Eine fulminante Satire auf den American Way of Life.
Typisch Dische - witzig, frech und entlarvend
Clarissa, eine junge amerikanische Emigrantin, hat sich dummerweise in den falschen Mann verliebt. Mehr als zehn Jahre lebte sie in Europa, hat ohne Heimweh das Leben genossen. Aber Liebeskummer bringt sie dazu, spontan in ein Flugzeug zu steigen, um sich in New York zu kurieren. Mitten in einem erhitzten Wahljahrsfrühling landet sie jedoch stattdessen in Miami. Über immer weitere Männer nähert sie sich auf erstaunlichen Umwegen ihrem eigentlichen Ziel. Für Politik interessiert sie sich wenig, aber der Zufall will es, dass sie tief in die Wahlschlacht hineingerät. Und dabei ist es gerade ihr völliges politisches Desinteresse, das sie Dinge sehen lässt, die niemand anderes wahrnimmt ...
Typisch Dische - witzig, frech und entlarvend
Clarissa, eine junge amerikanische Emigrantin, hat sich dummerweise in den falschen Mann verliebt. Mehr als zehn Jahre lebte sie in Europa, hat ohne Heimweh das Leben genossen. Aber Liebeskummer bringt sie dazu, spontan in ein Flugzeug zu steigen, um sich in New York zu kurieren. Mitten in einem erhitzten Wahljahrsfrühling landet sie jedoch stattdessen in Miami. Über immer weitere Männer nähert sie sich auf erstaunlichen Umwegen ihrem eigentlichen Ziel. Für Politik interessiert sie sich wenig, aber der Zufall will es, dass sie tief in die Wahlschlacht hineingerät. Und dabei ist es gerade ihr völliges politisches Desinteresse, das sie Dinge sehen lässt, die niemand anderes wahrnimmt ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2009Obama und ich
Betrachtungen einer Unpolitischen: Irene Dische stolpert mit ihrer Heldin durch den amerikanischen Wahlkampf des Jahres 2008.
Von Sandra Kegel
Ihre Sprachphantasie und ihr Wortwitz sind auch in ihrem neuen Buch unverkennbar. Irene Dische beherrscht den urbanen Sound, ungeduldig und frech klingt das, melodramatisch und mit einem Schuss Zynismus. Die gebürtige New Yorkerin, die in einem jüdischen Elternhaus samt katholischem Kindermädchen groß wurde und zeitweise in Berlin lebt, schreibt auf Englisch, ist aber vor allem hierzulande berühmt. Ihr unerschöpfliches Reservoir an Ideen verdankt sich nicht zuletzt diesem reichen und disparaten Erfahrungsschatz, gepaart mit einem scharfen Blick auf die Welt. Auch in dieser satirischen road novel zündet sie also wieder ein Feuerwerk der erzählerischen Einfälle und bizarren Beobachtungen. Trotzdem macht es sich die Autorin, die ihre fünfunddreißigjährige Heldin hier während des Wahlkampfs 2008 durch Amerika schickt, zu einfach.
Auch Clarissa wurde in New York geboren, als Tochter polnischer Juden, die dem Holocaust entkamen, und wie ihre Schöpferin kam sie in jungen Jahren nach Deutschland. Doch damit hat es sich schon mit der Ähnlichkeit. Denn so gewitzt diese jewish princess auch ist, interessiert sie sich doch vor allem für Oberflächen: für Motorhauben von Luxuslimousinen ebenso wie für ihren dank der modernen Medizin flach gewordenen Bauch und natürlich ihr makelloses Äußeres: "Ich mag hell erleuchtete Räume, damit man mich wirklich sieht." Grund für "Clarissas empfindsame Reise", der Titel spielt auf Laurence Sternes Klassiker der Reiseliteratur an, ist eine unglückliche Liebe. Verheiratet mit einem Berliner Handchirurgen, den Clarissa vor allem wegen seiner Kreditkarte schätzt, hat sie ihr Herz an einen russischen Lyriker verloren, der sie leider sitzenließ. In Florida will sie sich rächen, indem sie einen noch "berühmteren" Dichter zu treffen versucht, denn, so ist sie überzeugt: "Sich zu verlieben ist eine Begabung, und ich habe sie."
