Alberto Moravia, 53, hatte gerade seinen Welterfolg Die Langeweile veröffentlicht, sich von seiner Frau getrennt und die junge Dacia Maraini kennengelernt. Claudia Cardinale, 23, war seit Viscontis Rocco und seine Brüder ein Star. Das Interview, das die Zeitschrift Esquire in Auftrag gegeben hatte, fand im Mai 1961 in Moravias Arbeitszimmer statt. Der alternde Dichter saß tippend an der Schreibmaschine und war von der Situation so fasziniert, dass ihm die Schreibmaschine immer wieder zu Boden fiel. Moravia eröffnet das Interview mit der Bemerkung, er interessiere sich weder für Claudia Cardinales Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft noch für ihre Meinung über Politik, Liebe, Kunst, Frauen und Männer, sondern wolle sie als Objekt im Raum , als physische Erscheinung befragen, durch die allein sie sich von allen anderen Menschen unterscheide. Die junge, schüchterne Schauspielerin wirft den Ball zurück und beginnt sich zu beschreiben: Haare, Hals, Mund, Schultern, Brust, Hände, Hüften, Beine wie sie sich morgens an- und abends auszieht, sich schminkt und abschminkt, ins Bett legt Einem modernen Sokrates gleich, leitet Moravia aus den um Objektivität und Genauigkeit bemühten Antworten seine Theorien über die Natur des Menschen, über Schlaf, Traum und Wirklichkeit, das Leben und die Liebe ab. Zu Moravias Schlussfolgerungen mag man stehen, wie man will, der erotischen Wirkung, die Claudia Cardinales minutiöse Beschreibung ihres Körpers und ihres Schlafzimmers ausübt, kann man sich nicht entziehen. Moravia und seiner Schreibmaschine ging es genauso.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2010Moravia trifft Cardinale – ein Traum aus Fleisch und Blut
Eine kleine Privatvorführung ist dieses Buch, ein kleiner Zauber-Akt, eine subtile illusionistische Performance. Ein Mann – Alberto Moravia, der Autor als Magier – bringt eine Frau zur Erscheinung – die junge Claudia Cardinale – und lässt sie dann wieder verschwinden ( Alberto Moravia: Claudia Cardinale. Ein etwas ungewöhnliches Gespräch. Aus dem Italienischen von Sophia Marzolff. SchirmerMosel Literatur, München 2010. 86 S., 12,80 Euro ).
Das Gespräch fand 1961 statt und erschien erstmals auf Englisch in der Mai-Nummer des Esquire . Cardinale war 23, Moravia 53 Jahre alt, er war dabei, sich von seiner Frau, der Schriftstellerin Elsa Morante, zu trennen, hatte sich in die junge Dacia Maraini verliebt, nur zwei Jahre älter als Cardinale. Kurz nach dem Gespräch drehte Cardinale zwei ihrer wichtigsten Filme, „Der Leopard“ von Visconti und „Achteinhalb“ von Fellini. (Das Foto oben zeigt sie in „Vaghe stelle dell’orsa“, 1965, von Visconti. Foto: Cinetext Bildarchiv.)
Ein Gespräch, das sich als Gegenstandsbeschreibung versteht, und der Gegenstand ist Claudia Cardinale, „ein Gegenstand im Sinne von Objekt, also das Gegenteil eines Subjekts“. Das heißt, Moravia will nichts von der Vergangenheit der jungen Frau wissen, von ihrer Gegenwart und Zukunft, ist nicht interessiert an ihrer Starqualität, an Ansichten zu Politik oder Liebe oder Kunst, den bisherigen Filme und den künftigen Projekten, all das also, „was offenbar das unverzichtbare Material von Interviews darstellt“. Keine Innenschau, keine Psychologie, nur der Versuch, möglichst eindeutig im Gespräch, im Schreiben, im Text Cardinales Präsenz zu erfassen. „Lassen Sie mich erklären: Der Körper ist das, was ist; es gibt nichts anderes als den Körper, denn der Körper ist eine Form, in der sich alles befindet; außerhalb des Körpers gibt es nichts.“
Es fängt an wie eine Pass- oder Ausweisbeschreibung, Moravia fragt die Maße ab, Größe, Taille, Haarfarbe, ein Muttermal am Hals, die Ohrläppchen, die Hände, der Busen, der Gang. Cardinale zögert, ist ratlos, weicht aus, aber er insistiert, in diskreter Unerbittlichkeit, und hilft immer wieder mit eigenen Antworten und Sätzen aus – ihre Nase-Mund-Partie erinnert ihn an Michelangelo, zweimal zitiert er, wenn es um Cardinales kindlichen Kopf und fraulichen Körper geht, aus Baudelaires „Blumen des Bösen“: „Unter der Last deiner Trägheit / wiegt dein Kindeshaupt / sich mit der Weichheit / eines jungen Elefanten“. Die Rollenverteilung – sie das Objekt, er das Subjekt – löst sich auf, hat von Beginn an nie gestimmt. „Wir saßen“, erinnert sich Cardinale, „zu zweit in seinem Arbeitszimmer, er vor seiner Schreibmaschine, in die er seine Fragen und meine Antworten hineintippte. Und immer wieder fiel ihm die Maschine zu Boden. Er war unglaublich aufgeregt.“
Ein klarer Fall von praktiziertem Strukturalismus also, und da war immer auch Eros im Spiel – man denkt an die Reflexionen von Gertrude Stein, die Mythenglossen von Roland Barthes, die Filme von Michelangelo Antonioni. Im zweiten Teil dann, nach der Beschreibung des Objekts im Raum, das heißt seiner Erschaffung, geht es daran, es wieder zum Verschwinden zu bringen: Was tut Claudia in der Nacht, beim Auskleiden und Zubettgehen, wie schläft sie ein! Nur der Mensch hat den Wunsch zu verschwinden, „den Willen sich aufzulösen, nicht mehr da zu sein“. Und was träumt Claudia . . . „Träume“, erklärt ihr Moravia, „beweisen weniger, dass Sie existieren, als dass Sie die theoretische Möglichkeit zur Existenz haben.“ FRITZ GÖTTLER
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Eine kleine Privatvorführung ist dieses Buch, ein kleiner Zauber-Akt, eine subtile illusionistische Performance. Ein Mann – Alberto Moravia, der Autor als Magier – bringt eine Frau zur Erscheinung – die junge Claudia Cardinale – und lässt sie dann wieder verschwinden ( Alberto Moravia: Claudia Cardinale. Ein etwas ungewöhnliches Gespräch. Aus dem Italienischen von Sophia Marzolff. SchirmerMosel Literatur, München 2010. 86 S., 12,80 Euro ).
