Clara Schumann, geborene Wieck (1819 - 1896), war ein Star - lebenslang. Von Kindesbeinen an stand sie im Rampenlicht. Sie wirkte das ganze 19. Jahrhundert hindurch nicht nur auf die Klavierszene in Deutschland und England ein, sondern gestaltete auchdie musikalische Repertoire- und Kanonbildung mit, die zu einem wichtigen Baustein der nationalen kulturellen Identität werden sollte. Nahezu ihre gesamten Aktivitäten (konzertieren, komponieren, unterrichten und editieren) spielten sich öffentlich ab. Ihr gelang eine beispiellose Künstlerkarriere, die vom ersten öffentlichen Auftritt 1828 bis zum 60-jährigen Konzertjubiläum 1888 durch die Presse begleitet wurde. Das öffentliche Echo strahlte auf ihr privates Leben zurück und beeinflusste ihre Selbstsicht und Handlungsweisen, so dass sich eine komplexe Wechselwirkung zwischen öffentlicher und privater Selbstkonstitution entspann. In frühen Jahren verkörperte sie als Virtuosin auf der Bühne den tugendhaften, anmutigen Mädchentypus wie
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2010Mit Sexualbuchhaltung
Janina Klassen bläst Clara Schumann den Marsch
Mit einer Buchreihe über "Europäische Komponistinnen" gedenkt der Böhlau Verlag "eine wichtige Lücke in der musik- und kulturwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung" zu schließen. Geplant sind 24 Bände. Der siebte ist Clara Schumann gewidmet. "Wie wünsche ich mir meine Heldin?", fragt Janina Klassen nach ihrem fast fünfhundert Seiten langen Lebensbericht in einer Meditation über "biografisches Schreiben" und zitiert eine Psychologin, die ihr sagte: "Sie lieben Sie ja."
Auch wenn die Autorin diese Einschätzung zurückweist, ist die affektive Bindung an ihre Heldin jederzeit zu spüren. Auffällig ist dabei das Bestreben, nicht nur der Klavierkönigin zu huldigen, die fast so lange herrschte wie die englische Monarchin Victoria und für das bürgerliche Konzertleben richtungweisend war, sondern der Versuch einer Rangerhöhung der Komponistin und ein Loblied auf eine Kämpferin für "die weibliche Autonomie im 19. Jahrhundert", auch auf die Ehefrau und achtfache Mutter.
Das ambitiöse Ziel der Freiburger Professorin für Musikwissenschaft war wohl die Verbindung von Künstler- und Gesellschaftsbiographie vor dem Hintergrund einer Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Sie berichtet über Weiblichkeitsideale, die einerseits von Königinnen, andererseits von Herrscherinnen auf dem Podium verkörpert wurden; über den Kult, in dessen Mittelpunkt der "Künstler-Held" oder das weibliche Wunderkind standen; über die peinvolle Kindheit und Jugend Claras unter der Fuchtel ihres despotischen Vaters, der die Tochter für sein pädagogisches Projekt der Wunderkinderziehung missbrauchte und in einem verdächtigen Wahn von Eifersucht versuchte, ihre "Schritte in die Selbständigkeit" - insbesondere die Heirat mit Robert Schumann - zu unterbinden.
Janina Klassen schildert, oft nicht weit vom "Biographismus" bunter Blätter entfernt, Szenen der zur hehren Künstlergemeinschaft stilisierten, aber durchaus nicht immer harmonischen Ehe; widmet sich - "Herr Kirchner und Johannes" - delikaten Beziehungsfragen und folgt den Spuren einer musikalischen "Handlungsreisenden", die zur Ikone und Repräsentantin einer "deutschen" Kultur wird, deren Allmachtsphantasien fatale politische Folgen zeitigten.
Doch entsteht durch die Anhäufung von Anekdoten und Berichten, von Zitaten aus Briefen, Haushalts- und Tagebüchern oder auch aus der "Sexualbuchhaltung" Robert Schumanns auf der einen Seite und die vagen und ungenauen Hinweise auf die Mentalitätsgeschichte und den Strukturwandel der Öffentlichkeit auf der anderen lediglich ein verwirrendes Allerlei. Formulierungen wie "man dachte", "man fühlte", "man empfand" taugen im Kontext einer Mentalitätsgeschichte so wenig wie die nie konkreten Hinweise auf "einschlägige" Gerüchte, Meinungen, Zeitungen.
Eine Liste der sprachlichen, also gedanklichen Entgleisungen wäre umfänglicher als das gesamte Register Leporellos. Stattdessen ein leicht variierter Satz von Karl Kraus als Resümee: Musikwissenschaftler, "die über den Wissensdurst getrunken haben, sind eine gesellschaftliche Plage".