Statt der erhofften Liaison beginnt die Odyssee, und die Ich-Erzählerin stolpert von einer grotesken Situation in die nächste: Sie gerät auf Partys mit den Reichen und Mächtigen des Kontinents, und schon ein paar Seiten später sitzt sie in einer heruntergekommenen Trailor-Siedlung, wo Hinterwäldler sich zum Bibelkreis treffen. Clarissas Weg kreuzt Sexshops und politische Veranstaltungen, Kosmetikstudios und Obamas Wahlkampfzentrale. Dieses Amerika, so viel ist sogar der egozentrischen Hauptfigur bald klar, ist vom Fieber gepackt. Die Aussicht, dass ein Schwarzer erstmals in der Geschichte Präsident werden könnte, versetzt Freunde wie Feinde des Bewerbers in Hysterie. Nur Clarissa kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Ich habe viel größere Probleme als jemand, der ein Land regieren soll."
Irene Dische erzählt das alles in einem rasanten Tempo. Flott wechselt die Protagonistin die Transportmittel, vom Auto geht es in den Bus, zwischendrin ist sie mal zu Fuß unterwegs, dann wieder im Flugzeug, das sie zuletzt nach Anchorage bringen wird. Dort wartet ein bärenmordendes Mannsbild auf die junge Frau, und es kommt beinah zu einer Vergewaltigung - es ist niemand anderes als der Gatte von Sarah Palin.
Mit dem schonungslosen Blick der Unbedarften will Irene Dische die geschönten Fassaden der amerikanischen Doppelmoral wegreißen. Das zu lesen ist über weite Strecken amüsant, doch neben plumpen Gags wie jenem "Mr. Alaska" sowie der Tatsache, dass man einige der witzigsten Beobachtungen bereits aus einem Artikel der Autorin über ihre Erfahrungen als Wahlhelferin kennt, erliegt sie hier noch einer ganz anderen Problematik, nämlich der des aktualistischen Schreibens.
Wer sich als Romancier so sehr auf das Zeitgeschehen festlegt, muss damit rechnen, von ihm überholt zu werden. Freilich konnte Irene Dische nicht ahnen, wie sehr sich ihr Heimatland verändern würde. Amerika heute ist ein anderes Land als noch vor wenigen Monaten. Auch dieses Buch ist deshalb ein Opfer der Krise geworden: Angesichts der neuen Weltsituation klingt eine Erzählung über Akzeptanzprobleme, die Obama während des Wahlkampfs hatte, wie ein Märchen aus der guten alten Zeit.
Überdies hat Irene Dische die dramaturgische Zuspitzung und die emotionalen Effekte so arrangiert, dass die Geschichte oft über die Zweidimensionalität der Satire nicht hinauskommt. Die vielen Figuren, die den Weg der Heldin kreuzen, sind bloß Mittel zum Zweck. Sie mögen eine Weltsicht vermitteln, einen way of living verkörpern. Atmen aber hören wir sie niemals. Und sie besitzen keine empfindsamen Nervenenden, das freilich verbindet sie mit Clarissa.
Irene Dische: "Clarissas empfindsame Reise". Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009. 160 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Betrachtungen einer Unpolitischen: Irene Dische stolpert mit ihrer Heldin durch den amerikanischen Wahlkampf des Jahres 2008.
Von Sandra Kegel
Ihre Sprachphantasie und ihr Wortwitz sind auch in ihrem neuen Buch unverkennbar. Irene Dische beherrscht den urbanen Sound, ungeduldig und frech klingt das, melodramatisch und mit einem Schuss Zynismus. Die gebürtige New Yorkerin, die in einem jüdischen Elternhaus samt katholischem Kindermädchen groß wurde und zeitweise in Berlin lebt, schreibt auf Englisch, ist aber vor allem hierzulande berühmt. Ihr unerschöpfliches Reservoir an Ideen verdankt sich nicht zuletzt diesem reichen und disparaten Erfahrungsschatz, gepaart mit einem scharfen Blick auf die Welt. Auch in dieser satirischen road novel zündet sie also wieder ein Feuerwerk der erzählerischen Einfälle und bizarren Beobachtungen. Trotzdem macht es sich die Autorin, die ihre fünfunddreißigjährige Heldin hier während des Wahlkampfs 2008 durch Amerika schickt, zu einfach.
Auch Clarissa wurde in New York geboren, als Tochter polnischer Juden, die dem Holocaust entkamen, und wie ihre Schöpferin kam sie in jungen Jahren nach Deutschland. Doch damit hat es sich schon mit der Ähnlichkeit. Denn so gewitzt diese jewish princess auch ist, interessiert sie sich doch vor allem für Oberflächen: für Motorhauben von Luxuslimousinen ebenso wie für ihren dank der modernen Medizin flach gewordenen Bauch und natürlich ihr makelloses Äußeres: "Ich mag hell erleuchtete Räume, damit man mich wirklich sieht." Grund für "Clarissas empfindsame Reise", der Titel spielt auf Laurence Sternes Klassiker der Reiseliteratur an, ist eine unglückliche Liebe. Verheiratet mit einem Berliner Handchirurgen, den Clarissa vor allem wegen seiner Kreditkarte schätzt, hat sie ihr Herz an einen russischen Lyriker verloren, der sie leider sitzenließ. In Florida will sie sich rächen, indem sie einen noch "berühmteren" Dichter zu treffen versucht, denn, so ist sie überzeugt: "Sich zu verlieben ist eine Begabung, und ich habe sie."