Das Gespräch fand 1961 statt und erschien erstmals auf Englisch in der Mai-Nummer des Esquire . Cardinale war 23, Moravia 53 Jahre alt, er war dabei, sich von seiner Frau, der Schriftstellerin Elsa Morante, zu trennen, hatte sich in die junge Dacia Maraini verliebt, nur zwei Jahre älter als Cardinale. Kurz nach dem Gespräch drehte Cardinale zwei ihrer wichtigsten Filme, „Der Leopard“ von Visconti und „Achteinhalb“ von Fellini. (Das Foto oben zeigt sie in „Vaghe stelle dell’orsa“, 1965, von Visconti. Foto: Cinetext Bildarchiv.)
Ein Gespräch, das sich als Gegenstandsbeschreibung versteht, und der Gegenstand ist Claudia Cardinale, „ein Gegenstand im Sinne von Objekt, also das Gegenteil eines Subjekts“. Das heißt, Moravia will nichts von der Vergangenheit der jungen Frau wissen, von ihrer Gegenwart und Zukunft, ist nicht interessiert an ihrer Starqualität, an Ansichten zu Politik oder Liebe oder Kunst, den bisherigen Filme und den künftigen Projekten, all das also, „was offenbar das unverzichtbare Material von Interviews darstellt“. Keine Innenschau, keine Psychologie, nur der Versuch, möglichst eindeutig im Gespräch, im Schreiben, im Text Cardinales Präsenz zu erfassen. „Lassen Sie mich erklären: Der Körper ist das, was ist; es gibt nichts anderes als den Körper, denn der Körper ist eine Form, in der sich alles befindet; außerhalb des Körpers gibt es nichts.“
Es fängt an wie eine Pass- oder Ausweisbeschreibung, Moravia fragt die Maße ab, Größe, Taille, Haarfarbe, ein Muttermal am Hals, die Ohrläppchen, die Hände, der Busen, der Gang. Cardinale zögert, ist ratlos, weicht aus, aber er insistiert, in diskreter Unerbittlichkeit, und hilft immer wieder mit eigenen Antworten und Sätzen aus – ihre Nase-Mund-Partie erinnert ihn an Michelangelo, zweimal zitiert er, wenn es um Cardinales kindlichen Kopf und fraulichen Körper geht, aus Baudelaires „Blumen des Bösen“: „Unter der Last deiner Trägheit / wiegt dein Kindeshaupt / sich mit der Weichheit / eines jungen Elefanten“. Die Rollenverteilung – sie das Objekt, er das Subjekt – löst sich auf, hat von Beginn an nie gestimmt. „Wir saßen“, erinnert sich Cardinale, „zu zweit in seinem Arbeitszimmer, er vor seiner Schreibmaschine, in die er seine Fragen und meine Antworten hineintippte. Und immer wieder fiel ihm die Maschine zu Boden. Er war unglaublich aufgeregt.“
Ein klarer Fall von praktiziertem Strukturalismus also, und da war immer auch Eros im Spiel – man denkt an die Reflexionen von Gertrude Stein, die Mythenglossen von Roland Barthes, die Filme von Michelangelo Antonioni. Im zweiten Teil dann, nach der Beschreibung des Objekts im Raum, das heißt seiner Erschaffung, geht es daran, es wieder zum Verschwinden zu bringen: Was tut Claudia in der Nacht, beim Auskleiden und Zubettgehen, wie schläft sie ein! Nur der Mensch hat den Wunsch zu verschwinden, „den Willen sich aufzulösen, nicht mehr da zu sein“. Und was träumt Claudia . . . „Träume“, erklärt ihr Moravia, „beweisen weniger, dass Sie existieren, als dass Sie die theoretische Möglichkeit zur Existenz haben.“ FRITZ GÖTTLER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eins fällt auf an Michael Althens kurzer Kritik dieses Bandes: Er bespricht ein Interview des alternden Autors Moravia mit dem damals noch ganz jungen Star des italienischen Kinos - aber er zitiert fast nur Moravias Fragen, und fast gar nicht aus Cardinales Antworten. Moravia scheint sie sanft zu zwingen, über ihren Körper zu sprechen - und zwar in Einzelheiten: "Was haben Sie für Ohren? Was können Sie zu Ihrer Stirn sagen?" und Claudia Cardinale scheint brav mitzumachen. Althen gefällt's. Er lobt die eigenartige Schwebe zwischen Nüchternheit und Intimität, die dieser Band ihm beschert hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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