Aus dem Englischen von Ursula-Maria Mössner. Blessing Verlag, München 2009. 384 S., geb., 19,95 [Euro].

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