Statt der erhofften Liaison beginnt die Odyssee, und die Ich-Erzählerin stolpert von einer grotesken Situation in die nächste: Sie gerät auf Partys mit den Reichen und Mächtigen des Kontinents, und schon ein paar Seiten später sitzt sie in einer heruntergekommenen Trailor-Siedlung, wo Hinterwäldler sich zum Bibelkreis treffen. Clarissas Weg kreuzt Sexshops und politische Veranstaltungen, Kosmetikstudios und Obamas Wahlkampfzentrale. Dieses Amerika, so viel ist sogar der egozentrischen Hauptfigur bald klar, ist vom Fieber gepackt. Die Aussicht, dass ein Schwarzer erstmals in der Geschichte Präsident werden könnte, versetzt Freunde wie Feinde des Bewerbers in Hysterie. Nur Clarissa kann die ganze Aufregung nicht verstehen: "Ich habe viel größere Probleme als jemand, der ein Land regieren soll."
Irene Dische erzählt das alles in einem rasanten Tempo. Flott wechselt die Protagonistin die Transportmittel, vom Auto geht es in den Bus, zwischendrin ist sie mal zu Fuß unterwegs, dann wieder im Flugzeug, das sie zuletzt nach Anchorage bringen wird. Dort wartet ein bärenmordendes Mannsbild auf die junge Frau, und es kommt beinah zu einer Vergewaltigung - es ist niemand anderes als der Gatte von Sarah Palin.
Mit dem schonungslosen Blick der Unbedarften will Irene Dische die geschönten Fassaden der amerikanischen Doppelmoral wegreißen. Das zu lesen ist über weite Strecken amüsant, doch neben plumpen Gags wie jenem "Mr. Alaska" sowie der Tatsache, dass man einige der witzigsten Beobachtungen bereits aus einem Artikel der Autorin über ihre Erfahrungen als Wahlhelferin kennt, erliegt sie hier noch einer ganz anderen Problematik, nämlich der des aktualistischen Schreibens.
Wer sich als Romancier so sehr auf das Zeitgeschehen festlegt, muss damit rechnen, von ihm überholt zu werden. Freilich konnte Irene Dische nicht ahnen, wie sehr sich ihr Heimatland verändern würde. Amerika heute ist ein anderes Land als noch vor wenigen Monaten. Auch dieses Buch ist deshalb ein Opfer der Krise geworden: Angesichts der neuen Weltsituation klingt eine Erzählung über Akzeptanzprobleme, die Obama während des Wahlkampfs hatte, wie ein Märchen aus der guten alten Zeit.
Überdies hat Irene Dische die dramaturgische Zuspitzung und die emotionalen Effekte so arrangiert, dass die Geschichte oft über die Zweidimensionalität der Satire nicht hinauskommt. Die vielen Figuren, die den Weg der Heldin kreuzen, sind bloß Mittel zum Zweck. Sie mögen eine Weltsicht vermitteln, einen way of living verkörpern. Atmen aber hören wir sie niemals. Und sie besitzen keine empfindsamen Nervenenden, das freilich verbindet sie mit Clarissa.
Irene Dische: "Clarissas empfindsame Reise". Roman. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2009. 160 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Keine Frage: Rezensentin Sandra Kegel ist enttäuscht. Irene Dische, deren Qualitäten sie durchaus zu schätzen weiß, schreibt hier für die Begriffe der Rezensentin ganz eindeutig unter ihrem Niveau. Nicht, dass es an guten Beobachtungen und "erzählerischen Einfälle" ganz und gar fehlt; die Rechnung, sich dem Gegenwarts-Amerika mit diesem satirischen Roman zu nähern, gehe dennoch nicht auf. Zum einen, weil Dische der Gefahr des "Aktualismus" nicht entkomme. Manche Szene aus dem Obama-Wahlkampf sei nun, zur Veröffentlichung, längst überholt. Es kommt dazu, dass manche satirische Wendung es sich mit den kritisierten Figuren und Zuständen allzu leicht macht, so Kegel. Etwa wenn ein als Ehemann Sarah Palins erkennbares "bärenmordendes Mannsbild" unversehens zum Beinahe-Vergewaltiger werde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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