JÜRGEN KESTING
Janina Klassen: "Clara Schumann". Musik und Öffentlichkeit. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009. 536 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Janina Klassen bläst Clara Schumann den Marsch
Mit einer Buchreihe über "Europäische Komponistinnen" gedenkt der Böhlau Verlag "eine wichtige Lücke in der musik- und kulturwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung" zu schließen. Geplant sind 24 Bände. Der siebte ist Clara Schumann gewidmet. "Wie wünsche ich mir meine Heldin?", fragt Janina Klassen nach ihrem fast fünfhundert Seiten langen Lebensbericht in einer Meditation über "biografisches Schreiben" und zitiert eine Psychologin, die ihr sagte: "Sie lieben Sie ja."
Auch wenn die Autorin diese Einschätzung zurückweist, ist die affektive Bindung an ihre Heldin jederzeit zu spüren. Auffällig ist dabei das Bestreben, nicht nur der Klavierkönigin zu huldigen, die fast so lange herrschte wie die englische Monarchin Victoria und für das bürgerliche Konzertleben richtungweisend war, sondern der Versuch einer Rangerhöhung der Komponistin und ein Loblied auf eine Kämpferin für "die weibliche Autonomie im 19. Jahrhundert", auch auf die Ehefrau und achtfache Mutter.
Das ambitiöse Ziel der Freiburger Professorin für Musikwissenschaft war wohl die Verbindung von Künstler- und Gesellschaftsbiographie vor dem Hintergrund einer Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Sie berichtet über Weiblichkeitsideale, die einerseits von Königinnen, andererseits von Herrscherinnen auf dem Podium verkörpert wurden; über den Kult, in dessen Mittelpunkt der "Künstler-Held" oder das weibliche Wunderkind standen; über die peinvolle Kindheit und Jugend Claras unter der Fuchtel ihres despotischen Vaters, der die Tochter für sein pädagogisches Projekt der Wunderkinderziehung missbrauchte und in einem verdächtigen Wahn von Eifersucht versuchte, ihre "Schritte in die Selbständigkeit" - insbesondere die Heirat mit Robert Schumann - zu unterbinden.
Janina Klassen schildert, oft nicht weit vom "Biographismus" bunter Blätter entfernt, Szenen der zur hehren Künstlergemeinschaft stilisierten, aber durchaus nicht immer harmonischen Ehe; widmet sich - "Herr Kirchner und Johannes" - delikaten Beziehungsfragen und folgt den Spuren einer musikalischen "Handlungsreisenden", die zur Ikone und Repräsentantin einer "deutschen" Kultur wird, deren Allmachtsphantasien fatale politische Folgen zeitigten.
Doch entsteht durch die Anhäufung von Anekdoten und Berichten, von Zitaten aus Briefen, Haushalts- und Tagebüchern oder auch aus der "Sexualbuchhaltung" Robert Schumanns auf der einen Seite und die vagen und ungenauen Hinweise auf die Mentalitätsgeschichte und den Strukturwandel der Öffentlichkeit auf der anderen lediglich ein verwirrendes Allerlei. Formulierungen wie "man dachte", "man fühlte", "man empfand" taugen im Kontext einer Mentalitätsgeschichte so wenig wie die nie konkreten Hinweise auf "einschlägige" Gerüchte, Meinungen, Zeitungen.
Eine Liste der sprachlichen, also gedanklichen Entgleisungen wäre umfänglicher als das gesamte Register Leporellos. Stattdessen ein leicht variierter Satz von Karl Kraus als Resümee: Musikwissenschaftler, "die über den Wissensdurst getrunken haben, sind eine gesellschaftliche Plage".
JÜRGEN KESTING
Janina Klassen: "Clara Schumann". Musik und Öffentlichkeit. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2009. 536 S., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ziemlich harsch kritisiert Jürgen Kesting diese Biografie Clara Schumanns, die die Freiburger Musikwissenschaftlerin Janina Klassen in der Reihe "Europäische Komponistinnen" vorgelegt hat. Denn auch wenn die Autorin sich eine Künstler- und Gesellschaftsbiografie zum Ziel gesetzt habe, sei sie nicht weit vom "Biografismus bunter Blätter" entfernt: Aneinandergereiht fand Rezensent Kesting immer wieder Anekdoten, Briefe, Gerüchte über Claras Künstlerehe mit Robert Schumann, dessen Sexualbuchhaltung oder eine mögliche Affäre mit Brahms. Schließlich moniert Kesting auch sprachliche Schwächen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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